Was für eine Familie — das Opus Dei!

 

Gervasio, 4. Juni 2007

 

Illustration: Maurits Cornelis Escher: “Rinde”

 

Das Gleichnis, die Metapher oder die Analogie, dass wir eine Familie sind —wir sind eine Familie mit übernatürlichen Bindungen — erscheint mir im Lauf der Jahre immer künstlicher, metaphorischer und analoger. Als es einige wenige Mitglieder gab, alles Studenten, konnte das vielleicht funktionieren. Es gab eine Dame, die Großmutter genannt wurde — denn irgendwie musste man sie nennen — die zu einer dieser wunderbaren Pensionatsmütter für Studenten wurde. Die typische Pension, geführt von einer Witwe und ihrer Tochter, die abgehaust haben und Studenten aufnehmen, um überleben zu können. Aber das Ding wuchs sich immer weiter aus, und die Metapher hatte mit der Realität immer weniger gemein. Diese Familienpension endete schließlich, nach vielen Zwischenetappen, in nichts weniger als einer Personalprälatur.

Man wird Teil einer Familie über einen Vertrag zur „organischen Mitarbeit”? Was ist das? etwas sehr Familiäres, denke ich. Und wenn man geht, hat man den Strick um den Hals. Auch sehr familiär.

                 Damit ist es aber nicht genug, sondern sie wollen, entgegen der Ansicht Ratzingers und der gesetzgebenden Kommission über Personalprälaturen — dass das Opus Dei einer Diözese gleichzuhalten ist und eine juristische Struktur hat. Man wird sich schöne Dinge von einem möglichen Gerichtshof der Prälatur erhoffen können; hoffentlich gibt es da auch noch eine zweite Instanz, an die man appellieren kann! Jede geeinte christliche Familie hat ihren eigenen Gerichtshof! Mindestens! Eine Familie, in der untereinander prozessiert wird, ist unschlagbar! Also, lasst uns einen Gerichtshof in unserer übernatürlichen Familie einrichten!

                Punkt 1 zur Klärung: Unsere Väter. Wir haben einen Vater — den Prälaten, der der Vater ist —, außerdem unseren Vater — den Gründer —, außerdem unseren Vater im Himmel, die erste Person der Allerheiligsten Dreifaltigkeit, aber auch den Heiligen Vater im Vatikan. Macht zusammen vier Väter, dazu noch den leiblichen; dann wären es fünf Väter. Wenn ich von vier auf fünf Väter hinaufgehe, wird die Zahl meiner Brüder aber nicht größer. Ich hatte einen Bruder verloren und einen Vater gewonnen: Alvaro del Portillo. Dann verlor ich einen anderen Bruder und bekam einen neuen Vater dafür: Javi [alias Bischof Echevarría]. Ich glaube aber, dass Don Alvaro noch immer der Vater ist, auch wenn dann ein weiterer hinzugekommen ist. Wie viele sind es also? Ich verliere den Überblick. In der Kirche, denke ich, wird der Ausdruck “Vater” ein wenig missbräuchlich verwendet. Jesus Christus hat gelehrt, diesen Ausdruck mit aller Sparsamkeit zu verwenden. Mt. 23,9: „Auch sollt ihr niemand auf Erden euren Vater nennen; denn nur einer ist euer Vater, der im Himmel“. Jesus Christus hat uns Freunde genannt (Joh. 15,15). Er wollte sich nicht „Vater“ nennen lassen.

                Man erzählt, dass sich ein Nordamerikaner, Katholik und glühender Demokrat, im Gebet beschwert habe, dass die verfassungsmäßige Stellung des Papstes so undemokratisch sei. Und der Herr sprach zu ihm:  

— Was heißt hier undemokratisch? Ich bin Gott seit Ewigkeiten, und seit ich denken kann, habe ich keine Wahlen veranstaltet. Und den ersten, der sich darüber aufgeregt hat, habe ich in die Hölle geschickt.

                Das ist der Gott, den Escrivá nachahmen wollte, nicht den Gott, der Mensch geworden ist, Jesus Christus, das Fleisch gewordene Wort. Nach dem Katechismus des Pater Astete — noch so ein Vater! — kam „Jesus Christus in diese Welt, um uns zu erlösen und uns das Beispiel seines Lebens zu geben“. Und Alvaro del Portillo hat uns das Beispiel des Lebens von St. Josephmaria gegeben. Das kommt mir vor wie eine Blasphemie – nur, weil er einige Frömmigkeitsübungen nach seinem persönlichen Geschmack verrichtet hat? Warum sollten wir ihn nachahmen? Er versicherte, dass jeder, der das macht, was er gemacht hat — seine Normen der Frömmigkeit zu verrichten — diretissima in den Himmel kommen werde. Da fällt mir Margarita ein, die Tochter von Claudio Alacoque. Anscheinend hatte ihr das Heiligste Herz Jesu einige wunderbare Versprechungen gemacht, darunter die, dass jeder, der am ersten Freitag des Monats die heilige Kommunion empfängt – ich glaube, es war mit neun solcher Freitage genug – seine Verzeihung im Augenblick des Todes empfängt. Welche Idiotie! Solte ich, was wenig wahrscheinlich ist, jemals Papst werden, würde ich Versprechungen von solcher Art sofort disqualifizieren: wer das Skapulier vom Berg Karmel trägt, wer Escrivás Normen erfüllt, wer täglich drei Avemarias betet, dem Orden der hl. Rita beitritt etc. Das ist ja besonders häufig: Jemand gründet etwas und glaubt, den Stein der Wiesen der Heiligkeit gefunden zu haben. Ich möchte damit nicht sagen, dass religiöse Praktiken, wie sie Escrivá, Margarita Alacoque oder der mit den drei Avemarias empfehlen, nichts Gutes sind. Vielleicht wird sogar jemand heilig damit. Es ist aber schlecht, den Weg zum Himmel wie eine Diät zum Abnehmen zu propagieren. Mach das mal, das hilft dir sicher. Und wenn es nicht hilft, Geld zurück. Hätten sie uns nur das Geld zurückgegeben!

                Man muss anerkennen, dass es bis zur Lehre Escrivá auf dem Jahrmarkt der Heiligkeiten nur den contemptus mundi gab. Mit Escrivá hat sich das Angebot erweitert, nun kommt man auch mit der consecratio mundi zum Ziel. Und tatsächlich hatte diese Entdeckung einen totalen Erfolg. Einer konnte heilig sein und weiter Medizin studieren, zum Beispiel. Die Jesuiten merkten, dass bei den jungen Leuten, denen der Gedanke an die Heiligkeit keine Ruhe ließ, die consecratio höher im Kurs stand als der contemptus. Deshalb verloren sie auch an Terrain. Es ist schwierig, einen Universitätsstudenten davon zu überzeugen, sein Studium sausen zu lassen und ein Noviziat zu beginnen. Aber es zeigte sich, dass es nicht ganz so schwierig war ihm zu sagen, er solle fortfahren zu studieren, die Heiligkeit in dem finden, was er bereits tat, ohne dass er in einen Orden eintreten müsste. Hans Urs von Baltasar — ich denke, er war damals bereits aus dem Jesuitenorden ausgetreten — und andere Jesuiten prangerten das mangelnde Verständnis an, das Escrivá von der consecratio mundi hatte. So weit ich das mitbekommen habe, bieten die Jesuiten mittlerweile den Laien eine Welt ohne contemptus an, nach eigenen Angaben sogar eine bessere als Escrivá.

                Escrivá hatte das gegenteilige Problem. Auf dem Markt der Heiligkeit herrschte ein Monopol der Ordensleute. Willst du heilig werden? Geh in ein Kloster!  Nein, sagte Escrivá. Ich mache euch heilig inmitten der Welt. Aber dafür muss ich euch zu den drei Evangelischen Räten verpflichten, ihr müsst die Zeiten des Stillschweigens leben etc. etc. Er ließ uns sogar das Offizium divinum singen: Fratres, sobrie estote et vigilate, quia adversarius vester diabolus circuit quaerens quem devoret, etc. Ich erinnere mich noch. Kurz gesagt, wir waren vorbildliche Ordensleute. Und außerdem studierten wir Medizin und betrieben die consecratrio mundi. Und auch der Heilige Stuhl hatte nichts dagegen einzuwenden. Wir sind keine geweihten Seelen, aber wir heiligen die Welt. Klingt doch gut! Das gäbe einen guten Slogan ab. Was die Supernumerarier betrifft, so fand sich bald eine klitzekleine Ausnahmeregelung. Anfänglich benutzten auch sie den Bußgürtel; aber bald befreite man sie von dieser Verpflichtung. Ebenso wenig mussten sie eine halbe Stunde Gebet machen. Es konnte auch nur eine Viertelstunde sein, zumindest in der Theorie. Und was die Keuschheit betrifft, da weiß man ja auch Bescheid. Ihr Keuschheitsgelübde unterschied sich ein wenig von dem der Mönche, ist aber nicht weniger verdienstlich. Die Mönche brauchen keine ehelichen Pflichten zu erfüllen; die Supernumerarier schon, sie sind sogar strikt verpflichtet zu stippen.

                Ich komme vom Thema ab. Also: Escrivá glich nicht dem Mensch gewordenen Gott; er war eher eine Mischung aus dem Gott des Alten Testaments und einem Blitze schleudernden Jupiter. Es ist schwer, die Gestalt Jesu Christi in Escrivá de Balaguer wiederzufinden und wenn man seine Biografie noch so frisiert. Ich erinnere mich an ihn als an jemanden, der ständig Befehle gab. Jemand erzählte etwas, irgendeine Anekdote. Und er nahm das angesprochene Thema auf und sagte:

                — Man muss einen Hinweis an alle Regionen schicken, dass…

                Oder er ordnete an, dass auf allen Jahreskursen der Hinweis zu geben sei… In Wahrheit hat er es genossen zu befehlen, zu organisieren, zu entscheiden. Befehle geben war seine beherrschende Leidenschaft.

                Das Problem liegt darin — so schrieb Oráculo in seinem Beitrag El integrismo teológico del Opus Dei”—, dass der Gründer des Opus Dei die Ekklesiologie, wie sie vom II. Vatikanischen Konzil vorgezeichnet wurde, ablehnte, um nicht so sagen, er verwarf das gesamte Vaticanum mitsamt seinen Protagonisten. Mit keinem Papst war er zufrieden. Er wollte eine Kirche Marke Gregor VII., mit einer Gewalt „ratione peccati“ über die Laien, das heißt mit einer Gewalt, die sich alles unterwirft. Wenn es eine Einheit des Lebens gibt,  dann muss auch das Weltliche geheiligt, dem Geistlichen unterworfen werden, das heißt, man muss sich mit dem identifizieren, was das Opus Dei anordnet. Die zeitliche Ordnung sollte dem Opus Dei unterworfen sein. Escrivá wollte vom II. Vaticanum nichts lernen. Das einzige, was ihn dabei interessierte, war, was er seiner Ansicht nach selbst dazu beigetragen hatte. Es kam ihm so vor, als hätte das Konzil auf entscheidende Dinge verzichtet. Er verstand nicht, wieso historischer Ballast abgeworfen wurde; Escrivá setzte mit Handkuss in seine alten Rechte, was das Konzil abgeschafft hatte.   Soll das heißen, dass der Gründer und Erzbischof Lefèvre in die gleiche Richtung gingen? Das stimmt nicht ganz. Sein Persönlichkeitsprofil entspricht viel eher jener Supernumerarierin, die ihre Kinder in eine Schule des Werkes schickte. Dort brachte man ihnen die christliche Lehre bei und hielt sie an, Normen der Frömmigkeit zu verrichten. Das gefiel ihr. Und die Reinheit?

—      Nun, mein Kind — sagte ihr eine Freundin —, diese Geschichte, dass man ganz unbeleckt in die Ehe geht, ist eine schöne Sache; aber man weiß ja, wie es wirklich abläuft. Man sagt zwar nein, aber klar, du verstehst mich schon. Es ist natürlich, dass vorher etwas passiert, vor allem bei den Jungen.

Es gefiel ihr, dass die Keuschheit gepredigt wird; aber es war ihr egal, ob die Kinder jungfräulich in die Ehe gehen. Und das gleiche Kriterium hatte sie beim Thema Lektüre und Zensur.

                — Warum sie sie nicht alles lesen lassen? Aber das ist doch gut so! Denke an diesen Sohn von Menchú, der praktisch alles gelesen hat, und schau, wie er geendet ist. Ich habe immer um Erlaubnis gebeten, wenn ich etwas lesen wollte.

                Ich bezweifle, dass sie irgendetwas gelesen hat. Dass ihre Kinder dazu angehalten werden, den Ro­sen­kranz zu beten und beichten zu gehen, fand sie toll. Aber genau so toll fand sie es, dass diese Anregungen nicht allzu ernst genommen wurden. Vielen Katholiken dürfte eine gewisse kirchliche Diktatur ganz recht sein, weil man sich an ihre Anordnungen ohnehin nicht kehrt. Es ist wie mit dem Finanzministerium. Jeder nimmt es hin, dass sie Steuern erheben ; aber man lässt zu und bewundert es, wenn man sie hintergeht. Die Burschen, und noch mehr die Mädchen, brauchen eine Art Fräulein Rotten­meier.

                Der Gründer selbst tat nichts anderes, wenn er sehr viel verlangte, um wenigstens etwas zu bekommen. Zwei neue Berufungen im Jahr! Und er gab sich mit viel weniger zufrieden. Man muss sich aufopfern! Und man muss genug schlafen. Man muss arm  sein, auf das Auto verzichten. Aber wenn ein Auto da ist, gut; wenn es ein gutes Auto ist, umso besser. Nun, jeder — oder sein Direktor, da liegt das Problem — hat den Gehorsam und die Erfordernisse der Hingabe sowie seine finanziellen Beiträge zurechtgestutzt, wie es eben ging. Wer hat alles erfüllt, was das Opus Dei verlangt ? Niemand, nicht einmal der Gründer. Ich sage das nicht aus Zynismus, sondern weil es unmöglich ist. Man sollte spät schlafen gehen wie die Journalisten, früh aufstehen wie die Arbeiter und acht Stunden schlafen. Ich weiß jetzt nicht einmal mehr, ob wir arm sein und gutbürgerlich wirken sollten, oder ob wir gutbürgerlich sein und nach außen hin arm auftreten sollten. Der Gründer hatte seine ganz bequeme, ein wenig barocke Methode zu erfüllen oder nicht zu erfüllen, denn er bestimmte, was ihm seine „Schutzengel“ befehlen durften. Das gab ihm in allem eine Ausnahmestellung.

                Es wurde schon geäußert, dass man alle Vorwürfe, die gegen das Opus Dei erhoben wurden, auch der Kirche gemacht werden könnten. Das hat etwas für sich. Das Opus Dei hat nichts anderes getan als dem Vorbild der Kirche zu folgen, obwohl die schlimmsten Missbräuche nahezu verschwunden sind: ohne Sachkenntnis und mit Gewissensdruck herrschen, Dissidenten verurteilen, Gesinnungsschnüffelei betreiben, Bücherzensur ausüben etc. Der Gründer fühlte sich als treuer Sohn der katholischen Kirche, als er diese Praktiken aufgriff. Das Opus Dei ahmt auch die Struktur der Kirche nach, denn die Art und Weise, wie der Generalpräsident — heute der Prälat, Präsident ist er nur mehr für die Diözesanpriester — durch Kooptierung der Delegierten gewählt wird, entspricht ganz der Papstwahl. Man könnte noch viele Beispiele anführen. Deshalb ist es schwierig, das Opus Dei bei der Kirche anzuzeigen. Die Leute vom Opus Dei könnten im Vatikan vorbringen: Sie werfen uns das vor, was wir von euch gelernt haben. Wenn sie uns angreifen, greifen sie die Kirche an. Das Hauptargument kann dabei nicht sein, dass das Opus Dei Teil der Kirche ist  — das bin ich auch, und die Unbeschuhten ebenfalls —, sondern dass das Opus Dei der Kirche so treu ist, dass es sogar Praktiken beibehalten hat, die dort niemand mehr verficht, weil es der Kirche im Moment sehr schlecht geht.

                Das Opus Dei bietet sich an, Christen zu bekehren, die durch keine äußere Macht strukturiert sind; das funktioniert bestenfalls noch in einer Familie. Der Gründer wollte solcherart Macht ausüben. Er umgab die Leute, die sich ihm näherten, mit einem suggestiven Ambiente, zum Teil sogar mit Zwang, damit sie sich wie gute Christen verhalten. Was als Familie verkauft wurde, löst sich unter solchem Druck in Luft (oder in Heuchelei) auf.

Die Briefe an den Vater. Schreib dem Vater alle vierzehn Tage! Erzähl ihm, was du erlebt hast, wie zufrieden, dankbar, voller Bewunderung und glücklich wir sind. Und wenn irgendetwas an dem Brief dem Vater nicht gefallen sollte, werden dir die Experten — dafür haben sie die Standesgnade — ihn dir zum Überarbeiten zurückgeben. Was für eine Quälerei, die berühmten Briefe an den Vater! Und wenn der Vater nicht zurückschreibt, so ist das ganz normal; ein echter Vater schreibt zurück, der analoge nicht.

Briefe an unsere leiblichen Väter. Viele Briefe! Uns wurde immer wieder empfohlen, sie zu schreiben. Auf Hochzeiten, zu Taufen oder Erstkommunionfeiern in der Familie durften wir nicht gehen. Das sind Sakra­mente, die nicht sehr erbauen. Und wenn wir doch gehen durften, dann nur mit Sondererlaubnis und sehr vielen Vorsichtsmaßnahmen. Die Briefe gingen zuerst an unsere Brüder Direktoren — oder sind es Väter Direktoren, weil sie den Vater repräsentieren? —, damit sie sich über die Beziehungen der  Numerarier zu ihren leiblichen Vätern informieren und allenfalls intervenieren können. Der Direktor liest sie, kommentiert sie, korrigiert sie. Er regt an, sie zu schreiben. Sie sind ein Bildungsmittel. Eine Art, das süßeste Gebot zu erfüllen: Briefe an unseren leiblichen Vater zu schreiben. Alles andere ist schlecht, denn wie sollte das Opus Dei in ein Telefonat eingreifen?

                Klarstellung Nr.  2. Unsere Brüder. Von meinen metaphorischen Brüdern weiß ich vor allem, dass es sehr viele von ihnen gibt. Heute bin ich ihr Ex-Bruder. Es gibt viel mehr Ex als Brüder; wenn also von hundert gerade einmal zehn bleiben, bekommt der Consiliarius eine Maulschelle für das schlechte Ergebnis. Zu denen, die mit mir im Zentrum wohnten — „lebten“ möchte ich das nicht nennen — kamen auch noch unsere Brüder Supernumerarier, um die Aussprache und anderes zu machen. Man traf einander in der Kapelle, am Eingang, irgendwo.

Wie man weiß, gibt es im Opus Dei verschiedene Klassen von Brüdern. Das muss man auch erst lernen! In meiner Blutsfamilie gab es auch nur eine Sorte Geschwister. Das mit den Numerariern und Supernumerariern gibt es in der Armee, in den  Königlich Spanischen Akademien etc. in ähnlicher Form. Aber in meiner Blutsfamilie gab es weder Supernumerarier noch Numerarier. Wir waren einfach Geschwister.

Wir Numerarierbrüder waren sehr eingezwickt; ich rede jetzt nicht davon, dass wir ständig alle nach links und rechts mit der Wünschelrute der Berufung belästigen mussten, opportune et importune. Ich meine, dass wir kaum Platz hatten. Zu meiner Zeit waren in einem Raum fünf oder mehr Betten, mit Schreibtischen und Kästen, die sich in Betten verwandelten etc. Ich erinnere mich, dass es geschehen konnte, dass man beim Frühstück Marmelade in den Nacken bekam, weil es mehr Personen als Sitzgelegenheiten gab und manche stehend essen mussten. Wer einen Sitzplatz ergattern konnte, hatte deswegen aber noch keinen Platz, weil er eingepfercht war in übernatürliche Brüder, die gleichzeitig frühstücken mussten. Dann, mit größeren Häusern, dürfte das besser geworden sein. Neulich hat mir ein Numerarier erzählt, dass er gar nicht in einem Zentrum wohnt, sondern in einer angemieteten Etage.

Ist er jetzt nicht mehr vom Werk? Doch, ja. Ich habe mir sagen lassen, dass das bei Numerariern jetzt immer wieder vorkommt. Ich habe dann einen Experten für Exnumerarier über eine solche Situation befragt, und er hat mir gesagt, dass man diese Lösung gewählt hat, bevor jemand geht und den berühmten Brief an den Vater um Dispens schreibt —  angeblich freiwillig, wie bei der Admission. Wenn sich der Betroffene weigert den Brief zu schreiben, lässt man ihn in Ruhe. Man sagt ihm nichts und verlangt nichts von ihm. Dieser status ist für die Personen, auf deren Dienste, Geld oder Unterstützung die Prälatur nicht verzichten will. „Liebe, und dann tu, was du willst“, sagte Augustinus. „Sei vom Opus Dei und mach, was du willst“, sagen sie ihnen.

                Merkwürdigerweise wurden für die Assoziierten genau die entgegengesetzten Lösungen betreff des Logis gefunden. In einigen Städten hat man Gemeinschaftslösungen mit einem Speisesaal gefunden, und unsere übernatürlichen Schwestern betreuen sie. Weil sie kein Familienleben haben, versammelt man sie. Dabei geht es nicht darum, dass ein Assoziierter Numerarier wird oder umgekehrt — das letztere wird gar nicht gern gesehen! —, sondern dass es Numerarier gibt, die wie Assoziierte leben, und Assoziierte, die wie Numerarier leben.

Ich erinnere mich, dass Don Florencio Sánchez Bella, als er Consiliarius von Spanien war, in den siebziger Jahren ein Raumproblem hatte; die vielen Numerarier waren nirgends unterzubringen. Der Arme schlug vor, Häuser für dreißig bis vierzig Personen zu schaffen, und er rechtfertigte seine Idee so:

                — Ihr lebt wie die Mönche – nur zwölf Personen in einem Haus. Zwei erscheinen nicht beim Frühstück, zwei weitere sind gerade auf einer Reise. Bleiben acht – das ist typisch für Mönche!

                Ich habe in einem Artikel gelesen, dass man sich im Opus Dei darauf verlassen kann, dass genau das Gegenteil von dem gilt, was gesagt wird. Wenn zum Beispiel gesagt wird, dass uns Wunder und übernatürliche Ereignisse nicht interessieren, dann deshalb, um eben solche Ereignisse zur Begründung der übernatürlichen Natur des Werkes heranzuziehen. Wenn gesagt wird, „Ihr seid sehr frei!“, dann deshalb, weil gleich darauf etwas verboten wird. Wenn gesagt wird, „Von hundert Seelen interessieren uns hundert“, dann werfen wir die hinaus, die nicht pfeifen wollen. In diesem Fall hat Florencio Sánchez Bella „ein bisschen“ übertrieben, und er ist beim Gründer mit seinem Vorschlag abgeblitzt. Heute gibt es dieses Problem nicht mehr; die Häuser des Opus Dei stehen leer.

                Wir sind Schwestern und Brüder, aber keine Mönche und Nonnen! (Man darf es nur nicht ganz genau nehmen, denn sie nennen sich ja auch so). 1964 haben sich unsere Priester angewöhnt, diese Ausdrücke für die Innenverhältnisse des Werkes zu verwenden.

                — Dieser mein Bruder! Dieser mein anderer Bruder. Einmal in der Woche wird ein Wachetag gehalten, an dem der, der wacht, besonders intensiv für seine Brüder betet. Es ist eine Gewohnheit, die für Brüder typisch ist. Meistens schläft man vor dem Wachetag auf dem Fußboden. Beides zusammen erzeugt eine große Brüderlichkeit. In jeder besseren Familie wird schließlich fleißig auf dem Boden geschlafen.

                Klarstellung Nr.  3. Unsere Schwestern. Ich wusste niemals genau, wie viele Schwestern mit mir unter einem Dach lebten. Was für Geschwister wir doch waren! Man hat uns gesagt, wir müssten unseren Schwestern sehr dankbar sein, weil sie unser Zuhause pflegen, ihm einen mütterlichen — nicht weiblichen, Igitt! — Touch ver­leihen, damit wir nicht in einer Kaserne hausen müssen. Im Werk sind nur einige wenige Schwestern Auxiliar­numerarierinnen; die anderen haben sich, soweit ich das verstanden habe, zumindest eine Zeitlang den häuslichen Pflichten zu widmen. Es ist das Apostolat der Apostolate.

                In einigen Orden gab es die Unterscheidung zwischen Laien- und Chorschwestern. Ich hätte es verstanden, wenn das Opus Dei die Hausarbeit als eigenen Beruf anerkennt und ehrt; ich verstehe nicht, warum die Lebensform der Auxiliarnumerarierin etwas mit der Person zu tun haben, eine eigene Berufung sein soll. Gut, ein Anwalt ist auch ein Beruf ; aber muss ein Anwalt ewig bei seinem Job bleiben, auch wenn sich ihm beispielsweise die Gelegenheit eröffnet, Richter oder Innenminister zu werden? Warum ist „Anwalt“ keine besondere Berufung, so wie „Auxiliarin“?

                In der modernen Gesellschaft wird der Beruf der Hausangestellten oft als Job auf Zeit angesehen. es gibt StudentINNen, die au pair ins Ausland gehen. Auch für Kinder von Millionären ist das nicht ungewöhnlich. Bevor Lady Di Prinzessin wurde, arbeitete sie als Kindergartenhilfe; viele Emigranten verdienen sich so ihren Lebensunterhalt.

Wenn eine Auxiliarnumerarierin wirklich meine Schwester gewesen wäre, hätte ich mich bemüht sie besser zu versorgen. Genau das tat der Gründer ja auch mit seiner Schwester Carmen. Er schenkte ihr ein Chalet in Rom, wohin sie sich mit ihrem Hund Chato zurückziehen konnte. Für andere hat er so etwas nicht gemacht, für dich schon, Tante Carmen, denn ohne vom Opus Dei zu sein, hast du es dir verdient, denn du warst wirklich seine Schwester, nicht nur analog, und deshalb warst du meine analoge Tante.

Bevor der Gründer die geniale Idee hatte — mir scheint, es war in den vierziger Jahren, obwohl er häufig Fakten rückdatierte — Berufungen von Auxiliarnumerarierinnen zu suchen, schwebte ihm vor, dass Assoziierte die Hausarbeit übernehmen könnten. Zuerst hießen sie Interne Supernumerarier, dann  Oblaten, zuletzt Assoziierte. Der Terminus Oblaten erinnert noch am ehesten an Hausbediente, wie sie früher auch in Männerklöstern üblich waren.

                Ich glaube, dass Tante Carmen eine hervorragende Auxiliarnumerarierin abgegeben hätte. Wenn sich der Örtliche Rat entschlossen hätte, in ihr die Berufungskrise auszulösen, hätte dieser Vorschlag sicher eine Mehrheit gefunden, und wer hätte dem widerstehen können? Ihr eigenes Haus in Barbastro ist heute ein Zentrum zur Rekrutierung von Auxiliarnumerarierinnen, wenn ich recht verstanden habe. Tante Carmen hätte sich den Himmel verdient, als kleine Schwester und kleine Tante und vor allem als erste Auxiliarnumerarierin. Wie glücklich hätte sie sein können! Jahr um Jahr Bad um Bad putzen! Aber sie zog es vor, zu den Kinoabenden der männlichen Numerarier zu gehen. Sie konnte das tun, sie war nicht vom Opus Dei. Sie versäumte das Kino nicht. Aber sie versäumte etwas viel Wertvolleres für ihre Seele: eine göttliche Berufung. Die Arme ging durch die Verwaltungen ohne diese göttliche Berufung, die sie so glücklich gemacht hätte. Und das Gleiche ließe sich über ihren Bruder Santiago sagen, unseren Onkel Santiago. Er hätte einen hervorragenden Chauffeur für den Vater angegeben, statt in Rom herumzuhängen und nicht zu wissen, was seine Aufgabe war. Schon in ganz jungen Jahren brauchte der Vater einen Chauffeur für seine seelsorgliche Arbeit. Der erste, den er hatte, war ein professioneller Chauffeur. Dann war es ein portugiesischer Numerarier, Armado. Später ein Architekt, Javier Cotelo. Kann es einen besseren Chauffeur geben als einen Architekten? Wir holen niemanden von seinem Platz. Onkel Santiago war der geborene Chauffeur!

                Der Gründer pflegte voll Stolz zu sagen, dass das Opus Dei eine ansteckende Krankheit sei, wie die Grippe. Einer bekommt sie, und dann stecken sich alle an. In seinem Fall war das nicht so. Er hat die Berufung auf niemanden von seiner Familie übertragen. In diesem Fall, so wie in manchem anderen, predigte er nicht mit dem Beispiel. Er war immer eine Ausnahmeerscheinung.

                Meinetwegen hätte es keine Klassen von Mitgliedern im Opus Dei geben müssen — Geschwister oder Gläubige — die sich den häuslichen Aufgaben widmen. Wenn sich die Auxiliarnumerarierinnen und diejenigen, die es nicht sind, von diesem Berufsbild angezogen fühlen, können sie in einer Hotelkette, bei einem Caterer, in einem Restaurant etc. arbeiten. In meiner Blutsfamilie war es nicht die Aufgabe meiner Schwestern — weder der kleinen noch der großen — die Bäder zu putzen, zu kochen, Staub zu wischen oder zu servieren. Wir hatten Mädchen, die das taten. Einige waren alt, und wir liebten sie heiß; aber sie waren nicht meine Schwestern. Wir hatten auch einen Burschen, der im Haus half, chauffierte etc. Mein leiblicher Vater pflegte zu sagen:

                — Dieser Bursche ist sehr gescheit und taugt etwas. Schade, dass er einmal weggehen wird.

                Und tatsächlich half er ihm, eine dauerhafte Arbeit zu finden. So stelle ich mir das vor.

                Die ordentliche Verwaltung weiß alles: wann Kaffee zu servieren ist und wann nicht, wann es ein Fest des Werkes gibt und wann nicht. Ein unsichtbarer Manager zieht hier die Fäden, der sich auch bei den Frauen im Opus Dei auskennt, also ein Priester. Und die Verwalterin ersetzt die Leitung und ist zugleich Pensionsmutter, und deine unbekannte Mutter und Schwester und deine Tante Carmen. Wie angenehm! Und wie schlimm! Wir haben hier eine mütterliche Frau und wissen nicht einmal, wie sie heißt – Rita, Carmen, Juanita — aber sie hat mir Pommes zu meinem Geburtstag gemacht! Sie weiß nicht, dass mir Pommes schmecken, sie ist 50.000 Kilometer von mir entfernt, aber sie hat sie mir gemacht! Wir sind eine Familie! Der Manager kümmert sich um alles. Danke, Mutti! Ich werde dem Vater schreiben, dass sie mir an meinem Geburtstag mit den Pommes eine Riesenfreude gemacht haben. Vielleicht schreibt er dann an die Delegationen, dass er mehr solche Briefe bekommen will.

                Klarstellung Nr. 4. Seltsamkeiten bei der ordentlichen Verwaltung. In dem Zentrum, in dem ich gepfiffen habe, gab es eine außerordentliche Verwaltung. Sie waren normal, an ihrem Platz, haben ihre Arbeit gemacht und waren diskret. Sie haben weder das Tor geöffnet noch das  Telefon abgenommen.

                Als ich zu meinem ersten Jahreskurs kam, öffnete mir eine Kammerzofe, ein Dienstmädchen oder wie man dergleichen nennt die Tür. Ich stellte ihr eine einfache Frage, wo die anderen seien und ob sie mich zum Aufenthaltsraum führen könne. Sie antwortete nicht, sondern nahm einen Gesichtsausdruck an wie eine Jung­frau, die sich von Vergewaltigung bedroht sieht. Später erfuhr ich dann, dass das die übliche Verhaltensweise ist wenn man das Wort an sie richtet. Eine Auxiliarnumerarierin weiß nichts und antwortet nicht. Sie redet lediglich mit dem  Direktor im Speisesaal, und das auch nur, wenn es ganz dringend ist. Die Tischgenossen hören in diesem Moment zu reden auf, um zu verstehen, was sie sagt. Das macht sie noch ängstlicher, und sie senkt die Stimme. Es entsteht ein Wettstreit zwischen ihr, die nicht verstanden werden will, dem Direktor und den anderen, die ein Wort erhaschen wollen. Eine sehr komische Situation.

Mein leiblicher Bruder, der niemals beim Opus Dei war, beschwerte sich, dass die Pförtnerin in dem Gymnasium des Opus Dei, das er besuchte, unfähig war. Sie könnten sich ein wenig mehr Mühe geben, eine geeignete Kraft auszusuchen, meinte er. Ich lächelte innerlich, weil ich den Trick schon kannte. Es ist der Stil des Hauses. Eine Pförtnerin oder Telefonistin weiß nichts, antwortet nicht, kennt niemanden.

                Eine andere Sternstunde ergibt sich, wenn die Dame, die serviert, zum  Tischgast sagt:

                — Der Teller ist sehr heiß!

                Es muss einen Hinweis in den „Kriterien für unsere Verwaltungen“ o. ä. geben, wann dieser Hinweis angebracht ist. In meinen vielen Jahren im Werk wurde mir lediglich viermal gesagt:

                — Der Teller ist sehr heiß!

                Ich habe allerdings den Eindruck, dass der Teller öfter als viermal sehr heiß war. Vielleicht haben einige Damen ein etwas laxes Gewissen, das sie dazu führt nicht zu sagen, dass der Teller heiß ist, auch wenn er es ist, und sie ersparen sich damit eine unangenehme Situation. In den erwähnten Dokumenten heißt es „wenn der Teller zu heiß ist“, aber es gibt keine Spezifizierung in Grad Celsius, sodass man sagen müsste:

                — Der Teller ist sehr heiß!

                Andererseits gestattet der Ausdruck „wenn der Teller zu heiß ist“ keine Differenzierung zwischen einem „heißen“ und einem „zu heißen“ Teller. Wenn sie im Zweifel ist, dann ist sie gehalten, das Problem in ihrem Gewissen, ad mentem Patris zu lösen. Schade, dass er von dieser Welt gegangen ist, ohne es uns eingemeißelt hinterlassen zu haben!

Ich war im Opus Dei so sehr daran gewöhnt, dass stumme Serviererinnen bedienten, dass es mir jedes Mal einen Ruck gegeben hat, wenn sie im Fünfjahresrhythmus sagten:

                — Der Teller ist sehr heiß!

                Aber ein übernatürlicher  Bruder von mir, englischer Nationalität, der das Spanische nur ungenügend beherrschte. Er saß neben mir und war vorher noch nie von seiner Auxiliarschwester mit Aufmerksamkeit bedacht worden, und er wurde ganz, ganz rot, als nach vielen Jahren das erste Mal eine Auxiliarin das Wort an ihn richtete und ihm, der völlig unvorbereitet war, an den Kopf warf:

                — Der Teller ist sehr heiß!

                Das Schlimmste ist, wenn du nach deiner Meinung über die Verwaltung deines Zentrums gefragt wirst. Egal was du sagst, es wird falsch sein! Also murmelte ich, gebrannter als die Seelen im Fegefeuer, dass es nichts zu sagen gäbe, und der priesterliche Manager belehrte mich: Wir wissen nicht, was wir für ein Glück haben, dass Schwestern da sind die sich um uns kümmern.

                Sie machen alles gut, und wir sind ihnen zu wenig dankbar. Ja. Das stimmt. U2 sagt in ihrem Beitrag, dass es eine sehr harte Arbeit sei. Dass sich das mit mehr Personal lösen ließe, steht auf einem anderen Blatt. Bei diesem Apostolat der Apostolate habe ich Dinge gesehen, die mir nicht schmecken. Vor allem, dass auch Numerarierinnen dies als berufliche Arbeit übernehmen müssen, die keine Auxiliarinnen sind. Und sehr lange Zeit wurden sie für diese Arbeit weder angemeldet noch entlohnt, es wurden keine Sozialabgaben für sie entrichtet, und sie mussten bei weniger als Null beginnen, wenn sie das Werk verließen.

                Ich erinnere mich daran, wie der Gründer die Consiliarien (die Regionalvikare) tadelte, dass die weibliche Abteilung finanziell nicht von der männlichen abhängen dürfe! Aber er setzte Spanien als Ausnahme fest. Dort gibt es allerdings viele „hauptberufliche“ Numerarierinnen, weil es so viele Einkehrhäuser, Häuser der männlichen Abteilung, Zuliefer- und Dekorationsfirmen, die sie betreuen.

Warum kann man die Numerarierinnen nicht dort arbeiten lassen, wo sie wollen oder können, außerhalb des Klimbims des Werks? Hausangestellte werden überall gesucht; man muss nur die Anzeigen lesen. „Die Ernte ist groß, aber der Arbeiter sind wenige“ (Lk. 10,2). Wofür vergeudet man Energien im Apostolat der Apostolate, wenn auch Menschen ohne Berufung diese Aufgabe erfüllen können?

                Man konnte sich ja auch einen englischen Club zum Vorbild nehmen, in dem es ja auch nur Männer gibt, statt eine bourgeoise Familie der belle époque nachzuahmen. Solche Clubs haben Stil, Tradition und Drinks. Aber könnte sich jemand einen Whisky bestellen, ohne um Erlaubnis gefragt zu haben? – Unsere Schwestern passen auf uns auf. Hintern diesem Apostolat der Apostolate unserer Schwestern sehe ich das Misstrauen, dass sich die Numerarier um ihre Angelegenheiten selbst kümmern könnten. Unsere Schwestern kontrollieren uns. Sie tun nicht, worum wir sie bitten, sondern was der Vater ihnen aufträgt.

                Klarstellung Nr.  5. Küsse. Der Brauch, Frauen beim Begrüßen zwei Küsse auf die Wange zu geben, hat sich verbreitet, auch wenn es keine Familienangehörige oder Freundin ist. Der Brauch ist etwas doof, aber bitte, es gibt ihn. Uns Numerariern hat man diese Art Gruß verboten. Entweder wurde der Hinweis geändert oder nicht  mehr beachtet. Auch Numerarier küssen Frauen, die sie begrüßen. Andererseits strecken die Frauen des Opus Dei ihre Wangen zum Kuss hin, wenn sie jemanden treffen. Wenn sich allerdings ein Numerarier und eine Numerarierin kennen, auch beruflichen oder gesellschaftlichen Gründen, und wissen, dass sie beide vom Opus Dei sind, geben sie sich zum Gruß die Hand. Sie küssen also alle bis auf die eigenen Brüder. Warum? Weil es analoge Brüder sind.

                Der Vater küsste nur seine männlichen Kinder. Er küsste seine Söhne, weil er ein „echter“ Vater war und sich wie ein Vater verhalten musste. Seine Töchter küsste er nicht, denn in diesem Fall war die Vaterschaft analog, metaphorisch. Er war wie ein Vater, aber kein wirklicher Vater. Ich erinnere mich, wie er einen Heiligen disqualifizierte – mir scheint, es war Aloisius Gonzaga — denn er küsste seine Mutter nicht, wegen der Reinheit. Er protestierte:

—      Nun, meine Mutter hat mich vor Küssen aufgefressen.

                Bei seinen Töchtern war das nicht so, die küsste er nicht. Das heißt, für seine Töchter war er ein analoger Vater. Warum war er für seine Söhne kein analoger Vater, für seine Töchter schon? Ich hätte es natürlicher gefunden, wenn er auch für die Männer ein analoger Vater gewesen wäre. Sonst hätten wir Brüder uns ja auch küssen müssen, wie es in Spanien oder Italien üblich ist. Aber so ist es nicht. Wir sind analoge Brüder. EBE hat in einigen Schriften schon ziemlich scharfsinnig festgestellt, dass es im Opus Dei keine Brüderlichkeit als solche gibt, sondern eine Juxtaposition als Söhne eines Vaters.

                Klarstellung Nr.6. Unsere Häuser. Als ich das Werk verließ und einen Haushalt gründete, in dem ich nach meinen Vorstellungen schalten und walten konnte, fühlte ich mich nach langer Zeit zuhause. Klein, aber mein. Ich habe auch ein Apostolat der Apostolate; sie kommt mir stundenweise helfen. Ich bin begeistert. Hinter ihr steht kein bürokratisches Monster voller Kriterien. Auch sie ist zufrieden. Möge sie mir die hl. Zita, die Patronin der Hausangestellten, lange erhalten.

                Ich verstehe das Affentheater nicht, das der Gründer um die Verwaltungen unserer Häuser angestellt hat, und zwar mit dem Argument, wir seien eine Familie. Eine Familie? Die Verwaltung gibt mir das Gefühl, ich sei in eines Pension oder so ähnlich. Ich habe mir weder das Haus noch die Möbel noch meine Mitbewohner ausgesucht, nicht den Zimmerservice und nicht das Essen. Darin liegt viel mehr Erziehungsprogramm als Brüderlichkeit.

                Unser Gründer hatte eine unglaubliche Fähigkeit, die einfachsten Dinge zu verkomplizieren, in seinem Eifer, alles zu kontrollieren. Von daher rührt die unglaubliche Bürokratie im Werk. Die Verwaltungen unserer Häuser liegen auf dieser Linie. Vielleicht bin ich undankbar, einmal mehr. Aber ich bin froh, dass ich auch das los bin.

 

Gervasio