Opus Dei und das Beichtgeheimnis

 Dietmar Scharmitzer, 30. 7. 2010

  

Dieser Artikel wurde in Kirche In, Das internationale christlich-ökumenische Nachrichtenmagazin, 24. Jg./ Nr. 7, Juli 2010, S. 18 f. veröffentlicht.


Als der damalige Präfekt der Glaubenskongregation, Kardinal Joseph Ratzinger, im Januar 1998 die geheimen Archive von Inquisition und Indexkommission öffnete, erklärte er gegenüber Journalisten, dass ein kleiner Teil der Archivalien nach wie vor ‒ und für alle Zeit ‒ unter Verschluss bleiben würden, nämlich jene Dokumente, die im Zusammenhang mit dem Beichtsiegel stünden. Natürlich geht es hier nicht um Beichten, die irgendwann einmal  schriftlich abgelegt worden wären; die Ansicht des Heilige Vaters, wie sie damals zum Ausdruck kam, geht offenbar in eine andere Richtung. Gemeint ist, dass Vorkommnisse, die einmal Gegenstand einer Beichte gewesen sind, die Kirche mit dem Siegel des Sakraments binden, und zwar auch dann, wenn Informationen über das gleiche Ereignis auf anderen Kanälen zur Kenntnis der Amtskirche gelangt sein mögen. In diese Richtung zielte übrigens auch das das Dekret Leos XIII. „Quemadmodum“ vom 17. Dezember 1890, das kirchlichen Vorgesetzten ausnahmslos untersagte, die ihnen anvertrauten Gläubigen zu vertraulichen Mitteilungen über Gewissensangelegenheiten zu veranlassen. Für Ordensgemeinschaften und Seminare ist demnach die strikte Trennung von Forum internum und externum selbstverständlich; die Kirchenlehre duldet keine Vermischung von spiritueller und hierarchischer Leitung. Die einzige Durchbrechung dieses Prinzips, die in jüngerer Vergangenheit, übrigens ohne größere Proteste, dem todkranken Johannes Paul II. „passierte“, kam übrigens einem Herrn des Opus Dei zugute: Klaus Küng nahm als „Visitator“ der gequälten Diözese St. Pölten zahlreiche vertrauliche Mitteilungen entgegen, und es ist genau genommen ein eklatanter – und illegaler – Vertrauensbruch durch Rom, wenn derselbe Küng nun, mit dem Wissen um so viele persönliche Details, dann schnurstracks zum neuen Ordinarius ernannt wurde. 

Die Aussprache

Obwohl das Opus Dei selbst sehr viele Kirchenjuristen ausbildet, fiel der Fauxpas dort offenbar niemandem auf. Das „Werk Gottes“ hat nämlich einen völlig anderen „Zugang“ zum Beichtgeheimnis, es sieht auch Interferenzen in der „Informationspolitik“ durchaus wesentlich „lockerer“ als der Heilige Vater. Wie ist das zu verstehen? 

Das Opus Dei verdankt seine kirchenrechtliche „Karriere“ dem polnischen Papst; dieser ließ seine Liebkinder gewähren, und großzügig sah er darüber hinweg, dass er, das Oberhaupt, im Interesse  der „guten Sache“ beschwindelt wurde. Die – ausschließlich in lateinischer Sprache der Hierarchie, nicht den Mitgliedern! – ausgehändigten Statuten der Vereinigung geben durchaus keinen Hinweis darauf, wie innerhalb der Vereinigung der Grundsatz „Wissen ist Macht“ gelebt wird. Jedes Mitglied hat, unter Gewissen verpflichtet, sonst hätte er nicht den guten Geist!, bei seinem ihm zugewiesenen Beichtvater wöchentlich die sakramentale Beichte abzulegen, und außerdem muss er mit einem ihm gleichfalls verordneten Laien die wöchentliche „Aussprache“ halten, die auch den Inhalt der Beichte umfasst. Die Priester des Opus Dei sind in wichtigen Punkten ausdrücklich dazu verpflichtet, die Mitglieder zur Berichterstattung in der Aussprache zu verhalten, da sie sonst den Hinweis geben müssten, dass dieses Mitglied die Vereinigung zu verlassen habe. Die drei Mitglieder des „Örtlichen Rates“, das sind jene Laienmitglieder, die die Aussprachen der anderen hören (und diese im Übrigen unter der Prämisse des internen Gehorsams leiten), gleichen nun wöchentlich ihre Informationen über die Mitglieder ab; der Beichtvater des Zentrums ist „mit beratender Stimme“ zugegen.

Grauzone 

Die ständige Grauzone, in der nun, in Gegenwart des Priesters, Gewissensangelegenheiten besprochen werden, ist nicht nur in sich unhaltbar, sie verführt auch immer wieder zu einem Missbrauch des Sakraments. Ich erinnere mich an meine eigene Schulzeit: Zahlreiche Klassenkameraden wurden vom Religionslehrer, Dr. B., in die Jugendclubs des Opus Dei eingeladen. Obwohl ich Dr. B. zum Beichtvater hatte, hielt ich mich von den Clubaktivitäten fern, weil mir die beteiligten Studenten eigenartig und unsympathisch vorkamen. B. bemühte sich nun, mich zur Beichte in den Club zu locken (ich suchte ihn nämlich immer in der Peterskirche auf); dort ergab es sich dann auch mehr oder weniger zwanglos, dass er mir nach der Beichte Platz und eine Zigarette anbot, um mit mir über den Inhalt der Beichte zu reden. Nun weiß ich zwar nicht, ob er sich deshalb schon vom Schweigegebot entbunden fühlte, aber es geschahen eigenartige Dinge. Ich wurde zu Einkehrstunden eingeladen, bei denen mein Beichtvater predigte; ich fühlte mich tief betroffen und erlebte hier eine Art Bekehrung zu mehr Hingabe, mehr Apostolat. Nachträglich erfuhr ich dann, dass ich das einzige Nicht-Mitglied unter den etwa zehn jugendlichen Teilnehmern gewesen war; es war also für alle anderen nachvollziehbar, welche inneren Probleme mich quälten. Als 1983 ein einziger Numerarier beigetreten war, ergab es sich, dass gelegentlich sehr persönliche Dinge in der Betrachtung erörtert wurden, Dinge, die in die Beichte gehören – wieder war es für uns Zuhörer nachvollziehbar, was da einem von uns, und zwar dem Jüngsten, mitgeteilt werden sollte. 

In der Zwickmühle

Das sind keine Einzelfälle. Zum fassungslosen Erstaunen meiner Klassenkollegen, die meine abfälligen Bemerkungen über die Leute vom Opus Dei kannten, schloss ich mich mehr und mehr an diese an. Was war geschehen? Mein Beichtpriester hatte mich, nach dem Sündenbekenntnis, fast eine Stunde im Beichtstuhl knien lassen und mir, ohne die Absolution zu erteilen, zugeredet, endlich die „geistliche Leitung“ mit einem bestimmten Laien zu beginnen – einem Dozenten an der Wirtschaftsuniversität. Seine Begründung war, dass „in der heutigen Zeit niemand ohne die Hilfe von seinesgleichen den Glauben bewahren könne“. Ich sträube mich heftig, da ich lediglich die Sakramente empfangen wollte und mir die Laien des Opus Dei, die ich kennengelernt hatte, unsympathisch und wenig Vertrauen erweckend erschienen waren; aber ich glaubte damals, dass ich mich unterwerfen müsste, um die Absolution empfangen zu können. So wurde ich mit fünfzehn Jahren durch Missbrauch des Sakraments dazu gebracht, mich selbst in die Zwickmühle zu begeben und mich den Ratschlägen von Priester und Laie auszusetzen.

Dr. R., Jurist im Staatsdienst, erzählte mir, er habe zu der Zeit, als er dem Opus Dei angehörte, durch Zufall auf dem Schreibtisch seines Direktors eine Notiz gesehen: „ [...] hat aufgehört, für R. ein Problem zu sein.“ Darunter hatte der Beichtvater, kenntlich durch seine typische Krakelschrift, geschrieben: „Hat es das wirklich?“ Und als ich, Jahre später, einem Pfarrer des Opus Dei gebeichtet hatte, dass ich aus dem Opus Dei austreten wolle, beruhigte mich dieser, empfahl mir, diese Fragen auch mit meinem Leiter zu besprechen, und gab mir die Absolution. Als ich am selben Abend, seinem Rat folgend, im Bildungszentrum meinem damaligen Direktor, einem Journalisten, die genannten Probleme geschildert hatte, die Kapelle aufsuchte und dann erschöpft das Haus verlassen wollte, musste ich den Flur des Erdgeschoßes passieren, wo die älteren Numerarier, die im Haus wohnten, noch ein Glas Milch oder Fruchtsaft vor der abendlichen Gewissens­erforschung zu sich nahmen. Nicht genug damit, dass meine Anwesenheit im Zentrum zu dieser ungewöhnlichen Stunde für alle ersichtlich machte, dass etwas Außerordentliches vorgefallen sein musste, was mir unangenehm war, rief mir der Pfarrer mit lauter Stimme nach: „Dietmar, verlass mich nicht!“ 

Im Zusammenhang war dies allerdings nur in einer Hinsicht zu verstehen und für alle nachvollziehbar. 

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