Gehorsam und Säkularität

Aquilina, 13. Februar 2009

Ein anderes Argument, das ich in Ergänzung meines früheren Beitrags bringen möchte und das sich auch auf die Zuschrift von EBE "Schädliche Folge des Opus Dei: die Lüge" bezieht, die ich im Hinblick auf den Gehorsam ergänzen möchte: Es zeigt sich, dass der Gehorsam, wie EBE wiederholt dokumentiert hat, als Tugend par excellence im Opus gilt: “Der Gehorsam hat den Vorrang vor den übrigen [Tugenden], sogar noch vor der Klugheit.” Das ist gewiss, und alle unsere Zeugnisse weisen in diese Richtung.

Wenn ich diese Zeilen wieder lese, steigen mir erneut Zweifel auf, die mich schon öfter überkommen sind. Mein Zweifel ist folgender: Wie lässt sich die so hoch gepriesene Säkularität des Opus Dei mit der Verpflichtung vereinbaren, bestimmte Tugenden zu leben, als da sind: Armut, Keuschheit und, vor allem, der Gehorsam?...

Ich will es noch deutlicher erklären und präzisieren, dass meine Argumente die des Hausverstandes sind, und zwar eines Menschen, der das theologische und doktrinelle Wissen einer gewöhnlichen Christin mitbringt, vielleicht etwas fundierter als gewöhnlich, weil ich Numerarierin war, aber das ist auch schon alles. Wenn es einen Beitrag zum Thema liefern kann, würde es mich freuen, wenn hier jemand mit besserer theologischer Bildung mein Zeugnis anerkennen und vertiefen würde.

Ich weiß, dass der Sinn der klassischen Gelübde, welche den Ordensstand begründen – Armut, Keuschheit und Gehorsam – ein eschatologischer ist. Die Ordensleute geben mit ihrem Leben ein Zeugnis davon ab, dass unsere endgültige Bestimmung das Himmelreich ist, in dem es weder Mann noch Frau mehr gibt und wo wir alle wie Engel vor Gott sein werden (Gelübde der Keuschheit), in dem wir mit Gott vereint sein werden, der unser höchstes Gut ist, sodass keine Notwendigkeit mehr besteht, dass wir uns um die Erfordernisse des sterblichen Lebens kümmern (Gelübde der Armut), und in dem wir bereits endgültig unsere Vereinigung mit Jesus Christus vollzogen haben, der für uns “gehorsam wurde bis zum Tod”, um uns zu erlösen (Gelübde des Gehorsams). Dieses Zeugnis konkretisiert sich durch die Form der “Regel”, die das Leben in einem Orden mehr oder weniger detailliert beschreibt. Deshalb nennt man die Ordensleute auch gelegentlich “Regulare”, und die “Oberen” sind für die Einhaltung der Regel verantwortlich, um derentwillen auch der persönliche Wille im Gehorsam aufgegeben werden muss.
Andererseits leben wir Laien mitten in der Welt, in der Zeit, in der Geschichte. Unsere Berufung ist es, den Himmel in der geschichtlichen Zeit zu erreichen, in den kleinen Geschichten unseres kleinen Lebens, um so zur menschlichen und übernatürlichen Fülle zu reifen. Man kann annehmen und voraussehen, dass dieser Weg nicht geradlinig erfolgen kann, er beruht auf Versuch und Irrtum, auf Abweichung und Korrektur. Es ist vielmehr mit einer Wendeltreppe vergleichbar; im Lauf der Zeit begegnen uns kritische Phänomene, die wir aber im Licht der Erfahrungen jeweils durchaus unterschiedlich erleben und bewerten können, die frühere Erlebnisse in unserer Psyche bzw. in unserer Seele hinterlassen haben, die unseren ganz besonderen Ort in der Welt definieren, die unsere ganz besondere Individualität ausmachen. Wir verfügen über keine „Regeln“, die uns anzeigen, wie wir uns in ganz besonderen Situationen unseres Lebens verhalten sollen; wir können uns lediglich an die Regeln des Glaubens und der Moral halten, wie sie das Lehramt der Kirche interpretiert. Selbstverständlich müssen auch die Laien die Tugenden üben, und unter ihnen die Tugenden der Keuschheit, der Armut und des Gehorsams.

Die Keuschheit der Laien erfordert gewöhnlich nicht den Verzicht auf den Gebrauch der Sexualität, sondern lediglich, sie in der rechten Weise zu gebrauchen. Deshalb kann man als Laie die Keuschheit in der Ehe, in der Verlobungszeit oder aber im Zölibat leben, allerdings nicht als eschatologischen Verweis auf das Jenseits oder durch eine auf die Ewigkeit festgelegte Lebensform, die man nicht mehr ändern könnte. Ehepartner können verwitwen oder geschieden werden, Verlobte können heiraten oder ehelos bleiben, die Zölibatären können früher oder später einen Partner finden. Die Laien können von dem einen Zustand in den anderen übergehen, ohne um Erlaubnis, Ratschläge oder um Dispense welcher Art auch immer ansuchen zu müssen.

Die Armut der Laien hängt meiner Ansicht nach eher mit der Mäßigkeit und der sozialen Gerechtigkeit zusammen, den Reichtum, so vorhanden, nicht zu missbrauchen, allerdings ist er auch nicht verboten; wir müssen uns nur immer wieder dessen bewusst machen, dass wir nicht unbeschränkte Herren unseres Eigentums sind, sondern nur bis zu einem gewissen Punkt, und dass wir in gewisser Weise für die Bedürftigeren verantwortlich sind. Sie gebrauchen ihrer Güter entsprechend ihrem gut gebildeten Gewissen, ohne dass eine Erlaubnis, eine Dispens, ein Ratschlag vonnöten wäre.

Auch der Gehorsam schließlich besitzt einen gewissen, typisch laikalen Gehalt: innerhalb der Familie, der Gesellschaft, des Staates, Gehorsam gegenüber den Eltern, in gewisser Weise gegenüber dem Partner, den Lehrern und Vorgesetzten, den Gesetzen, generell gegenüber Autoritäten, freilich unter der Prämisse eines recht gebildeten Gewissens.

Allerdings – und hier zeigt sich das bestimmte Kriterium des Gehorsam bei einem Laien – mit der entsprechenden Verantwortlichkeit dessen, der in der Zeit zu leben berufen ist; deshalb muss man dem göttlichen Plan, der sich hier entfalten will, zugestehen, dass er diese Eigenverantwortlichkeit der Individuen ernst nimmt. Der Ordensmann, die Ordensfrau bewegt sich außerhalb dieser Eigenverantwortlichkeit, er muss nicht wählen gehen, ist vom Kriegsdienst befreit und ist verpflichtet, sich nicht aktiv am politischen Leben zu beteiligen, denn in gewisser Weise ist er „nicht mehr von dieser Welt“; zumindest entsprechen die Zeremonien beim Eintritt in einen Orden denen eines Begräbnisses, um anzudeuten, dass der Kandidat „der Welt gestorben“ ist. In diesem Kontext ist es verständlich, dass sich ein Ordensmann, eine Ordensfrau „im Namen des heiligen Gehorsams“ fügt, auch wenn er dem, worum er gebeten wird, nur teilweise oder gar nicht zustimmen kann (solange man ihm nichts Unmoralisches befiehlt). Der Laie kann hingegen seinen Willen nicht in dieser Form aufgeben, denn es ist ja gerade seine Aufgabe, die christliche Welt durch seinen freien Willen und sein Urteil aufzubauen.

Außerdem muss man klarstellen, dass man im Gehorsam, entgegen dem, was man uns im Opus Dei lehrt, nur dem Willen, nicht aber das Urteil aufgeben kann: Der Wille kann sich beugen, ohne seinen eigentlichen Gehalt aufzugeben; das Urteil kann das nicht. Erst wenn aufgrund innerer oder äußerer Umstände klar wird, dass wir uns in der Evident einer Angelegenheit getäuscht haben, kann sich auch das Urteil ändern. Dies ist ein Vorgang, denn wir nicht beeinflussen können, ohne unsere Freiheit einzubüßen. Der Wille kann von uns abhängen, die Wahrheit nicht. Das gilt so weit, dass die christliche Lehre anerkennt, dass das persönliche Gewissen der letzte Grund für die Moralität einer Handlung ist, und auch wenn dieses Gewissen nicht die sichere Wahrheit, wie sie von der Kirche gelehrt wird, erkennen kann, ist es verpflichtet, diesem seinem Urteil zu folgen. Deshalb birgt die besondere asketische Forderung des Opus Dei, im Gehorsam nicht nur den Willen, sondern auch den Verstand zu unterwerfen, unter attraktiven äußeren Vorzeichen – denn wer würde, wenn es schon zu gehorchen gilt, nicht auch gern mit dem Hirn gehorchen und nicht nur mit dem Herzen? – Mechanismen in sich, die unter Umständen zu schweren mentalen Störungen führen können, und es ist keinesfalls Mangel an Fügsamkeit, übernatürlichem Geist oder was auch immer wenn man nicht das „sieht“, worauf einen die Direktoren hinweisen. Den Willen zu beugen kann tugendhaft sein, das Urteil zu beugen nicht.

Schließlich möchte ich darlegen, dass ein Laie, kraft seiner Säkularität, eben da er nicht die Bindungen eines Ordensmannes, einer Ordensfrau hat, nur aufgrund seines gut gebildeten Gewissens gehorchen darf, bzw. in dem, was seine gesellschaftlichen und sozialen Bindungen betrifft, eben den Eltern, den Vorgesetzten, den Gesetzen, dem Staat etc., nicht aber einem geistlichen Leiter. Zumindest kann er sich nicht von einem geistlichen Leiter, von Gesetzen, Regeln und Gewohnheiten leiten lassen, will er nicht zum „geweihten“ Laien entwickeln; denn der Laie hat sich nach der definierten Wahrheit des Lehramtes nach nichts anderem zu richten als nach Glaube und Moral. Er kann durchaus sich nach Geschmack und ganz intensiv Regeln unterwerfen, die er sich selbst gegeben hat, und sie ohne jede Erlaubnis in jedem Moment aufgeben, wenn es ihm passender erscheint. Wenn nicht, ist er kein Laie, er hat sich einer Ordensregel unterworfen, auch wenn er weltliche Kleidung trägt.

Wenn, wie wir gezeigt haben, „Laie“ das Gegenteil von „Religios“ ist, in der Hinsicht dass der Laie frei und eigenverantwortlich handelt und auf die Ausübung seiner Freiheit und Verantwortlichkeit nicht verzichtet, wie es ein Ordensmann oder eine Ordensfrau in ihrer spezifischen Suche nach Heiligkeit tun, dann ist es nicht möglich, die Säkularität und gleichzeitig den Gehorsam so zu leben, wie dies im Opus Dei, geschieht, und sich auch noch gleichzeitig durch einen „Vertrag“ dazu zu verpflichten.

Wenn das Opus Dei, theoretisch gesprochen, das wäre was es zu sein vorgibt, müsste es seinen Gläubigen religiöse und doktrinelle Bildung erteilen, aber keine „geistliche Leitung“, denn wie Gervasio ausführlich in seinem Aufsatz Brauchen wir die geistliche Leitung? Dargelegt hat, bedeutet diese, Rechenschaft über Gewissensfragen einzufordern. Wenn das, was ich hier sage, richtig ist oder wenigstens haltbar, gäbe es hier einen weiteren Beweis, und möglichweise mit mehr Niederschlagskraft als den von den asketischen Praktiken, die aus dem Gemeinschaftsleben der Ordensleute übernommen wurden, um zu zeigen, dass es den laikalen Charakter des Werkes gar nicht gibt.

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