MK: Vor fünfundzwanzig Jahren

 

Durch Zufall bin ich auf die Seite opusfrei.org gestoßen und habe mich gefreut, wie einfach es geworden ist, mit Menschen in Kontakt zu kommen, die vielleicht die eigene, persönliche Lebenssituation sehr gut verstehen können.

Vor 25 Jahren war ich auch in der Situation Rat zu suchen, ob die Berufung zum Opus Dei als Numerarier wirklich von innen kommt oder doch eher von außen.

Eine fundierte Antwort hatte ich lange nicht, aber ich bin den Personen sehr dankbar, die damals meine geistliche Leitung übernahmen. Sie übten so viel Druck aus, dass selbst ich es nicht für angebracht und ehrlich halten konnte.

Zu dieser Zeit konnte man noch mit 15 Jahren Mitglied werden. Das ist später geändert worden. Auch war zu dieser Zeit der Umgang mit „Aussteigern“ nach meiner persönlichen Einschätzung noch sehr unbeholfen – ebenso die Reaktionen auf erste öffentliche Kritik in Presse und bei Diskussionsveranstaltungen.

Als vor gut 2 Jahren mein Vater starb sichtete ich seine gesammelte Korrespondenz. Erst dann wurde mir bewußt, wie sehr meine Eltern unter meiner Verschwiegenheit und dem Ausweichen vor unliebsamen Diskussionen gelitten hatten. Alle deutschen Bischöfe, Leserbriefe in der Lokalpresse und Kontakt zu vielen Eltern in ähnlicher Situation waren da zu finden. Wie sehr hatten sie gelitten und dennoch versucht, mich zurückzugewinnen.

Schlußendlich ist meine Geschichte die von Klaus Steigleder – nur mit einigen Jahren Zeitverzögerung. Ohne sein Buch wäre vieles nicht publik geworden. Die Bischöfe konnten so Einblick bekommen – nicht jeder hat fürsorglich reagiert – so konnte ich es zumindest aus den Antwortschreiben an meinen Vater lesen.

Die Idee hier zu schreiben ist aus der Dankbarkeit geboren, von Menschen zu hören, die auch „ausgestiegen“ sind und vielleicht auch Menschen zu helfen, die in großen Gewissensnöten sind und nicht wissen, ob sie den Schreckensbildern glauben sollen, die vom Leben nach dem Opus Dei vom selbigen gemalt werden.

Hätte es Mitte der achtziger Jahre schon das Internet gegeben, wäre es vielleicht wesentlich leichter gewesen, diesen Schritt zu tun. So mußte ich mich morgens sehr früh wegstehlen um bloß keine Aufmerksamkeit zu erwecken.

Einige Weggefährten der damaligen Zeit sind ebenfalls nicht mehr im Bann, doch verwundert es mich, wie viele in Schweigsamkeit und Kontaktsperre selbst zu anderen „Ehemaligen“ leben, so als wollten sie auf keinen Fall Austausch suchen, erinnert oder erkannt werden.

Dies wäre sicher auch eine psychologische Bewertung wert – vielleicht nimmt sich dieses Phänomens jemand Kompetenter an.

Heute ist meine Tochter genau so alt wie ich damals beim Eintritt ins Opus Dei. Es schaudert mich geradezu, diesen jungen Menschen zu sehen, der intelligent ist, aufgeschlossen und  fröhlich. Sie macht ihre ersten Erfahrungen mit Zuneigung und Vertrauen außerhalb der Familie – aber immer noch verletzlich und unbedarft. Es würde mir das Herz brechen zu sehen, dass sie von einem „ismus“ gefangen wäre und nicht mehr zugänglich.

Am meisten gefallen hat mir bei den Texten auf diesem Portal, dass es auch Darstellungen gibt, die ein „sowohl als auch“ beschreiben. Auch ich habe authentische Charaktere getroffen mit großem Herz und mitreißend. Aber es gab auch das Sammelbecken der Leute mit entsprechender Sozialanamnese – also mit prädisponierenden Faktoren – so sehe ich es zumindest: fehlende Vaterfigur, Sehnsucht nach Aufmerksamkeit, Wunsch nach familiärer Geborgenheit, Befriedigung der Sinnsuche…

Nicht alles ist zu vergreulen – aber genau hier liegt auch die Gefahr der Verklärung. Wie viel mußte ich leiden, wie oft unnötige Gewissensbisse ertragen und merkwürdige Gewohnheiten ablegen

In der Rückschau finde ich es verbrecherisch, so früh junge Personen zu grundsätzlichen Versprechen zu bewegen. Unangebracht und mittelalterlich empfinde ich heute den Druck, der aufgebaut wurde. Die doppelte Verneinung ist immer eine Bejahung; zweimal minus ist plus. Das ist der semantische Psycho-Trick, der angewandt wurde – zumindest in meiner Erinnerung: wenn du zweifelt, bist du auf dem richtigen Weg – was für ein Unsinn.

Meine Wut ist Mitleid gewichen. Das richtige Leben kennt so viele Facetten, die verborgen bleiben, wenn man als Numerarier lebt – das ist zumindest meine Erfahrung. Eine echte Auseinandersetzung mit Andersdenkenden, mit Kritikern, mit klugen Köpfen, die unangenehme Fragen stellen, gibt es dort nicht – zumindest nicht in den 5 Jahren, in denen ich eine Innenansicht gewonnen habe.

Ein alter Schulfreund, dessen Tante im Opus Dei ist/war, war der „Auslöser“. Er ist immer noch dabei und dauert mich. Was soll er auch anderes tun. Je älter er wird, desto schwerer wird die Reflexion. Auch die materielle Abhängigkeit wird größer, die Unselbständigkeit.

Der Administrator des Portals kennt meine Adresse und kann ggf. einen Kontakt herstellen.

Nur Mut – Gott kann nicht wollen, daß so viel Leid in seinem Namen unerwähnt und unbemerkt bleibt.

MK