(Mit freundlicher Genehmigung des Autors übernommen von der Webseite www.confessio.de)
Das Opus Dei hat in der Gesellschaft einen denkbar schlechten Ruf. Im Zusammenhang mit dem Namen dieser Organisation fallen Begriffe wie römisch-katholische Geheimorganisation, Einfluss auf die Politik, absoluter Gehorsam, ja sogar von der „Mafia des Papstes“ wird gesprochen. Kritiker haben Bücher verfasst, die erschütternde Deteils hinter einer wohlbehüteten Fassade zu zeigen beanspruchen. Manche dieser Werke gehören in das Genre der Sekten-Aussteigerliteratur.
Auf der anderen Seite hört man immer wieder von einem wachsenden Einfluss des Opus Dei in der röm.-kath. Kirche. Manche Bischöfe sollen ihm nahe stehen und sogar der Papst hat es nicht an Unterstützung fehlen lassen - die schnelle Heiligsprechung des Gründers Josemaría Escrivá im Jahr 2002 legt davon ein deutliches Zeugnis ab. Es war das kürzeste Verfahren in der gesamten bisherigen Kirchengeschichte.
Grund genug, dem Phänomen „Opus Dei“ etwas näher nachzugehen. Dazu habt der Evangelische Bund Sachsen bei der Zentrale des Opus Dei in Köln nachgefragt und als Ansprechpartner einen Berliner Juristen vermittelt bekommen. Diesen hatten wir zu einer Tagung eingeladen, wovon nachfolgend berichtet werden soll.
Die dunkle Seite - ein Medienphänomen?
Seine Ausführungen begann unser Referent mit der Darstellung der negativen Außenwahrnehmung des Opus Dei. Er wies darauf hin, dass in manchen Darstellungen ein Zerrbild des Opus Dei wiedergegeben wird, das weder den Intentionen noch der Wirklichkeit des Werkes entspricht. Darin ist ihm zuzustimmen. Wenn zum Beispiel in populären Romanen das Opus Dei in den Mittelpunkt einer Verschwörungstheorie gestellt wird, nach der die geheimen Drahtzieher zur Durchsetzung ihrer Interessen auch vor Mord nicht zurückschrecken, so kann dies sicher als übertrieben gelten.
Es bleibt die Frage offen, warum das Opus Dei in solch exponierter Weise zur Zielscheibe von Verschwörungstheoretikern wie massiven Kritikern geworden ist. Leider gaben die Ausführungen unseres Referenten dazu wenig Erklärung. Dies einfach als reines Medienphänomen abtun zu wollen, greift doch wohl zu kurz.
Innensicht: Laienapostolat und Arbeitsethik
Das Opus Dei selbst versteht sich in erster Linie als eine Seelsorgeeinrichtung der katholischen Kirche mit dem Zweck, Laien und Weltpriestern zu helfen, die Heiligkeit im gewöhnlichen Alltag zu suchen. Heiligkeit als ein in ständiger Verantwortlichkeit vor Gott gelebtes Leben ist in diesem Sinn eine Aufgabe für jeden - den Straßenfeger wie den Papst. Das Opus Dei möchte mit seiner Wirksamkeit die engeren Kirchenmauern verlassen, es wendet sich nicht in erster Linie an Berufschristen, sondern möchte seine Mission in die Welt der arbeitenden Menschen hineintragen. Nicht der kirchliche Raum soll Inbegriff des christlichen Lebens sein, sondern der normale Berufsalltag. Die Heiligung der Arbeit (nicht nur der Erwerbsarbeit) gilt demnach als ein zentrales Anliegen des Opus Dei. Aus dem Alltag soll ein Gebet werden. Aufgrund dieser Zielrichtung in die Alltagswelt hinein möchte das Opus Dei kein Orden sein, der einen besonderen Stand verkörpern würde und damit gerade aus dem Alltag herausfällt. Gleichwohl sind im Opus Dei etliche Elemente versammelt, die sonst vorwiegend in geistlichen Gemeinschaften zu finden sind.
Wie sieht das praktisch aus? Zunächst betreiben Mitglieder des Opus Dei etliche Initiativen, Bildungseinrichtungen und treten auch im universitären Rahmen in Erscheinung. Auf diese Weise wird Kontakt zu jungen und intellektuell aufgeschlossenen Menschen geknüpft. Viele befinden sich zunächst in einem lockeren Kontakt zum Werk, nehmen an Veranstaltungen teil oder engagieren sich sogar als Mitarbeiter, sind aber nicht Mitglied im engeren Sinn. Für letztere gelten höhere Anforderungen. Zum sakramentalen Leben der Mitglieder gehören der tägliche Besuch der Hl. Messe ebenso wie die regelmäßige Beichte, wöchentlich der Besuch eines Vortrags zu einem geistlichen Thema und einmal jährlich die Teilnahme an einer 3-5tägigen Klausur. Die geistliche Leitung nennt sich Seelenführung und wird normalerweise von einem anderen Laien im Opus Dei wahrgenommen. Es gibt im Opus Dei Frauen und Männer, die aber in ihrer geistlichen Betreuung streng getrennt werden.
Die Mitgliedschaft erfolgt aufgrund einer göttlichen Berufung. Da ein solcher Ruf nicht an jeden ergeht, ist eine Mitgliedschaft im Opus Dei durchaus etwas Besonderes.
Rechtlich umgesetzt wird die Mitgliedschaft durch einen Vertrag. Darin verpflichtet sich das Mitglied, die Jurisdiktion des Prälaten zu akzeptieren; die Prälatur verpflichtet sich im Gegenzug, die geistliche Betreuung zu gewährleisten. Konkret bedeutet dies z.B., dass 1x/Monat ein Laie und aller 2 Wochen ein Priester des Opus Dei von Berlin nach Dresden fährt, um die dortigen (wenigen) Mitglieder des Opus Dei zu betreuen. Eine Delegation dieser Aufgaben an einen kath. Priester vor Ort scheitere am mangelnden Verständnis von Nicht-Mitgliedern für die besondere Situation der Mitglieder. Der Vertrag kann nach 5 1/2 Jahren entfristet werden.
Es gibt zwei Mitgliedsarten: Verheiratete Mitglieder sind die sog. „Supernumerarier“, die ehelos lebenden bilden die „Numerarier“. Das Werk hat derzeit 85 000 Mitglieder, davon sind 1800 Priester. Daneben gibt es noch Mitarbeiter, die aber keine Mitglieder des Werkes sind. In Deutschland gibt es ca. 600 Mitglieder, Niederlassungen in 13 Orten, in Berlin nur 2 Zentren, in Sachsen gibt es kein Zentrum, auch kein männliches Mitglied.
Hört oder liest man eine Selbstdarstellung des Opus Dei, so erscheint verwunderlich, was an dieser Organisation eine solch heftige Kritik auslösen soll. Die Heiligung der Arbeit ist ebenso gut lutherisch, und um ein intensives geistliches Leben bemüht man sich z.B. bei den Benediktinern auch, ohne dass dies solchen Widerspruch erfahren würde. Ein Schlüsselbegriff scheint in diesem Zusammenhang der „Geist des Opus Dei“ zu sein. In der Informationsbroschüre des Opus Dei findet er immer wieder zur Umschreibung der spirituellen Besonderheit des Opus Dei Verwendung: Die Prälatur vermittelt Bildung „im katholischen Glauben und im Geist des Opus Dei“, die Mitglieder verpflichten sich, „im Geist des Opus Dei“ die Heiligkeit zu suchen (nicht irgendwie anders), sie nehmen die Hilfen der Organisation „in der Lehre der Kirche und im Geist des Opus Dei“ in Anspruch und die Kurse des Opus Dei vermitteln „solide Kenntnis in der katholischen Glaubens- und Sittenlehre und eine fortschreitende, ihrer Berufung entsprechende Vertrautheit mit dem Geist des Opus Dei.“1 Immer scheint der Geist des Opus Dei etwas zu sein, was zur allgemeinen röm.-kath. Lehre hinzutritt und dem Ganzen seine besondere Prägung verleiht.
Geist der Demut und Repression?
Prof. Georg Schmid von der Evangelischen Informationsstelle Kirchen - Sekten - Religionen in der Schweiz, der sich in der Regel durch besonders einfühlsame Beschreibungen der Besonderheiten verschiedener religiöser Bewegungen auszeichnet, hat in der Lektüre des vom Opus Dei hoch geschätzten Buches des Gründers „Der Weg“ einen besonderen Geist des Opus Dei gespürt.
Er schildert ihn als geprägt vom Bild des strafenden, zürnenden Gottes, geprägt von ständiger Betonung der Sünde und Unwürdigkeit des Menschen, der nur durch absoluten Gehorsam gegenüber Gott zum Seelenheil finden kann. Einige Zitate aus Escrivas „Der Weg“ mögen dies verdeutlichen: „Vergiß nicht, was du bist..., ein Kehrichteimer. [...] Demütige dich: weißt du nicht, daß du ein Eimer für Abfälle bist?“ (Der Weg, 592) „Du erkennst, daß du erbärmlich bist. Und du bist es. - Trotzdem, mehr noch: gerade deshalb, suchte dich Gott. Er verwendet immer unzulängliche Werkzeuge, damit man sieht, daß das ‚Werk‘ seines ist. Von dir verlangt Er nur, daß du dich fügst.“ (475) „Wirf diese Hoffnungslosigkeit, die aus der Erkenntnis deiner Erbärmlichkeit stammt, weit von dir. - Es ist wahr: nach deinem wirtschaftlichen Ansehen bist du eine Null..., nach deinem gesellschaftlichen Ansehen wieder eine Null..., nach deinen Qualitäten noch eine Null und noch eine nach deiner Begabung... Aber links von all diesen Nullen steht Christus... Was für eine unermeßliche Zahl ergibt das!“ (473)
Praktischer Ausdruck dieser Grundhaltung sind die Bußübungen: Das regelmäßige Tragen eines Bußgürtels wurde von unserem Referenten bestätigt, daneben ist auch die Benutzung einer Geißel üblich. Auch das Verhalten zur Sexualität scheint eher von asketischer Abwehr als von Freude bestimmt zu sein, wie schon aus der besonderen Einrichtung der Numerarier hervorgeht.
Ein anderer problematischer Punkt an diesem Geist des Opus Dei ist eine Betonung des Gehorsams, die der Entwicklung zu einer gesunden Individualität und mündiger Entscheidungskraft entgegensteht.
Dr. Beat Müller, Öffentlichkeitsbeauftragter des Opus Dei in der Schweiz, widerspricht Prof. Schmid in seiner Deutung des Geistes des Opus Dei. „Der Weg“ sei dasjenige Buch Escrivas, dass „den Geist des Opus Dei am fragmentarischsten widergibt“. (Allerdings scheint es dennoch das am meisten verbreitete zu sein.) Demnach sei diese Analyse eine „gänzliche Verkennung dessen, was (auch) für das Opus Dei das Fundament christlichen Lebens ist, nämlich der Gotteskindschaft, also der eigentlichen Frohbotschaft.“ Diese Verdrehung könne - so Beat Müller - nur unter Fremdeinfluss von zürnenden Polemikern entstanden sein. Die Sünde werde nicht ständig betont, aber auch nicht tabuisiert. Sexuelle Askese habe ihre Berechtigung und ihr Vorbild im Leben Jesu und die Bußübungen entsprächen erprobten klassischen Formen. Die gezeichnete Atmosphäre entspräche jedenfalls in keiner Weise dem vom Opus Dei ausgestrahlten Ambiance.2
Könnte es sein, dass der besondere Geist des Opus Dei je nach Person und Lebenssituation ganz unterschiedlich erfahren wird? Ein junges engagiertes Mitglied, ergriffen vom Gedanken der Heiligkeit, fühlt sich möglicherweise durch solche Aussagen angespornt zu großer Hingabe für Gott. Eine solche Erfahrung kann durchaus etwas beglückendes haben. Eingebunden in eine Struktur und Gemeinschaft Gleichgesinnter, zwar voll in der Welt der Arbeit, aber doch aus ihr durch die besondere Betreuung des Opus Dei befreit, in dem Bewusstsein, einer bestimmten Berufung zu folgen und einen besonderen Dienst für Gott zu leisten, nimmt man die Beschränkungen und Beschwernisse eines solchen Lebens wohl gern in Kauf.
Wenn sich aber Konflikte ergeben, wenn Zweifel an dieser Berufung erwachen, wenn die Seelsorgestruktur des persönlichen Seelenführers als autoritär, die Struktur als hierarchisch und die Gehorsamsforderungen als unterdrückerisch erfahren werden, dann kann der Geist des Opus Dei plötzlich ganz anders empfunden werden als bisher. Escrivas Reaktion auf einen nachlassendes Engagement ist deutlich: „Was soll das? - Ich verstehe einfach nicht, wie du dich von dieser Arbeit für die Seelen zurückziehen kannst, nur weil das Feuer Gottes, das dich anzog, außer dem Licht und der Wärme, die dich begeistern, gelegentlich die schwachen Werkzeuge zum Rauchen bringt. Dein Verhalten ist nicht zu verstehen, es sei denn aus verborgenem Hochmut: du hieltest dich für vollkommen.“ (Der Weg, 485).
Manchmal ist auch von Bedeutung, wovon nicht die Rede ist. In der Beschreibung des geistlichen Profils des Opus Dei in der Informationsbroschüre ebenso wie in dem Vortrag unseres Referenten spielte Christus fast keine Rolle. Gotteskindschaft und die Heiligung der Arbeit in der Erfüllung der täglichen Pflichten sind die Pfeiler der Spiritualität im Geist des Opus Dei. Eine Besinnung auf Jesus, seine Liebe, sein erlösendes Leiden und unsere Rechtfertigung durch ihn ist damit zwar nicht ausgeschlossen, gehört aber offenbar nicht zu dem besonderen Geist des Opus Dei. Das erklärt manche Härte, die ein System leicht gewinnt, wenn Christus aus dem Zentrum herausfällt.
Ein anderes deutliches Defizit betrifft den Bereich der Ökumene. Das Opus Dei beruft sich in seiner Förderung des Laienapostolats auf das 2. Vatikanische Konzil. Allerdings scheinen die sonstigen Ergebnisse des Konzils kaum Aufnahme gefunden zu haben - im Gegenteil. Escrivá und mit ihm das Opus Dei gilt als Vertreter des konservativen Flügels. Spürbar ist dies besonders im Bereich der Ökumene. Unser Gesprächspartner sprach ganz offen von seiner bisherigen Ignoranz gegenüber der Ökumene. Das machte ihn sichtbar unsicher, wenn es um die Erläuterung bestimmter Positionen im Opus Dei ging, da er sich nicht vorstellen konnte, wie wohl die lutherische Position zu diesen Fragen sei. Ökumenische Bildung ist die Voraussetzung für Gesprächsfähigkeit. Das Bildungsprogramm des Opus Dei hat hier große Lücken.
Öffentliche Kritik am Opus Dei befasst sich meist nicht mit theologischen Fragen, sondern sieht das Opus Dei als eine Geheimgesellschaft, die im Verborgenen auf die Politik einwirkt. An dieser Stelle gibt es gewisse Parallelen zu den Freimaurern, denen in ähnlicher Weise aufgrund ihres Charakters als geschlossene elitäre Gesellschaft unterstellt wird, im Hintergrund politische Fäden zu ziehen.
Das Opus Dei weist solche Vorwürfe weit von sich: Politik sei niemals eine Sache der Prälatur, sondern nur der einzelnen Mitglieder. Das ist wohl im wesentlichen zutreffend. Allerdings gehört es ja gerade zum Spezifikum dieser Organisation, dass die Mitglieder in ihrer Arbeitswelt im Geist des Opus Dei leben sollen. Für einen Politiker heisst dies z.B., dass er auch im Rahmen seiner politischen Möglichkeiten im Geist (und somit auch: zur Förderung) des Opus Dei zu handeln habe.
Ihre besondere Brisanz gewinnt diese Konstellation aus der Tatsache, dass über eine Mitgliedschaft im Opus Dei von Seiten der Organisation strengste Diskretion bewahrt wird. Im Unterschied zu Ordensangehörigen, die ihre Mitgliedschaft in der Regel durch einen Namenszusatz mit dem Ordenskürzel bekannt machen, kann man hier nicht wissen, ob eine bestimmte Person zum Opus Dei gehört oder nicht, solange sie sich nicht selbst diesbezüglich offenbart. In Verbindung mit der Tatsache, dass das Opus Dei seit seiner Gründung vor allem in Akademikerkreisen aktiv ist und damit tendenziell einflussreiche Personen aus allen Bereichen des öffentlichen Lebens zu seinen Mitgliedern zählen kann, die in einer internationalen Organisation zusammengeschlossen sind, erscheinen die daraus entwickelten Verschwörungstheorien verständlicher.
Das Opus Dei ist in der röm.-kath. Kirche fest verwurzelt. Es möchte keine Sekte (im religiösen Sinn) werden, auch wenn ihm sektiererische Züge (im ethischen Sinn) vorgeworfen werden. Damit es den Sektenvorwurf ablegen kann, wäre es wichtig, sich offensiver und selbstkritischer mit der Kritik auseinanderzusetzen. Mehr Offenheit und Transparenz schaden dem Werk Gottes nicht - im Gegenteil. Auch ein kritischerer Umgang mit manchen Aussagen des Gründers ist durch seine Heiligsprechung nicht grundsätzlich unmöglich geworden, sondern bleibt nötig. Gott braucht keine Kehrichteimer, die sein Werk verrichten wollen, sondern freie und mündige Menschen, die in Freude ihn mit ihrer Arbeit loben.