Juan Antonio Aliseda: Anmerkungen zu  Fernando Ocariz und Ratzinger

 

12.08.2011

 

Liebe Freunde!

Im Sommer hat man etwas mehr Zeit zu lesen, und ich möchte zu einigen Thesen antworten. Ich schreibe auf, was ich weiß, und jeder möge seine Schlüsse ziehen.

- 1984 begann ich in der Abteilung der Geistlichen Leitung des Generalrats des Opus Dei zu arbeiten. Ich war als Hilfskraft eingestuft, graduiert als Mag. jur. und Dr. phil.

- Der Geistliche Leiter des Opus Dei hat keine Befehlsgewalt. Er hat kein Leitungsamt und kann deshalb aus Eigenem weder etwas anordnen oder verbieten. Er macht seine Vorschläge und beantwortet Anfragen, von der Weiblichen ebenso wie von der Männlichen Abteilung und der Priester­gesell­schaft vom Heiligen Kreuz.

- Da ich nur eine Hilfsstellung hatte, war mein unmittelbarer Vorgesetzter Don Fernando Ocáriz, und ihm übergeordnet war der Geistliche Leiter Don Iñaki Celaya, der ihn gewähren ließ und niemals irgendwelche Anweisungen in die eine oder andere Richtung erteilte, weder im philosophischen noch im theologischen Bereich, er äußerte sich auch nie über irgendwelche Personen.

- Unter anderem gehört in den Bereich der Geistlichen Leitung die Durchsicht und Aktualisierung des Index der verbotenen Bücher sowie Anmerkungen über Bücher, die an Gymnasien, Universitäten und Seminaren üblicherweise verwendet werden.

- Im Zuge einer ersten Durchsicht der genannten Bücherliste traf ich auf Personennamen (Literaten, Philosophen, Theologen etc.), deren Werke ich zwar nicht kannte, deren Namen mir aber etwas sagten. Ich nahm die Liste und ließ sie unter studierten Spezialisten aus verschiedenen Ländern der Welt zirkulieren [Anm.: gemeint ist selbstverständlich, unter Mitarbeitern der Generalleitung, jedenfalls aber Mitgliedern  des Opus Dei, denn ansonsten war die Liste geheim] und bat sie um Hinweise.

- Unter den Personen war auch Kardinal Ratzinger. Als ich fragte, warum er unter den verbotenen Autoren war, wurde klar, dass er „automatisch“ hineingeraten war, das heißt, man verdächtigte ihn aufgrund des Umfelds, in dem er publizierte, des Modernismus, da er auch für die Zeitschriften Communio und Concilium schrieb. Und da stand er nun: Ratzinger.

- Nachdem der Vorschlag einmal gemacht worden war, Kardinal Ratzinger von der besagte Liste zu streichen sei, sagte Fernado Ocáriz sofort mit einer starken und festen Stimme, dass das so geschehen solle. Nach drei Tagen hatten wir den Antrag mit den erforderlichen drei Unterschriften. Am folgenden Tag ging die Notiz mit der getroffenen Entscheidung an alle Regionen hinaus.

- Daher dürfte die Entscheidung, Ratzinger überhaupt auf die Liste zu setzen, „automatisch“ erfolgt sein, weder nach erfolgter Prüfung der Werke oder Thesen, noch nach persönlichen Rücksichten. Er ging „in der Gruppe“ mit. Und die Entscheidung, ihn aus der Liste zu streichen, war konkret und spezifisch, aber nicht aufgrund einer Intrige oder weil man über die Folgen spekuliert hätte. Er durfte einfach nicht als verbotener Autor dort stehen.

- Mit Hilfe der anderen Konsultationen, die von Spezialisten aus der ganzen Welt beigebracht wurden, säuberten wir die Liste, digitalisierten wir sie und druckten sie schließlich als Buch.

- Viel brauchbarer erscheinen mir die Rezensionen, die eine zusammen­fassende Analyse weit verbreiteter Bücher darstellen, die weit verbreitet sind oder häufig eine obligatorische Lektüre darstellen; sie ersparen nicht nur die Lektüre, sondern enthalten auch Informationen zur Analyse. Dem Leser bleibt nur mehr die Mühe Schlussfolgerungen zu ziehen (der Zweck war aber nicht, irgendjemandem Arbeit zu ersparen, sondern ihn davor zu bewahren, ein Werk lesen zu müssen, das als negativ angesehen wurde).

- Werke dieser Art (Rezensionen oder Kompilationen von Rezensionen) wurden schon häufig herausgegeben, von Literaturkritikern, von Vereinigungen von Theologen oder Philosophen etc. Es war dies keine Erfindung des Opus Dei. So ist es, und wenn man wollte, könnte man diese Rezensionen bei RIALP oder einem anderen Verlagshaus veröffentlichen, denn wir haben immer auf einen Ton geachtet, dass sich der besprochene Autor selbst nicht beleidigt fühlen kann.

NOTA: Ich bin weiter (über E-Mail) mit jemandem in Kontakt, der auch einmal Hilfskraft bei der Geistlichen Leitung war und heute Theologie­professor in Rom ist, mit dem Raumfahrttechniker und Theologen Javier Pérez. Er hat neulich ein Buch über die Spiritualität des hl. Josemaría Escrivá herausgegeben. Wenn ich mit ihm über das Werk und die  hier veröffent­lichten Erfahrungen sprechen will – er liest sie offenbar selbst -, wehrt er immer mit der Bemerkung: „Das sind persönliche Erfahrungen und Meinungen; sprechen wir vom wirklichen Leben!“ Offenbar hat jeder seine eigene Wirklichkeit.

Herzliche Grüße!

Juan Antonio Aliseda