Warnung vor einem Raubüberfall

 

Sehr geehrter Herr Diplomingenieur, lieber Martin!

 

Lange habe ich gezögert, dich anzusprechen, weil ich mich geschämt habe, das heikle Thema anzuschneiden; aber was sein muss, muss sein, in wilder Aufrichtigkeit und ohne menschliche Rücksichten.

Am Dienstag, den 10. Dezember 2002, noch vor zehn Uhr vormittags (ich hatte meinen freien Tag, du bist offenbar vor dem Aufmarsch des Putzballetts aus der Kommission geflüchtet) haben wir einander zum letzten Mal gesehen, wenn auch damals nicht gesprochen. Wir standen an zwei benachbarten Schaltern der ERSTE Bank, Wiedner Hauptstraße 20. Ich zahlte die Spenden von der letzten Schultheater­aufführung aufs Schulkonto ein; du legtest dem Beamten einen sicher zehn cm dicken Stapel von Zweihundert-Euro-Scheinen vor. Dabei hast du mich sehr böse angesehen, als ich hinüberschaute. Bist du mir noch immer böse?

Die Erinnerung daran lässt mir keine Ruhe. Bitte, lieber Martin: Sprich mit dem jetzigen Regionalverwalter (ist das vielleicht Martin W.?), sprich mit Luki: So kann es doch nicht weitergehen. Du weißt, wie viele Raubüberfälle es in Wien gibt; wie leicht kann es passieren, dass jemand (z. B. aus einem geparkten Auto heraus) auskundschaftet, wann jeweils ein Laie aus der Tür Argentinierstraße 45 tritt und eine Bank aufsucht – und dann möchte ich mir nicht ausmalen, was geschehen könnte. Die Beute wird euch glatt abgejagt. Da hilft es dann auch nur wenig, dass die Argentinierstraße in ihrer Längsachse einen Tabernakel hat, wie Albert so treffend bemerkt hat – das Geld wird weg sein, und ihr könnt froh sein, wenn euch dabei nichts passiert. Wie aber wollt ihr diesen Verlust vor euren Ordensoberen rechtfertigen?

Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr komme ich ins Grübeln. Wenn ihr zu zweit geht, ist es vielleicht besser; aber gegen einen bewaffneten Überfall hilft das auch nicht viel, im Gegenteil; man wird nur aufmerksam, dass da etwas zu beschützen ist. Außerdem gibt es sicher eine interne Vorschrift, die das verhindert, denn man soll euch ja nicht für warme Onkel halten, und wenn ihr noch so unfröhlich dreinschaut.

Ihr könnt euch natürlich auch einen Priester mitnehmen – aber wie sieht das denn aus! In kirchenfernen Kreisen herrscht ohnehin das feindselige Stereotyp von der Erbschleicherei der Pfaffen, die Omas letztes Fieber schamlos ausnutzen und ihr einreden, sie könne sich den Himmel kaufen.

Es ist schwer – aber ich glaube, es gibt für alles eine Lösung.

Gib zuerst einmal Luki eine brüderliche Zurechtweisung, weil er sich um diese Dinge bisher offenbar zu wenig gekümmert hat.

Und dann schreib dem Vater einen Brief, in dem du ihm offen, kurz und in einfachen Worten (falls er ihn selber liest) erklärst, worin das Problem besteht; und dann bitte ihn, mit der Harmlosigkeit eines Kindes Gottes im Opus Dei, er soll anordnen, dass ab sofort die freiwillig (vgl. den Hirtenbrief vom 2. Oktober 2011) einlaufenden Spenden der Mitglieder auf ein Konto zu überweisen sind, dass wir das Geld ab sofort versteuern und unsere Finanzgebarung der Aufsicht des Heiligen Stuhls unterwerfen (statt umgekehrt). Dann wird auch das dumme Gerede von „Mafia“ und „Geheimgesellschaft“ aufhören, und ihr könnt endlich beginnen, das brave Leben gewöhnlicher Christen zu leben.

Mit herzlichen Grüßen

Dietmar

P.S.: Du kannst natürlich auch einfach gehen. Anstandshalber würde ich eine Notiz hinterlegen, damit die Mädchen von der Verwaltung eine Mahlzeit und eine Hostie weniger bereitstellen; eine Dispens braucht aber gar niemand, das ist nur ein Jux für die Schüchtis, die man bei der Stange halten will. Eine Personalprälatur ist eine klerikale Vereinigung, bei der Laien mitarbeiten, aber keine ordentlichen Mitglieder werden können; also gibt es natürlich auch keinen richtigen Austritt. Also, wenn du willst – willkommen im Leben! D.

Zurück