Gervasio: Wer  braucht die geistliche Leitung?

 

Wenn ich dieses Thema behandle, werde ich zuerst meine persönlichen Erfahrungen schildern und mich dann auf theoretische Fragen einlassen; so scheint es mir am ehrlichsten zu sein; denn  unsere Theorien verdanken sich zum großen Teil den Erfahrungen unseres Lebens.

 

1. Erfahrungen mit der geistlichen Leitung. Ich bin Sohn einer mocha — so nennt man in Mexiko eine brave Katholikin, die römisch und apostolisch ist, mehrmals täglich zur Kirche geht, Novenen und Andachten pflegt, den Ehrgeiz hat heilig zu werden und mir immer schon die Sehnsucht vermittelte, ich möchte Priester oder Missionar werden. Von klein auf impfte sie mir die Gewohnheit ein, einen geistlichen Leiter zu haben; und so war es für mich selbstverständlich, immer beim selben Priester zu beichten. Das war mein Matheprofessor. Ich kniete also in einem Beichtstuhl vor meinem Mathematikprofessor nieder – wenn ich das recht verstandene habe, so hat der hl. Karl Borromäus dieses Möbel erfunden. Ich beichtete beispielsweise, dass ich in einem Punkt gelogen hatte – Kindersachen eben. Später sagte mir ein Numerarierpriester, bei dem ich einige Male beichten gegangen war, dass sich nur Kinder  dessen anklagen, gelogen zu haben. Dabei ist es nicht so, dass wir Erwachsenen nicht lügen; wir beichten das nur nicht. Wir sind stolz auf unsere Lügen, wenn sie funktionieren. Manche kommen durch Heuchelei zu ihrem Arbeitsplatz, andere gewinnen Seelen, andere soziales Prestige, andere Geld. Wir bereuen normalerweise unsere Lügen nicht.

Ich schweife ab, wie die hl. Theresia von Avila sagen würde. Ich habe jedenfalls schon im zarten Alter geistliche Leitung empfangen, oder ich hielt es dafür. Später ermunterte mich ein Freund, zum Kreis von St. Raphael zu kommen und „mit dem Priester zu sprechen“. Ich hatte keine Lust mit dem Priester zu sprechen, aber ich dachte an die Empfehlungen meiner Mutter. Zuerst saßen wir beide da, dann kniete ich nieder und beichtete. Ganz ohne das Möbel, das der hl. Karl Borromäus erfunden hatte.

Der, der mir diesen Hinweis gegeben hatte, kümmerte sich dann nicht weiter darum – ich war von St. Raphael und noch kein Numerarier – und ich hörte irgendwann mit der geistlichen  Leitung oder Beichte, oder was das war, bei diesem Priester auf, für den ich weder Sympathie noch Antipathie noch Empathie empfand, sondern gar nichts; er war nur der, der mir das zu bekommen half, was meine Mutter mir empfohlen hatte. Ich erneuerte später diese geistliche Leitung oder was das war mit demselben Priester, weil ein anderes Mitglied des Opus Dei, der schon auf der Uni war, mich zu einem Kreis von St. Raphael eingeladen hatte und ich wieder mit dem Priester zu reden anfing. Noch einmal mit demselben Priester. Ich erinnere mich an gar nichts mehr, was ich mit ihm geredet habe. Ich erinnere mich nur daran, dass er mir die Empfehlung gab kalt zu duschen. Damals hatte der Gründer noch keinen Muskelkrampf von der kalten Dusche bekommen. Eines Tages hatte er nämlich unter der kalten Dusche einen Muskelkrampf bekommen. Es war ziemlich heftig, sein Gesicht war ganz verzogen. Der Gründer beschwerte sich, dass bei der Messe dem Messdiener sein Problem gar nicht aufgefallen war, und schob es auf dessen Mangel an innerem Leben. Das Gute daran war, dass die kalte Dusche optional wurde; ich höre noch den Gründer sagen:

— Ich empfehle euch warm zu duschen.

Ich habe das so gehört, aber schriftlich wurde das niemals fixiert, denn das Bodenpersonal fährt fort kalt zu duschen, oder zumindest nimmt man ein wenig kaltes Wasser vor oder nach dem warmen. Tatsächlich gibt es keine Häuser mehr, in denen gar kein Warmwasser zur Verfügung stand.

Ich schweife schon wieder ab; wir waren bei der geistlichen Leitung. Ich erinnere mich, in Crónica eine Fotografie gesehen zu haben, wie der Vater die Aussprache empfängt. Ein ganz altes Foto! Der Vater war jung und dick. Er gab sich das Ansehen der Nachdenklichkeit und hörte zu, in einen Mantel gehüllt, er hörte aufmerksam jemandem zu, der neben ihm auf einer Gartenbak saß. Ein Bild sagt mehr als tausend Worte, so sagt man. Die Aussprache machte man damals beim Vater; ich möchte nur zu gerne wissen, ob er sie als Leiter oder als Beichtvater entgegennahm.

Später musste man die Aussprache alle vierzehn Tage mit dem zugewiesenen Priester machen, und jede Woche mit dem zugewiesenen Laien. Das konnte einem schon ordentlich auf den Wecker gehen, die sechs Aussprachen im Monat. Es war, wie wenn man fünfmal dasselbe Formular ausfüllt. Damals, zu Beginn der sechziger Jahre – ich würde sagen, es war 1961 – wurde die vierzehntägige Aussprache mit dem Priester abgestellt, zur großen Erleichterung der Priester ebenso wie der Gläubigen. Es war trotzdem unangenehm. Noch in den siebziger Jahren bat mich der Priester, bei dem ich wöchentlich beichtete, eben weil er der Priester war, den sie mir für die wöchenliche Beichte zugewiesen hatten etwas zu erledigen, er hatte da seine Skrupel. Er bat mich, zumindest einmal die Aussprache mit ihm zu machen, denn er hätte da einige Formulare über den Zustand meiner Seele auszufüllen, und er hatte den Eindruck, dass er mich, nur durch die Beichte, noch nicht genug kannte, Wenn er mich gebeten haben sollte, ihn vom sakramentalen Siegel zu entbinden, so habe ich dies gerne gemacht. Nur einmal haben sie mich darum gebeten; und vermutlich habe ich zugestimmt.

Im Übrigen rate ich zu folgenden Vorsichtsmaßnahmen, falls jemand nicht will, dass sich der Priester des Inhalts der Beichte zu irgendeinem Zweck bedient. Man fahre mit dem Taxi in eine fremde Stadt, lasse den Chauffeur mit laufendem Motor vor einer Kirche warten und erledige das Unvermeidliche, selbstverständlich mit allen erforderlichen Zutaten, wie der Reue des Herzens, denn sonst ist die Lossprechung ungültig. Sobald man  die Absolution empfangen hat, soll man so schnell wie möglich zum Taxi laufen und das Weite suchen; und auch der Taxifahrer sollte tunlichst sein Äußeres verändert haben, sonst kann man nämlich für gar nichts garantieren ;)

Ich schweife schon wieder ab. ich wollte nur unterstreichen, dass ich in meinem Leben, so wie jeder andere Numerarier, durch die Hände vieler Leiter gegangen bin, vieler Priester und vieler Laien, die mir vom Direktor zugewiesen worden waren und mit denen ich die Aussprache gemacht hatte, die auch das „brüderliche Gespräch“ genannt wird. Sind sie denn geistliche Leiter? Alle? Oder nur einige? Die Frage wurde hier schon ganz scharfsinnig gestellt, im Hinblick auf die Unterscheidung zwischen der geistlichen und der hierarchischen Leitung, zwischen dem Forum externum und dem Forum internum.

Aber bevor ich mich diesem Thema auf abstrakte Weise annähere, möchte ich, weil es mir ein Anliegen ist zu zeigen, wie ich zu meinen Ansichten gekommen bin, fortfahren in meinem Erfahrungsbericht in Betreff geistliche Leitung – Aussprache – Beichte. Ich würde sagen, dass ich niemals geistliche Leitung bekommen habe. ich habe immer wieder gebeichtet und regelmäßig die vorgeschriebene Aussprache gemacht.

Heißt das, dass ich geistliche Leitung empfange  habe? Ich würde sagen, es waren viel eher Beichten, Aussprachen und brüderliche Gespräche. oder war es eine Gewissensauskunft? Ich denke, es war eher Letzteres.

Ich lese hier, dass einige mit sehr verständnisvollen Leitern gesprochen haben, andere mit solchen oder mit Priestern, die eher verständnislos waren. Um die Wahrheit zu sagen, ich persönlich habe niemals solche Erfahrungen gemacht. Ich hatte dumme, kluge und mittelmäßige Leiter, verständnisvolle und weniger verständnisvolle. Ich hatte sie von jeder Sorte und jeden Zuschnitts. Und mir  war es immer ziemlich egal, wie sie sich mir gegenüber verhielten. Niemals erfuhr ich Wertschätzung vonseiten der Leiter oder Priester, niemals suchte ich ihre Zustimmung. Wenn jemand sich in einen Leiter oder Priester vewandelte, verlor er seinen Zauber. Gehe nie zu deinem Fürscht, wenn du nicht gerufen wirscht. Ich erinnere mich, wie der Gründer die hl. Theresia zitierte, die gesagt habe, dass jede Seele einen Abflusskanal benötige, das heißt, dass sie sich mit Vertrauen und Aufrichtigkeit jemandem gegenüber öffne. Ich spürte niemals diese Notwendigkeit, und schon gar nicht bei einem Leiter oder einem Priester. Nicht, dass ich Blockaden gehabt hätte, das wohl nicht. Aber wenn ich mit dem Vertrauen eines echten Freundes zu jemandem sprechen soll, so muss ich mich mit ihm auf einer Ebene treffen, damit das ein echter Freund sein kann, damit es ein symmetrisches Verhältnis ist. Es kam mich hart an, mit einem Herrn zu reden, vor dem ich kniete. Und auch beim Leiter, dem ich dasselbe erzählte, fiel es mir schwer, obwohl ich vor dem nicht kniete. Er stand über mir; und es war nicht dasselbe. Da können sie sagen, was sie wollen.

 

2. Eine Theorie über die geistliche Leitung.

In Übereinstimmung mit den früheren Auflagen des Katechismus kann man im Katechismus des Werkes von 1995 (6. Aufl,), Nr. 209 lesen:

Um welche Themen geht es in der Aussprache?

In der Aussprache geht es um:

1) die Erfüllung der Normen und Gewohnheiten;

2) die Wahrnehmung des Apostolats, vor allem der persönlichen apostolischen Auftrags;

3) um das bemühen, die Arbeit zu heiligen, die anderen in der Arbeit zu heiligen und sich in der Arbeit zu heiligen;

4) um die Ausführung der Aufträge, die einem vom Örtlichen Rat übertragen wurden. Wenn man die Aussprache mit der größtmöglichen Aufrichtigkeit machen will, und das ist das unbezweifelbare Zeichen eines guten Geistes und eine Hilfe auf dem geistlichen Weg voranzuschreiten, wird es auch angebracht sein, über folgede Themen zu sprechen:

1) was sich auf den Glauben, die Reinheit und die Berufung bezieht;

2) die Art, wie die Normen erfüllt werden, in besonderer Weise die Heilige Messe, das Gebet, die Abtötung und die Gewissenserforschungen;

3) die Liebe zur Heiligen Kirche und zum Werk; das Gebet für den Heiligen Vater und für die Bischöfe, die in Einheit mit dem Heiligen Stuhl stehen;

4) den Geist der Kindschaft zu unserem Gründer und zum Vater, die Brüderlichkeit und den Proselytismus;was uns beschäftigt, die Traurigkeiten oder Freuden;

5) das Gebet und die Abtötung für den Vater und für alle Mitglieder des Werkes.

Es gibt also einen Unterschied zwischen der Aussprache als solcher und der Möglichkeit, falls jemand die Aussprache mit der größtmöglichen Aufrichtigkeit machen möchte. Höchst merkwürdig.

Man schafft hier eine feine, aber ausdrückliche Unterscheidung zwischen der Erfüllung der Normen und Gewohnheiten — ein Thema, nach dem sich die Vorgesetzten wohl erkundigen können — und der davon abgesetzten Art und Weise, die Normen zu erfüllen. Dieses letztere bezieht sich nur auf die Aussprachen, die mit der größten Aufrichtigkeit zu machen sind. Ähnlich verhält es sich mit den Beschäftigungen, Traurigkeiten und Freude, Glaube, Reinheit und Berufung etc. Es gibt Themen, die nur in Aussprachen gehören, die mit der größten Aufrichtigkeit zu machen sind.

Oráculo schreibt in Die Freiheit der Gewissen im Opus Dei, dass man sich im Werk über das in Can. 630 § 5 ausgesprochene Verbot hinwegsetzt, in dem es heißt: „“Den Oberen ist es aber untersagt, [die Mitglieder] auf irgendeine Weise anzuhalten, ihnen das Gewissen zu eröffnen.“ Der alte Can. 530 des Codex von 1917 sagt im gleichen Sinn: „Den Oberen der Ordensinstitute ist es ausdrücklich verboten, ihre Untergebenen auf irgendeine Weise zu veranlassen, ihnen ihr Gewissen zu eröffnen“.  Die Unterscheidung, die die zitierte Passage im Katechismus des Werkes macht, geht auf dieses Verbot ein und unterscheidet zwischen dem, was der Vorgesetzte fragen kann und was nicht.

Weder ich noch irgendein anderer wurde jemals gefragt, ob ich die Aussprache mit der größten Aufrichtigkeit machen  wolle oder ohne die größte Aufrichtigkeit. Die Offenlegung des Gewissens wird vorausgesetzt und erstreckt sich auf alles. Es bleibt keine Freiheit zu entscheiden, ob man die Aussprache mit der größten Aufrichtigkeit oder ohne die größte Aufrichtigkeit machen will. „Ihr guter Geist“ – so heißt es in Nr. 206 der 6. Aufl. des Katechismus – „treibt sie, die persönliche geistliche Leitung mit einem örtlichen Leiter oder einer Leiterin und mit jenem Priester zu suchen, der dem jeweiligen Zentrum zugewiesen ist.“ Ich würde sagen, dass sie weniger vom guten Geist angetrieben werden, sondern dass es ihnen schlicht befohlen wird. Wie sagen die Mexikaner: No queda de otra, es bleibt nichts anderes übrig.

Die geistliche Leitung findet intuitu personae statt, auf eigenen Antrieb. So würde man es zumindest normalerweise bezeichnen. Man nimmt keine geistliche Leitung bei jemandem in Anspruch, der damit beauftragt ist, sondern mit wem man will. Man könnte seinen Pfarrer bitten, die geistliche Leitung zu übernehmen; auch wenn ich niemanden kenne, der dies tut. Wir wissen, dass der Gründer des Opus Dei lange Zeit hindurch einen geistlichen Leiter hatte, Pater Sanchez, einen Jesuiten. Nicht die Gesellschaft Jesu leitete ihn, sondern ein bestimmter Jesuit. Er hat sich den Pater Sanchez als geistlichen Leiter ausgesucht, und später entschied er sich, ihn nicht mehr als geistlichen Leiter zu haben. Der Geleitete wählt sich den Leiter für sein inneres Leben aus, nicht der Leiter. Manchmal hat man früher in den Todesanzeigen den Namen des geistlichen Leiters der verstorbenen Person genannt; es war immer eine Person, niemals eine Institution. Andererseits muss der geistliche Leiter, um diesen Namen zu verdienen, eine gewisse Kontinuität wahren. Man kann den geistlichen Leiter nicht einfach ununterbrochen wechseln. Wir wissen, dass im Opus Dei diese Auflagen nicht erfüllt werden. Die Person, mit der man die Aussprache macht, sucht sich nicht der aus, der die Aussprache macht. Die Aussprache hört, wer damit beauftragt ist; und diese Person wechselt ständig.

Im Hinblick darauf erinnere ich mich an ein Gespräch zwischen zwei Numerarierpriestern. Der eine beklagte sich, dass eine bestimmte Dame nicht den Beichtvater wechseln wolle; der andere Priester erwiderte ihm:

—  Schau, die, die den Priester wechseln, pfeifen. Wenn sie sich nicht dazu bringen lässt zu wechseln, ist das schlimm.

Ich erinnere mich auch an einen Freund, bei dem ich es schaffte, ihm die geistliche Leitung mit einem Numerarierpriester einzureden. Aber dieser Priester musste gehen. Ich schlug ihm einen anderen Numerarierpriester vor, aber er weigerte sich zu ihm zu gehen. Es kostete ihn einfach zuviel Anstrengung, noch einmal ganz von vorne anzufangen; und er hat auch nicht gepfiffen.

Im Opus Dei versteht man nicht, was in der gewöhnlichen Sprache geistliche Leitung heißt. Man versteht darunter immer nur eine Gewissensauskunft. In Nr. 199 des Katechsmus erscheint die Aussprache als „Bildungsmittel“ charakterisiert, nicht als „geistliche Leitung“. Im Opus Dei gibt es also eher Formung als  geistliche Leitung, auch wenn man die Aussprache gelegentlich so nennt; nicht nur Bildungsmittel, auch geistliche Leitung.

Der Gründer hatte seine Probleme mit der Vorgangsweise einiger Priester, seiner Dornen­krone, wie er es zu nennen liebte, denen er die geistliche Leitung der ersten anvertraut hatte. Anscheinend bewirkten sie Spaltungen und Grüppchenbildung. Diese Erfahrung hat ihn so abgeschreckt, dass er für seine Vereinigung die geistliche Leitung im eigentlichen Sinne abgeschafft und verfügt hat, dass an ihr Stelle die Mitglieder des Opus Dei mit ihrem Leiter eine vertrauliche Aussprache halten. Im OD ist kein Platz dafür, dass eine Person eine andere leitet.

So wie ich das sehe, funktionierte dieses Gespräch mit dem Leiter vom Dienst, solange es im Opus Dei nur eine Handvoll Menschen waren, die untereinander volles Vertrauen hatten. Als Kommentar zu dem Bericht Aldebaráns hat Cooper neulich angemerkt: Als ich Ende der sechziger Jahre nach Spanien zurückkehrte, merkte ich, dass die Atmosphäre des Vertrauens verloren gegangen war. Nach so vielen Jahren meine ich mich zu erinnern, dass dieses aufkeimende Misstrauen mit einer Dienstreise im Auftrag des Vaters zusammenhing; von da an herrschte ein Ambiente des Argwohns, dem niemand entrinnen konnte. Zurück in Spanien, merkte ich, dass das Misstrauen bereits die Norm geworden war. Wenn man vorher deinen guten Willen vorausgesetzt hatte, denn sonst hätte man ja wohl auch nicht gepfiffen, so geriet man nachher mehr oder weniger in Verdacht. In einer solchen Atmosphäre des Misstrauens kann die Einheit zwischen geistlicher und hierarchischer Leitung der Institution nicht funktionieren, abgesehen davon, dass sie kirchenrechtlich verboten ist, nichts fruchten.

Dieses Problem wird besonders gravierend, wenn der Numerarier nicht mehr so, wie es ursprünglich geplant war, irgendwo einem regulären Beruf nachgeht, sondern nur noch innerhalb des Werkes arbeitet, weil sich das Opus Dei heimlich und zunächst nur durch einen Paradigmenwechsel in seinen Statuten, umgewandelt hat. Das OD aber folgt dieser Regel; vielleicht sind seine Mitglieder ja zwar keine Ordensleute, aber Regularkanoniker… (Anmerkung. Es bleibt klarzustellen, dass es innerhalb des Opus Dei wunderbare, ordentliche und gute Menschen gibt; sie sind keinesfalls mittelmäßig. Die Leute vom Opus Dei sind einer Regel unterworfen; das heißt, einem Recht, das sich nicht aus dem Codex Iuris Canonici herleitet, sondern aus einigen Normen und Regeln, Verzeiht mir die Abschweifung.)

Wie sagt der Katechismus des Werkes von 1983, im Unterschied zu den früheren Auflagen dieses Katechismus: „Numerarier oder Numerarierinnen heißen diejenigen Gläubigen der Prälatur, die von Gott die besondere Gabe des apostolischen Zölibats empfangen haben und die die volle Verfügbarkeit besitzen, um sich den besonderen apostolichen Aufgaben des Opus Dei zu widmen.“ Wer sich in dieses Thema vertiefen möchte, lese den Artikel von Doserra Wie die Numerarierinnen und Numerarier des Opus Dei heimlich ins Kloster gesperrt wurden.

Namentlich in den Statuten von 1950  — die wir als heilig, unverletztlich und unveränderlich betrachten sollen — wird über die Numerarier in Nr. 15 gesagt: Was die Laien-Numerarier betrifft, so sollen sie Ämter in der öffentlichen Verwaltung übernehmen, als Universitätslehrer in zivilen Institutionen oder auch in freien Berufen, als Anwälte, Ärzte oder dergleichen; sie sollen ebenso Berufe im Wirtschafs- und Finanzbereich annehmen. In der Ausübung all dieser Tätigkeiten sollen sie vor allem eine wahrhaft apostolische Tätigkeit entfalten, die sie gerade in der vollkommenen Erfüllung ihres Berufs oder Auftrag erfüllen, durch ihr Beispiel, ihre Freundchaft und ihren Umgang.

 

In den aktuellen Statuten von 1982 heißt es in Nr. 9 von den Numerariern: Als Numerarier können“alle jene gläubigen Laien aufgenommen werden, die sich völliger Verfügbarkeit erfreuen, um sich den Aufgaben der Bildung und den besonderen apostolischen Arbeiten des Opus Dei zu widmen und die, wenn sie um die Aufnahme bitten, einen zivilen akademischen Grad oder einen gleichwertigen beruflichen Titel haben oder wenigstens nach der Aufnahme innehaben können – Was für eine dicke Lüge! – Weiters heißt es: Assoziierte werden jene gläubigen Laien genannt, die ihr Leben in voller Hingabe im apostolischen Zölibat und gemäß dem Geist des Opus Dei leben, die sich allerdings ihren besonderen, dauerhaften, persönlichen, familiären oder beruflichen Notwendigkeiten widmen müssen, die sie im Normalfall dazu bringen, ihr Leben bei ihren Familien zu verbringen. Also überlassen wir die Aufgabe, uns in unserem Beruf zu heiligen, den Assoziierten. Ich wurde jedenfalls nicht darüber informiert, dass sich durch diese Ersetzung der Gelübde durch Verträge in den achtziger Jahren mein Status als Mitglied geändert hat. De facto bin ich da eigentlich zum Assoziierten geworden. Ich verstehe jetzt, dass man sie zuerst Interne Supernumerarier, dann Oblaten und dann Assoziierte genannt hat – es war eine dreifache Herabstufung.

In der Instruktion von St. Raphael wird der Einsatz korporativer Werke abgelehnt; dann nannte man sie persönliche Initiativen, und schließlich wurden sie zur Hauptbeschäftigung der Leiter im OD.

Don Alvaro hat zu dieser Instruktion einen Kommentar abgegeben, in dem er andeutet, dass es wohl hier eine Veränderung gegeben habe, allerdings ohne Schaden für den Geist, der dieses Kriterium inspiriert habe, Deshalb möchte ich unserem heiligen Gründer und seinem vornehmlichen Mitgründer ein „Bravo!“ zurufen, weil sie uns von so nichtssagenden Dingen wie der gewöhnlichen Arbeit befreit haben, damit wir uns unseren eigenen Gymnasien und der Universität von Navarra widmen können. Das gibt schließlich unseren ehrwürdigen Großkanzlern die Möglichkeit, da Doktorate honoris causa zu verteilen, dort Beziehungen aufzubauen, sich wichtig zu machen; schließlich ist es ja viel vorteilhafter, eine Universität von Navarra im Spiel zu haben als nur einige Numerarier, die die spanische Universität zu heiligen. Was hätte unser armer Pathologe wohl gemacht, wenn es nicht die Universität von Navarra gäbe? Ganz zu schweigen vom Psychiater. Das Opus Dei gibt ihnen die Möglichkeit, sich in ihrer beruflichen Arbeit im vierten Stock zu heiligen [dort werden die depressiv gewordenen Mitglieder betreut]. Was wäre ohne sie alle geworden, wenn wir nicht diese Universität hätten, die so katholisch, so laikal und so notwendig ist?

Insgesamt hat das Opus Dei eine große Wandlung durchgemacht. Zunächst gab es kein Apostolat – denn  das Werk selbst machte kein Apostolat, das waren seine Mitglieder in Erfüllung ihrer beruflichen Pflichten – nun ist sie eine Prälatur, in ´der die Numerarier – die Mitglieder im engeren Sinn, wie die Statuten von 1950  es formulieren – den apostolischen Aufgaben der Prälatur widmen.

Die Unterscheidung zwischen der geistlichen Leitung des Opus Dei auf der einen Seite und der hierarchischen Leitung des Opus Dei auf der anderen wird besonders wichtig, wenn ein Mitglied des OD auch hauptberuflich für die Insititution arbeitet, wie dies nicht nur bei den Numerarierpriestern der Fall ist, sondern immer häufiger auch bei Numerariern, die Laien sind, und auch bei einigen Supernumerariern.  

Im Katechismus des Werkes (vgl. Nr. 205 und 206) wird auf diese Unterscheidung angespielt, wenn man bei der geistlichen Leitung zwischen der persönlichen geistlichen Leitung in Bezug auf das Äußere auf der einen Seite und die  persönliche Leitung in Bezug auf die innere Verfasstheit. Diese letztere, so wird gesagt, komme den Priestern zu. Diese Unterscheidung zwischen geistlicher Leitung im Inneren und im Äußeren, was heißt das? Meiner Auffassung nach ist das nur für den Vatikan so niedergeschrieben, nicht für die Praxis. Innerhalb des OD ist eine solche Unterscheidung absolut unüblich. Oder hatten einige von euch Leiter für das äußere Verhalten  und andere Leiter für die Innere Verfasstheit?

Diese mangelnde Untersheidung ist für die Leiter äußerst bequem. Es ist das Ideal jeder Regierung, der Wunschtraum aller Autokraten. Jeder Chef eines politischen Gremium wäre entzückt, wenn seine Untergebenen oder Staatsbürger dazu verpflichtet wären, ihm oder einem von ihm bestimmten Vertreter ihre Befindlichkeit mitzutreilen – mit wilder Aufrichtigkeit. Genau deshalb hat man den oben erwähnten Canon 630 § 5 eingeführt. Ein solches Diktat dient nur den Herrschenden, nicht den Beherrschten. Beachten das die Leiter des Opus Dei? Ich denke, sie umgehen mit sehr großem Geschick, was Can. 630 § 5 von ihnen verlangt.

Aber schweifen wir nicht ab. Braucht man überhaupt die geistliche Leitung? Ich würde nein sagen, auch wenn sie mir meine Mutter angeraten hat. Jemand kann in den himmel kommen und ein sehr guter Mensch sein ohne geistliche Leitung. Ich persönlich bin kein großer Anhänger davon. Aber ebensowenig sollte man es zurückweisen, als ob es etwas Schlechtes  wäre. Für einige mag es notwendig und vielleicht sogar lebensnotwendig sein.

Meiner Meinung nach verschwand die wirkliche geistliche Leitung bereits damals aus dem Opus Dei, als der Gründer Vorbehalte gegen jene Priester, seine „Dornenkrone“, anmeldete, die die ersten Mitglieder seelsorglich betreuten. Damals wurde mit der größten Selbstverständligkeit die Gewissensauskunft gegenüber dem Vater eingeführt. Das war weniger offenkundig für die Numerarier – inklusive die Priester –, die ja meist einen Beruf außerhalb der Institution ausüben würden. In dem Augenblick, in dem sich „die Laien den apostolischen Aufgaben der Prälatur widmen“, wie Can. 296 besagt, wird daraus etwas anderes. Das eine ist die berufliche Arbeit außerhalb der Prälatur [mit eigenen Vorgesetzten], das andere ist die hauptberufliche Arbeit innerhalb derselben.

Merkwürdigerweise verkündet das Opus Dei lautstark, dass die Diözesanpriester das Recht hätten, der „Priestergesellschaft vom Heiligen Kreuz“ anzugehören, damit sie geistlichen Beistand erhalten, während sie von ihrem eigenen Bischof keine geistliche Leitung empfangen müssen. Aber die vom OD – ob Priester oder nicht – können das nicht, weil ihre Leiter im Forum externum und im Forum internum dieselben sein müssen.

Laut Nr. 9 der 7. Auflage des Katechismus des Werkes nennen sich die die in die Prälatur inkorporierten Opus Dei Laien nicht Mitglieder, weil die Prälatur keine Vereinigung, sondern einie Institution mit hierarchischer Natur ist, und das Band mit der Prälatur ist nicht assoziativ, sondern juristisch zu verstehen. So verhält es sich auch mit anderen Arten kirchlicher Hoheitsgebiete, wie den Militärordinariaten oder den Diözesen, die keine Mitglieder, sondern Gläubige haben.

Angenommen, diese Behauptung stimmt: Warum setzt man eine solche kirchenrechtliche Zuordnung nicht konsequent um, und warum verpflichtet man die Gläubigen, die ein juristisches Band an eine hierarchische Institution bindet, zur Gewissensauskunft?

Gervasio