Jeden Tag eine Abtötung

Von Steigleder, Klaus

(http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-14020937.html)

 

Opus Dei - die heimliche Elite der Katholischen Kirche (III) / Von Klaus Steigleder _(1983. Alle Rechte bei Benziger Verlag, ) _(Zürich. Der vollständige Text ist unter ) _(dem Titel "Das Opus Dei - eine ) _(Innenansicht" (288 Seiten; 24 Mark) im ) _(Benziger Verlag, Zürich, Köln ) _(erschienen. ) *

Die Einrichtungen des Opus Dei wie etwa Studentenheime oder Jugendclubs verfolgen primär "apostolische" Ziele, deren höchstes - obwohl dies von der Vereinigung nach außen hin bestritten wird - die Gewinnung neuer Mitglieder ist. Diese Zielsetzungen sind aus den häufig sehr attraktiven Schuljahrs- oder Semesterprogrammen nicht ersichtlich. Regelmäßige Veranstaltungen wie Katechesen, "Kreise", Betrachtungen, Einkehr- oder Besinnungstage sind dort nicht aufgeführt.

Auf den ausführlicheren Programmen findet sich zwar der kleingedruckte Satz, daß die geistliche Leitung oder die Leitung eines Jugendclubs oder Studentenheimes dem "Opus Dei anvertraut" wurde, als Rechtsträger aber ist beispielsweise für den Jugendclub Feuerstein, für das Studentenheim Schweidt (beide in Köln) und das "Studentenheim Althaus" in Bonn die "Studentische Kulturgemeinschaft e. V." angegeben; für das Studentenheim Müngersdorf in Köln beispielsweise der "Deutsch-Internationale Kulturverein e. V.".

Die "Studentische Kulturgemeinschaft" geht auf eine Initiative von Mitgliedern des Opus Dei zurück. Dem Vorstand gehören bei einer Mehrheit von Opus-Dei-Mitgliedern auch Nichtmitglieder an, aus deren Reihen auch der Vorsitzende stammt. Nach außen hin wird die "Studentische Kulturgemeinschaft" als ein vom Opus Dei unabhängiger Verein deklariert.

In den von der "Studentischen Kulturgemeinschaft" getragenen Einrichtungen geschieht alles nach den Vorstellungen und dem Willen des Opus Dei. Die Leiter der Jugendclubs und Studentenheime werden von der Kommission (Landesleitung) des Opus Dei ernannt. Kein Programm darf gedruckt werden, ohne daß es vorher von der Kommission gebilligt worden wäre.

Die Bewohner eines "Zentrums" des Opus Dei, das von der "Studentischen Kulturgemeinschaft" getragen wird, zahlen an diese monatlich eine (recht hohe) Miete. An die "Studentische Kulturgemeinschaft" gehen auch die Spenden, um die sich die Mitglieder bemühen.

Die "Studentische Kulturgemeinschaft" kauft oder mietet nur dann ein neues Haus, wenn die Kommission es für erforderlich hält; es gibt keine Einrichtung, deren rechtlicher Träger beispielsweise die "Studentische Kulturgemeinschaft" ist, die nicht auf Wunsch der Landesleitung des Opus Dei in Deutschland entstanden wäre.

Es ist also keineswegs so, wie der Eindruck erweckt wird, daß (beispielsweise) die "Studentische Kulturgemeinschaft" bestimmte Einrichtungen projektiert, um deren Betreuung dann das Opus Dei gebeten würde, sondern umgekehrt: Die Kommission des Opus Dei plant ein neues "Zentrum" und beauftragt mit dessen Einrichtung etwa die "Studentische Kulturgemeinschaft".

Die Trennung zwischen rechtlicher Trägerschaft durch Vereine mit "neutral" klingenden Namen und tatsächlicher Leitung durch das Opus Dei bei den Einrichtungen der Vereinigung erlaubt es dem Opus Dei, im Hintergrund zu bleiben und nach außen nur begrenzt in Erscheinung zu treten.

Das "Studentenheim Althaus" in Bonn wurde im Telephonbuch und im Vorlesungsverzeichnis der Universität weiterhin unter den privaten Studentenheimen aufgeführt, obwohl es schon seit einigen Jahren Studierenden, die nicht zum Opus Dei gehören, nicht mehr offenstand.

Seit Anfang der siebziger Jahre bis Ende 1982 war das von der Vereinigung initiierte "Studentenheim Althaus" das "Studienzentrum" des Opus Dei in Deutschland. (Ende 1982 wurde das Studienzentrum nach Köln verlegt.) Das eigentliche Haus des Bonner "Studienzentrums", das sogenannte "Althaus II", war ein von dem ehemaligen "Studentenheim Althaus" (Althaus I) aus nicht zu sehendes, aber durch einen Hintergarten erreichbares Haus, das von Nichtmitgliedern in der Regel nicht betreten werden durfte. Hier wohnten die

Mitglieder des "Studienzentrums".

Im einstigen Studentenheim, Althaus I, wohnten nur wenige Mitglieder der Vereinigung, Nichtmitglieder durften dort lediglich vorübergehend während Tagungen wohnen, die von den verschiedenen "Zentren" des Opus Dei in Deutschland durchgeführt werden. Im Althaus I fanden Arbeitskreise, Vorträge und Konzertabende ebenso statt wie Betrachtungen, Einkehr- und Besinnungstage, Bildungskreise usw. Im Keller des Studentenheims ist ein Jugendclub mit Namen "Linie 15" beherbergt.

Nun kam es häufig vor, daß Studenten anfragten, ob sie dort ein Zimmer bekommen könnten. Ihnen wurde gesagt, daß es eine lange Warteliste gebe und für die nächsten drei Jahre schon alles ausgebucht sei. Einmal kam ein Student, der sagte, er habe sich vor drei Jahren auf die Warteliste setzen lassen und möchte nun zum nächsten Semester im "Althaus" ein Zimmer beziehen.

Der Numerarier, _(Numerarier sind Vollmitglieder des Opus ) _(Dei. Bei ihrem Eintritt in die ) _(Vereinigung verpflichten sie sich zu ) _(Ehelosigkeit, Armut und Gehorsam. In der ) _(Regel wohnen sie auch gemeinsam in einem ) _(Zentrum des Opus Dei. )

der gerade Türdienst hatte, fragte ihn, ob er die schriftliche Bescheinigung, daß er auf der Warteliste stehe, bei sich habe.

Der Zimmersuchende verneinte erstaunt, eine solche Bescheinigung habe er nie erhalten (sie wurde auch niemals ausgestellt). Mit der Bemerkung, daß er dann auch leider nicht auf der Warteliste stände, wurde er weggeschickt. Die Mitglieder erzählten sich solche Begebenheiten und lachten darüber.

Daß das ehemalige "Studentenheim Althaus" seit Jahren Nichtmitgliedern nicht mehr als Wohnheim offenstand, schien nicht einmal dem Vorsitzenden der "Studentischen Kulturgemeinschaft" bekannt zu sein. 1979 bemühte sich ein in Bonn studierender naher Verwandter des Vorsitzenden um einen Platz.

Er wurde mit den üblichen Methoden abgewiesen. Wenig später rief der Vorsitzende beim Leiter des "Studienzentrums" an, um nachzufragen, ob denn wirklich nichts möglich sei. Auch dieser Vorgang gereichte den Mitgliedern, die davon wußten, zur Erheiterung.

In den ersten Jahren meiner Mitgliedschaft im Opus Dei wohnte ich bei meinen Eltern. Nach dem Mittagessen, ich ging damals noch aufs Gymnasium, fuhr ich zum Jugendclub Feuerstein, der gleichzeitig ein "Zentrum" des Opus Dei war, und nahm dort an den letzten fünfzehn Minuten des Beisammenseins teil.

Nach dem Beisammensein beginnt für die Mitglieder die Zeit des "Kleinen Schweigens": Die Mitglieder sollen für zwei bis drei Stunden nach Möglichkeit nicht miteinander sprechen und sich den Schularbeiten, dem Studium oder sonstigen Aufgaben und Verpflichtungen widmen. Während dieser Zeit wird normalerweise der "Bußgürtel" getragen.

Am Nachmittag bemühte ich mich, etwas für die Schule zu arbeiten, was aber durch eine Fülle von Terminen, Verpflichtungen und Aufträgen nur sehr eingeschränkt möglich war.

Um 16 Uhr verrichtete ich normalerweise die "geistliche Lesung". Nachmittags und abends traf ich mich mit den "Freunden" meines Apostolats, versuchte, die "Armenbesuche" zu organisieren und zu koordinieren. Außerdem hatte ich den Auftrag, den Tür- und Telephondienst im Haus zu regeln. Jedes Mitglied, die Leiter ausgenommen, mußte zweimal in der Woche nachmittags für zwei Stunden diesen Dienst übernehmen.

Kamen Eltern, so waren sie in das Wohnzimmer zu führen, einer der Leiter mußte dann verständigt werden, und die Besucher mußten unterhalten werden, bis der Leiter kam. Der Dienst war sehr gewissenhaft zu versehen, damit keine

ungebetenen Besucher in das Haus gelangen könnten, indem ihnen etwa von einem "Clubjungen" geöffnet würde. Besucher und Anrufer sollten einen guten Eindruck erhalten.

Von 17.40 bis 18 Uhr versah ich den Kapellendienst, indem ich alles für die abendliche Meßfeier vorbereitete. Um 18 Uhr besuchte ich werktags die Eucharistiefeier im Jugendclub, den Freitag ausgenommen, an dem zur selben Zeit die Proben des Schulorchesters begannen, woran ich aber mangels Zeit immer seltener teilnehmen konnte.

War ich anfangs meist zum Abendessen nach Hause gefahren und hatte die Abendstunden für die noch unerledigten Schulaufgaben genutzt, so wurden die Abende allmählich immer mehr durch Verpflichtungen und Termine ausgefüllt: Teilnahme an Gruppenstunden, Arbeitskreisen, "Kreisen" und Betrachtungen, Spenden- und Elternbesuche.

Wenn ich abends gegen neun Uhr nach Hause kam, so war dies früh, immer häufiger wurde es später. Meist hatte ich dann noch einen Großteil meiner Hausaufgaben zu erledigen oder etwas für eine Klassenarbeit zu wiederholen. Häufig arbeitete ich noch bis Mitternacht oder länger. Verschiedentlich konnte ich aber auch nur einen Teil der Hausaufgaben erledigen und mußte den anderen, weil ich zu müde war, unerledigt lassen.

Auch an den Wochenenden gab es eine Fülle von Terminen. Häufig war ein Wochenende durch eine Tagung ausgefüllt - Besinnungstage für Nichtmitglieder, eine Tagung für junge Numerarier, Vorbereitungstagungen für die Teilnehmer an der Romfahrt, gelegentlich auch sogenannte "Pfeiftagungen", auf denen jene einen besonderen Impuls empfangen sollen, die kurz davor stehen, Mitglied des Opus Dei zu werden.

Fast vom ersten Tag der Mitgliedschaft an hat ein Numerarier einen Terminplan, der dem eines Managers in mancherlei Hinsicht vergleichbar sein dürfte. Auch die jüngsten Numerarier tragen oft ständig einen Terminkalender bei sich, in dem jeder Tag nahezu vollständig verplant ist.

Wenige Monate nach seinem Eintritt in das Opus Dei gibt es für ein Numerariermitglied keine "Freizeit" mehr, ebenso wie es letztlich auch keine Ferien mehr gibt. In den Schulferien galt es meist, irgendwelche Fahrten zu betreuen oder an Besinnungstagen teilzunehmen. Die Ferien der Numerarier sind die Jahreskurse.

Hat ein Numerarier doch noch gewisse Freiräume, solange er im Haus seiner Eltern wohnt, so fallen diese weg, sobald er in ein Haus des Opus Dei zieht. Die Bewohner eines "Zentrums" des Opus Dei stehen in aller Regel zur gleichen Zeit morgens auf und gehen zur gleichen Zeit abends nach der gemeinsamen Gewissenserforschung zu Bett.

Will ein Numerarier einmal etwas länger aufbleiben, etwa um noch etwas zu studieren, muß er den Leiter des Hauses um Erlaubnis bitten. Eine solche Erlaubnis wird oftmals nicht erteilt und wenn, dann meist nur genau befristet.

Will ein Numerarier das "Zentrum" verlassen, beispielsweise um eine Vorlesung zu besuchen, sich mit einem "Freund" zu treffen, eine Besorgung zu machen, so ist jedesmal der Leiter des Hauses davon zu unterrichten. Ebenso sind die Numerarier gehalten, den Leiter sofort davon in Kenntnis zu setzen, wenn sie wieder in das Haus der Vereinigung zurückgekehrt sind. Auch dies trägt zu

einer ständigen Kontrolle der Mitglieder bei.

Kontrolliert wird auch die Post. Alles, was die Mitglieder eines "Zentrums" zugeschickt erhalten, wird zunächst vom Leiter des Hauses durchgesehen und gelesen und dann erst an die Empfänger verteilt. Umgekehrt müssen die Numerarier alle Post, die sie geschrieben haben, vor dem Verschicken dem Leiter zum Lesen geben.

Auch die berufstätigen Numerarier sind durch vielfältige Aufgaben, Aufträge und Verpflichtungen beansprucht und kennen letztlich keinen "Feierabend". Die Numerarier sollen nach den Worten von Escriva de Balaguer, dem Gründer des Opus Dei, "ausgepreßt wie eine Zitrone" sterben, indem sie ihr Äußerstes und Letztes für die Verwirklichung des Opus Dei gaben.

Einen Jugendlichen, von dem sie den Eindruck haben, daß er den "Geist des Opus Dei" versteht, halten die Leiter in der Regel von Gott zum Opus Dei berufen. Bei Jugendlichen wird grundsätzlich zunächst einmal davon ausgegangen, daß sie dann auch zu einer ehelosen Lebensform berufen sind.

"Die Ehe", so heißt es bei Escriva, "ist für den Großteil des Heeres Christi, nicht aber für seinen Führungsstab. Nahrung ist für jeden einzelnen Menschen notwendig. Fortpflanzung aber nur zur Erhaltung der Art; ihr dürfen sich einzelne Menschen entziehen. Sehnsucht nach Kindern? Kinder, viele Kinder und eine unauslöschliche Lichtspur hinterlassen wir, wenn wir den Egoismus des Fleisches opfern."

Die überwiegende Mehrheit aller Numerarier wurde und wird aus Minderjährigen rekrutiert. Escriva: "Die Jugend gibt alles, was sie hat: Sie schenkt sich selbst ohne Vorbehalt."

Den Jugendlichen, die bedrängt werden, sich für ein Leben als Numerarier zu "entscheiden", wird gesagt, daß es sich bei einer solchen "Entscheidung", die eine "Entscheidung" zu einem Leben in Armut, Ehelosigkeit und Gehorsam in sich schließt, um eine endgültige Lebensentscheidung handelt, die in ihrer Tragweite einer Ehe vergleichbar sei. Gleichzeitig wird ihnen aber suggeriert, daß sie schon reif und erwachsen genug seien, eine Entscheidung von solcher Tragweite zu treffen.

Hat ein Jugendlicher den Brief mit der Bitte um Aufnahme in das Opus Dei als Numerariermitglied an den Generalpräsidenten Alvaro del Portillo geschrieben, so wird ihm der Kontakt zum anderen Geschlecht weitestgehend untersagt. Er darf seine "göttliche Berufung" nicht "aufs Spiel setzen".

Besucht jemand eine gemischte Schulklasse, so hat er als Numerarier jegliches vermeidbare Gespräch mit seinen Mitschülerinnen zu unterlassen. Die Numerarier werden dazu angehalten, sich in unvermeidbaren Gesprächen mit Frauen möglichst barsch zu geben und gegebenenfalls dafür zu sorgen, daß man einen möglichst unsympathischen Eindruck auf sie macht.

Arbeitet ein Numerarier allein in einem Seminarraum einer Universität, so ist er gehalten, unverzüglich den Raum zu verlassen, sobald eine Kommilitonin in den Seminarraum kommt und dort ebenfalls zu arbeiten beginnt.

Numerarier dürfen bei Hochzeiten nur am kirchlichen Akt der Trauung, nicht aber an den nachfolgenden Feierlichkeiten teilnehmen, auch dann nicht, wenn eines ihrer Geschwister heiratet. Noch seltener als die Numerarier dürfen die Numerarierinnen ihre Eltern und nächsten Verwandten besuchen. Frauen seien für Familienbelange besonders empfänglich, und es könnte daraus der Wunsch und die Sehnsucht nach Gründung einer eigenen Familie erwachsen.

Rigoros gilt es auch gegen jegliche sexuellen Wünsche und Phantasien vorzugehen, sie zu verdrängen und gegen sie anzukämpfen, keinesfalls aber darf ihnen nachgegangen werden. Unterwegs und auf der Straße gilt es, "die Blicke zu bewahren".

Die Eltern sind fast ausnahmslos nur sehr unzureichend darüber orientiert, welche Ziele eine Einrichtung des Opus Dei, die ihr Kind besucht, wirklich verfolgt und was das Opus Dei eigentlich darstellt. Oftmals wissen sie über längere Zeit gar nicht, daß beispielsweise hinter einem Jugendclub das Opus Dei steht.

So geraten viele der Kinder und Jugendlichen mehr und mehr ohne Wissen ihrer Eltern unter den Einfluß des Opus Dei und unter die Kontrolle eines "geistlichen Leiters", der es zuweilen erreicht, daß er für einen Jugendlichen eine die Eltern ablösende Vertrauensperson wird. Zuweilen nimmt die planmäßig aufgebaute Beziehung den Charakter eines Hörigkeitsverhältnisses an.

Da dem als Mitglied angeworbenen Jugendlichen ausdrücklich nahegelegt wird, seine Eltern zunächst nicht davon zu unterrichten, bleiben die Eltern weiterhin ahnungslos, während ihr Kind durch die nun einsetzende Ausbildungsmaschinerie bei gleichzeitigem Abschneiden aller vermeintlichen Fremdeinflüsse _(Aus der Spruchsammlung "Der Weg". )

immer weiter in den Sog der Vereinigung gerät, in seinem Willen und seiner Mentalität oft vollständig gebrochen und in seinem Denken und Fühlen um- und gleichgeschaltet wird.

Die Eltern werden meist erst durch bestimmte Symptome, die sie am Verhalten ihres Kindes wahrnehmen, beunruhigt und alarmiert - zu einem Zeitpunkt, wo es oft zu spät ist. Sie müssen den Eindruck gewinnen, daß ihr Kind vernünftiger Argumentation nicht mehr zugänglich ist und Diskussionen ausweicht.

Sie nehmen wahr, daß ihr Kind wie unter einem "Bann" steht, sich gleichsam attrappenhaft verhält, willenlos von einem fremden Willen gelenkt und beherrscht ist und, wenn es auf Bedenken und Argumente antwortet, phrasenhaft spricht, "Erlerntes" repetiert.

Von meiner Mitgliedschaft im Opus Dei durfte ich meine Eltern erst im Frühsommer 1977, also drei Jahre nach meinem Eintritt in die Vereinigung, unterrichten. Ich wurde von meinem damaligen "geistlichen Leiter" dazu angehalten, es ihnen so darzustellen, als hätte ich mich erst während der unmittelbar zurückliegenden Romfahrt zur Mitgliedschaft im Opus Dei entschlossen.

Meine Eltern ahnten nicht, daß ich schon seit drei Jahren Mitglied der Vereinigung war. Wohl waren sie seit langem über mein Verhalten zutiefst beunruhigt. Fast täglich war es in den zurückliegenden Jahren zu Auseinandersetzungen gekommen.

Sie mißbilligten, daß ich zu Hause nur noch "Gastrollen" spielte. Vor allem machte ihnen Sorge, daß ich nichts anderes mehr kannte als das Opus Dei und daß sie nicht recht wußten, was ich die vielen Stunden am Tag, die ich nicht zu Hause war, eigentlich machte. Sie hatten den Eindruck, daß die Informationen über das Opus Dei, die sie von den Leitern des Jugendclubs und von mir erhielten, nur sehr oberflächlich seien, daß über dem Ganzen ein Geheimnis lag, daß es da Dinge gab, von denen sie hätten wissen müssen, über die sie aber keine Informationen erhalten konnten.

Meine Mutter hatte Escrivas Schrift "Der Weg" gelesen und war über den Inhalt sehr erschrocken. Auf der anderen Seite erklärten sich meine Eltern mein Verhalten mit jugendlicher Begeisterung und Idealismus. Sie vertrauten darauf, daß ich mit der Zeit wieder ausgeglichener und mein Gesichtskreis sich weiten würde. Sie hofften, daß ich nach meinem Abitur als Student neue Erfahrungen machen, neue Bekanntschaften schließen und mich allmählich von dem Kontakt und dem Einfluß des Jugendclubs Feuerstein lösen würde.

Diese Hoffnungen zerstörte ich nun, als ich ihnen als 18jähriger erklärte, daß ich mich für eine Mitgliedschaft im Opus Dei entschieden habe, mein Leben lang ehelos bleiben wolle und beabsichtige, in Bonn zu studieren und im Studentenheim Althaus zu wohnen.

Meine Eltern schlugen vor, mich doch lieber für einige Jahre vollständig vom Opus Dei zu trennen, andere Erfahrungen und Auffassungen an mich herankommen zu lassen. Erst wenn ich dann immer noch der Auffassung sei, den Weg des Opus Dei nehmen zu wollen, könne man von einer ernsthaften Entscheidung

sprechen. Doch erreichten mich ihre Bedenken nicht.

Im Sommer 1977 zog ich gegen ihren Willen in das Studentenheim Althaus. Nur selten wurde mir von meinen Leitern erlaubt, meine Eltern zu besuchen. Sie müßten sich, hieß es, daran gewöhnen, daß das Opus Dei meine eigentliche Familie sei. Ich besuchte meine Eltern ungefähr alle sechs Wochen, meist nur für wenige Stunden, da ich möglichst nicht mehr daheim übernachten sollte.

Als das Weihnachtsfest näherrückte, sagte mir mein Leiter, daß ich selbstverständlich den Heiligen Abend im Kreise meiner "Brüder" und nicht bei meinen Eltern verbringen werde. Ich erschrak darüber sehr, da ich wußte, wie bitter dies für meine Eltern sein würde.

Ich sollte meinen Eltern sagen, daß ich den Heiligen Abend im "Althaus" mit meinen "Brüdern" verbringen wolle. Ich wollte es nicht, ich sollte es. Zweimal besuchte ich für wenige Stunden meine Eltern, ohne daß ich es übers Herz brachte, ihnen meine Abwesenheit am Heiligen Abend anzukündigen.

Ich wurde deshalb getadelt, nach meiner "Brüderlichkeit" und meinem Gehorsam befragt. Bei diesen wie auch bei ähnlichen Angelegenheiten waren die Leiter schnell mit dem Jesus-Wort aus Mattäus 10, Vers 37, zur Hand: "Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht wert." Beim dritten Anlauf sagte ich es schließlich meinen Eltern, die ich damit noch betroffener machte, als sie es ohnehin schon waren.

Während meiner Mitgliedschaft im Opus Dei habe ich oft Vorträge und Betrachtungen zur Thematik des Verhältnisses der Numerarier zu ihren Eltern gehört. Stets wurde betont, daß alle Mitglieder ihre Eltern sehr lieben sollen, auch deshalb, weil man ihrer Erziehung wesentlich seine Berufung verdanke.

Andererseits gelte es, sehr klar eine Hierarchie der Liebe einzuhalten. Für einen Numerarier gehe die "übernatürliche Familie" des Opus Dei vor. Ihr habe er mehr Bedeutung beizumessen als seiner Blutsfamilie. Ihr hätte zuallererst sein Einsatz und seine Verantwortung zu gelten.

Die Eltern hätten keinerlei Recht dazu, der Berufung ihres Kindes Widerstände entgegenzusetzen, denn letztlich leisteten sie damit Widerstand gegen Gott, der ihr Kind zum Opus Dei berufen hat - wird gesagt.

Von dem Tag an, da jemand den Brief an den Generalpräsidenten geschrieben hat, wird ihm unaufhörlich klarzumachen versucht, daß seine Berufung zum Opus Dei das größte Geschenk darstelle, das Gott ihm machen konnte. "Zweifle nicht: Deine Berufung ist die größte Gnade, die der Herr dir erweisen konnte. Danke dafür" (Escriva).

Es müsse nun darum gehen, treu in der Berufung zu beharren, und es könne sich in seinem Leben nichts Schlimmeres ereignen, als wenn er nicht treu sei und seine Berufung aufgebe, "sich aus dem Fenster werfe". Das Aufgeben der Berufung zum Opus Dei wird also als ein geistlicher Selbstmord hingestellt.

Formal wird gemäß Kirchenrecht die Inkorporation in die Vereinigung schrittweise vollzogen. Frühestens ein halbes Jahr nach der Bitte um Aufnahme in das Opus Dei erfolgt die sogenannte "Admission". Sie wird in der Kapelle eines "Zentrums" des Opus Dei mit einer Zeremonie vor einem Priester in Gegenwart von Zeugen vollzogen.

Frühestens ein Jahr nach der Admission erfolgt die "Oblation", mit der man seine Mitgliedschaft in der Vereinigung bis zum nächsten Fest des heiligen Josef (19. März) verspricht. Die Oblation wird jeweils am 19. März mindestens fünfmal erneuert. Frühestens sechseinhalb Jahre nach der Bitte um Aufnahme in die Vereinigung, also frühestens im Alter von 21 Jahren erfolgt mit der sogenannten

"Fidelitas" die endgültige, lebenszeitliche Inkorporation in die Vereinigung.

In Zusammenhang mit der Fidelitas sind die Mitglieder gehalten, ein Testament abzufassen, in dem sie verfügen, daß ihr Eigentum Vereinen wie beispielsweise der Studentischen Kulturgemeinschaft zufallen soll.

Den Mitgliedern wird ausdrücklich eingeschärft, daß sie schon mit der Bitte um Aufnahme in das Opus Dei eine endgültige Lebensentscheidung getroffen hätten, an der sie in unverbrüchlicher Treue festhalten müßten. Die Erneuerung der Oblation soll nicht Anlaß zu einer Prüfung und Infragestellung des bisherigen Weges sein, sondern vielmehr ausschließlich Anlaß dazu, von ganzem Herzen seine Hingabe im Opus Dei zu erneuern und zu bekräftigen.

Escriva de Balaguer pflegte zu betonen, daß es schwer sei, in das Opus Dei zu gelangen und Mitglied der Vereinigung zu werden, sehr leicht hingegen, das Opus Dei zu verlassen. Die Tür in das Werk sei nur einen Spalt geöffnet, während die Tür hinaus weit offen stehe.

Formal betrachtet, bedarf es tatsächlich nicht viel, die Mitgliedschaft aufzukündigen. Bis zur Oblation reicht es, dem Leiter des zuständigen örtlichen Rates seinen Austritt aus der Vereinigung zu erklären. Hat ein Mitglied schon die Oblation abgelegt, so kann es entweder am 19. März diese nicht erneuern - und gehört dann dem Opus Dei unwiderruflich nicht mehr an - oder er kann in einem Brief den Generalpräsidenten bitten, ihn von allen eingegangenen Verpflichtungen zu entbinden. Dieser Bitte wird stets stattgegeben.

In Wirklichkeit ist es aber sehr schwer, das Opus Dei zu verlassen. Die nie abreißende Ausbildung stellt das Verlassen des Opus Dei, das als ein Aufgeben einer göttlichen Berufung hingestellt wird, als etwas sehr Schlimmes und Entsetzliches dar. Die Mitgliedschaft im Opus Dei aufzukündigen wird hingestellt als ein Vergehen gegen Gott und die Menschen, deren ewiges Seelenheil von dem Apostolat eines Mitgliedes des Opus Dei abhänge.

Von seiten der Leiter fehlt es nicht an Hinweisen darauf, wie unglücklich diejenigen meist seien, die ihre Berufung als Mitglied im Opus Dei aufgegeben haben. In aller Regel werden sie als Menschen hingestellt, die ihres Lebens nicht mehr froh werden und die nichts so sehr bereuen wie ihren Austritt aus der Vereinigung.

Die Herausstellung der Berufung als etwas überaus Erhabenes und als ein unschätzbares Geschenk Gottes, die ständigen Appelle an die Treue zu dieser Berufung einerseits und die regelrechte und vor allem unterschiedslose Verteufelung des Aufgebens der Berufung bewirken einen starken inneren Druck.

Ich selber habe von den fünf Jahren meiner Mitgliedschaft als Numerarier im Opus Dei ungefähr zweieinhalb Jahre gebraucht, um die Vereinigung zu verlassen. Es begann damit, daß ich mich in der Vereinigung zunehmend unwohler und unglücklicher zu fühlen begann.

Ein starkes Moment war, daß ich das, was in der Vereinigung mit den anspruchsvollen Worten "Brüderlichkeit" und "Freundschaft" belegt wird, immer stärker als verordnet empfand. Gleichzeitig

hatte ich das Empfinden ungeheuren Unfreiseins, eines Eingeschnürtseins in ein mächtiges Korsett, das mir nicht paßte, sondern an das ich mich, koste es, was es wolle, anzupassen hatte.

Ein sicherlich ganz wichtiges und zunehmend wichtiger werdendes Moment wurde ein ständig stärker werdendes Angezogensein vom anderen Geschlecht, das ich zum Zeitpunkt meines Eintritts in die Vereinigung so nicht gekannt und erfahren hatte.

Dann das pausenlose Eingespanntsein in Aufgaben und Verpflichtungen, ein letztlich nie abreißender Streß, der einen kaum noch zu dem kommen ließ, wozu man eigentlich angetreten war: sein Christsein in den Lebensumständen ernst zu nehmen, in denen man sich auch ohne das Opus Dei befinden würde.

Es war mir unmöglich geworden, einem Freund auf gleicher Ebene zu begegnen, irgend etwas ohne "apostolische" Hintergedanken zu unternehmen und zusammen nur deshalb etwas zu tun, weil es beiden Seiten Freude macht. Auch fühlte ich mich zunehmend von den Leitern im Opus Dei ausgenutzt und hatte den Eindruck, für die Vereinigung nur so lange und nur insoweit interessant zu sein, wie ich im Sinn der Vereinigung und für sie funktionierte.

Selbstverständlich galt es, von solchen Empfindungen und Eindrücken in der Aussprache als Versuchungen zu berichten. Die "geistlichen Leiter" taten alles, sie als gefährliche Versuchungen und als Ausdruck mangelnder Großzügigkeit, Hingabe und Liebe und großen und verletzten Stolzes hinzustellen.

Was das Angezogensein vom anderen Geschlecht anbelangte, wurde gesagt,

daß dies zwar sehr natürlich ist, daß ich dem aber nicht nachgeben dürfe, da Gott mich zur Ehelosigkeit berufen habe und ich darauf mit meinem Eintritt in das Opus Dei ein für alle Male verzichtet hätte.

Durch die intensive Ausbildung im Opus Dei, die ich bereits durchlaufen hatte, entsprachen solche zurechtweisenden Äußerungen genau den Denkmustern, die ich selbst verinnerlicht hatte und in denen ich zunächst auch weiterhin grundsätzlich dachte. Deshalb war ich auch immer wieder bereit, gegen meine Empfindungen und Gedanken anzugehen, sie bisweilen regelrecht zu bekämpfen.

Von Zeit zu Zeit überkamen mich dann doch wieder regelrechte Ausbruchstimmungen, so daß ich ab und zu einen Tag lang nicht zum Jugendclub Feuerstein kam, die Normen dann nicht oder nur teilweise erfüllte und aus der ganzen Geregeltheit und Verplantheit ausbrach. Dabei überkam mich ein ungemeines Glücksgefühl, welches das zunächst stets begleitende Gefühl, etwas Unrechtes zu tun, überwog und für einige Stunden überwand.

Ich liebte es unter anderem dann, die belebtesten Geschäftsstraßen Kölns aufzusuchen, die Menschen dort zu beobachten und in ihre Gesichter zu schauen. Da war doch Leben! In diesen Gesichtern, die Freude wie Leid, Gleichgültigkeit, Gedankenverlorenheit, Geschäftigkeit, Resignation, Glück und Kummer ausdrückten, lag Realität. Realität, der ich mich entzogen fühlte.

Wenn ich aus der Stadt zurückkehrte, wußte ich, daß im Haus meiner Eltern längst schon einer der Leiter angerufen und um meinen Rückruf gebeten hatte. Das Glücksgefühl wich Schuldgefühlen. Für den nächsten Tag oder schon am selben Abend war ein längeres Gespräch mit meinem "geistlichen Leiter" zu erwarten, der mir Vorhaltungen machen und mich eindrücklich davor warnen würde, mit meiner "Berufung zu spielen".

Im Frühjahr 1977 faßte ich das erste Mal den Entschluß, das Opus Dei zu verlassen. Damals hörte ich von seiten der Leiter auch das erste Mal den Satz, ich solle mich nicht "aus dem Fenster werfen und unglücklich machen". Es begannen - wie immer wieder, wenn ich später die Absicht erkennen ließ, das Opus Dei zu verlassen - stundenlange Gespräche mit den Leitern und Priestern des Opus Dei, später waren es oft mehrere an einem Tag.

Von der Romfahrt 1977 an schaltete sich ein Mitglied der Kommission in diese Gespräche ein. Dieser Numerarier war viele Jahre älter als ich, stellte für mich eine große Autorität dar und übte einen großen Einfluß auf mich aus, wovon er reichlich Gebrauch machte. Immer wieder gelang es ihm, oft mit sublimsten Methoden, mich zu bewegen, im Opus Dei zu bleiben.

Auch wenn ich mich zunächst wieder um eine vollständige Hingabe als Numerarier bemühte, so fiel es mir doch schwer, mich damit abzufinden, daß meine "Entscheidung" als 15jähriger zur Ehelosigkeit eine endgültige Lebensentscheidung gewesen sei. Zum anderen wurde mir zunehmend der Bereich des Studiums zum Problem: Ein ernsthaftes und ernst zu nehmendes Studium in den von mir gewählten Fächern Philosophie und Klassische Philologie war mir als Mitglied des Opus Dei nicht möglich.

Die zahlreichen Aufträge, Verpflichtungen und Termine ließen mich kaum zum Studieren kommen. Das Verbot der Lektüre fast sämtlicher Philosophen tat das übrige. Die Art, wie unter den Mitgliedern abschätzig über verbotene Autoren und ihre Werke gesprochen wurde, begann ich als ebenso arrogant wie dumm zu empfinden.

Im Dezember 1977 sagte ich dem Leiter des "Studienzentrums", daß ich zu der Auffassung gelangt sei, nicht zum Opus Dei berufen zu sein. Der Leiter sagte mir daraufhin: "Gut, dann schreibst du jetzt auf einen kleinen Zettel: ''Ich habe keine Berufung zum Opus Dei'' und unterschreibst ihn. Wir legen diesen Zettel dann in den Tabernakel. Könntest du heute nacht ruhig schlafen, wenn wir das täten?"

Ich gab zu, daß mir dabei nicht ganz wohl sein würde. Wir führten dann ein längeres Gespräch, in dem er die üblichen Warnungen aussprach und in dem es dann darum ging, wie ich in meiner Hingabe treuer werden könnte. Nach diesem Gespräch zog ich fast ein halbes Jahr lang meine "Berufung" nicht mehr in Zweifel und bemühte mich, mich mit ihr abzufinden.

Im Mai 1978 brach alles von neuem auf. Meine "Berufungskrise" - so wird es im Opus Dei bezeichnet - dauerte diesmal länger. An einem Samstag unternahm ich mit meinem "geistlichen Leiter" eine längere Wallfahrt. Auf dem Rückweg sagte ich ihm, daß ich der Überzeugung sei, daß die Mitgliedschaft im Opus Dei als Numerarier nicht mein Weg ist, und fragte ihn, ob ich nicht wenigstens von der Verpflichtung zur Ehelosigkeit befreit werden könne. Der Leiter ging darauf zunächst scheinbar ein.

In den folgenden Tagen und Wochen begannen nun wieder die zahlreichen, intensiven Gespräche, in denen mir mein Leiter und ein Mitglied der Kommission klarzumachen versuchten, daß ich sehr wohl eine Berufung zum Numerarier hätte. Einerseits wurde mir wiederholt, daß Gott, indem er mich zur Ehelosigkeit berufen habe, von mir ein Mehr an Hingabe erwarte, andererseits wurde betont, ich würde mir eine Ehe wohl allzu romantisch vorstellen.

Es wurde mir beispielsweise von einem Opus-Dei-Mitglied erzählt, dessen Frau Alkoholikerin geworden sei. Auch andere warnende Beispiele wurden

mir vorgehalten. Es wurde an meine Verantwortung für meine Mitbrüder appelliert.

Nach einem Beisammensein nahm mich mein "geistlicher Leiter" beiseite und sagte mir, der "Örtliche Rat" habe beschlossen, ich dürfe an der Sommerfahrt zu dem vom Opus Dei neu aufgebauten Marienwallfahrtsort Torreciudad in Spanien teilnehmen. Überrascht sah ich ihn an und sagte ihm, er wisse doch von meinem Entschluß, das Opus Dei zu verlassen.

Er gab mir zu bedenken, daß es zumindest nicht schaden könne, wenn ich alles noch einmal während der Wochen in Torreciudad "durchbeten" würde. Ich gab ihm recht.

Während der Torreciudad-Fahrt war der Sekretär des "Studienzentrums" mein Leiter. Er tat zunächst so, als wisse er von all meinen Überlegungen der letzten Zeit nichts. In Torreciudad verbrachte ich täglich oft viele Stunden in der Wallfahrtskirche. Mehr und mehr wurde ich mir dessen sicher, daß es für mich richtig sei, das Opus Dei zu verlassen.

Der Sekretär des "Studienzentrums" schlug daraufhin eine andere Tonart an. Er habe mir nicht die Wahrheit gesagt, er sei über mich vorher genauestens informiert worden und angewiesen, mich "knallhart" anzupacken. Ich solle mir doch nichts vormachen, meine Überlegungen seien die Folge meines Egoismus und Stolzes. Wenn ich das Opus Dei verlasse, ginge ich sehr wahrscheinlich in die Hölle.

Trotz der Härte der Gespräche, die dieser Unterredung in den nächsten Tagen folgten, blieb ich bei meinem Entschluß. Ende September verließ ich das "Studienzentrum" Althaus, allerdings ohne den Brief mit meiner Austrittserklärung an den Generalpräsidenten geschrieben zu haben. Ich wollte zunächst einmal außerhalb des Einflusses der Leiter überlegen.

Schon nach einem Tag hielt ich es zu Hause nicht mehr aus und kehrte ins Althaus zurück. In den etwas mehr als 24 Stunden außerhalb des Opus Dei war mir erschreckend klargeworden, wie mich die Jahre meiner Mitgliedschaft völlig isoliert hatten. Wen hatte ich außer den Leitern, an den ich mich hätte wenden können? Konnte ich mich denn außerhalb des Opus Dei überhaupt noch zurechtfinden?

In dem letzten Jahr meiner Mitgliedschaft wurde ich zunehmend zu einem Kritiker des Opus Dei; ich begann, das System der Vereinigung als solches in Frage zu stellen. War nicht beispielsweise das, was unter dem Namen "Freundschaft" vorgestellt wurde, eine trügerische Ideologie und das, was in ihrem Namen getan werden mußte, nicht ein letztlich menschenverachtender, unchristlicher "Seelenhandel"? War es nicht eine Ungeheuerlichkeit, immer wieder Minderjährigen weittragende "Entscheidungen" letztlich aufzuzwingen?

Das (und vieles andere) konnte nicht der Wille Gottes sein. Das hieß aber, daß die Leiter in ihren Anweisungen den Willen Gottes nicht artikulieren, womit dem geschlossenen System des Opus Dei die Basis fehlt.

Die Denkmuster waren zerbrochen, und ich sah alles, was in der Vereinigung geschah und in den Ausbildungsvorträgen vorgestellt wurde, mit anderen Augen und in einem anderen Licht. Was ich schon länger erahnt hatte, zeigte sich mir nun in aller Deutlichkeit: eine erschreckende und schreckliche Wirklichkeit.

Die Leiter bemühten sich sehr darum, deutlich zu machen, daß ich mich mit meiner Kritik nicht nur gegen das Opus Dei wende, sondern mich auch außerhalb der Kirche stelle, die alles, was der "Geist des Werkes" sei, bis in alle Einzelheiten hinein als von Gott kommend anerkannt und approbiert habe.

Ich wolle die Dokumente der Approbationen, vor allem das sogenannte "Ius peculiare" (das spezielle, interne Recht), das angeblich approbiert worden sei, endlich einmal sehen. Sehr wahrscheinlich würde es von dem, was Escriva de Balaguer bis in alle Einzelheiten festgelegt hat, erheblich abweichen und vieles, was angeblich von Gott gewollt wäre und in der Vereinigung praktiziert werden muß, nicht enthalten. Den Text bekam ich nie zu sehen.

Die letzten Wochen meiner Mitgliedschaft waren wiederum durch zahllose Gespräche mit verschiedenen Leitern bestimmt, die mich davon zu überzeugen suchten, daß ich dabei sei, mich unglücklich zu machen und dem Willen Gottes zuwiderzuhandeln.

Am Nachmittag des 6. Juni 1979 schrieb ich den Brief an den Generalpräsidenten. Mit dem Leiter des "Studienzentrums" kam ich überein, daß ich am nächsten Vormittag meine Sachen zusammenpacken sollte, und zwar so, daß die anderen Mitglieder der Vereinigung nichts von meinem Weggehen bemerken würden - darauf legte der Leiter besonderen Wert.

In aller Schnelle mußte ich dann am nächsten Tag packen. Nach einem kurzen Gespräch mit dem Leiter, in dem er mir sagte, daß ich von nun an kein "Zentrum" des Opus Dei mehr betreten dürfe, fuhr mich der Sekretär des "Studienzentrums" nach Hause. Während der Fahrt wechselten wir miteinander kaum ein Wort.

Ende