Dietmar Scharmitzer:
Opus Dei –
das Ende einer Legende
Dies, dein Ideal, deine Berufung, ist …
ein Wahnsinn. – Und die andern, deine Freunde, deine Brüder, lauter
Wahnsinnige…
Hast du diesen Schrei nicht manchmal tief in deinem Inneren vernommen? –
Antworte entschieden, dass du Gott für die Ehre dankst, diesem „Irrenhaus“
anzugehören.
(„Der Weg“, Nr. 910)
Das Opus Dei hatte sich allgemeinen Respekt verschafft; durch die Rechtsform
der Personalprälatur ist es seit 25 Jahren der Kontrolle der Bischöfe
entzogen, schlecht recherchierte Beiträge über das Gotteswerk brachten
dem WDR und dem Rowohlt-Verlag schmerzhafte juridische Niederlagen ein, die
dem Opus eine Aura der Unverwundbarkeit gaben, und so bösartig auch die
Unterstellungen in Dan Browns „Sakrileg“ waren, sie haben wohl auch
gezeigt, was man Gefolgsleuten des Josémaria Escrivá alles zutraut.
Als am 6. Oktober 2002 Papst Johannes Paul II. diesen Priester heilig sprach,
war die unmittelbare Reaktion zwiespältig. Einerseits wurde der Ausdruck
gebraucht, dass das Opus Dei, das von ihm gegründete „Werk Gottes“,
nun zum „Mainstream“ in der katholischen Kirche werden könne
(„Die Furche“, Nr. 41, 10. 10. 2002, 10); in extremer Selbstgefälligkeit
äußerte der Postulator Escrivás, Flavio Capucci, jetzt „muss
man ihn verehren“( „Kreuz und quer“ vom 1. 10. 2002). Leise,
aber bestimmt wurde auch Kritik an den rigiden, Menschen verachtenden Strategien
der „Elitetruppe“ des Papstes geäußert, aber auch am
Prozess selbst. Unerwünschte Zeugen blieben ausgegrenzt, und darunter waren
so wichtige Stimmen wie der einzige noch lebende Begleiter Escrivás aus
den dreißiger Jahren, Miguel Fisac Serna, oder der ehemalige Generalsekretär
des Opus Dei, Antonio Pérez-Tenessa. Hinter vorgehaltener Hand äußerten
auch manche, die in der Öffentlichkeit als Freunde des Werkes galten, wie
der emeritierte Wiener Erzbischof Kardinal Dr. Franz König, vorsichtige
Kritik.
Für eine Zeitlang mochte es – für die Mitglieder, für die römische Kurie, der immer nur die Schauseite präsentiert wurde, aber auch für die interessierte Öffentlichkeit - so ausgesehen haben, als ob hier eine verschworene Gemeinschaft mit ihrem Padre durch dick und dünn geht und das Wort Christi in alle Welt und in alle Milieus trägt und dass, unbeschadet einiger Rückschläge, niemand sie aufhalten kann.
Die Wirklichkeit sieht anders aus. Mit der Heiligsprechung des Gründers war der Zenit überschritten. In Spanien, der zahlenmäßig stärksten Region, befindet sich das Werk in Auflösung; mit viel Geld und außergewöhnlichen Maßnahmen wird kaschiert, dass der Nachwuchs fehlt. Auch in Österreich ist die Lage prekär: Nachdem selbst der Sprecher des Opus Dei, Dr. Martin Kugler, es vorgezogen hat, zu gehen, teilen sich der 71jährige Rentner Ricardo Estarriol und der Kölner Priester Christoph Tölg seine Arbeit. Nach der Beschreibung des hochrangigen Mitglieds der österreichischen Region, Enrique Prat de la Riba, besteht das „Werk Gottes“ hierzulande aus herrschaftlichen „Häusern mit Betten, aber mit niemandem drin“. Nun hat auch im Mutterland des Opus ein furchtbarer Aderlass eingesetzt; manche gehen nach zwanzig oder dreißig Jahren Mitgliedschaft, und niemand kommt nach. Und was noch schlimmer ist: Theologen erwägen ernsthaft, ob Laien überhaupt „Mitglieder“ einer Personalprälatur und nicht nur Mitarbeiter sein können, da dieses pastorale Sonderprogramm nach dem Wunsch des Gesetzgebers ausschließlich auf Kleriker zugeschnitten ist. Wer das Opus Dei in Zukunft wieder verlassen möchte, braucht dazu keine Erlaubnis mehr; eine schriftliche Mitteilung nach Rom genügt.
Immer mehr Mitglieder, denen ihr Gewissen nahelegt, das bedenkliche Geflecht von Usancen, die in dieser Form nie vom Heiligen Stuhl gebilligt wurden, zerreißen zu helfen, machen geheime Dokumente mit Hilfe des Internets zugänglich. Daneben organisieren sich die Ehemaligen, gewinnen an Selbstbewusstsein und vernetzen sich, um einander, teils mit beachtlichem Aufwand, soziologisch, psychologisch, ja mit theologischem Tiefgang argumentativ Hilfestellung zu leisten. In gemeinsamer Analyse des erlittenen Missbrauchs wird klar, dass hier nicht nur Fehler geschehen sind, gutgläubige Menschen um der guten Sache willen bedrängt und manipuliert wurden, sondern dass der ganze Bau der stolzen „Prälatur“ auf falschen Voraussetzungen errichtet wurde. Nicht die Heiligung der Arbeit, das Apostolat der Laien, der Schwung einer jungen, vom Heiligen Geist beseelten Gruppe stehen im Vordergrund, sondern die monströse Selbstglorifizierung eines zutiefst zerrissenen, psychotischen und mit sich unglücklichen Klerikers aus der nordspanischen Provinz, der immer aus ganzer Seele etwas anderes sein wollte, als er jeweils war.
Als sich mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs die Grenzen öffneten, übersiedelte Escrivá mit seinem Leitungsstab nach Rom, schuf sich mit der „Villa Tevere“, der ehemaligen ungarischen Botschaft beim Heiligen Stuhl, einen luxuriösen Zentralsitz und leitete von dort aus die Ausbreitung in zahlreiche Länder der freien Welt. Zugleich suchte er im Vatikan eine Lösung in Bezug auf den kirchenrechtlichen „Ort“ seiner Gründung zu bekommen; die Rechtsfigur des „Säkularinstituts“ genügte ihm nicht, und der Gründer, der in den Jesuiten eine aus „Zwillingsscheu“ rührende Gegnerschaft hatte, war auf der Hut, dass sich seine Stiftung nicht im Lauf der Zeit in einen Orden verwandelte. Deshalb musste jedes Mitglied sich verpflichten, sofort auszutreten, sollte das Opus Dei eines Tages eine Konstitution aufoktroyiert erhalten, die nicht mehr seinem Charisma entsprach.
Das II. Vatikanische Konzil, das die Öffnung der altehrwürdigen römischen Kirche hin zu einer dynamischen Religionsgemeinschaft des dritten Jahrtausends bringen sollte, wird vom Werk Gottes ganz im eigenen Sinn interpretiert, insofern es den allgemeinen Ruf zur Heiligkeit betonte und die neuartige Rechtsform der „Personalprälatur“ ermöglichte. Für Escrivá bedeuteten die Reformen allerdings eine lästige Abweichung, der er entgegentrat, wo er konnte. Weit davon entfernt, dem Papst und dem Konzil nach Buchstaben und Geist zu gehorchen, äußerte er sich im kleinen Kreis abfällig über die verantwortlichen Personen; für den Nachfolger von Paul VI. sollten seine Kinder beten, das war seine Bitte – die impliziert, dass er von diesem Papst nichts mehr zu erwarten hatte. Noch geschlossener, einheitlicher, traditionsbewusster sollte sein Opus sich geben. Was die anspruchsvolle Avantgarde der Kirche gewesen war, wurde in ein steifes Korsett gepresst, und seine Jünger begannen aufzufallen: durch die Soutanen ihrer Priester als Ausdruck eines ungebrochen hierarchischen Kirchenbildes, durch das Latein als Sprache des Gottesdienstes und durch eine dürftige, auf Thomas von Aquin reduzierte Theologie, dazu durch die Beibehaltung eines Index verbotener Bücher, den die Mutterkirche aufgegeben hatte. Innerhalb des Opus Dei gilt beispielsweise die kirchliche Druckerlaubnis für ein Buch nur dann als untrüglicher Hinweis, dass es sich um wertvolle katholische Literatur handelt, wenn das Imprimatur vor 1965 erteilt wurde. Pikanterweise waren auch die Werke Josef Ratzingers bis zu seiner Ernennung zum Präses der Glaubenskongregation im Opus Dei verbotene Lektüre!
Als Escrivá am 26. Juni 1975 in Rom an Herzversagen starb, hatte das Werk 60.000 Mitglieder und war auf allen fünf Kontinenten verbreitet. Die Errichtung als Personalprälatur erfolgte 1982; dank der Vorliebe von Johannes Paul II. absolvierten die „Escrivaner“ in dem Vierteljahrhundert seines Pontifikats einen grandiosen „Marsch durch die Institution“. Am 17. Mai 1992 erhob er den Gründer des Opus Dei zum Seligen, zehn Jahre später sprach er ihn auf dem Petersplatz in Rom vor einer großen Menschenmenge heilig.
Wer diese hagiographischen Daten differenzierter betrachtet, könnte in Escrivá durchaus auch den Sohn einer wirtschaftlich heruntergekommenen Familie aus dem aragonesischen Kleinbürgertum sehen, der den Abstieg seines Vaters nicht verkraftet und von einem „besseren Leben“ geträumt hat, als Anwalt oder Architekt. Das bezeugt wenigstens Miguel Fisac, eines der ältesten Mitglieder des Werkes. Der epileptische Anfall des Zweijährigen, der Tod der drei jüngeren Schwestern hatte die Zuneigung seiner Mutter in besonderer Weise auf ihn fokussiert; nach dem Bankrott seines Vaters, seiner Flucht aus Barbastro und seinem gesellschaftlichen Scheitern war der gleichgeschlechtliche Elternteil beiseite getreten; José Maria genoss die ungeteilte Liebe seiner Mutter und konnte egozentrische Phantasien ausleben.
Ein weltliches Studium war aus wirtschaftlichen Gründen illusorisch geworden, der Eintritt ins Priesterseminar die einzige Möglichkeit, zu einer akademischen Ausbildung zu kommen. Escrivá wollte von Anfang an seiner theologischen Ausbildung die juristische zur Seite stellen.
Als es dann gelang, diesen neuen Weg, mit zahlreichen Anleihen bei traditionellen Orden, aber auch neuen Bewegungen wie etwa den 1911 gegründeten „Teresianisten“ des Pedro Poveda zu entwickeln und Anhänger zu finden, gaben die Zeitumstände in Spanien dem Werk Escrivás einen mächtigen Auftrieb. Der Chemiker und Pharmakologe José Maria Albareda, Numerarier, war ab 1939 Generalsekretär des höchsten spanischen Gremiums für Forschung und Wissenschaft; von diesem Moment an flossen nicht nur die staatlichen Fördermittel nach seinem Gutdünken, es begann auch die Dominanz des Opus Dei auf den Lehrstühlen Spaniens, und bekanntlich gehörten dem Werk auch zahlreiche Minister Francos an.
Dank der Rechtsform der Personalprälatur ist das Werk Gottes
direkt dem Heiligen Stuhl unterstellt und damit der Jurisdiktion der Ortsbischöfe
entzogen. Es unterscheidet sich gerne, unter Berufung auf die nomenklatorische
Einbindung in die hierarchische Struktur der Mutterkirche, von katholischen
„Bewegungen“. Obwohl es die Heiligung des gewöhnlichen Alltags
propagiert, lebt es von einer Ausnahmegesetzgebung; denn die Rechtsfigur der
Personalprälatur wurde eigentlich zum Zweck einer besseren Verteilung des
Weltklerus geschaffen. Erst durch nachträgliche Interpretation wurde ausgearbeitet,
dass die ihr angehörigen Laien ihrem jeweiligen Bischof unterstehen, hinsichtlich
des Zieles der Prälatur – Bildung und Apostolat – allerdings
deren Prälaten gehorchen. Eine noch größere Unabhängigkeit
hätte das Opus Dei als „Personaldiözese“ genossen, eine
Konstruktion, die einzelne Personen, die verstreut wohnen, seelsorglich zusammenfasst,
wie etwa die Militärdiözese eines Landes die ihr unterstehenden katholischen
Soldaten unabhängig von ihrer Herkunft betreut. Man sagt, Opus Dei habe
dies angestrebt, und der jetzige Papst habe, noch als Kardinal, im kleinen Kreis
geäußert, das habe er, kraft seines Einflusses bei Johannes Paul
II., eben noch verhindern können. So stellte Ratzinger im gleichen Dokument
etwa klar, dass eine Personalprälatur kein Teil der kirchlichen Hierarchie
sei, sondern („nur“) eine Vereinigung von Gläubigen; das Kriterium
sei die Freiwilligkeit, denn einer Diözese gehöre man an, man trete
ihr aber nicht bei – das Opus Dei ist allerdings vom Gegenteil überzeugt.
(Vgl. „Acta et Documenta“ der Päpstlichen Kommission zur Interpretation
des Codex Iuris Canonici, Vollversammlung vom 20.-29. 10., Vatikan 1981, 402
f.)
Zwei Konzepte von dem, was das Werk Gottes in Wirklichkeit sei, stehen einander
schroff und unvereinbar gegenüber – die Heiligkeit der gewöhnlichen
Menschen, die, abgetötet und bedürfnislos, mit hinreißendem
Charme um ihre Mitmenschen bemüht, ihre Arbeit perfekt und mit dem Blick
auf Gott verrichten, und daneben die manipulierende Sekte, die halbe Kinder
unter falschen Versprechungen anlockt und an sich bindet, sie finanziell ausnützt,
vor schmutzigen Tricks, Kontakten zur Mafia und der Zusammenarbeit mit Diktatoren
nicht zurückschreckt und daneben den Vatikan mit vielen Millionen zu beeinflussen
sucht. Buch und Film „Sakrileg“ arbeiten mit solchen Klischees,
der Autor Dan Brown stellt plastisch dar, was solchen Leuten zuzutrauen ist,
wenn es auch nicht sein Anliegen war, explizit über Opus Dei zu schreiben.
Er hat punktuelles Detailwissen, vor allem aus dem Internet, doch passt manches
in seiner Darstellung nicht: Kein Mitglied trägt eine Kutte, kein Albino
hätte eine Chance, Numerarier zu werden – der elitäre Anspruch
erstreckt sich auch auf das Äußere. Die Anwürfe Browns wären
nun leicht zu widerlegen gewesen – hätten sie nicht ihren Sitz im
Leben in ebenso zahl- wie heillosen Skandalen, in die die Mitglieder der Institution
verwickelt sind, und in ständigen Verstoß gegen kanonische wie staatliche
Gesetze. Entgegen allen gegenteiligen Versicherungen hat „Sakrileg“
das Werk doch schwer getroffen; in Spanien arbeiten fünfzig (!) Funktionäre
der Vereinigung hauptamtlich für die Pressestelle des Opus Dei, und beim
„Anfüttern“ von Journalisten werden weder Zeit noch Mühe
gespart.
Selbstverständlich gibt es auch überall dort, wo Menschen zu gläubiger Hingabe bereit sind, die Tendenz, diese Bereitschaft in ihrer blinden Wehrlosigkeit auszunützen – aber hier ist all dies nicht nur tendenziell, sondern organisiert vorhanden, nicht um einer erhöhten Wirksamkeit willen, sondern einzig zur Verherrlichung der Vaterfigur des Gründers, in blinder Nachfolge eines von sich und seiner Sendung manisch besessenen Priesters. Den Willen stärken und dann - ¡caudillo! , „Führer!“ sein – die deutsche Übersetzung von Punkt 19 des 1939 erschienen „Wegs“ umschreibt das Unwort diskret, mit „führender Mann“, aber die Parallelen sind schlagend: der Provinzler mit starker Mutterbindung, der verhinderte Künstler, der immer „etwas Besonderes“ war, der reden und faszinieren konnte, der autokratische Schreihals, dem die wirkliche Bildung fehlte und der sich gerade deshalb die Wirklichkeit zurechtbiegen konnte, der wenig Begabte, der fanatische Gefolgsleute fand und mit viel Glück zur richtigen Zeit am richtigen Platz war – in Nachkriegs-Spanien ebenso wie in der Krise nach dem Konzil.
Unter den Augen der Kirche, die in diesen Jahren der sklerotischen Einschrumpfung ihrer äußeren Machtstellung fasziniert auf diese „Laien“-Gemeinschaft gestarrt hatte, die sich nicht nur äußerst lebendig und erfolgreich zeigte, sondern auch Tausende Priesterberufe hervorbrachte, entfaltete sich eine Geistigkeit, die Psychosen hervorruft und Religion zerstört. Jede Woche wurden mir die Worte des Gebetes vorgeschrieben, die Zahl der Stoßgebete befohlen. Die Beziehung des Menschen zu Gott wird solcherart eingestampft, enteignet und organisierbar gemacht; die Gnade wird der Statistik geopfert. Der damalige Chef des Werkes, Alvaro del Portillo, ließ von seinen Priestern zusammenzählen, wie viele Messen sie für die Errichtung der Personalprälatur aufgeopfert hatten, als dieses Anliegen verwirklicht worden war – „Mathematik der Gnade“ heißt diese Form pervertierter Gotteskindschaft.
Das Opus Dei betreibt keine Seel-Sorge, schon gar nicht an seinen Mitgliedern; Zahlen und Figuren sind ihm wichtig, es zählt seine Numerarier, ihre Einkünfte und Stoßgebete; aber die „Brüder“ sind einander fremd, sie kennen einander nicht und fühlen deshalb auch nicht miteinander, denn sie definieren sich nur vertikal, über ihre Leiter. Welches Mitgefühl kann auch es unter solchen „Geschwistern“ geben, denen es ausdrücklich verboten ist, sich einander mitzuteilen, denn in klarem Widerspruch zu Kanon 212 § 3 des geltenden Kirchenrechts, das den freien Meinungsaustausch unter den Gläubigen garantiert, heißt es: „Es wird niemals angebracht sein, dass die Gläubigen des Opus Dei untereinander über ihr inneres Leben oder persönliche Sorgen sprechen.“ (Katechismus des Werkes, Nr. 221)
Gott ruft beim Namen; der Teufel nummeriert. Die ausgetretenen Mitglieder bleiben sich selbst überlassen; die Bitte um seelsorgliche Betreuung wird nicht beantwortet, Priestern wird viel lieber die Laisierung als die Inkardinierung in eine Diözese zugestanden. Das „Wachstum“ des Opus Dei gleicht einem Tumor, der sich ohne Rücksicht, ja zum Schaden des Gesamtorganismus entwickelt. Der Krebsschaden am Leib der Kirche ist evident; das Werk Gottes, so reich und mächtig es sich gerieren mag, ist trotz aller gegenteiligen Versicherungen in einem steilen Abstieg begriffen, und sobald die Fassade Risse zeigt, wird auch im Vatikan der vormalige Hoffnungsträger mit anderen Augen gesehen werden.
Das Werk Gottes macht heute, achtzig Jahre nach seiner Gründung, den Eindruck einer überalterten, schlecht gelaunten, inzestuösen (80% der Numerarier kommen aus Opus-Dei-Familien) und der Nabelschau hingegebenen Sekte. 80 ehemalige Mitglieder haben sich an die vatikanischen Dikasterien gewandt mit der Bitte, einige Besonderheiten aus der Praxis des Werkes, die vom Kirchenrecht nicht gedeckt oder ausdrücklich untersagt sind, überprüfen. Sie stützen sich dabei auf das Dekret Leos XIII. „Quemadmodum“ vom 17. Dezember 1890, das kirchlichen Vorgesetzten ausnahmslos untersagt, die ihnen anvertrauten Gläubigen zu vertraulichen Mitteilungen über Gewissensangelegenheiten zu veranlassen. Das Opus Dei aber missbraucht die spirituelle Betreuung für das „Aushorchen“ der Mitglieder und hat dies bis jetzt erfolgreich verschleiern können. Die eigenen Gläubigen durften sich über die innere Struktur nicht austauschen und nahmen alles als gottgegeben hin; die kirchliche Hierarchie, unter Johannes Paul II. wohlwollend und „auf dem rechten Auge blind“, ließ sich durch die kurze und sehr allgemeine Formulierung der „Statuten“ täuschen; die „geistliche Leitung“, wie sie im Opus Dei gehalten wird, widerspricht jeder Praxis des Kirchenrechts. Darüber hinaus hat das „Werk Gottes“, das sich immer für etwas Besseres gehalten hat, über jeden einzelnen Bischof, über jede Diözese, in der es seine Leute sitzen hat, umfangreiche Dossiers angelegt und glaubt so die Weltkirche fest im Griff zu haben.
Man wird doch da sehen. Der Koloss steht auf tönernen Füßen; ein Federstrich des Papstes reicht aus, die „Personalprälatur“ in dieser Form Geschichte sein zu lassen.
Dietmar Scharmitzer kennt das Opus Dei aus eigener Erfahrung – er
war von 1982 bis 1992 „Assoziierter“ der Vereinigung – und
durch jahrelange sorgfältige Recherchen. Er ist Koautor des Buches „Opus
Dei- das Irrenhaus Gottes?“, das 2008 im Verlag „Va bene“
erschien, und betreut die Homepage www.opusfrei.org,
die sich der Aufklärung und Betreuung der Betroffenen verschrieben hat.