Murray:
“Verflucht sei Medellín!”
Buenos Aires, Juli 1974. Es regnet, es ist kalt. In der argentinischen Gesellschaft herrschen Chaos und Gewalt. Blutige Anschläge von Guerrilleros, organisierte Banden richten untereinander Massaker an, korrupte Politiker kommen mit ihrem Egoismus durch. Es war nicht leicht, im Argentinien der siebziger Jahre jung zu sein. Freilich, als ich neunzehn Jahr, glomm ein Stern in meinem Herzen: meine Berufung. Der Vater besuchte Südamerika und rief viele, viele Menschen zusammen. Es war alles Optimismus, Freude, Gemeinschaft, auch wenn draußen die Kälte der Gewalt und des Hasses die Herzen verdunkelte.
Ich habe nach einer dieser Tertulias[1] gepfiffen[2] – wie natürlich ist das, heute nach so vielen Jahren, so etwas ein „Beisammensein” zu nennen. Es war die Veranstaltung vom Teatro Coliseo, das bis oben hin voll war, alle Galerien. Jemand erwähnte das Zweite Vatikanische Konzil, und nach einer unheilvollen Stille rief der Vater: “Verflucht sei Medellín!”. Damit bezog er sich auf die Lateinamerikanische Bischofskonferenz von 1968 und ihre Forderungen, die auf der Theologie der Befreiung gründeten, die Option für die Armen und die Unterdrückten. “Verflucht sei Medellín!”; niemals werde ich die Kraft, die Emotion, den Hass vergessen, mit der der Vater diesen Satz ausrief.
Ich werde es nicht vergessen, weil es mich schockierte. Meine Mutter war vom Land, aus Medellín. Ich werde es nicht vergessen, auch wenn praktisch nicht darüber gesprochen wurde. Aber der Satz existiert nicht mehr. Er wurde aus dem offiziellen Gedächtnis des Opus Dei gestrichen. Er findet sich nicht in den Mitschriften, nicht in den Filmen. Wo ist er? Er ist nicht mehr da. Aber ich habe es gehört, ich war dort. Der Vater, der heilige Josemaría hat es gesagt: “Verflucht sei Medellín!”
Murray
[1] span. „Beisammensein“
[2] pfeifen: „um die Aufnahme ins Opus Dei bitten“