Heraldo: Die geistliche Leitung im Opus Dei

2. Juni 2010

 

Vor einigen Tagen hat uns Exnumerarierin mitgeteilt, dass “dass das System der geistlichen Leitung, so wie es bisher im Opus ausgeübt wurde, einer ernsthaften und drastischen Veränderung unterzogen wurde. Es bleibt ihnen endgültig und ausdrücklich verboten, das Siegel der Verschwiegenheit in der geistlichen Leitung und das Beichtgeheimnis zu brechen”. Wie sie uns selbst mitteilt, wurde diese Änderung ausdrücklich vom Vatikan selbst veranlasst.

Ich möchte nun darlegen, welchen Stellenwert meiner Ansicht nach diese Maßnahme besitzt, die so umfassend ist, dass ich begründete Zweifel habe, dass sie nicht nur durch ausweichende Scheinmaßnahmen umgesetzt wird und dass das Werk diesem ausdrücklichen Wunsch des Papstes tatsächlich vollinhaltlich entsprechen wird.

Auf die Frage, was das Opus Dei denn nun sei, kann man auf so vielfältige Weise antworten, dass man am Ende völlig ratlos zurückbleiben könnte. Man kann sagen, dass es eine Personalprälatur von internationalem Wirkungskreis ist, und sich auf die Rechtsfigur beschränken. Man kann antworten, dass es eine Organisation ist, die die Heiligung inmitten der Welt fördert, und besonders auf die zentrale Botschaft eingehen. Die interne Sprachregelung lautet, dass es eine Familie ist, deren Bindung enger als die der Blutsfami­lie ist, indem man den Akzent auf die Kindschaft und die Brüderlichkeit legt. Es gibt aber auch noch eine Sichtweise, die rein spirituell, nicht juridisch ist. Und hier müsste man sagen, dass das Werk jene Gruppe von Personen ist, die sich Gott dadurch völlig innerhalb einer Leitungsstruktur hingeben, dass sie ihr Gewissen in völliger Offenheit preisgeben.

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Wenn das stimmt, was ich sage, so ist es absolut unmöglich dass die Vermischung  von Jurisdiktion und geistlicher Leitung im Opus Dei in der Lebenspraxis des Werkes aufgehoben wird, wenn man nicht davon ausgeht, dass der Prälat vom Dienst völlig den Verstand verloren hat. Der Gründer hätte das auf keine Weise zugelassen.  Was ich hier vorbringe, ist meiner Auffassung nach so wesentlich, dass das Opus Dei eher seine Botschaft von der Heiligung der Arbeit aufgeben würde, um, sagen wir, Südafrika zu missionieren, als dass es ernsthaft zulassen könnte, dass die geistliche Leitung nicht mehr mit der internen Hierarchie und der Ausübung der Leitungsgewalt verbunden wäre. Wenn es umgekehrt falsch ist, was ich sage, so müsste ich akzeptieren, dass ich in den vielen Jahren, in denen ich Leitungsaufgaben im Werk innehatte, sowohl in örtlichen Räten als auch in Delegationen, gar nichts mitbekommen habe.

Was ich sage, erweist sich zunächst einmal in der besonderen Bedeutung, die der Tugend der Aufrichtigkeit innerhalb des Opus Dei zugemessen wird. Als man uns die Wichtigkeit dieser Tugend klarmachte, anerkannte man wohl, dass die erste Tugend eines Christen die Nächstenliebe sei. Aber sofort erklärte man uns mit Nachdruck, dass für uns als Mitglieder des Werkes die erste Tugend die Aufrichtigkeit sei. Damit ein Mitglied des Werkes den guten Geist bewahrt, muss es gegenüber seinen Leitern ganz aufrichtig sein und sich ganz in deren Hände begeben. Das Gewissen muss sich völlig öffnen; deshalb hat kein Mitglied des Werkes eine Intimität, eine Innerlichkeit. Dies würde der Hingabe an Gott im Opus Dei essentiell widersprechen. Nach dem Geist des Werkes hat jeder, der ein Geheimnis hat, ein Geheimnis mit dem Teufel; entweder mit Gott (im Werk, durch die Aufrichtigkeit), oder mit dem Teufel. Ein Drittes ist ausgeschlossen. Die Aufrichtigkeit muss vollständig, unmittelbar, brutal sein. Wenn man es aufschiebt, über seine Angelegenheiten zu sprechen, dann nur so kurz wie unbedingt nötig. Gott nimmt die Seele durch die Aufrichtigkeit in Besitz, und er kann dies auf keine andere Weise tun. Die Seele kann sich nur durch die Öffnung reinigen. Niemand kann meinen, Teil des Opus Dei zu sein ohne die volle Aufrichtigkeit gegenüber den Leitern.

Worum geht es also bei der Aufrichtigkeit? Um eine sehr präzise Aufrichtigkeit. Um eine Aufrichtigkeit, die man gegenüber den Leitern und den Priestern übt, die einem zugewiesen wurden. Sonst wäre sie für nichts gut, sie wäre wirkungslos, sie wäre nicht  Opus Dei. Vielleicht kann man die Verzeihung der Sünden erlangen, aber man hat sich auf Abwege begeben, wenn man nicht mit Aufrichtigkeit den Direktoren alles gesagt hat. Das ist der Fall bei denen, die bei „fremden Priestern“ beichten, oder bei denen, die zwar „drinnen“ beichten, aber sich nicht im ganzen Umfang öffnen und ihre Intimität in der Aussprache (mit dem Laien) preisgeben. Nur so ist die Rebe mit dem Weinstock verbunden, sonst nicht. 

Ebenso ist derjenige, der die Aussprache entgegennimmt, verpflichtet, den Direktoren alle relevanten Daten mitzuteilen, die positiven und die negativen, vor allem diejenigen, die eine Schwierigkeit  bedeuten könnten, die bedeuten, dass sich ein Mitglied zu entfernen beginnt. Diese Information ist unabdingbar, um die Seele des Mitgliedes zu seinem Wohl und zu dem des Werkes zu leiten, denn wer die geistliche Leitung ausübt, ist nicht die bestimmte Person, sondern das Opus Dei selbst. Und wer ist in diesem Fall das Opus Dei? Es ist die interne Hierarchie, es sind die Direktoren, die Gott repräsentieren. Sie besitzen die speziellen Ganden, um uns zu beraten, zurechtzustutzen, zu tadeln. Sie repräsentieren den Vater, und der Vater repräsentiert Gott. Es gibt es keinen anderen Zugang zur Gnade. Im Opus Dei sind die Sakramente ausdrücklich unwirksam, wenn sie nicht zusammen mit dem  festen Vorsatz empfangen werden, völlig aufrichtig gegenüber den Direktoren zu sein, denn so wären sie nicht Ausdruck des festen Willens, sich zu bessern. Deshalb muss der Priester, der im  Opus Dei die Beichte abnimmt, auch den, der sich der Sünde  anklagt, dazu anhalten, in der Aussprache völlig aufrichtig zu sein, auch mit der Drohung, die Lossprechung zu verweigern, denn die Aufrichtigkeit in der Aussprache (mit einem hierfür bestimmten Laien) gilt als unmittelbar verbunden mit dem Vorsatz, sich zu bessern; andernfalls wäre es kein aufrichtiger Vorsatz.

Man darf diese Aufrichtigkeit nicht mit dem Sündenbekenntnis in der Beichte verwechseln, wie sie die Kirche ihre Gläubigen anempfiehlt und wozu sie sie verpflichtet. Denn bei der Beichte, wie die Kirche sie vorsieht, schadet die Anonymität nicht, sie wird sogar eher empfohlen. Der Beichtvater weiß den Namen seines Beichtkindes nicht und fragt auch nicht danach. Der Beichtvater muss keinen Wert darauf legen, sein Beichtkind wiederzusehen, um es kontinuierlich zu betreuen. Es ist nicht einmal nötig, dass Beichtvater und Beichtkind einander von Angesucht zu Angesicht sehen. In der Kirche als solcher ist der Büßende eine anonyme Stimme hinter dem Sprechgitter eines dunklen Beichtstuhls. Im Opus Dei ist es, ganz im Gegenteil, das ganz persönliche Ich, das sich dem Opus Dei gegenüber darstellt, und es steht unter dem moralischen Druck, sich nicht unter die Fahne des Feindes einzureihen, wenn man etwas verschweigt, und sehr schnell die Berufung zu verlieren.

Der Laie, der die Aussprache entgegennimmt, hat die strenge Verpflichtung, die Leiter über den Inhalt des Gesprächs auf dem Laufenden zu halten. Wenn etwa ein Mitglied des Werkes Probleme mit der Keuschheit hat, vervielfachen sich die Sorgfalt und die Aufmerksamkeit der Direktoren. Die Informationen über die einzelnen Mitglieder ergehen dreimal im Jahr, außer, wenn sich ein bestimmter Umstand ergibt. Die Dossiers zu einigen Mitgliedern des Werkes verwandeln sich in heftige Aktenbündel. So geschieht das auf der Ebene des örtlichen Rats, vor allem aber auf der regionalen oder zentralen Leitungsebene.

Die Direktoren, die in eine Entscheidung eingebunden sind, kennen den Zustand des Gewissens ihrer Mitglieder genau. Diese Information kann  darüber entscheiden, wenn etwa bestimmte Entscheidungen über ein Mitglied des Werkes zu treffen sind, zum Beispiel die Erlaubnis, ein Auto zu kaufen, die mögliche Nominierung für eine Funktion oder die Übernahme eines Auftrags. Deshalb werden auf den einzelnen Leitungsebenen zahllose asketische Informationen gesammelt, die etwa bei Gelegenheit der Admission, Oblation oder der Fidelitas näher geprüft werden, bei der Berufung in einen örtlichen Rat, bei der Erteilung eines apostolischen Auftrags oder der Betrauung einer Gruppe als Zelador (Gruppenbeauftragter) oder bei der Überstellung in ein anderes Zentrum. Diese Informationen werden ausdrücklich angefordert. Es wird ganz strikt so vorgegangen, dass über niemanden im Opus Dei eine Entscheidung gefällt wird, ohne dass man seinen Seelenzustand und seine innere Verfassung genau kennt, ja, man könnte das als einen wesentlichen Bestandteil des Opus Dei bezeichnen, nicht bloß als einfachen modus operandi, den man durch eine anderen ersetzen könnte. Es gibt keine andere Weise, die Berufung zum Opus Dei zu leben, als durch die volle Aufrichtigkeit; und es gibt keine andere Weise, die geistliche Leitung (oder wie immer man sie nennen möchte) auszuüben als in der strikten Einheit mit denen, die leiten (die geistliche Leitung erteilt das Opus Dei als solches, nicht das betreffende Mitglied). Selbst Opus Dei zu sein bedeutet, diese Praxis zu leben und sich damit zu identifizieren. Deshalb ist, aus der Perspektive der Leiter, ein Mensch, der sich im Werk hingibt, ist vor allem anderen eine völlig aufrichtige Persönlichkeit. Und umgekehrt: Ein Mensch, der etwas über seine Seele für sich behält, bringt Fäulnis in das Werk und in sein Herz. Deshalb sagte der Gründer, als er von der Aufrichtigkeit sprach, dass das klare Wasser stockt, wenn es nicht fließt, und wenn es stockt, verdirbt es.

Man beachte die Bedeutung der folgenden Problematik. Nach dem Geist des Werkes kann niemand im Opus Dei ein ruhiges Gewissen haben, wenn er nicht in völliger Aufrichtigkeit gegenüber seinen Direktoren lebt, wenn er ihnen gegenüber sein Gewissen nicht öffnet, ohne Rückhalt und Reserve. Wer nicht völlig aufrichtig ist, führt ein Doppelleben; er hat eine Kerze für den Erzengel Michael angezündet und eine für den Teufel. Deshalb bedeutet  Opus Dei zu sein, die Berufung durch eine völlige Aufrichtigkeit zu leben. Deshalb ist das Opus Dei eine Vereinigung von Menschen, die auf diese Weise leben und so an der Organisation teilhaben. Man müsste es so ausdrücken, dass das Opus Dei seine Gläubigen einer bestimmten Leitungsstruktur unterwirft. Deshalb erschient mir die Versicherung keines­falls harmlos, man müsse jetzt nicht mehr über die persönlichen Sünden in der Aussprache rede, oder der, der die Aussprache hört, müsse keine Informationen mehr weitergeben. Es würde bedeuten, das Opus Dei zu zerstören. Das Werk würde aufhören das zu sein, was es ist, und zu etwas anderem werden.

Diese Vorgangsweise wurde von José María Escrivá so eingerichtet, und um diesen Vorgang erträglicher zu machen, sprach er von der Aufrichtigkeit als einem Ergebnis der Spontaneität. Das brüderliche Gespräch, die Aussprache entstand mit derselben Natürlichkeit, mit der eine Quelle entspringt. Um mir nicht die Hände zu binden, schickte ich sie beichten; aber eure Brüder begannen mir spontan  außerhalb der Beichte von ihren Schwierigkeiten zu erzählen. Und als wir schon viele waren, übernahmen meine älteren Söhne diese Aufgabe. Das ist auch ganz natürlich, denn in einer Familie sucht man Hilfe und Rat beim Vater oder beim älteren Bruder. (Ich zitiere nicht wörtlich, aber die Gedanken stimmen).

Aber diese Worte sind nichts als manipulative Beschönigung. In Wirklichkeit werden alle Arten von Zwang angewendet, um zur Aufrichtigkeit zu verpflichten, damit sich die Mitglieder des Werkes durch schwerwiegende Bande des Gewissens gebunden fühlen. Ich bin davon überzeugt, dass sehr viele Mitglieder namenlos unter dieser Anforderung leiden. Ich habe bei vielen erlebt, dass sie nach Jahren ihr Schweigen brechen, um den verlorenen Seelenfrieden wiederzufinden.

Nach all dem, was bisher gesagt wurde, kann ich nicht annehmen, dass das Opus Dei bereit ist, in diesem Punkt Änderungen zu vollziehen. Vielmehr bin ich überzeugt davon, dass  all dies eine Entlastungsoffensive ist, weil der Heilige Stuhl ganz offensichtlich schon Anweisungen in dieser Richtung erteilt hat. Deshalb könnte die Bemerkung dahin gehen, als gäbe es im Werk gar keine geistliche Leitung, in dem Sinn, dass das vertrauliche Gespräch nur eine spontane Familienangewohnheit sei, und dass deshalb die Restriktionen nicht anzuwenden seien, die die Kirche anderen Institutionen hinsichtlich der geistlichen Leitung auferlegt.

Aber überprüfen wir einmal, abgesehen von solcher Rabulistik, den Sinn dieser Restriktio­nen. Trotz aller Fehler, die sie im Lauf der Geschichte begangen hat, hat die Kirche doch, mit den Erfahrungswerten von Jahrhunderten, einen ausgearbeiteten Begriff davon, was das eigene Gewissen sei. Der Ausdruck, der diese Erfahrungen zusammenfasst, lautet „Heilig­tum des Gewissens“. Warum? Weil in ihm nur Gott und das persönliche Ich vorhanden sind. Schließlich hat jedes menschliche Wesen das unveräußerliche Recht, in Freiheit seiner Gewissensentscheidung dahingehend zu folgen, was ihm das Beste zu sein erscheint. Jede äußere Einmischung hat hier zu unterbleiben. Vor allem aber muss man jeden Versuch einer Einmischung unterbinden, die vorgibt, Gott zu ersetzen. Und genau das geschieht im Opus Dei. Die Direktoren stehen stellvertretend für Gott, nicht als Einzel­personen, sondern repräsentativ und im Dienst der Institution. Wir sehen also hier, wie ein unveräußerliches Recht mit Füßen getreten wird, wir stehen vor einer gröblichen geistlichen Vergewaltigung. Wir stehen vor der Instrumentalisierung der Person in ihrem Innersten (dem eigenen Gewissen). Außerdem steht diese Vorgangsweise – und so geschieht es im Werk auch tatsächlich – in einer Grauzone zur Manipulation. Es ist eine Form der Sklaverei, keine leibliche, aber eine geistige, und das ist bedeutend schlimmer. Die Aufrichtigkeit in der Beichte, wie sie die Kirche fordert, respektiert hingegen die Freiheit und die Autonomie des Menschen.

Die angedeutete Ersetzung Gottes zeigt sich im Opus Dei auf vielfältige und konkrete Weise. All das hat zur Folge, dass sich der Prälat und die Direktoren als „Leiter” des Willens Gottes gegenüber jedem einzelnen Mitglied verstehen. Wie ich schon wiederholt gesagt habe, usurpieren sie diese Funktion nicht persönlich, sondern in Vertretung des Prälaten, in völliger Übereinstimmung mit den unmittelbaren Vorgesetzten;  nur diese Einheit und die Kommunikation verbürgen, dass jedes Vorhaben in Übereinstimmung mit dem Willen Gottes ist. Deshalb ist es unerlässlich, die Informationen über Gewissensdinge weiterzugeben. Deshalb ist es auch unmöglich, dass jemand im Opus Dei die Aussprache eines anderen Mitgliedes hört, ohne sich der Verpflichtung bewusst zu sein, die Informationen weiterzugeben. Eine Person, die eine Aussprache entgegennimmt, kann nur dann den Willen Gottes erkennen, wenn sie sich in vollkommener Übereinstimmung mit dem befindet, was der örtliche Rat beschlossen hat, und dieser wiederum folgt in seinen Entscheidungen der Delegation, und so geht es weiter bis zur zentralen Leitung des Opus Dei. Das bedeutet selbstverständlich nicht, dass der Inhalt jeder einzelnen Aussprache den Instanzenweg durchlaufen muss. Die Kommunikation hat eine gewisse, geordnete Regelmäßigkeit, aber die ist vorgesehen, und die ist auch einzuhalten. Ein Beispiel: Wenn ein Numerarier um die Erlaubnis bittet, ein Auto zu kaufen, wird die Delegation dem vermutlich zurückhaltend gegenüberstehen, wenn dieses Mitglied Probleme mit der Keuschheit oder der Bewahrung des Herzens hat. Die Erlaubnis, das Auto zu kaufen, ist in engem Zusammenhang mit dem eigentlich asketischen Kontext zu sehen.

An einem anderen Beispiel erkennt man ebenfalls besonders deutlich, welche Relevanz diese Form der Leitung besitzt, wenn man nämlich Jugendlichen versichert, sie hätten Berufung zum Werk, weil es der örtliche Rat so gesehen habe und weil es der Beauftragte von St. Raphael für diese Region empfohlen habe. Denn wenn man so etwas “gesehen” und auf der Leitungsebene entschieden hat, beruft man sich auf den Willen Gottes. Etwas Ähnliches geschieht, wenn  man jemandem mit den Qualen der Hölle droht, weil er Zweifel an seiner Berufung bekommen hat. Diese Sicherheit, den Willen Gottes zu verkünden, kommt aus der Einheit mit dem Haupt, insbesondere mit dem Prälaten. Außerdem handelt es sich hierbei um eine Vorgangsweise, die uns José María Escrivá ausdrücklich und wiederholt beigebracht hat, weil er meinte, den Willen Gottes ausdrücklich zu kennen wie niemand sonst in der Kirche.

Aber kann es denn stimmen, dass sich jemand, sei er wer er auch sei, aufspielt, als sei er im Besitz der Wahrheit Gottes? Und ist es gerechtfertigt, dass ein Mensch auf  sein innerstes und unveräußerliches Recht verzichtet, um so einer angeblichen Berufung zu entsprechen? Mir erscheint das unzulässig. Es besteht die Möglichkeit, dass man die vorgesetzten Direktoren nicht darüber informiert, was man in der Aussprache hört? Das erste, was man auf diese Frage antworten muss, ist, dass sich die Weitergabe solcher Informationen von selbst verbieten müsste, weil sie unmoralisch ist; man könnte ein theologisches Bild vom Menschen präsentieren, das dieses Verbot näher erklärt. Geht es überhaupt, dass das Werk in diesem Punkt gehorcht? Ich sehe nicht, wie das sein kann, ohne dass aus dem Werk etwas anderes wird. Ich kann das nicht annehmen – und immerhin war ich 20 Jahre lang Mitglied einer Delegation. Die eiserne Kontrolle durch die Leitung des Werkes würde sein Fundament verlieren.

Das grundsätzliche Problem  mit dem Opus Dei besteht darin, dass sie glauben, dass die Berufung zum Werk einen qualitativ anderen und viel höher stehenden Rang hat als jede andere Berufung in der Kirche. Sie sind eine Institution der Kirche, weil ihnen nichts anderes übrigbleibt, aber dieser Umstand ist rein äußerlich. Sie sind etwas ganz Besonderes, so wie eine charismatische Bewegung. Der Wille Gottes verlangt von ihnen eine Hingabe, auf die sich die Kriterien und Erfordernisse anderer Institutionen nicht anwenden lassen. Obwohl sie es nicht explizit so sagen, halten sie sich für eine Superkirche, und die Berufung zum Werk lässt sich nicht mit anderen Berufungen vergleichen. Deshalb habe ich gesagt, dass das Werk eine Gnosis ist. So wie sich das Werk als Institution gibt, als Personalprälatur, ist das nicht mehr als ein unzulängliches und schlechtes Kostüm. Es gibt kein passendes juristisches Kostüm für das, was das Werk ist, denn das, was es ausmacht, ist in der kirchlichen Realität nicht vorgesehen. Allerdings können sie sich der Kirche nicht so präsentieren, wie sie sind, denn dann würde ihre Eigenart rundweg abgelehnt werden. Die Rechtsfigur, die sie angenommen haben, wie auch immer sie beschaffen sein mag, ist lediglich ein Visum, ein Ansuchen, um das Bürgerrecht innerhalb der Kirche zu erhalten. Die Hierarchie „würde sie nicht verstehen“,  wenn sich das Werk so zeigen würde, wie es sich selbst versteht. Und in diesem „sie würden uns nicht verstehen“ fühlen sie sich überlegen. Deshalb erheben sie den Anspruch, eine Art Superdiözese zu sein. Wenn sie schon nicht die adäquate juridische Verfassung haben können, so wollen sie doch wenigstens das Maximum herausholen.

Alles in allem, ich glaube nicht, dass auch nur die geringste Bereitschaft besteht, etwas in der Praxis der geistliche Leitung zu ändern. Und wenn man erreichen sollte, dass sich das Werk in dieser Hinsicht ändert, würde sich das Werk in diesem Moment in etwas völlig Neues verwandeln. Ich bin überzeugt, dass viele Missstände behoben oder abgemildert werden. Aber in diesem Punkt geht es nicht und wird es niemals gehen, es sei denn, die Kirche stellt eine tiefgreifende Untersuchung an und bringt diese Haltung ans Licht, die sich höher als die Autorität der Kirche selbst stellt.

Josef Knecht hat seine Motive dargelegt, warum er einen direkten Eingriff des Heiligen Stuhls für wenig wahrscheinlich hält. Ich stimme mit ihm darin überein. Man müsste ans Eingemachte gehen, die Vereinigung von Grund auf entlarven. Das Wesentliche dabei scheint mir der deutlich gnostische Charakter des Werkes zu sein. Aber wer sollte eine sollte Entlarvung durchführen? Wir, die wir viele Jahre dem Werk angehört haben  und sein Spinnengewebe von Grund auf durchschaut haben, haben die Pflicht dazu beizutragen, zumindest über die üblichen Praktiken aufzuklären, denn die sind nicht nur sich ergebende Konsequenzen. Man kann es ganz gut auch umgekehrt sehen: Wenn bestimmte Praktiken verschwinden, wird sich seine Realität grundsätzlich verändern. Aber ich ziehe es vor, auf seine tiefsten Überzeugungen hinzuweisen. Ich möchte es dabei nicht bei perversen Praktiken bewenden lassen (wie sie Castalio beschreibt), aber diese Praktiken haben ihre Wurzeln im Unternehmensleitbild des Werkes, das gewiss nicht allen zugänglich ist, nicht einmal allen Numerariern, auch wenn sie der Vereinigung schon seit Jahrzehnten angehören.  Auch darin gleicht das Werk sehr einer Gnosis: Die Zugehörigkeit ist abgestuft.  

Wenn ich das recht sehe, so könnte man die Heiligsprechung Escrivás stornieren, wenn auffliegt, dass sie ein Betrug war. Und das ist der Fall; Escrivá war der Schöpfer einer neuen Gnosis, wenn er auch, in seiner egozentrischen Persönlichkeitsstörung, nicht mit Absicht gehandelt haben mag. Das kann ich nicht beurteilen; es interessiert mich auch nicht. Aber es dürfte wohl klar sein, dass eine Peron, die so handelt, die sich über die Hierarchie hinwegsetzt und diese Handlungsweise später in einer Organisation, die sie geschaffen hat, verewigt, nicht heilig gesprochen werden kann. Wenn das der Fall gewesen ist, so wurde vieles verschleiert, wurden Informationen gefiltert.

Vielleicht könnten einige glauben, dass ich übertreibe. Ich sage nochmals: Es gibt im Werk viele Grade der Mitgliedschaft. Es ist nicht dasselbe, ob man Numerarier oder Supernumerarier ist. Es ist nicht dasselbe, ob man einem örtlichen Rat angehört oder eben nicht. Es ist nicht dasselbe, wenn man einer Delegation oder Kommission angehört. Es ist nicht dasselbe, wenn man Delegierter oder Regionalverwalter ist. Ebenso wenig ist es dasselbe, wenn  man eingeschriebenes Mitglied oder Mitglied des Generalrates ist. Der jeweilige Grad der Informiertheit, die Initiation wird im Opus Dei sehr sorgfältig durchgeführt. Wer darüber verfügt, steigt in der  Hierarchie auf und hat Teil an der Erkenntnis, der Gnosis. Das Intrigenspiel auf der Ebene des Generalrats muss schon verrückt sein, und um den Prälaten, so meint man, weht bereits der Sturmwind des Heiligen Geistes.

Heraldo

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