Akad.-Prof. DDr. Alfred Kirchmayr
Rokitanskyg. 15/27. A-1170 Wien


Wien 25.2.2002


Offener Brief


An die Vorsitzenden der Österreichischen Bischofskonferenz:
Eminenz Kardinal Christoph Schönborn und Exzellenz Bischof Egon Kapellari Sekretariat d. Österr. Bischofskonferenz
1010 Wien, Wollzeile 2



Josemaria Escrivas "Der Weg" protestiert gegen die Heiligsprechung eines katholisch verbrämten Kriegshetzers!


Als Pastoraltheologe, der im Geist des Konzils aufgewachsen ist und als Psychoanalytiker, der sich für die Entfaltung von psychosozialer Gesundheit einsetzt, muß ich gegen den Ungeist des spirituellen Standardwerkes "Der Weg" von Josemaria Escriva und somit gegen die Heiligsprechung des Gründers und "Führers" des Opus Dei energisch protestieren!

"Denn die Wächter des Volkes sind blind, sie merken allesamt nichts. Es sind lauter stumme Hunde. Sie können nicht bellen. Träumend liegen sie da und haben gerne ihre Ruhe" (Jes. 56, 10f).

Ich bin ein sechsmilliardstel Menschheit, das sich gemeinsam mit vielen anderen Menschen besonders heute große Sorgen um den Frieden in einer von global wachsendem Militarismus und Raffgierkapitalismus westlich christlicher Prägung bedrohten Welt macht. Die katholische Kirche hat durch das Zweite Vatikanische Konzil geläutert an christlicher Spiritualität, Humanität und Friedensfähigkeit gewonnen. Doch drohen katholizistisch-fundamentalistische, ja faschistoide Tendenzen, diese neu gewonnene Spiritualität zu zersetzen.

Es ist mir in diesem Rahmen nicht möglich, die problematischen wirtschaftlichen und machtpolitischen Aspekte des Opus Dei zu analysieren - vor allem seine militante Bekämpfung der Befreiungstheologien und faktisch auch der päpstlichen (!) Friedenspolitik. Escriva hatte ein Naheverhältnis zu katholischen Faschisten, besonders zu General Franco und verharmloste Adolf Hitler, dessen primitiven Antikommunismus er bewunderte. Ich werde aus christlicher und psychoanalytischer Sicht nur das spirituelle Standardwerk des Opus Dei, nämlich Escrivas ."Der Weg" analysieren.

Ein fundamentalistisch katholizistischer Irr-Weg

Die Analyse der Forderungen dieses Werkes eröffnet tiefe Einsichten in eine schwer pathologisch verzerrte Religiosität, die nicht zufällig mit Machtstreben, massiver Destruktivität und Militarismus verbunden ist. Dieses Werk, das vom Herausgeber als "Die Nachfolge Christi unserer Zeit" bezeichnet wird, besteht aus 999 Aphorismen, Parolen und Sentenzen (Nr. 1-999). "Der Weg" , von dem H.U.v.Balthasar sagt, er setzt bestenfalls eine Spiritualität voraus, habe aber selber keine, war bereits 1967 in 14 Sprachen übersetzt und in mehr als zwei Millionen Exemplaren verbreitet.

Totalitärer Gehorsam

Also schrieb Escriva: "Gehorchen - sicherer Weg. Dem Vorgesetzten mit rückhaltlosem Vertrauen gehorchen - Weg der Heiligkeit. Gehorchen in deinem Apostolat der einzige Weg; denn in einem Werk Gottes muß dies der Geist sein: daß man gehorcht oder geht (Nr. 941 ).... Gehorcht wie ein Werkzeug in der Hand des Künstlers gehorcht, das sich nicht danach fragt, wann es dies oder jenes tut. Seid überzeugt, daß man euch nie etwas auftragen wird, das nicht gut ist und nicht zur Ehre Gottes gereicht (Nr. 617)... Ein Führer. Du brauchst ihn. Um dich hinzugeben, um dich zu verschenken, im Gehorsam. Ein Führer, der dein Apostolat kennt und weiß, was Gott will." (Nr.62).

Infantilitit und Ent-eignung als Ideal

Also schrieb Escriva: "Dein eigener Wille, dein eigenes Urteil: die sind es, die dich beunruhigen. (Nr.777)... Sei Kind. Noch mehr Kind. Aber komme mir nicht in die Pubertätsjahre. (Nr. 854)... Sei klein, sehr klein. Sei nicht älter als zwei. höchstens drei Jahre. (Nr. 868)...Suche nicht, ein Erwachsener zu sein. Kind, immer Kind, auch wenn du vor Alter umfällst. (Nr. 870)... Die geistliche Kindschaft fordert die Unterwerfung des Verstandes. Das ist schwerer als die Unterwerfung des Willens. (Nr. 856)... Klein sein: die großen Kühnheiten werden immer von Kindern vollbracht. (Nr. 857)...Wenn du wirklich ein Kind bist, bist du allmächtig" (Nr. 863).
In diesen Texten werden Infantilität, Unreife und damit verbundene infantile Allmachtsphantasien als höchstes Ideal hingestellt.


Pathologischer Narzißmus

Besonders in den von Escriva geforderten Inhalten des Gebetes kommt die Tendenz zu einem schwer pathologischen Narzißmus zum Ausdruck. H.U.v.Balthasar kommentiert dies so: dieses Beten kreist fast ausschließlich um das Ich, "das da groß und stark und mit heldischen Tugenden ausgestattet und napoleonisch werden soll".
Sagt doch der Gründer: "Dutzendmensch werden? Du ...zum großen Haufen gehören, der du zur Führung geboren bist?!..(Nr.l6)...Führender Mann sein! Vermännliche deinen Willen, damit Gott dich zu einem Führenden macht. Siehst du nicht, wie die gottfeindlichen Geheimbünde vergehen'?...(Nr. 833) Das Gebet ist das Fundament des geistlichen Gebäudes. Das Gebet ist allmächtig". (Nr. 83)


Sadomasochistische Welt - und Selbst-Entwertung.

Also sprach Escriva: "Die Augen! Durch sie geht viel Böses in dein Inneres ein. ...Was mußt du herumgucken, wenn du deine Welt in dir trägst? (Nr.l83f.) ...Vergiß nicht, was du bist: ein Kehrrichteimer! ...Demütige dich. (Nr. 592). ...Wenn du dich siehst, wie du bist, muß es dir natürlich erscheinen, daß sie dich verachten (Nr. 593)...Ich nenne dir die wahren Schätze des Menschen auf dieser Erde, damit du sie dir nicht entgehen läßt: Hunger, Durst, Hitze, Kälte, Schmerz, Schande, Armut, Einsamkeit. Verrat, Verleumdung, Gefängnis. (Nr.194)... Gesegnet sei der Schmerz.- Geliebt sei der Schmerz. - 'Geheiligt sei der Schmerz. - Verherrlicht sei der Schmerz!" (Nr. 208).
Angesichts der schwer pathologischen sadomasochistischen Tendenzen in diesen Texten erübrigt sich jeder Kommentar: Abtöten. Töten und Heiliger Krieg sind die logische Konsequenz dieser totalen Pervertierung christlicher Spiritualität.

Verachtung des Leibes, der Frauen, der Sexualität

Also spricht der selige Escriva: "Wenn du begriffen hast, daß der Leib dein Feind ist und Feind der Verherrlichung Gottes, weil er deine Heiligung bedroht, warum faßt du Ihn da so weich an? (Nr. 227)... Es bedarf eines Feldzuges für Männlichkeit und Reinheit, um die verheerende Arbeit derjenigen zu durchkreuzen und auszulöschen, die den Menschen für ein Tier halten. Dieser Feldzug ist eure Sache. (Nr. 121) ...Laß dich nicht auf eine Zwiesprache mit der Begehrlichkeit ein. Verachte sie".

Heilige Kriegshetzerei der "Soldaten Christi"

Also spricht Escriva: "Der Krieg! Der Krieg hat ein übernatürliches Ziel, sagst du, das der Welt verborgen ist: der Krieg ist für uns. Der Krieg ist das größte Hindernis für einen bequemen Weg. - Aber schließlich werden wir ihn lieben müssen wie ein Mönch seine Bußgeißeln (Nr. 311) ...Kämpft, meine Kinder, kämpft. Handelt nicht wie diejenigen, die sagen, daß die Firmung uns nicht zu Soldaten Christi macht." ( 1 6).
Jedes fundamentalistische religiöse System zeichnet sich durch das infantile Bewußtsein aus, der "heilige Rest" zu sein, von Gott dazu auserwählt zu sein, in einer feindlichen, von satanischen Mächten beherrschten Welt das Heil zu wirken.

Abwehr jeglicher System-Kritik

Jede Kritik am Opus Dei wird immunisiert und zur Verfolgung hochstilisiert, mit "Mangel an übernatürlicher Sicht" erklärt, als Stolz, Dummheit oder Bosheit abgetan und aggressiv zurückgewiesen. Es gibt außerdem nur Kritik von "oben nach unten". Hören wir Escriva dazu: "Schon wieder! Man habe geredet. Man habe geschrieben. Halbwahrheiten. Verleumdungen... Du Dummkopf! Du Schwachkopf! Wenn du geradewegs auf dein Ziel losgehst, Kopf und Herz berauscht (!) von Gott - was kümmert dich dann ... das Muhen. das Grunzen und das Wiehern ringsum?" (Nr. 688).

Macht korrumpiert

Die gefährlichste Abweichung von der Wahrheit ist nicht die bewußte Lüge, sondern der weithin unbewußte Irrtum: Ich zweifle nicht an der guten Absicht der meisten Mitglieder des Opus Dei, die oft irregeführt, irre geführt sind. Tragisch ist, daß sie so viele innere und äußere Realität entwerten, verdrängen und verleugnen müssen. Denn das hat verheerende psychische, soziale, wirtschaftliche und politische Auswirkungen. Die Ehrfurcht vor der Schöpfung und vor der Fleischwerdung Gottes, der Inkarnation, wird mit Füssen getreten.
Vladimir Felzmann, der 22 Jahre lang Mitglied des Opus war und Escriva persönlich nahe stand, sagte angesichts dieses Phänomens: "Wie viel Schaden kann durch gute Menschen angerichtet werden, ohne daß sie es wissen!...Wenn man überhaupt etwas sagen kann, dann: Macht korrumpiert".

Mir ist klar, Herr Dr. Schönborn und Herr Dr. Capellari, daß Sie als Bischöfe diesbezüglich in einer sehr schwierigen Position sind: Einerseits sind sie zum Gehorsam dem Papst gegenüber verpflichtet, anderseits haben Sie Sich eigenverantwortlich um das Wohl Ihrer Diözesen zu kümmern.
Aber der Papst, der sich in der Geiselhaft von Opusdeisten befindet, die derzeit im Vatikan herrschen, darf von ihnen nicht in Stich gelassen werden! Ich bin davon überzeugt, daß Johannes Paul II. nicht weiß, was sich im Opus Dei alles abspielt.

Ich erwarte von Ihnen, Eminenz Schönborn und Exzellenz Capellari, eine klare Stellungnahme zu meiner besorgten Analyse des "Weges" von Escriva.


Mit herzlichen Grüßen und besten Wünschen
Alfred Kirchmayr