Der “heilige Zwang”

 

E.B.E.

 „Was das Geheimnis der Beharrlichkeit sei? Die Liebe.- Verliebe dich, und du wirst „Ihn“ nicht lassen“.

Diese Formel nannte der Gründer in seinem „Weg“ (Nr. 999) als Bedingung für die Beharrlichkeit. Allerdings, so glaube ich, wäre es nicht schwer nachzuweisen, dass die Beharrlichkeit im Werk durchaus auch das Ergebnis einer gehörigen Portion Nötigung ist bei der die Liebe durchaus nicht der letzte Grund ist, in dessen Namen das Werk die Beharrlichkeit seiner Mitglieder fördert. Würde dieser Zwang aufhören, gäbe es mit einem Schlag eine gewaltige Krise der Institution, eine Diaspora einerseits und eine Dezentralisierung (der Kontrolle) andererseits. Der Zwang ist das Band, das die „Einheit“ sichert und das ein „Überhandnehmen“ des Pluralismus verhindert.

Eine Diaspora gibt, auch wenn sie träge ist; eine dezentrale Eigeninitiative gibt es nicht.

Diese meine Überlegungen beziehen sich vor allem auf die Numerarier (=Numerarierinnen) und Assoziierten, denn sie sind hauptsächlich betroffen, auch wenn diese Probleme vor dem Supernumerariern (Supernumerarierinnen) nicht Halt machen.

Wir, die wir vom Werk waren, waren so involviert, dass wir zunächst einmal Distanz benötigen, um die Institution von außen zu betrachten, nicht als das Universum, das uns umgibt – denn so war es – sondern als ein sehr beschränkter Mikrokosmos. Mit der Universalität, die uns das Werk vorgespielt hat, ist es nicht weit her; es wies lediglich eine Uniformität auf. Und der außerordentliche Charakter, den es für sich usurpiert hatte, entspricht ebenso wenig den Fakten.

Das Werk scheint weniger eine Institution, sondern eher eine „Person“ zu sein, deren Pathologie es näher zu bestimmen gälte. Seine Zwangshandlungen, die es nicht ändern kann oder will, betreffen viele, und es ist wichtig zu wissen, wie das geschieht.

Würde jemand sein Leben blind einer Person anvertrauen, die dazu neigt zu betrügen, zu manipulieren, das gegebene Wort zu brechen, seine Fehler nicht zugeben kann und unfähig ist, Schuldgefühle zu haben oder sich für fremde Gefühle zu interessieren?

Ich glaube, dass es bei der Entwicklung des Werkes zwei Ebenen gibt, die sich sehr gut unterscheiden lassen: auf der einen Seite das Verhalten der Institution, und auf der anderen die persönlichen Geschichten, die Ideale, Hoffnungen und Gefühle der Menschen. In der Art, das Werk zu leiten, entscheidet sein Profil (mehr noch als das, was es narzisstisch von  sich selbst verkündet). Und in seinen Geschichten zeigen die Personen das Leben, das sie im Werk zu führen hoffen. Die Gründe für alle diese Täuschungen beruhen auf dem tiefen Kontrast, der zwischen diesen beiden Ebenen herrscht.

Wenn ich mich in der Sichtweise, die mich bei dieser Schrift anleitet, täuschen sollte, so wäre das eine gute Nachricht.

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Nötigung : § 240 StGB (Deutschland)

(1) Wer einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Rechtswidrig ist die Tat, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist.

(3) Der Versuch ist strafbar.

Zwang: nachdrückliche Beeinflussung der Entscheidungs- und Handlungsfreiheit durch verschiedene Einflüsse

Wenn sich in einer Organisation die Optionen darauf reduzieren, dass man „gehorcht oder geht“ (Der Weg, Nr. 941), bleibt kein Raum mehr für Einigung oder Dialog.

In der Sprache des Werkes bedeutet das Weggehen den Tod, deshalb gehorcht man … unter Androhung der Todestrafe!

Das erscheint lächerlich oder sogar drollig, es ist das aber keineswegs für jemanden, der unter dieser Perspektive innerhalb des Werkes lebt. Wenn man daran glaubt und die offizielle Lehre praktiziert, die der Gründer etabliert hat, nimmt man diese Drohung ernst. Auch wenn man es nicht weiß und sich keine Rechenschaft ablegt über das, was man erleidet: Man ist Gegenstand einer Erpressung.

Wenn man erst einmal draußen ist, erscheint eine solche Lehre harmlos und absurd, bestenfalls eigenartig. Solange man sich allerdings unter dem hypnotischen Einfluss des Werkes befindet, glaubt man wirklich an diese Todesstrafe. Deshalb ist es nötig, möglichst rasch das Werk zu verlassen, es physisch, vor allem aber mental hinter sich zu lassen.

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Diese Drohung ist der Ausgangspunkt, vom dem aus die Leitung im Werk funktioniert. Um es auszuprobieren, genügt es zu fragen was geschehen würde wenn diese Drohung aufhören würde zu existieren, wenn von einem Tag auf den anderen Freiheit ohne jeden Zwang herrschen würde.

Es gäbe keinen Konflikt, wenn das Werk diese harsche Spielregel von Anfang an jedem mitteilt, der sich um die Aufnahme bewirbt. Da es aber von Anfang an Zwang gibt, kann die Institution auch niemals die Aufrichtigkeit aufbringen und so auch nicht erwarten, dass die Mitglieder in Freiheit ausharren.

Im Gegenteil, das Werk nimmt seine Zuflucht zum Zwang, der in der Nötigung zum Beitritt seinen Anfang genommen hat, oder zumindest in der Täuschung, wie wir in der Folge sehen werden.

a. Ursprung 

Jeder Zwang, mit dem man uns zu erpressen versucht, hat etwas, das uns gehört, und in dieser Usurpation beruht seine ganze Macht zu herrschen und zu drohen.

Im Fall des Werk handelt es sich um unsere Freiheit, die wir irrtümlich, wenn auch schuldlos dem Werk übertragen, denn wir glaubten, getäuscht wie wir waren, dass Gott diese Hingabe von uns verlangte, und weil das Werk einen beachtlichen Druck auf uns ausübte.

Wir gaben das hin, was wir niemals hingeben durften: unsere Selbstbestimmung. Ausgehend davon  hat das Werk die Kontrolle über unser Leben übernommen und begonnen eine unbeschränkte Hingabe von uns zu fordern, bis wir uns „völlig von uns selbst entblößt“ hatten.

Man muss sich selbst loswerden, sich zerstören, sich selbst vergessen; man muss es verstehen vor Gott zu verbrennen, aus Liebe zu den Menschen und aus Liuebe zu Gott, wie diese Kerzen, die vor dem Atar verbrennen, die sich verzehren, indem sie Licht geben, bis sie ganz vergangen sind“ (Vom Gründer, Betrachtung, 16-II-1964).

Unsere Lage war, von da an, immer schwächer und verwundbarer. Im Brief mit der Bitte um die Aufnahme liegt jeder künftige Zwang begründet; er ist der schriftliche Beweis unseres bedingungslosen „Ja“. Diesen Brief kann man niemals zurückbekommen, als hätte man ihn verkauft, das Werk wird ihn nicht mehr zurückgeben, er ist in sein Eigentum übergetreten, als wäre er der Besitztitel für die Person.

Ihrerseits hütet sich die Institution, igendetwas Schriftliches aus der Hand zu geben, das sie verpflichten würde. De Mitglieder besitzen nichts vom Werk, während dieses alles hat, und die, die gehen, gehen mit leeren Händen, ohne irgendeine Anerkennung von Seiten des Werks ganz im Gegenteil.

Die Bestätigug der Aufnahme wird nur mündlich erteilt, und die Mitglieder erhalten niemals irgendein Dokument, aus dem etwa ihre Rechte hervorgingen. Sie kennen nicht einmal die juristische Grundlage, nach der die Institution eingerichtet ist, denn ihre Satzungen sind in lateinischer Sprache geschrieben und dürfen nicht übersetzt werden.

Dieses Agieren im rechtsfreien Raum erleichtert erpresserische Manipulationen und macht jede Verteidigung unmöglich, und sie wird erleichtert durch die Gewalt der Direktoren, die die intimsten Dinge jedes einzelnen erfahren, während die einfachen Mitglieder in völliger Unkenntnis über die gehalten werden, die sie leiten.

Das Werk übt eine scharfe Kontrolle über das aus, was man wissen darf und was nicht. Diejenigen verheirateten Mitglieder, die das Werk verteidigen: Wissen sie, dass es Filme vom Gründer gibt, die sie nicht sehen dürfen, weil sie nur für Numerarier und Assoziierte bestimmt sind? Es gibt auch Film des Gründers, die nur diejenigen anschauen dürfen, die bereits die „Fidelitas“ gemacht haben, nicht einmal alle Numerarier und Assoziierte. Und vermutlich gibt es noch andere Filme, die noch restriktiver gehandhabt werden.

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Bei jedem Zwangsvorgang gibt bes immer eine „Hingabe“, die der erzwingt, der die Erpressung ausführt, aufgrund eines „Pfandes“, das er dem Opfer abgenommen hat und das er ihm zurückzugeben verspricht, im Tausch gegen ein „Lösegeld“.

Das Problem besteht darin, dass das Werk einem niemals das zurückgibt, was man ihm ausgehändigt hat (es war keine „Hingabe“, weil es aufgrund einer Täuschung geschehen ist: Das „Lösegeld“ kostet das ganze Leben, und am Ende bleibt man mittellos, zumindest innerhalb des Opus Dei.

Im Werk verlangen sie die ganze Hingabe (oder besser gesagt, die Hingabe von allem) und versprechen, wenn auch auf konfuse Weise, dass man dafür eine größere Freiheit bekommt (das berühmte „hundert zu eins“), berufliche Möglichkeiten, die Formung zu wahren Christen inmitten der Welt etc., immer und genau dan, wenn man die Treue, den Gehorsam, die Fügsamkeit lebt und alles Eigene aufgibt.

Die Idee, das Gundschema sieht so aus, dass die Person sich ganz aufgibt und dass das Werk diese Leere mit einem höheren Inhalt füllt. Das Problem besteht darin, dass man für eine unbestimmte Zeit völlig wehrlos ist, hingegeben in absolutem Vertrauen zum Werk und in höchstem Maß verwundbar – ein Mechansimus, der von Sekte angewendetv wird.

Manche Dinge kommen ganz langsam zurück, und bei anderen braucht man Jahre um draufzukommen, dass sie niemals zurückkommen werden, weder die Freiheit, die einem versprochen worden, noch die beruflichen Möglichkeiten etc.

Einige begnügen sich mit dem wenigen, das das Werk ihnen zurückgibt (Freiheit, etc.) und bleiben dort (sie wagen es nicht zu gehen), während andere es zurückzubekommen suchen, indem sie das wenige, was sie haben, nehmen und damit ein neues Leben anfangen, außerhalb des Werk.

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Das erste, was wir machen, ist eine Loslösung von allem, bis aufs Hemd“ (Vom Gründer, Instruktion, Mai 1935, 14. November 1950, Anm. 41).

Das Werk verlangt eine Enteignung seiner Mitglieder, eine Entblößung, die mit der affektierten, düsteren Aufmachung, mit der es sich jeden Augenblick präsentiert, in einem merkwürdigen Kontrast steht. Bei dieser Ungleichheit von Anfang an ist die Nüchternheit, die das Werk von seinen Mitgliedern verlangt, höchst verdächtig.

“Um zu dieser Loslösung zu gelangen, muss man darauf verzichten sich zu verteidigen, muss man aufhören, an die eigenen Rechte und an die eigenen Kriterien zu denken, man muss auf sich vergessen“

(„Betrachtungen“ I, S. 137).

In einem solchen Zustand äußerster Verletzbarkeit ist der leichteste Zwang bereits höchst wirksam. Die Wehrlosigkeit der Mitglieder erzeugt von selbst ein beständiges Umfeld von Erpressungen.

Diese Enteignung – die als „Pflicht“ dargestellt wird – schließt den Verzicht auf alle Rechte innerhalb des Werkes in sich, sodass alles, was das Werk gibt, immer als etwas Unverdientes, als „Geschenk“ erscheint, auf das man gar kein Anrecht hat  und das man „dank“ der Großzügigkeit des Werkes empfängt, dem man ja alles verdankt.

Dass es sich um ein unverdientes Geschenk handelt, bedeutet aber zugleich, dass man sich nicht beschweren kann. Die persönliche Freiheit gehört nicht der Person, sondern dem Werk.

„Unser Leben im Opus Dei ist ein Dienst, den wir gerne und ganz frei übernommen haben“, heißt es im Buch der „Betrachtungen“, eine Behauptung, die die Probleme nicht so darstellt, wie sie sind, und die keine Probleme aufwerfen würde, wenn es sich um eine Bedingung handelte (und außerdem ist es eine sehr eigenartige Form, das Gemeinte auszudrücken; besser wäre es zu sagen, „das Leben im Werk ist ein Dienst, der nur möglich ist, wenn er einer freien Entscheidung folgt“, und die Freiheit ist eine Mindesterfordernis und kein Anspruch, es muss immer ein Weg offebn bleiben zu gehen, und es darf keine Sackgasse ohne Ausweg sein).

Aber die Worte Escrivás sind nicht nur eine „Definition“, sondern auch ein „Gebot“. Der Text selbst geht so weiter: Edas Evangelium der heutigen Messe spricht von diesem Dienst, in dem wir keine Recht haben irgend etwas anderes zu verlangen als das Recht, weiter zu dienen. (…) Mit der Berufung haben sich die Rechte in Pflichten verwandelt, die Pflicht zu mehr Großzügigkeit, einer vollständigeren Hingabe, einer endgültigen Absage an das eigene Ich“ („Betrachtungen“ IV, S. 583. Anm. des Übersetzers: Es handelt sich dabei um das Evangelium vom Dienstag der 32. Woche im Jahreskreis, Lk 17,7-10: Wir sind unnütze Sklaven).

Es zahlt sich aus, einige wesentliche Widersprüche hervorzuheben: 1) Rechte können sich niemals in Pflichten verwandeln, das ist eine grundlegende juristische und ethische Frage; 2) wie kann jemand, der keine Rechte hat, etwas „ganz frei“ annehmen? 3) Die Anwendung der Lehre, dass sich Rechte in Pflichten verwandeln, bedeutet zuzustimmen, dass das Leben im Werk „ein Dienst, den wir gerne und ganz frei übernommen haben „ ist, oder anders gesagt: das Leben im Werk ist ein Dienst, der „sehr frei auf sich zu nehmen ist“, wo die Freiheit kein Recht, sondern eine Pflicht ist, keine Bedingung, sondern eine Erfordernis. Das ist absurd, mehr noch, es ist pervers.

Der Elativ „ganz frei“ bedeutet nicht nur, dass alle verfügbare Freiheit hinzugeben ist, sondern auch, dass man diese Behauptung nicht in Zweifel ziehen könne. Diese Lehre besagt aber nicht, dass die Menschen im Werk frei sind oder dass das Werk darauf achtet, dass sie es sein können – das heißt es nämlich dem Anschein nach zunächst – sondern dass sich die Freiheit „dem Dienst am Werk“ verfügbar machen muss, dass das Mitglied „verpflichtet ist, es frei zu akzeptieren“. Ein völlig verdrehter Ansatz, eine diktatorische Willkür. Es ist logisch, dass von daher Depressionen und Mangel an Selbstwertgefühl kommen.

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Deshalb schließt die Aufnahme ins Werk die Hingabe nicht ab, sondern, ganz im Gegenteil, beginnt mit ihr erst ein langer Prozess der Selbstaufgabe – das Werk will immer mehr – eine Selbstentäußerung der Person, bis man vollständig zum Eigentum des Werkes mutiert ist und sich die Institution unseres Seins bemächtigt. Hier endet dann auch jeder Zwang – er ist einfach nicht mehr nötig.

Wenn sich jemand nicht erpresst fühlt, dann vielleicht deshalb, weil er dem  Werk bereits vollständig ausgeliefert ist (man „gehört zum Werk“) und nicht mehr zwischen sich selbst und der Institution unterscheidet. Die Freiheit, ihr tiefstes inneres Wesen ist ihnen entfremdet. Das Werk hat es nicht mehr nötig, sie zu irgendetwas zu erpressen: die „vollkommene Hingabe“ ist Wirklichkeit geworden.

Einige konnten sich eine „Oase“ schaffen, einen Ort relativer Freiheit oder Autonomie innerhalb des Werkes, aber auch so müssen sie sich zu einem hohen Grad einem Zwang unterwerfen, auch wenn es ihnen subjektiv nicht so vorkommen mag. Es kann Ausnahmen, besondere Fälle geben; aber die Vorgangsweise des Werkes ist immer dieselbe. Sie entspricht seiner Struktur und seiner Doktrin.

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Wir haben dem Werk vertraut, unter anderem deshalb, weil es versprochen hat unsere Freiheit zu respektieren, aber dann haben wir gesehen, dass unser “Ja”, das in einem Zustand der Konfusion eingefordert worden war, uns zu Gefangenen des Werkes machte, das uns zu seinem Besten ausbeutete. Von daher rührt jeder erpresserische Zwang, dem wir unterliegen, bis wir freikommen, bis wir verstanden haben, was mit uns geschehen ist.

„Was für ein Schmerz, wenn ein Sohn Gottes es wagt, den Willen zurückzufordern, den er bereits im Dienste dieses Werkes hingegeben hat (…) wir sind gekommen, um das ganze Leben hinzugeben. Ehre, Geld, berufliches Fortkommen, Fähigkeiten, Einfluss in der Gesellschaft, Bande des Blutes, mit einem Wort, alles, was die Karriere eines reifen Menschen ausmachen kann, alles muss sich einem höheren Interesse unterwerfen – ja, unterwerfen“ (Vom Gründer, Brief vom 14.2.1974).

„Wer zum Werk Gottes kommt,. muss sich davon überzeugen, dass er kommt, um sich zu unterwerfen, um sich aufzugeben, nicht, um die eigenen Kriterien durchzusetzen“ (Vom Gründer, Instruktion, I-IV-1934, Nr. 17).

Das sind Texte, die man erst liest, wenn man einmal drinnen ist. Wenn sie das Werk zur Verfügung stellen würde, bevor man um die Aufnahme bittet, hätten wir uns nur schwerlich einem solchen Zwang unterworfen.

Um die eigene Freiheit zurückzuerhalten, muss man schriftlich um die Dispens bitten, wie jemand, der Lösegeld zahlt (in diesem Brief nimmt man, zumindest indirekt, die Schuld auf sich), um auf diese Weise wieder sein eigenes Leben in Besitz nehmen zu können.

Um es mit den Worten des Gründers zu sagen, „weil du Lust hattest ja zu sagen, hat das Werk numehr das „Recht“ und die Macht die Beharrlichekit seiner Mitglider durchzusetzen.

Wenn man sich am Anfang gedrängt fühlt, so ist und bleibt es dann bis zum Ende der Zwang, der das Leben im Werk bestimmt. Manchmal gelinde in den Formen, diplomatisch, wie es so die Art der Instititution  ist.

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Das Werk verlangt eine Enteignung seiner Mitglieder, eine Entblößung, die mit der affektierten, düsteren Aufmachung, mit der es sich jeden Augenblick präsentiert, in einem merkwürdigen Kontrast steht. Bei dieser Ungleichheit von Anfang an ist die Nüchternheit, die das Werk von seinen Mitgliedern verlangt, höchst verdächtig.

„Um zu dieser Loslösung zu gelangen, muss man darauf verzichten sich zu verteidigen, muss man aufhören, an die eigenen Rechte und an die eigenen Kriterien zu denken, man muss auf sich vergessen“ („Betrachtungen“ I, S. 137).

In einem solchen Zustand äußerster Verletzbarkeit ist der leichteste Zwang bereits höchst wirksam. Die Wehrlosigkeit der Mitglieder erzeugt von selbst ein beständiges Umfeld von Erpressungen.

Diese Enteignung, die als eine „Pflicht“ dargestellt wird, bedeutet auch den Verzicht auf jedes Recht innerhalb des Werkes, sodass alles, was das Werk gibt, immer als unverdient, als „Geschenk“ erscheint, worauf man keinerlei Recht hat, sondern das man „dank“ der Großzügigkeit der Gegenseite empfängt: Dem Werk „verdankt“ man  alles.

Wenn man nichts verdient, bedeutet das aber auch, dass man nichts zurückverlangen kann. Die persönliche Freiheit gehört einem nicht selbst, sondern dem Werk.

„Unser Leben im Opus Dei ist ein köstlicher Dienst, den wir ganz frei angenommen haben“, heißt es im Buch der Betrachtungen, eine Behauptung, die unproblematisch wäre, wenn es sich um eine „Bedingung“ handelte. (Es wäre dennoch eine seltsame Art sich auszudrücken, aber bitte; besser noch wäre ein Ausdruck wie „Das Leben im Werk ist ein Dienst, der nur dann möglich ist, wenn er einer freien Entscheidung folgt“, wobei die Freiheit allerdings eine Mindestanforderung ist und nicht ein Anspruch; es muss immer der Ausgang offen bleiben, und es darf keine Sackgasse ohne Ausgang sein).

Aber es ist zugleich eine „Definition“ und ein Befehl. Derselbe Text geht weiter: (…) Das Evangelium der heutigen Messe spricht von diesem Dienst, in dem kein Recht haben irgendetwas anderes zu verlangen als weiterhin zu dienen. (…) Mit diesem Ausruf haben sich die Rechte in die Pflicht zu größerer Großzügigkeit, zu einer vollständigeren Hingabe, zu einem endgültigen Verzicht auf das eigene Ich verwandelt“ („Betrachtungen“ IV, S. 583).

Es zahlt sich aus, einmal einige wichtige Widersprüche aufzudecken: 1) Rechte können sich niemals in Pflichten verwandeln, das ist juristisch und ethisch gesehen einmal etwas Grundsätzliches;

2) wenn jemand überhaupt keine Rechte hat, wie kann er dann „ganz frei“ etwas annehmen?;

3) das Bestreben der Lehre, die Rechte in Pflichten verwandelt, bedeutet anzunehmen, dass das das Leben im Werk „ein köstlicher Dienst ist, den wir ganz frei angenommen haben“, wobei das Wort „ist“ soviel bedeuten soll wie „soll sein“, oder, anders gesagt: Das Leben im Werk „soll“ ein Dienst sein, den wir ganz frei angenommen haben; die Freiheit ist dann kein „Recht“ mehr, keine Bedingung, sondern eine Forderung. Das ist absurd, mehr noch, eine Perversion. Der Superlativ „ganz frei“ (span. „libérrimamente“) bedeutet nicht nur eine völlige Hingabe der Freiheit, sondern sagt auch aus, dass diese Freiheit eine völlige Unmöglichkeit ist.

Diese Lehre sagt nicht,  dass die Menschen im Werk frei sind oder dass das Werk darauf achtet, dass sie es sind – so sieht es nur auf den ersten Blick aus, wenn man flüchtig hinsieht. Es heißt vielmehr, dass sich die Freiheit dem Dienst am Werk „unterwirft“, und das ist eine Verpflichtung, „die man frei übernehmen muss“. Was für eine verquere Auffassung der Dinge, was für eine diktatorische Verfügung! Es ist da nur logisch, dass unter den Betroffenenen Depressionen und Minderwertigkeitskomplexe grassieren.

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Deshalb hört mit der Aufnahme ins Werk auch nicht alles auf, sondern im Gegenteil, es beginnt ein langer Prozess der „Hingabe“ – das Werk verlangt immer noch mehr – und die Person entäußert sich immer mehr, bis man ganz zum Eigentum desWerkes geworden ist, die Institution sich der eigenen Existenz bemächtigt und der Zwang dann seine höchste Ausprägung erreicht, wenn er nicht mehr notwendig ist.

Wer nicht den Eindruck hat, unter Zwang zu stehen, ist vom Werk schon so vollkommen vereinnahmt (er „gehört“ zum Werk), dass er möglicherweise keinen Unterschied mehr zwischen sich und der Institution sieht. Er hat seine Freiheit, sein tiefstes Wesen entäußert. Das Werk muss ihn zu nichts mehr zwingen; er hat bereits den Grad der „vollkommenen Hingabe“ erreicht.

Einige mögen ihre „Oase“ gefunden haben, sich innerhalb des Werkes eine gewisse Freiheit oder Autonomie erschlichen haben, aber auch sie unterliegen einer Nötigung, auch wenn sie es nicht so empfinden mögen. Es kann Ausnahmen geben, besondere Fälle, aber die Art und Weise, wie das Werk vorgeht, ist einzigartig und immer dieselbe und liegt in seiner Struktur und Lehre bedingt.

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Wir haben dem Werk vertraut, unter anderem deshalb, weil es versprochen hat unsere Freiheit zu respektieren, aber dann haben wir gesehen, dass unser “Ja”, das in einem Zustand der Konfusion eingefordert worden war, uns zu Gefangenen des Werkes machte, das uns zu seinem Besten ausbeutete. Damit begann ein Prozess der Nötigung, der bis zu unserer Befreiung anhielt, als wir nämlich langsam zu verstehen begannen, wie uns geschehen war.

Was für ein Schmerz, wenn ein Sohn Gottes sich erkühnt seinen freien Willen zurückzufordern, den er bereits am Dienst im Werk hingegeben hatte (…) wir sind gekommen, um uns hinzugeben, das ganze Leben. Ehre, Geld, beruflicher Erfolg, Fähigkeiten, gesellschaftlicher Einfluss, die Bindungen der Familie, mit einem Wort, alles, was einem reifen Menschen etwas bedeutet, muss sich unterwerfen – einem höheren Zweck (Vom Gründer, Brief, 14-II-1974).

Wer zum Werk Gottes kommt, muss davon übezeugt sein, dass er kommt um sich zu unterwerfen, sich zu vernichten, seine persönlichen Kriterien durchzusetzen (Vom Gründer, Instruktion, I-IV-1934, Nr. 17).

Das sind Texte, die man erst zu lesen bekommt, wenn man bereits drinnen ist. Wenn sie das Werk denen zugängig machen würde, die sich erst um die Aufnahme bewerben, würden sie Opfer einer Nötigung, wie wir sie erlebt haben.

Um die eigene Freiheit zurückzugewinnen, muss man schriftlich um Dispens bitten, als würde man ein Lösegeld bezahlen, weil man sich in diesem Brief (zumindest indirekt) selbst beschuldigen muss.

Mit den Worten des Gründers „weil es uns passt“, ja zu sagen, maßt sich das Werk danach das „Recht“ und die Macht an, das Verbleiben seiner Mitglieder einzufordern.

Wenn am Anfang Zwang ausgeübt wurde, so ist es hernach die Nötigung, die das Leben im Werk bis zum Ende begleitet, vielleicht in annehmbarer Form, mit viel Diplomatie, wie es die Institution beherrscht [Anm.: oder beherrscht hat, vgl. die Ausführungen Escribas.]

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Wir sind ganz frei, und ihr habt das Recht zu denken und zu handeln, ganz wie es euch passt“ (Vom Gründer, Betrachtungen V, S. 462).

Im  Werk gibt es den Zwang, Dinge zu behaupten, die sich auf keine Weise belegen lassen (die man aber glauben muss, als wären sie das Ergebnis einer Offenbarung) oder die sich tatsächlich als vollkommen falsch herausstellen: auf dem Gebiet der persönlichen Freiheit, des Berufs, der Säkularität etc.

Wenn irgendjemand zur Verteidigung seiner Rechte die oben zitierten Worte des Gründers einem Direktor im Werk präsentieren wollte, würde ihm dieser den „Zusammenhang“ erklären, in dem sie gesagt worden seien und der sie dann völlig entwertet. Sie dienen zu nichts; wenn der Gründer aber andererseits gesagt hat, man müsse „gehorchen oder gehen“, so haben diese Worte eine absolute Gültigkeit. Er hat falsche, wertlose Worte gesprochen, aber auch „wirksame“, heilige, denen nicht widersprochen werden darf.

Das Werk gewährt eine Reihe von Grundlagen, von denen aber nichts übrigbleibt. Das ist sehr schön durch die Phrase Ausgedrückt: „conceder sin ceder con ánimo de recuperar“, „Zugeständnisse machen, ohne (wirklich) nachzugeben, mit der Absicht das verlorene Terrain wiederzugewinnen“ - es sind dies Worte des Gründers, und man kann sie als Beispiele für alle Arten von hier geübtem  Betrug auffassen. In der Institution leben die Gegensätze friedlich nebeneinander; die Mitglieder sind zwar ganz frei, aber man droht ihnen mit dem Abgrund und dem Tod, wenn sie sich nicht unterwerfen, Argumente, mit denen die Direktoren  ihre Form der Erpressung ausüben. Tatsächlich handelt es sich um einen vorsätzlichen Betrug: Die Freiheit ist der Köder, der auf den Angelhaken des Zwangs gehängt wird.

Die Drohung wird nicht ständig wiederholt – das hätte eine negative Wirkung – sondern wenn es „notwendig“ ist. Das Gewöhnliche ist eine Atmosphäre des Vertrauens, die die Direktoren mit Argumenten absichern (dem Köder!), die sehr positiv und poetisch klingen („der Gehorsam ist die Verwirklichung der Freiheit“, zum Beispiel), und erst nach langer Zeit, wenn alles nichts nützt, hört man, dass man „gehorchen oder gehen“ kann, und zwar nicht irgendwohin, sondern in den Abgrund, in den Tod, wie der Gründer gesagt hat. Das geschieht dann, wenn man innewird, dass man am Haken hängt und sich nicht ohne tiefe Wunde loszureißen vermag.

Wenn das Werk nicht anfangs mit dem Versprechen der Freiheit lockte, würde es keine Kandidaten für eine „frohe, lächelnde Hingabe“ finden, die eingefordert wird, wenn man erst einmal drinnen ist.

b. Die Gründungsdoktrin

Das alarmierende an der Nötigung ist, dass sie viele dazu treibt im Werk zu verharren. Die Direktoren glauben tatsächlich, dass sie einen solchen Zwang ausüben dürften, weil ihnen ihr Gründer hierin das erste Beispiel gegeben hat. Wenn es „heiligen Zwang“ beizutreten gibt, warum sollte es keine „Lehre der Nötigung zum Bleiben“ geben? Die „Lehre von der Nötigung“ hat der Gründer selbst auf wunderbare Weise zusammengefasst, indem er „im Guten“ sagte: „Mein Sohn, überzeuge dich einmal für immer, dass das Verlassen des Bootes [des Werkes] den Tod bedeutet. Und um im Boot bleiben zu können, muss man sein Urteil aufgeben. Das ist die Arbeit, die die Demut notwendigerweise verrichten muss: sich hingeben, sich verbrennen, sich zu einem Ganzopfer zu machen“ (Betrachtung „Zur Ehre Gottes leben“, 1972). Und wenn der Gründer das gesagt hat, dann gehört es zum „Gründungscharisma“. „Wenn eine Seele unter besonderes Umständen einmal sozusagen eine Arznei braucht, mehr Pflege, wenn sie rasche einen geeigneten Rat nötig hat, eine intensivere geistliche Führung, so darf sie diese nicht außerhalb des Werkes suchen. Wer anders handelte, würde den guten Weg verlassen und auf den Abgrund zugehen“ (Brief, 28-III-1955, Nr. 19).

Die Wahrheit ist: Wenn ich die Lage, heute und von außen, betrachte, kann ich nicht erkennen, worin der Vorteil oder die Wohltat bestehen sollte zwischen dem Tod und dem Verbrennungsopfer zu wählen: Der Tod wäre vermutlich das Visum in die Hölle und die Selbstverbrennung nötig, um in den Himmel zu gelangen, eine perverse Nötigung, mit der uns das Werk zurückhalten  möchte.

c. Die Bedrohung durch den Abgrund

Das Werk droht mit einem moralisch-religiösen Abgrund; daneben gibt es aber noch einen zweiten, den man erst uim Lauf der Zeit wahrnimmt. Über diesen Abgrund sagt das Werk nichts, denn er würde zeigen, dass etwas mit den zentralen Prinzipien der Berufung nicht stimmt.

Dieser Abgrund ist der Abstand zwischen einem normalen Leben und dem, das man 30, 40 oder 50 Jahre im Werk lebt und das einen, wenn man geht, zwingen würde ganz von vorne anzufangen. Das ist eines der stärksten Argumente, das Werk nicht zu verlassen.

Für die Jüngeren ist der religiöse Abgrund vermutlich das größere Problem, weil sie das Werk idealisieren und an seinen Gründer glauben, während die Älteren den existentiellen, ganz konkreten Abgrund vor Augen haben – sie werden kaum noch die Chance haben, neu zu beginnen, auch wenn sie nicht mehr an die eisernen Drohungen des Gründers glauben mögen, den ihre Lebenserfahrung hat dessen Visionen längst widerlegt. Wenn der Ausstieg aus dem Werk bedeutet, in einen „echten“ Abgund zu stürzen, der das Leben von einem Augenblick zum, anderen vollkommen verändert, dann ist der Ausschluss aus dem Werk vermutlich etwas noch viel Schlimmeres, den  man hat den Bruch nicht vorhergesehen und nicht geplant, und man muss ein völlig neues Leben beginnen, auf das man in keiner Weise vorbereitet war. So betrügt das Werk, wie wir noch sehen werden. Diese Vorgangsweise des Werkes bedeutet, zusammen mit einigen anderen, eine massive Ungerechtigkeit, für die es noch einmal bezahlen sollte, wenn der Tag der Abrechung gekommen ist. Bis dato hat die Kirche noch keine Miene gemacht, sich um diese Misslichkeiten zu kümmern, im Gegenteil, sie hat das  Werk auf eine Weise unterstützt, die viele als Skandal empfinden.

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Keine Nötigung geht gut aus (und noch weniger kann  sie einen ehrenhaften Ursprung haben...). Deshalb sind die Tage im Werk grundsätzlich schon gezählt (vgl. los días contados). Man kann länger in ihm verweilen, weil man den Wunsch hat treu zu sein, und einige haben ihre Freiheit an die Institution verkauft, werfen keinen Blick zurück und  bleiben für immer). Ich schließe dabei gar nicht aus, dass viele mit dem guten Willen bleiben, das Werk zu reformieren, aber sie bleiben unterworfen, und alles andere bleibt beim Alten.

Am beunruhigendsten an dieser „Gründungslehre“ ist, dass sie verdammt und vorverurteilt. Es geht nicht nur um einen kategorischen Verdacht, es gibt nicht einmal Raum für eine Verteidigung. Sie lässt ein Grundprinzip außer Acht, nämlich dass grundsätzlich einmal der gute Wille der Menschen vorauszusetzen ist, vor allem wenn es sich um Personen handelt, die seit längerer oder kürzerer Zeit ihr Leben Gott hingegeben haben.

Umgekehrt, und das sticht besonders ins Auge, fordern dieselben Leiter für sich die Unschuldsvermutung ein: [im Werk] leben die Mitglieder frei wie die Vögel, inmitten aller menschlicher Aktivitäten, ohne von irgendeiner Seite von denen, die sie leiten, gedrängt zu werden (Vom Gründer, Instruktion, 8-XII-1941, Nr. 99). Das Werk verkündet allerdings nicht nur seine Unfehlbarkeit, sondern auch, dass seine Lesart der Wirklichkeit die einzig wahre ist: Wir binden uns aus Liebe zur Freiheit. Lediglich der Stolz legt dieser Bindung das Gewicht einer Kette bei (Vom Gründer, Betrachtungen II, S. 700).

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Wenn man in Rechnung stellt, dass es im Werk keine Freiheit gibt, scheint es mir sehr schwierig, über die Beharrlichkeit in ihm zu sprechen ohne an eine starke Dosis von Nötigung zu sprechen. Selbst diejenigen, die positiv motiviert sind zu bleiben und das fortzusetzen, was sie für ihre Berufung halten, sind einer Nötigung ausgesetzt, die teilweise noch schlimmer ist: Sie fühlen sich tatsächlich von Gott berufen, und das Werk nutzte – und nutzt – das als Argument um sie zu verpflichtet, den Weg weiterzugehen den sie auf sich genommen haben, indem es mit der Verlust der ewigen Glückseligkeit droht – und das ist eine echte Nötigung.

Nicht selten habe ich Anekdoten aus dem Collegium Romanum gehört, einem Ort, an den niemand zurückkehren will, weil man hier die Erfahrung gemacht hat, seine Freiheit restlos eingebüßt zu haben. Wie viele sind nur wegen dieses „heiligen Zwanges“ viele Jahre in der Institution verblieben? Wie viele haben ihren Austritt hinausgezögert, weil sie in den Mechanismus der Nötigung hineingeraten sind (und sich dessen oft nicht einmal bewusst werden, weil alles unter falscher Bezeichnung verhandelt wird)? War etwa die Nötigung unserer Freunde im Apostolat etwa nicht das Ergebnis des Zwangs, den die Direktoren uns gegenüber ausgeübt haben? Es war eine ganze Kettenreaktion unterirdischer Nötigung, maskiert von einigen Idealen, die sich nie verwirklichten.

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Im Werk lebt man in einem Zustand ständiger Nötigung, sie wird „zur zweiten Natur“, und man nimmt sie auch als etwas Gegebenes wahr. Mehr noch: Man engagiert sich in vielen Dingen, die das Werk verlangt, um dem Zwang auszuweichen.

Nicht wenige im Werk dürften sagen, dass sie sich keineswegs genötigt fühlen, und das ist auch wahrscheinlich so. Aber dass sie keinen Zwang „fühlen“, heißt nicht, dass sie ihn nicht spüren.

Sanftmut und Unterwerfung werden auf eine Weise realisiert, dass man sich dem zwingenden Willen des Werkes kaum entgegenstellen kann. Der Druck wird ständig ausgeübt, aber man sieht und spürt ihn  selten, denn man will um jeden Preis seine Konsequenzen vermeiden.

Wenn allerdings äußere Umstände den Anforderungen, die das Werk stellt, Grenzen setzt, fühlen viele eine uneingestandene Erleichterung und Befreiung. Es ist beispielsweise bezeichnend, wenn es, wie mir ein Freund angedeutet hat, die Mitglieder des Werkes als „Glück“ empfinden, wenn es einen Grund oder eine Entschudiguung gibt, den monatlichen Einkehrtag nicht machen zu müssen oder die Zahl der jährlichen Besinnungstage abzukürzen, nachdem alle Mitglieder „verpflichtet“ sind, eine Reihe von Praktiken durchzuführen, denen sie nicht ausweichen können, es sei denn aufgrund „schwerwiegender Gründe“. Ob der monatliche Einkehrtag dem eigenen Innenleben weiterhilft oder nicht, ist von weniger Interesse (da es keine Freiheit gibt, pervertiert sich der geistliche Sinn dieser Übungen). Wichtig ist es, sie zu „erfüllen“. Es gibt ein eigenes Corpus Iuris, was innerhalb des Werkes „angebracht“ ist und was nicht, auch wenn mehr als einer keine Lust hat sich daran zu erinnern.

Generell wird der Zwang im Werk sehr subtil ausgeübt, andererseits feht es auch nicht an Gewalt. „Ein „Bitte“, und wir stürzen uns auf das Befohlene. Unser stärkster Befehl ist eine Bitte“ (Vom Gründer, in „Crónica” VII-1966, S. 58). Sicher ist, dass einen jedes Nein dem Ausgang näherbringt.

Wenn jemand diese Normen nicht erfüllt, macht er die Erfahrung, dass auf ihn Druck ausgeübt wird, und deshalb beeilt er sich sie zu erfüllen. Ein grundlegender Bestandteil der Nötigung ist es abzustreiten, dass sie überhaupt existiert; und deshalb wiederholte der Gründer auch ständig, dass wir „sehr frei“ wären.

Es handelt sich nicht um eine legitime „Aufforderung“ durch eine Autorität: Es handelt sich um, eine vollständige Unterwerfung. Bei einer Aufforderung gibt es immer noch eine gewisse Angemessenheit und gerechtfertigte Gründe; die Nötigung hingegen ist absolut und nicht zu rechtfertigen, alles oder nichts, Leben oder Tod. Außerdem ist die Nötigung immer von einer unrechtmäßigen Aneignung begleitet; in diesem Fall wird die Zustimmung des Zuhörers erschlichen.

d. Bildung und Nötigung

Einer der Aspekte, an denen man die Nötigung wahrnimmt, ist die Art, wie Bildung erteilt wird, nämlich durch Deformation der Wahrheit und des Gewissens, weil man gezwungen ist das eine zu sagen und das andere zu denken, bzw. dass man sich gezwungen sieht ohne Widerrede oder auch Alternative eine gebieterische Predigt anzuhören.

Wenn der Gründer, wie oben zitiert, sagt „überzeuge dich davon“ – man könnte es auch widergeben als „lerne es, diese Überzeugung als die eigene auszugeben“oder „wage es ja nicht, mir zu widersprechen“, dann wird die Selbstdisziplinierung als Methode gelehrt. „Überzuege dich“ heißt, „zwing mich nicht, dass ich es dir klarmachen muss“. Dieser drohende Subtext ist keine willkürliche Interpretation: Es genügt zu lesen, welche Ausdrücke diese „Überzeugung“ begleiten: Tod und Brandopfer.

„Wenn du dir im Lauf des Tages niedergeschlagen, vielleicht erniedrigt vorkommst, so vergiss nicht, dass der Hochmut der schlimmste fomes peccati [Zündstoff, also Auslöser, für die Sünde] ist—; wenn du den Eindruck hast, dass dein  Kriterium das treffende ist: Wenn du immerzu an dich, dich, dich, an deine, deine Angelegeheiten denkst, so ist das sehr schlecht. Du schlägst deine eigene Zeit mit diesen Überlegung tot und du zwingst uns dazu, deinen Egoismus zu töten“ (Vom Gründer, Betrachtung, 9-I-1956). Welche Liebe zum Dialog und zur Toleranz, welche Friedfertigkeit spricht aus diesen Worten!

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Es geht dann nicht mehr darum, dass jemand uns von außen unter Druck setzt, denn wir haben diese Nötigung schon längst verinnerlicht. Diese „Leitungsaufgabe“ wurde delegiert; der Effekt ist, dass die zwanghafte Struktur des Werkes unsichtbar bleibt. Es ist ein ganz ähnlicher Effekt wie bei der wöchentlichen Geißelung; wir nehmen selbst die Peitsche in die Hand, und züchtigen uns, und ebenso hat uns der Gründer gelehrt unserem Gewissen Gewalt anzutun, wenn wir daran denken mit welcher Gefahr es verbunden ist, aus dem Werk auszutreten: „Überzeuge dich davon“. Der Gründer wollte, dass wir die Drohung in unser eigenes Gewissen einpflanzen, um uns jeden Moment daran zu erinnern. Und so haben wir eine ganze Reihe toxischer Stoffe aufgenommen, „verinnerlicht“.  Jetzt müssen wir sie wieder abstoßen.

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Die Phrase „überzeuge dich davon“ ist eine Chiffre dafür, wie den Mitgliedern im Werk die Freiheit generell abgestritten wird. Sie können nichts Unvollkommenes am, Werk entdecken, wenn sie dabei bleiben und durchhalten wollen. „Überzeuge dich davon“ – unter Todesstrafe. Im Werk wird die innere Freiheit ernsthaft entfremdet, weil das unbefangene Denken nicht zugelassen ist. Ich gebe ein Beispiel: „Wenn wir sprechen, kann nichts passieren“ (Vom Gründer, Betrachtung „Der Likör der Weisheit“, Juni 1972). Das ist die Lehre, die wir wiederkäuen und als geoffenbarte Wahrheit glauben mussten, auch wenn wir in Wirklichkeit genau wussten, dass „etwas passieren könnte, wenn wir reden“, und wir wussten, dass keinesfalls „nichts passieren wird“.  Wir konnten aber nichts wirklich aussprechen oder in Frage stellen, und somit waren unsere Tage im Werk von Anfang an gezählt.

Wenn der Gründer davon sprach, dass „im Opus Dei niemand zu etwas gezwungen wird“, handelt es sich nicht nur um eine einfache Behauptung: Es ist ein Befehl. Man musste das glauben und durfte nicht widersprechen.

Er hatte ja auch Recht; er sprach ja gar nicht von der Freiheit, sondern davon, dass es verboten sei, an die Möglichkeit zu denken, es könne Zwang ausgeübt werden. Es leugnete gar nicht, dass es keine Freiheit gab; er verbot nur, dies zu erwähnen.

Es gehörte zur Nötigung dazu, dass wir von unserer Seite aus den Widerspruch innerhalb des Werkes und seines Gründers übersahen, falls wir dem „göttlichen Ruf“ treu bleiben und „an Gott keinen Verrat üben wollten“.

Wir mussten also glauben und uns mit den Widersprüchlichkeiten seiner Worte belasten, um den unausgesprochenen Zusammenhang herzustellen, den sie verhüllten: „Seid euch dessen sehr bewusst: Unsere Beharrlichkeit ist die Frucht unserer Freiheit, unserer Hingabe, unserer Liebe, und sie erfordert eine vollkommene Hingabe. Innerhalb des Bootes [des Werkes] können wir nicht das tun, worauf wir gerade Lust habe.“ Hier ist die Reihenfolge ganz klar: Wir mussten glauben, dass wir frei waren, und durften nur das machen, was er uns sagte. Das war die bestehende Ordnung, und sie hatte überhaupt nichts damit zu tun, ob wir frei waren oder nicht. Wir sprachen nicht über uns, wir sagten, was man von uns hören wollte.

Diese „unaussprechliche Kohärenz“ rührt daher, dass der Gehorsam weit über jedem Recht oder irgendeiner Freiheit steht, so sehr, dass man aus Gehorsam behauptet, eine Freiheit zu haben, die man nicht hat, und viele andere Dinge.

Im Werk ist die Wahrheit das Ergebnis des Gehorsams. Deshalb hat „lügen“ weniger damit zu tun, dass man das Gegenteil dessen sagt, „was man weiß, glaubt oder denkt“ (so die Definition), sondern ob es dem Gehorsam entspricht. Die Lüge ist ein legitimes Mittel, falls sie dem Gehorsam dient.

Deshalb muss man sich bei den Schriften des Gründers – und bei der ganzen Ideologie des Werkes – fragen, worauf sich die Aussage bezieht, und man darf keineswegs bei der wörtlichen Aussage stehen bleiben. Wichtig ist nicht so sehr, was gesagt wird, sondern was daraus folgen soll, wie es die Handlungen der Menschen beeinflusst. Wenn man beim Wortsinn des Diskurses im Werk bleibt, gelangt man nirgendwohin, es ist ein ungeheurer Verschleiss an Denkaufwand, und wir kommen nicht an den Kern des Problems, nämlich an die „unaussprechliche Kohärenz“.

Im Geist des Gründers waren die Gedanken kohärent; er gab Befehle, die einander ergänzten. Uns erscheinen sie widersprüchlich, und ihre mangelnde Kohärenz hat unsere psychische und moralische Integrität in beständige Gefahr gebracht.

Heute folgt das Werk eben dem Weg, den ihm sein Gründer gewiesen hat. Es hat es so geformt, indem er es aufgespalten hat.

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Auch das Fehlen von Brüderlichkeit im Werk ist Folge der Nötigung, denn die Institution verbietet strikt die Freundschaft unter Mitgliedern, außer der „offiziellen Freundschaft“; das erzeugt einen großen Individualismus. Die „wunderbare Einheit im Werk ist das paradoxe Produkt einer Aufspaltung der Mitglieder, die nur mehr eine Freundschaft kennen dürfen, nämlich die zu der Institution, der sie angehören. Es darf aber keinerlei Solidaritätsgefühl geben, weil der „Bruder“ ja auch jederzeit mit der Institution in Konflikt geraten könnte. Die hierarchische Ordnung ist absolut.

Die „wilde Aufrichtigkeit“, die das Werk von uns verlangt, wäre ohne diese Unterwerfung unmöglich; wir haben wirklich geglaubt, das Werk habe die Gewalt, über unser Leben zu verfügen. Denn wären wir uns unserer Rechte bewusst gewesen, hätten wir unser Gewissen niemals auf diese Weise knechten lassen.

e. Arten der Verkündigung

Es ist sehr kennzeichnend, wie der Gründer predigte; er nahm immer schon die Zustimmung seiner Untergebenen vorweg, ohne dass sie auch nur den Mund aufmachen konnten. Es nahm die Freiheit, wie es ja grundsätzlich in Ordnung wäre, als Rechtfertigung für die Unterwerfung. Wenn es der Gründer allerdings für notwendig hielt, verwendete er eine gewalttätige, einschüchternde Sprache:

Die ständige Erinnerung daran, dass es einem „passt“ und dass man ohnehin dem eigenen Willen folgt, ist, zusammen mit dem Zwang, der ausgeübt wird, die Legitimierung für die Unterwerfung, die er mit seiner Predigt durchsetzen will. Er nötigt mit der Berufung auf eine Zustimmung, die in der Mehrzahl der Fälle gar nicht explizit gegeben wird.

f. Im Namen Gottes

Es ist schrecklich zu denken, dass diese Vorgangsgweise der Direktoren auf irgendeine Art legitim sein könnte. Aber wenn man an eine solche Legitimität nicht glaubte, würde sich niemand drängen, es würde sich auch beispielsweise niemand schämen, wenn er das Werk verlassen will, sondern erhobenen Hauptes im hellen Tageslicht davongehen. Und was würde dann geschehen?

Im Werk beruft man sich ständig darauf, dass es „Gott ist, der ruft“ (da kann man dann natürlich schwer nein sagen), und so scheint es auch dann so zu sein, dass es Gott ist, der nötigt. Einer solchen Autorität kann man schwer widerstehen. Wenn es Gott ist, der „ruft und drängt“ kann man sich weder gegen den Eintritt wehren noch an einen Austritt denken. Zwang ist immer schlecht, aber wenn Gott so handelt, ist es gut. Nötigung ist schlecht, aber wenn Gott nötigt, ist es gut. Betrug ist schlecht, aber wenn Gott betrügt, ist es gut. Das ist die Idee, die hinter dem „heiligen Zwang“ und anderen Sprachneuschöpfungen stehen.

Entscheidend ist allerdings, sich klarzumachen, dass eine solche Vorgangsweise nicht dem Wesen Gottes entspricht.

Im Werk wird alles durch den Gebrauch des Namens Gottes gerechtfertigt, vom Namen der Institution bis hin zu Details der Leitungspraxis. Gott wird dazu missbraucht, das Menschliche zu verhüllen, um über die Gewissen herrschen zu können, die solchen Argumenten gegenüber hilflos sind.

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Das Werk charakterisiert sich durch das Stillschweigen – nach innen und nach außen. Die draußen sollen nichts erfahren, die drinnen nichts reden. Der letzte Zwang, den das Werk ausübt, besteht in der Notwendigkeit, die Dispens zu erbitten; dieses „Lösegeld“ muss man bezahlen, um endlich die Freiheit zu erlangen. Das Werk gibt nichts von dem zurück, was es einmal erhalten hat (den Brief mit der Bitte um die Aufnahme etwa), sondern es verlangt noch einmal etwas Schriftliches. Ich habe meine starken Zweifel daran, dass eine solche Dispens notwendig, gültig und legitim sein soll.

Dieser letzte Zwang hilft, den Austretenden ruhigzustellen: Das Werk gewährt die Dispens von einem zwanghaften Leben gemäß der „Berufung“, es erlaubt aber nicht, dass man offen über das spricht, was man im Werk erlebt hat – die Freiheit sollte man ja eigentlich auch haben, wenn man noch dabei ist! Denn wer schlecht über das Werk redet, verdient die Strafe ewiger Verdammung (und diejenigen wiederholen das, die eschatologische Drohungen gegen diese Homepage austoßen). Viele von uns erstickten in diesem Schweigen.

Der heilige Verrat

Manchmal wird das Werk „sanft“ und lässt in seinem Druck nach, verlängert die Leine und sieht, ob das Ergebnis erwünscht ist. Es gibt sich „mütterlich“, um das Vertrauen des „rebellierenden“ Mitglieds zurückzugewinnen. Das dauert aber nur einen Augenblick, dann beginnen wieder die Repressionen anzulaufen. Die Nötigung beginnt immer mit einem „liebenswürdigen Gesichtsausdruck“, um die völlige „Bekehrung“ der Mitglieder im „Werk“ zu erreichen.

Aber der „heilige Zwang“ funktioniert nicht in allen Fällen, entweder weil das betreffende Mitglied sich wehrt oder weil das Opfer nicht daran glaubt, dass die Direktoren diese angebliche übernatürliche Befugnis, die von Gott kommt, besitzen, auf sie sie sich berufen, wenn sie Druck ausüben. Und das ist dann ein großes Problem für die Direktoren, weil das Hauptwerkzeug, das der Kontrolle der Mitglieder dient, in diesem Fall nicht mehr greift. Die Direktoren verlieren an Macht und Einfluss, etwas, was sie nicht zulassen können. Wenn man den Trick einmal kennt, ist der Zauber dahin; und wenn diese Magie der Nötigung einmal dahin ist, schaltet man eine Stufe weiter.

Nun greift man zum „Verrat“, wenn die Direktoren hinter dem Rücken ihres Opfers Maßnahmen vorbereiten, um es loszuwerden (das ist der Fall, den R. in Despedida? beschrieben hat, oder bei einer weiteren Affäre in den USA; ich weiß von mehr Fällen, die mit Nötigung begannen und mit Verrat endeten.

Und das tun sie ohne das geringste Schuldgefühl. Ich habe es tatsächlich niemals erlebt, dass das Werk als solches irgendeine Schuld zugegeben hätte; gegen ein solches Gefühl ist es immun.

Das Werk benutzt Gott als Garantie: Er ist für das Werk verantwortlich und für alles, was es sagt und tut, denn „das Werk ist von Gott“. Deshalb ist auch das Wort der Direktoren „heilig“, und wer gehorcht, „irrt sich niemals“.

Dieses Argument macht es möglich, dass man viele Dinge innerhalb der Prälatur erträgt, die ohne diese Bürgschaft ein Gegenstand ernster Einwände wären (so allerdings sieht man die Depressionen als „Zeichen göttlicher Auserwähltheit“, statt sie als eine logische Folge des Lebens im Werk wahrzunehmen, etc.).

Das Problem ist jetzt aber, dass diese „Garantie“ nur eine Erfindung des Werkes war und dass es deshalb auch keine wirkliche Garantie gibt. Wenn das Werk aus dem eigenen Leben verschwindet, entsteht ein schmerzliches Vakuum, denn es wird offenkundig, dass es niemals ein solches „göttliches“ Werk gegeben hat und dass Gott einen solchen Betrug nicht unterstützen kann. Wem gegenüber könnte man also reklamieren?

Es ist verständlich, dass mehr als ein Mitglied noch immer an die Übernatürlichkeit des Werkes glaubt, denn andernfalls müsste man das Gefühl haben, ins Leere zu fallen, denn es gibt das nicht mehr, wofür man gelebt und gelitten hat. Das Gefährliche an dieser Haltung ist allerdings die Tatsache, dass das Werk die ganze Zeit mit solchen Illusionen anderer spielt, indem es sie in dem Glauben belässt  und sie in die Falle laufen lässt. Die Gefahr ist sehr groß, erneut hineinzutappen.

Ich denke es ist besser, die Fakten hinzunehmen und alle Hoffnungen, die man auf das Werk gesetzt haben mag, aufzugeben. Die Rettung muss jetzt von woanders kommen.

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Es ist interessant, dass man im Werk immer sofort von Verrat spricht, wenn jemand die Institution verlässt, besonders wenn das überraschend geschieht. Das macht sie wütend, vor allem vielleicht weil sie es für ihr ureigenstes Vorrecht gehalten haben, das Band zu brechen, und dass dieses Recht ihnen damit genommen wird. Es handelte sich aber, zumindest in den Fällen, die ich mitverfolgen konnte, keinefalls um „Verrat“, sondern die Betroffenen versuchten möglichst schnell aus der für sie unerquicklich gewordenen Situation zu flüchten. Der „Verrat“ wurde bestenfalls vorweggenommen, und sie entkamen den Klauen der Direktoren, die sich ihrer schon sicher zu sein glaubten.

Wer so geht, ist den Direktoren auf zweifache Weise zuvorgekommen: Er hat keine Angst vor der Nötigung, und man kann bei ihm auch nicht von Verrat sprechen. Und das tut denen, die oben sitzen, weh, es verletzt ihren Nazissmus tief.

Aus dem Blickwinkel eines externen Beobachters ist es kein „Verrat“, aus dem Werk zu „flüchten“, es ist vielmehr ein Entschlüpfen aus dem Rachen des Löwen; aber die Lesart der Direktoren  interpretiert das eben so, denn kein Raubtier sieht seine Beute gerne entwischen, und es wäre verständlich, dass es hier von „Verrat“ sprechen würde. Es wäre pathetisch und drollig zugleich, wenn sich der Löwe auf diese Art und Weise beschweren würde, denn es zeigt seine Ohnmacht und enthüllt seinen Zorn.