Pixie: Noch eine Geschichte

 

5/10/2012

Seit einigen Jahren lese ich mit Interesse diese Seite, und ich dachte niemals, dass ich einen Tages auch hier meine Geschichte veröffentlichen könnte.

Mit 14 betrat ich das erste Mal ein Zentrum des Opus Dei. Um die Wahrheit zu sagen, ich durfte eine Pfeife rauchen und war glücklich. Wie schön waren die Englischkurse, die UNIVs, die Reisen durch Europa, Fußball und so viele andere wunderbare Dinge. Niemand musste mich dazu auffordern, jeden Tag in den Club zu gehen, ich kam von selber, weil ich wollte…

Dann begannen sie mir sanft, beim Englischkurs in Torreciudad, von der Möglichkeit zu sprechen, dass ich eine Numerarierberufung hätte. Einige meiner Freunde haben gepfiffen und sind geblieben, andere gingen wieder; die, die gingen, waren von der Bildfläche verschwunden. Weiß jemand etwas von Rufino...?

 

Dann fingen sie an mich fertig zu machen, und im Lauf der Jahre wurde es immer schlimmer. Den Anfang machten die Numerarierfreunde des Zentrums, in das ich ging. Einer nach dem anderen wollte mit mir reden, auf jeder Reise probierten sie es, erzählte  mir ihre Geschichte und meinten, dass ich Berufung hätte.

Ich kann nichts besonders gut, aber zuhören kann ich, stundenlang.

Ich erinnere mich an sie viele Geschichten von Numerariern, die mir ihr Herz öffneten, um mir Mut zum Pfeifen zu machen… Da war der arme Kerl, mit dem seine Eltern nicht mehr redeten, will sie seine Berufung ablehnten; der andere hatte seine Braut stehengelassen, weil Gott es so von ihm verlangte. Ein anderer, heute ein braver Priester, sang in den 70ern in einer Gruppe. Andere erzählten mir, dass sie erst durch das Opus Dei zu Menschen herangereift seien. Der eine Priester beispielsweise erzählte mir, dass er erst im Opus Dei gelernt habe, täglich die Socken zu wechseln. Ein anderer war vorher Hippie gewesen. Einige erzählte  mir vom Leben zuhause. Der eine hatte vorher eine Künstlermähne getragen und musste erst zum Friseur, der andere wusste zunächst nicht, wo er den Bußgürtel hintun sollte.

Ich hörte zu und habe nie gepfiffen.

Es klingt vielleicht ein wenig seltsam, aber ich genoss, ihr Bemühen, dass sie mich dabei haben wollten. Und ich bin im Lauf der Jahre sogar so weit gekommen, dass ich mit einem Freund darin wetteiferte, die Numerarier durch unsere Hartnäckigkeit zu ärgern.

 

Jetzt, mit der Zeit denke ich, denke ich, dass es einfach ziemlich aufregend war, sich so zu verhalten.  Vor allem bei den Konvivenzen und Besinnungstagen. So rief mich beispielsweise ein Numerarier an, gelegentlich holte mich einer mitten aus dem Unterricht oder von einem Fußballmatch oder etwas Ähnlichem, und ich dachte immer, das quälende Gespräch würde beendet sein, sobald es Zeit für das Mittag- oder Abendessen war. Pixie, sagte ich mir, halte durch, und dann kriegst du dein Abendessen. Pixie, noch zehn Minuten, und es ist erledigt… So hat das immer funktioniert.

Einige Freunde, die ich ins Vertrauen gezogen hatte, sagten mir, sie verstünden nicht, wie ich das aushalten könne. Oft und oft versäumte ich ganze Unterrichtsstunden, Ausflüge oder Ähnliches, weil der Meister vom Stuhl glaubte, jetzt sei der ideale Moment gekommen mich zu fischen.

Und dann schlug auch meine Stunde.

Ich war achtzehn und hatte gerade mit der Uni begonnen. Da ich schon älter war, hatte ich vom Jugendclub ins Studentenheim gewechselt. Schon vier Jahre lang hatte ich ihr Gequatsche ausgehalten, und ich dachte, sie würden mich jetzt endlich Supernumerarier werden lassen, und ich dachte, das sei, was Gott von mir wollte.

Ein Erklärung zwischendurch: Bei der Berufung der Numerarier sind sie genauso lästig wie bei den Supernumerariern, aber es ist ein anderer Lebensabschnitt, in dem sie das probieren. Was für eine große Dummheit haben sie damit begangen, dass sie das erfunden haben, und welchen Schaden haben sie damit angerichtet!

Sorry, ich muss meine Geschichte weitererzählen. Also ich fasse zusammen: Die täglichen persönlichen Gespräche über meine Berufung gingen weiter, und jedes Mal, wenn ich eine über die Rübe bekam, sagte ich mir, halte durch, Pixie, in zehn Minuten beginnt die Betrachtung, und dann muss er aufhören, halte durch, Pixie, HALTE DURCH!!! m Und ich hielt aus und hörte zu und hielt durch.

Sicher wird mich jemand fragen, warum ich sie nicht zum  Teufel geschickt habe, und jetzt frage ich mich das selber. Aber damals waren das meine Freunde, meine Leute, meine Clique, und den Rest der Zeit ging es mir dort ja großartig.

Nun, eines guten (oder schlechten) Tages lud mich der Direktor ins Studentenhaus zum Essen ein – und ich war entzückt, denn die Verwaltung kochte soooo gut! Und es gab Wein und alles. Nach dem Beisammensein mit Kaffee lud mich der Direktor in sein Zimmer ein und sagte zu mir:

- Pixie, heute gehst du nicht, ohne den Brief zu schreiben -.  Denkste, dachte ich.

Dann war es vier Uhr Nachmittag, und er lud mich auf einen Spanziergang ein. Ich konnte ihn nicht davon abbringen, dass er ganz klar meine Berufung als Numerarier sah, dass ich ihm vertrauen solle, und dass ich mich hingeben solle, und dann würde ich sehr glücklich sein, weil ich das tat, was Gott von mir wollte.

Und die Zeit verging.

Eine, zwei, drei Stunden… - Pixie, und ich dachte mir, halte durch bis zum Kaffeetrinken, aber es GAB KEIN KAFFEETRINKEN. Und erließ mich nicht aus dem Zimmer, nicht einmal um auf die Toilette zu gehen.

-Pixie, insistierte er, heute gehst du mir nicht aus diesem Zimmer ohne den Brief zu schreiben-. Nicht einmal im Scherz, dachte ich mir im Stillen.

Vier Stunden vergingen, fünf Stunden… Schön langsam fing ich wirklich an zu verzweifeln. Es ist schon Nacht, ich muss nach Hause, sagte ich zu ihm. Er sagte mir, dass ich nicht gehen könne; ich solle mir keine Sorgen machen, er werde mich mit dem Auto nach Hause bringen, und er begann wieder mit seinen Angriffen. Ich erinnere mich, dass das Zimmer finster war und dass das einzige Licht eine Schreibtischlampe war.

Und um zehn Uhr nachts brach Pixie der Torero verzweifelt zusammen und unterschrieb den Brief.

Ich muss dazu sagen, dass er mir sagte, während er mich im Auto nach Hause fuhr, dass jetzt frische Luft ins Werk ströme, und ich dachte mir: Und morgen früh rufe ich dich an und sage dir, dass das ein Irrtum gewesen ist.

Und so geschah es. Ich rief ihn an und sagte ihm, er solle den Brief zerreißen, und er sagte mir, jetzt könne er das nicht mehr, ich hätte den entscheidenden Schritt getan und müsse jetzt kämpfen… Jetzt weiß ich, dass das Schwachsinn war. Wenn ich einen Schritt getan habe, dann einzig und allein deshalb, weil ich meine Freunde nicht verlieren wollte und weil ich nicht aus konnte

Seit dem Tag, an dem ich den Brief geschrieben habe, und das war im November, verlief mein Leben eingesperrt wie in einem Kerker; ich sagte ihnen das alles, und sie sagten mir tausend Geschichten, dass ich mich noch nicht ganz hingegeben hätte und dass ich Gott bitten solle, dass er mir Licht schenken möge...

All das habe ich meinen Eltern nicht erzählt, denn ich wollte den Knoten selber auflösen. Niemand kann sich ihren Verdruss ausmalen, der sie befiel, als ihnen eines schönen Tages Bekannte mitteilten, dass ich gepfiffen hätte. Abe es gab eine Zeit vor diesem Tag und eine Zeit danach.

Gott sei Dank verstanden mich meine Eltern. Ich sagte ihnen das, was ich hier niedergeschrieben habe, und sie unterstützten mich. Ich bat sie gar nichts zu tun, denn sie boten mir an, mit allen möglichen Leuten zu reden, aber ich spürte, dass ich das hier ganz für mich allein lösen musste.

Ich versuchte das aktiv und passiv: ich taugte nicht zum Numerarier, wäre ohne Gnade, unglücklich, sie sollten mich Supernumerarier werden lassen, denn als solcher könnte ich gute Arbeit leisten, aber es half alles nichts.

So ging es von November bis Juli; da ging ich dann, als sie mich auf Jahreskurs schicken wollten, und ich sagte ihnen, ich gehe nicht, ich will nicht mehr, ich hätte während dieser Monate ganz klar gesehen, dass Gott mich nicht als Numerarier – und ich zog das auch durch.

Schließlich gab der Direktor nach und sagte mir, dass ich mit dem Verantwortlichen der Delegation reden müsse, mit Don Eduardo […], und das ich der einzige in der Geschichte, dem ich gerne eine die Fresse hauen würde, um nichts Schlimmeres zu sagen.

Ich suchte Don Eduardo in der Delegation auf und hatte ein langes Gespräch mit ihm, in dessen Verlauf er mir sagte, dass ich nicht Supernumerarier sein könne und treu bleiben müsse, und ich sagte ihm mit einigen wohlgesetzten Worten, dass er sich widersprach. Das Verhalten Don Eduardos war anfangs das eines herzensguten Vaters, den man um Rat und Hilfe gebeten hat.

Als er sah, dass er so nicht weiterkam und dass ich entschlossen war zu gehen, verwandelte sich Don Eduardo in eine Art Hulk, ein hasserfülltes Monster. So war es, auch wenn mir das viele Numerarierfreunde nicht glauben wollen.

Von allem, was mir Don Eduardo gesagt hat, sind mir vor allem drei Sätze wörtlich im Gedächtnis haften geblieben:

- Wenn du gehst, bist du in den Augen Gottes ein Saukerl.

- Du wirst es niemals in deinem Leben zu etwas bringen.

- Du kannst das Opus Dei nicht verlassen, nach all dem, was wir für dich getan haben. (Hein?)

Tatsächlich brüllte sich Don Eduardo die Seele aus dem Leib. Für mich war es sehr befreiend, ihn in einem solchen Zustand zu erleben, denn das war der Beweis dafür dass dieser Herr ganz sicher keine Ahnung hatte, was Gott von mir oder irgendjemand sonst wollte. Da musste ich lächeln, und ich denke, dass Don Eduardo erst in diesem Moment gemerkt hatte gemerkt hatte, dass er so schrie. Endlich hörte er damit auf; mir war diese Belästigung so lang und so beschwerlich wie eine Schwangerschaft vorgekommen.

Tatsächlich halfen mir die hasserfüllten Worte Don Eduardo sehr dabei, mich vom Opus Dei endgültig zu verabschieden. Ich muss das hinzufügen, was sich für die Eingeweihten ohnehin von selbst versteht: Im Zentrum wandten mir alle den Rücken zu und einige, die ich für Freunde gehalten hatte, redeten nicht mehr mit mir. Aber die echten Freunde, die Numerarier und die anderen, blieben mir erhalten.

Ich habe mein Studium fertiggemacht, geheiratet und habe heute eine Frau und Kinder, die mein ein und alles sind, und ich habe nie wieder ein Zentrum betreten. wenn mir irgendjemand zu einem Vortrag oder einer anderen Geschichte einladen will, sage ich immer, dass es mir wie Obelix geht, der, als er klein war, in den Zaubertrank gefallen war, und deshalb durfte ihm der Druide keinen mehr geben.

PIXIE