José María Escrivá Albás: Einige historische Probleme
Jaume García Moles
25/03/2013
Einleitung
Die größte Schwierigkeit, der sich der kritische Leser der Biographien von José María Escrivá y Albás (in der Folge kurz Escrivá) gegenübersieht, besteht im Mangel an aussagekräftigen Quellen. Diejenigen, die es gibt, befanden sich großteils in den Jahren nach seinem Tod im Besitz von Mitgliedern der Prälatur Opus Dei und wurden in den Archiven der Prälatur abgelegt, wo sie einem kritischen Zugriff entzogen sind. Die Prälatur hütet eifersüchtig eine Reihe von Dokumenten, von deren Existenz wir sehr wohl Bescheid wissen, nicht aber von ihrem Inhalt. Ein Beispiel: Das letzte der “Apuntes íntimos” Escrivás, von denen ich Kenntnis habe, trägt die fortlaufende Nummer 1874, aber es sind nur Fragmente von annähernd tausend von ihnen publiziert. Von einigen von ihnen, die von den Biographen zitiert wurden, kennen wir einige wenige Worte, von anderen Kommentare zum Inhalt, aber kein einziger der Texte wurde im Wortlaut publiziert. Die übrigen sind jedem Zugriff entzogen, nicht einmal der Standort ihrer Archivierung ist dokumentiert. Andere Beispiele werden im Verlauf dieser Arbeit genannt werden.
Umgekehrt bietend die offiziellen Biographen Escrivá (die Privilegierten scheinen Zugang zu den historischen Archiven der Prälatur erhalten zu haben), eine Fülle von Hinweisen, Anekdoten, Aussprüchen, Gerüchten, Zeugenaussagen etc., die zu bestimmten Gelegenheiten derart massiert geboten werden, dass sie den naiven Leser von problematischen Punkten ab- und die Aufmerksamkeit auf Nebengleise zu lenken in der Lage sind und der Autor das Beispielhafte, das Bewegende oder wenigstens das Harmlose darstellen möchte. Andererseits ist es sehr schwierig, historische Zeugnisse zu seinem Leben zu finden, die diese offiziellen Autoren nicht der Veröffentlichung für würdig befunden hätten, nicht nur aus dem Grund, weil einige Archive während des Spanischen Bürgerkriegs zerstört worden sind, wie es in Barbastro geschehen ist, oder weil Archive übersiedelt sind, oder weil es zu Umbauten gekommen ist, wie zum Beispiel im Moment im Gebäude von St. Carlos in Saragossa, weswegen die Benützung des Archivs des Seminars des Hl. Franz von Paula derzeit nicht möglich ist. Tatsächlich wird der Nachforschende oft enttäuscht; er erhält nur dort Zugang, wo er ihm freiwillig gewährt wird. Beispielsweise wurde mir in einem Archiv, in dem entscheidende Akten vorhanden sein müssten, gesagt, dass sich „die gesamte Dokumentation über Escrivá in Madrid befindet”. Ich durfte nicht einmal nachsehen, ob vielleicht unbeschadet dieser „Übertragung“ noch einige marginal bedeutsame Archivalien vorhanden seien. Manchmal zeigte man mir auch nur Fotokopien von einigen Dokumenten, die lange nach den Ereignissen angefertigt worden sein müssen. Man wollte oder konnte mir aber keine Auskunft geben, was mit den Originalen geschehen sei; das lässt allerdings dem Verdacht Raum, dass hier an den Archivalien nachträglich herummanipuliert worden sein könnte…
Manchmal fand ich in der Literatur über Escrivá auch eigenartige Auskünfte, die deutlich machten, dass hier offenkundig etwas vorgetäuscht oder verborgen, nachgestellt oder unterdrückt worden sein muss; so muss einmal aus der Darstellung das Irrelevante verschwinden, die Zusätze, das Unangebrachte, Anachronistische oder schlicht Falsche.
Ein Beispiel dafür, wie es geht, wenn diese Hindernisse zusammentreffen, bietet uns mit wunderbarer Einfachheit Pedro Rodríguez über das Doktorat Escrivás [El doctorado de san Josemaría en la Universidad de Madrid, SetD 2 (2008) 13-103]. Im Abschnitt über das Rigorosum Escrivá aus Zivilrecht, S. 85, heißt es:
Ich konnte keinen Akt über den Erwerb des Doktorgrads durch den hl. Josemaría auffinden; im Archiv der Prälatur ist keiner vorhanden, aber auch nicht im Archiv der Universität Complutense (Madrid). Dort fehlen allerdings immer wieder Dissertationen, namentlich solche, die nachher publiziert wurden, so etwa namentlich die von Maldonado, Sánchez Agesta und Elías de Tejada, und zwar ohne Angabe von Gründen. Auf dem Aktenordner 1696 findet sich hingegen, mit Bezug auf den hl. Josemaría, ein entsprechender Hinweis: Ein maschinbeschriebenes Quartblatt, unterzeichnet von Prof. Ignacio de la Concha, gibt zu Protokoll, dass er im Auftrag von Josemaría Escrivá das aufliegende Belegexemplar der Dissertation entnommen habe. Das Blättchen trägt das Datum 11. April 1944, das ist jenes Jahr, in dem der hl. Josemaría seine große Monographie über die Äbtissin von Las Huelgas herausgab. Wir erwähnen nebenbei, dass sich im entsprechenden Archiv der Universität unter der Signatur T-7708 ein Exemplar dieser Monographie hinterlegt wurde, und zwar wesentlich später (tatsächlich handelt es sich um die 2. Auflage, Rialp 1974).
Eine Recherche im Internet über Ignacio de la Concha Martínez belehrt uns, dass dieser später Lehrstühle für Rechtsgeschichte in Valencia und Oviedo innehatte, und dass er Pedro Casciaro, eines der ältesten Mitglieder des Werkes, auf seiner Reise begleitet hatte, die dieser 1948 im Auftrag Escrivás unternommen hatte, um die Möglichkeiten für den Beginn der Arbeit in Amerika zu untersuchen. Wir schlussfolgern also, dass Escrivá durch einen seiner Untergebenen, nämlich de la Concha, diese Doktorarbeit verschwinden ließ, die aller Wahrscheinlichkeit nur aus wenigen Dutzend Seiten bestanden haben dürfte, um es durch ein Buch zu ersetzen, das fünf Jahre später erschienen ist. Wir haben hier ein Beispiel dafür, wie ein Dokument, das an sich öffentlich zugänglich sein müsste, unterschlagen und durch ein anderes ersetzt wurde, vielleicht um einen Schaden für das Prestige des Autors dadurch abzuwenden.
Man möge auch beachten, dass Rodríguez dieses Detail für eine manipulative Äußerung missbraucht. Anstatt sich auf die Feststellung zu beschränken, dass Escrivás Dissertation sich nicht an ihrem Platz befindet, weil er sie dort auf illegale Weise entfernen ließ, nennt er andere Autoren, deren Dissertationen nicht vorhanden sind, und zwar aus verschiedenen Gründen, nämlich Verlust, Unterschleif etc. Und schlussendlich will er uns glauben machen, dass auch in den anderen Fällen die Autoren ihre Dissertationen entfernt hätten, nur hätten diese nicht die Ehrlichkeit Escrivás besessen, das auch zuzugeben und quasi zu dokumentieren. Tatsächlich aber wissen wir von Escrivá als dem einzigen mit Sicherheit, dass er einem seiner Jünger den Auftrag gab die Dissertation einzuziehen und dass er damit ausdrücklich eine gesetzwidrige Handlung beging. Es erscheint auch ein wenig anrüchig, absichtlich andere Doctores ins Zwielicht zu bringen, nur um Escrivá zu entlasten. Diese Vorgangsweise lenkt aber die Aufmerksamkeit des Lesers auf einen anderen Punkt: Die Dissertation scheint nirgends auf, auch nicht in den Archiven der Prälatur, wo sie aus zweifachen Gründen von Rechtswegen liegen müsste, denn der Autor wird doch wohl sein Exemplar aufbewahrt haben, und es müsste ja noch das aus dem Eigentum der Juridischen Fakultät vorhanden sein. Das ist ein Beispiel für viele, wenn auch ein besonders deutliches, wie sie dem Leser im Lauf seiner Lektüre begegnen werden.
Methodik
Dieses Beispiel möge und als Vorlage dazu dienen, die hier angewandte Methodik aufzuzeigen. In erster Linie habe ich mich bemüht, die Daten über Escrivá aus den veröffentlichten Dokumenten zu sammeln, denn hier ist weniger mit Manipulationen zu rechnen.
In zweiter Linie, um verzerrten Darstellungen vorzubeugen, habe ich außerdem zusätzlich Quellen genützt, die die Prälatur durch ihre Hagiographen angeboten hatte, allerdings mit einer diametral entgegengesetzten Intention. Diese Intentionen sollen dem Leser auch vorgaukeln, dass diese Dokumente öffentlich zugänglich wären. Im Besonderen muss man auf die persönlichen Aufzeichnungen Escrivás zurückgreifen, seine Apuntes íntimos, auch unter dem Namen Catalinas bekannt [weil auch die hl. Katharina von Siena ähnliche Aufzeichnungen geführt habe], von denen viele den Vorteil haben, zur gleichen Zeit entstanden zu sein wie bestimmte Dinge geschehen sind. Wir werden auch Gebrauch von bestimmten Schriften machen, die Escrivá zugeschrieben und in diesen Hagiographien enthalten sind, darunter auch die sogenannten Briefe, die peinlicherweise zu einem ganz anderen Datum redigiert worden sind, als auf ihnen angegeben ist. Auf diese merkwürdige Besonderheit wurde ich im persönlichen Gespräch von einigen hingewiesen, die Mitte der sechziger Jahre an dieser Redaktion teilnahmen (vgl. die Beiträge von Idiota auf der Seite Opuslibros). Die Zeugnisse der Herren Alvaro Portillo, Javier Echevarría oder die anderer von der Prälatur geschätzter Zeugen werde ich sparsam heranziehen, um nicht zum Echo der Hagiographen zu werden. Umgekehrt werde ich keine Zeugnisse heranziehen, die für Escrivá ungünstig lauten, außer es war von Zeugen, die im Sinn der Prälatur ausgesagt haben. Ich habe also, kurz gesagt, versucht, aus den öffentlich zugängigen Dokumenten und den Daten, die die offizielle Literatur zum Thema liefert, eine brauchbare Literatur zusammenzustellen, ohne nicht von Ruf, dem Enthusiasmus und dem Mangel an kritischem Geist in diesen Schriften anleiten oder verleiten zu lassen.
Als hagiographisch stufe ich jedenfalls eine innere Haltung zu den Ereignissen an, die den Ereignissen gelegentlich völlig anachronistisch anmutende Motivationen unterstellt oder die sich brav der positiven Selbsteinschätzung Escrivás in dem einen oder anderen Punkt anschließt. Man geht in diesen Werken von der Unfehlbarkeit Escrivás aus; alles, was er tat, was ihm widerfuhr, sei der ausdrückliche Wille Gottes gewesen, und alle Menschen, denen Escrivá im Lauf der Zeit begegnet sei, haben in ihm den allwissenden, klarsehenden Heiligen erblickt etc.
Man muss sich aber auf Fakten berufen, nicht auf Worte. Und wenn man einmal gemerkt hat, wie stark die Tendenz ist Dinge zu verheimlichen, die öffentlich zugängig sein sollten, dann muss der Leser bzw. Forscher so lange in den Quellen weitersuchen, stochern und schnorcheln, bis sich eine plausible Erklärung ergibt. Wenn du sie nicht findest oder sie dich nicht draufkommen lassen, so ist das ein Zeichen für dich, dass hier etwas Schlimmes oder Peinliches versteckt werden soll. Umgekehrt landet man mitunter in einem See aus widersprüchlichen Fakten und Aussagen, aus denen man dann kaum mehr schlau zu werden hoffen kann.
Im Lauf der Zeit habe ich mir eine gleichmütige Haltung Escrivá gegenüber angewöhnt. Ich habe zu verstehen versucht, warum er zu zweideutigen oder widersprüchlichen Meinungen gekommen ist, die, meiner Auffassung nach, seiner Art entsprachen die Welt zu verstehen. Diese Atrt, sich den Fakten anzunähern, schien mir menschlich und gerecht und vor allem wahrhaftig. Man stellt Escrivá landläufig lieber als Idol vor. Wenn man aber seine Irrtümer kennt und versteht, kann man aber auch besser das Gute verstehen und würdigen, das er getan hat und das er während seiner Lebensjahre im Werk getan hat, vor allem aus echter Liebe zur Kirche oder zum wahren Glauben. Und als ich so weit war, konnte ich ihm auch die Deformationen verzeihen, die das Leben als Numerarier in mir erzeugt hat und die mich ständig belasten.
(Wird fortgesetzt)