Organisierter Leerlauf


Ein Reflex aus der NS-Zeit, für euch aufgelesen aus: Richard Kaufmann: Der Himmel zahlt keine Zinsen. Roman. Stuttgart: Schuler, o. J., S. 115:

 

Es waren keine Opfer, es war eine Art organisierter Leerlauf. Als Student wurde man dauernd einberufen, man marschierte, man ging in Lager, man sang, man gehörte einer Organisation an […] Man wußte im voraus, daß man nicht daran sterben würde, und soweit war alles gut. Aber es hing wie ein Bleigewicht an den Sohlen. Es erschwerte jede freie Arbeit. Schließlich hatte man nur noch Zeit, gerade das eben vorgeschriebene Pensum zu erledigen. Jede freie Spekulation, jedes müßige Herumschweifen der Gedanken war unmöglich geworden.

Anfangs dachten wir, es sei Zufall, Verwendung der falschen Leute an den leitenden Stellen. Aber mit der Zeit wurde uns klar, daß es nicht Zufall, sondern Absicht war. Man wollte gerade das und nichts anderes. Man wollte keine Philosophen, keine Denker, keine müßigen Spekulierer. Es gab ein paar Faustregeln. Man hörte sie bei jeder Tagung […]

 

Jede Ähnlichkeit mit anderen Tausendjährigen Reichen, für die es sich zu leben und zu sterben lohnt,  entspricht rein  zufällig den gleichen Voraussetzungen. So sehen sie aus, die Strategien der Welteroberer. Die Speckbacke mit Brille und der Hypnotisierer mit dem Rotzbremse-Bärtchen: Beide  waren sie hässlich, der Vater verabschiedete sich aus ihrem Leben, als sie in der Pubertät waren, der aragonesische Marrane, der nicht Architektur studieren konnte,  und der österreichische Beamtensohn, der auf der Kunstakademie nicht genommen wurde – sie ließen die Welt für ihre Frustrationen büßen. In den anderen sahen beide keine Menschen, sondern Dünger für ihre Endzeitvisionen.