Ferita: Auch ich habe gelitten, und ich bin gegangen

 

23. November 2011

 

Ich möchte mich vorstellen. Ich bin 66 Jahre alt, und von meinem 22. bis zu meinem 38. Lebensjahr war ich Numerarierin des Opus Dei. Ich teile meine Wohnung mit einer Freundin; sie ist der Mensch, der mir in meinem Leben am meisten geholfen hat. Ihr verdanke ich es, dass ich mich nicht umgebracht habe, auch wenn ich in manchen Momenten gedacht habe, ich könnte nicht mehr...

Ich bin in Madrid zum Werk gekommen, im Colegio Alcor, gegen den Willen meiner Eltern, die mich hinausgeworfen haben. Mein Vater war sehr streng und gewalttätig, und meine Mutter wagte ihm nicht zu widersprechen. Als ich von daheim wegging, hatte ich das Lehramt auf der Kunstakademie absolviert, ich hatte einen Koffer und meinen Malkasten dabei.  Es war geplant, dass ich das Studienzentrum in einer anderen Stadt absolviere und gleichzeitig in einer Schule für Inneneinrichtung  als Lehrerin arbeite.

Nach dem Studienzentrum wechselte ich an ein anderes Zentrum, das an dieser Schule selbst war. Dort hatte ich neun sehr schöne Jahre, ich habe viel gelernt und konnte in einem Beruf arbeiten, der mit dem, was ich gelernt hatte, zu tun hatte. Als die Schule schloss und ich an ein anderes Zentrum kam, begannen meine Probleme; ich werde darüber zu einem späteren Zeitpunkt berichten.

Es war eine harte Zeit, nicht nur, weil ich krank wurde, sondern auch aufgrund einer Reihe von Vorkommnissen und von Personen, die mir den Kopf völlig verrückt machten. Ich bekam  Depressionen, wurde in Pamplona von Dr. C. behandelt, und es wurde ärger. Ich wollte gehen, aber sie ließen mich nicht. Einmal wollte ich abhauen, aber sie erwischten mich am Eingang und ließen mich nicht weg.

Schließlich konnte ich, krank und am Boden zerstört, meine Bitte um Dispens abgeben und gehen.

Da ich in einer von „ihren“ Schulen arbeitete, rief mich die Direktorin vier Tage vor Semesterbeginn  zu sich  und sagte mir, dass sie eine andere Professorin gefunden hätten und mich nicht mehr benötigten.

Ich verließ das Werk, ohne Arbeit, nur mit einem kleinen Koffer, einer Plastiktüte mit zwei Paar Schuhen, ohne Geld, ich prozessierte und gewann, denn meine Kündigung war unzulässig (all das musste vor Gericht geklärt werden), ich musste mir alles Mögliche anhören, wurde bedroht, beleidigt, musste mir sagen lassen, dass ich ein schlechter Mensch sei, dass ich verdammt sein würde und dass mich ein schreckliches Leben erwarte.

Ich hatte allerdings das Glück, eine gute Freundin an meiner Seite zu wissen, die mich bei ihrer Familie unterbrachte, wo ich leben konnte.

Mein Gesundheitszustand war schlimm, ich wurde 26mal operiert; seit zehn Jahren sitze ich im Rollstuhl und kann nur noch kurze Strecken zurücklegen. Ich habe eine  Invaliditätspension bekommen, mit der ich mich über Wasser halten kann, aber ohne die Hilfe dieser Freundin müsste ich in einem Heim leben. Ich muss weiterhin in psychiatrische Betreuung und Tabletten nehmen. Ich habe noch immer beklemmende Träume, und ich verfalle immer wieder in Zustände großer Anspannung.

Seit einigen Monaten lese ich opuslibros und wurde mir dessen bewusst, dass nicht nur ich diese quälende Vergangenheit habe, sondern viele Menschen, mit denen ich mich identifizieren kann; das hat mich sehr beeindruckt. Jetzt ist es viel leichter, sich zu informieren, wenn man das möchte; am liebsten würde ich allerdings nichts lesen, denn ich habe nach wie vor Angst.

In den sechziger bis in die achtziger Jahre hinein erfuhr man gar nichts. Ich wusste nur, dass man nicht an den Kern der Dinge herankam, denn alles war verloren, inkohärent, falsch, mit einem himmelschreienden Mangel an Nächstenliebe. Ich hatte auch Probleme mit Priestern, die das Beichtgeheimnis nicht bewahrten, mit Leuten aus der Delegation. Ich konnte nicht glauben, was sie mir da sagten und was sie mir verheimlichten. Ich sagte einige Monate lang gar nichts, ich konnte nicht mehr sprechen, weinte nur noch, begab mich von Zentrum zu Zentrum (man wollte sehen, „ob das bei mir vorbeiging“), man sagte mir, dass ich niemandem erzählen dürfe, was ich gesehen und gehört hatte und was sie mir gesagt hatten (das Allerschlimmste daran war, dass sie mich glauben machen wollten, dass all das, was ich mitbekommen hätte, nur das Ergebnis meiner Fantasie gewesen sei, und dass ich ihrer Ansicht nach krank sei, das heißt verrückt).

Auch wenn mein Leben sehr schwierig war, so konnte ich doch glücklicherweise gut arbeiten und hatte kein Problem damit Arbeit zu finden und weiterzukommen. Obwohl sie  mir trotz meines Zustands sagten, sagten, dass dort, wo ich hingehen wollte, das Leben schrecklich sei, dass es im Werk viele Menschen wie mich gäbe, fand ich immer eine Möglichkeit wo ich bleiben konnte. Ich geriet völlig aus dem Gleichgewicht und machte mit allem Schluss, mit dem Werk, mit Gott (denn sie hatten mir gesagt, dass all dies der Wille Gottes sei). Ich war am Boden zerstört, verängstigt, und einzig meine Freundinnen gaben mir Zuneigung und Kraft, obwohl auch sie nicht verstehen konnten, was mit mir los war. Meine Familie machte sich bloß lustig über mich und gab mir keine Unterstützung.

Ich habe allen vergeben, meinen  Eltern, all denen, die mir Schaden zugefügt haben, und ich hege keinen Groll, aber es gibt Dinge, die man nicht vergessen kann, die bleiben und die immer wieder auftauchen, auch wenn man nicht mehr daran denkt.

Nach und nach werde ich meine Geschichte erzählen. Ich hatte mir viele Aufzeichnungen gemacht, und das half mir, dass ich seit einigen Jahren meine Lebensgeschichte niederschreiben konnte, nur für mich. Ich fühlte mich gedrängt, diese Dinge niederzuschreiben, die mir solchen Schaden verursacht hatten. Aber ich fand ebenso wunderbare Menschen, großzügige, hingebungsvolle, Frohe Menschen, die mich sogar wieder zum Lachen gebracht haben.

 

Fortsetzung folgt.

 

FERITA