Kulturkampf an Spaniens Schulen

 

8. Dezember 2008

Steve Kingstone, BBC Madrid

Ein sechzehnjähriges Mädchen sitzt auf dem Gehsteig und trinkt Sangria aus einem Pappbecher. Die Gruppe von Freundinnen rundherum plant ihre Samstagnacht, gestylt, um die Herzen der Jungen zu entflammen.

„Ist jemand von euch katholisch?“, frage ich. Ich sehe sechs Gesichter, fünf davon schauen gleichgültig drein. Schließlich meldet sich überraschend die Jugendliche, die auf dem Gehsteig sitzt.

„Ich bin stolz darauf, katholisch zu sein, und ich gehe dreimal in der Woche in die Messe“, erklärt sie in gutem Englisch. „Meine Freunde glauben nicht an Gott, aber für mich ist er sehr wichtig. Ich bin aus einer Familie des Opus Dei…“

„Aber wie passt das zu dem Zustand, in dem du dich jetzt befindest?“, frage ich sie und beuge mich vor, um ihre Antwort zu verstehen.

„Ich werde morgen beichten gehen“, antwortet sie. „Ich trinke, und dann beichte ich. Sagen Sie das bitte nicht meiner Mutter.“

Ich kann mir nicht vorstellen, was ihre frommen Eltern vom Opus Dei über einen solchen Glaubensausbruch auf offener Straße sagen würden.

Aber sie bietet mir ein aufschlussreiches Bild über die Komplexität des Themas, das ich behandeln möchte: den Kampf der katholischen Kirche und der sozialistischen Regierung in Spanien, um den jungen Spaniern Werte zu vermitteln.

Diese angeheiterte junge Frau hat sich nicht verwirren lassen und gegen ihre strenge katholische Erziehung aufgelehnt. Für sie sind die Ausschweifungen der Samstagnacht durchaus vereinbar mit der Sonntagsmesse am Morgen darauf.

Es ist nicht das erste Mal, dass ich diese Grauzone in der Wirklichkeit wahrnehme, während sich in der Theorie eine Debatte von Extrempositionen präsentiert.

Ideologischer Kampf

Seitdem ich im vergangenen April nach Spanien übersiedelt bin, war ich Zeuge zahlreicher ideologischer Zusammenstöße zwischen der Hierarchie der katholischen Kirche und der Regierung von Präsident José Luis Rodríguez Zapatero.

Homosexuellenehe? Unter ihm wurde sie anerkannt. Raschere Scheidungsverfahren? Er hat es versprochen, es ist in Kraft getreten.

All das lässt die Leiter der Kirche Feuer speien.

Die liberalen Vorhaben des sozialistischen Präsidenten haben die konservativen Katholiken so weit verärgert, dass die spanische Bischofskonferenz vor den allgemeinen Wahlen im März einen völlig unverhohlenen Aufruf ergehen ließ, die Sozialisten nicht zu wählen.

Aber die Wähler stellten sich taub, und die Sozialistische Arbeiterpartei Spaniens (Partido Socialista Obrero Español, PSOE) gewann die Wahlen.

Nun haben die den Kampf wiederaufgenommen, mit den Schulen als Schlachtfeld.

Sie beschuldigen Zapatero, die spanischen Jugendlichen mit einem neuen Pflichtfach „Staatsbürgerkunde“ indoktrinieren zu wollen.

Einige katholische Eltern sind entsetzt darüber, dass die Bücher zu diesem Fach auch Themen wie Scheidung, Abtreibung und Sexualität behandeln.

Kontrolle über die Jugend

„Wenn du es erreichst, dass die Jugendlichen auf eine bestimmte Art und Weise denken, kannst du sie kontrollieren, und ich glaube, das versucht die Regierung“, beschwert sich Agustín Losada, ein Vater, dessen formell erhobene Beschwerde gegen das neue Unterrichtsfach von der konservativen Regionalregierung in Madrid unterstützt wird.

Das moralische Recht, die Jugendlichen zu erziehen, steht nicht dem Staat zu, sondern den Eltern. Das ist ein Grundsatz, der in unserer Verfassung verankert ist“, versichert Losada.

„Indem man alle zwingt, diese Art von Inhalt zu studieren, will die Regierung einen Gesichtspunkt durchsetzen, der nicht mit dem übereinstimmt, was viele Eltern denken“.

Die Ansicht Losadas ist von einer merkwürdigen Logik, aber ist sie auch für jene 78% der spanischen Bevölkerung repräsentativ, die sich zur katholischen Religion bekennen? Der Schluss ist nicht zwingend.

Auf der einen Seite wurde, nach einer Mitteilung der spanischen Vereinigung katholischer Eltern, 50.000 Einwendungen von Eltern übergeben, andererseits ist das für ein 45-Millionen-Volk nicht wirklich repräsentativ.

Sicher ist, dass eine jüngst durchgeführte Umfrage ein gewisses Unbehagen an der Art konstatiert, wie dieses neue Unterrichtsfach den Schulen im ganzen Land aufgezwungen wurde. Nach einer Befragung würde eine Mehrheit der Spanier ein Wahlfach bevorzugen, so wie es auch beim Religionsunterricht der Fall ist.

Eklektizismus

Nachdem ich mit einem breiten Spektrum spanischer Katholiken gesprochen habe, ist mein Eindruck, dass die Grauzone größer ist als angenommen. Viele Eltern, mit denen ich gesprochen habe, vertreten selektive Standpunkte in Fragen der Religion und der Moral.

„Ich denke, dass ich katholisch bin, aber ich habe kein Problem mit einer staatlichen Erziehung“, erklärt María Amparo Zahonero, deren vierzehnjährige Tochter ein Gymnasium in Valencia besucht.

„In einem bestimmten Alter sollen die jungen Leute alles lernen. Man muss ihnen die Erklärungen liefern.“

Währen sie über einige Themen spricht, erklärt María, dass sie gegen die Abtreibung ist, obwohl sie die Homosexuellenehe unterstützt, und sie ist mit den Vorstellungen der Kirche über Empfängnisverhütung.

„Sie wollen nicht, dass man die Mittel anwendet – aber ich nicht mein ganzes Leben damit verbringen, Kinder zu bekommen“, meint sie.

Wieder in Madrid. Die junge Frau vom Opus Dei geht mit Freunden in eine Disco. Einige trinken weiter, die meisten rauchen, eine erzählt mir begeistert von einer Fernsehserie.

Das ist nicht das Bild einer Gesellschaft, die sich zügellos gehen lässt, aber es ist auch nicht das Bild, das Spanien noch vor dreißig Jahren bot, als die katholischen Werte mehr Respekt als Indifferenz erfuhren. In dieser Gruppe junger Leute hat nur eine in ihrem Leben Platz für Gott.

Und ich frage mich, ob sie morgen wirklich in die Sonntagsmesse gehen wird.

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