José María Escrivá Albás: Einige historische Probleme III

Jaume García Moles

25/03/2013

 

2. Beitrag: Schwarze Löcher

In den Biographien Escrivás bemerkt man ein Phänomen, das wir schwarze Löcher nennen könnten, Abschnitte, Ereignisse oder Situationen, über die auf auffällige Weise geschwiegen, auf plausible Erklärungen verzichtet wird, oder bei denen dermaßen ausgeklügelte Begründungen serviert werden, dass der Leser an ein absichtliches Verschleiern der wahren Fakten denken könnte.  Ich möchte mich auf das beschränken, was bis jetzt zutage getreten ist, und zwar für einen Berichtszeitraum bis zum Spanischen Bürgerkrieg, denn diese Daten scheinen mir bedeutsam für das Verständnis dessen zu sein, was das Leben Escrivás und sein Werk erklären helfen könnte.

Das erste schwarze Loch ist der Grund, warum er das Seminar von  Logroño verlassen hatte, um in das Seminar von Saragossa einzutreten. Das zweite betrifft den Zeitpunkt und die Ursache seines Zweifels an seiner priesterlichen Berufung, sodass er schon davorstand das Seminar zu verlassen und sein Vorhaben, Priester zu werden, aufzugeben. Drittens, warum riskierte er die Relegation aus dem Seminar in Saragossa, als er in der Zeit seiner Vorbereitung auf das Priestertum ohne Erlaubnis an seiner juristischen Karriere zu arbeiten begann. Das vierte Rätsel betrifft die Frage, was geschehen war, dass sein Onkel Carlos Albás sich entschlossen hatte weder am Begräbnis des Vaters Escrivá noch an der Primiz seines Neffen teilzunehmen. Fünftens: Warum ist er eineinhalb Monate nach seiner Ernennung zum Pfarrer aus  Perdiguera verschwunden, ohne eine weitere Anstellung und ohne Gehalt. Sechstens, warum und wozu ging e nach Madrid. Siebentens, hatte er in Madrid eine beständige geistliche Leitung bei irgendeinem Priester vor Anfang Juli 1930? Achtens, warum hat er acht Jahre für seine juristische Dissertation gebraucht? Neuntens: Warum hat seine Schwester Carmen ihren Beruf als Lehrerin nicht ausgeübt, wo die Familie damals doch so besonders dringend Geld brauchte. Einige dieser Punkte sind schon vorher aufgefallen; so hat sich zum Beispiel Giancarlo Rocca1 zumindest mit den Fragen 3, 4, 5 beschäftigt siowie mit vielen anderen, die die Zeit nach dem Bürgerkrieg betreffen.

1 Der Gründer des Opus Dei. Eine kritische Evaluation. (UNA EVALUACION CRITICA).  In: Revue d’Histoire Ecclésiastique, April 2007. Es handelt sich dabei um eine Rezension des Buches von Vázquez de Prada, El fundador del Opus Dei, 7. Auflage.

GRUNDSÄTZLICHE HYPOTHESE UND VORLÄUFIGE SCHLUSSFOLGERUNGEN

Nachdem ich bereits einige Jahre das Werk verlassen hatte, aber nicht aufgehört es zu studieren, u8nd vor einiger Zeit begann sich alles zu entwirren. Ich dachte über die Widersprüche und Rätsel im Leben Escrivás nach, als mir ein Wort des Apostels Jakobus einfiel: „Er ist ein Mann mit zwei Seelen, unbeständig auf all seinen Wegen“ (Jak. 1,8) . Da begann ich zu ahnen, dass alle Probleme, die das Leben Escrivás aufwirft, abgesehen von einer psychologischen Belastung  etwas mit seiner Entscheidung zu tun zu haben, gleichzeitig zwei an sich unvereinbare Ziele anzustreben. Auf der einen Seite erforderte das Priestertum, wenn es authentisch sein sollte, eine Ganzhingabe des Lebens – auf der anderen Seite stand ein menschliches Ziel, die menschliche Ehre.  Dieser Wunsch hat notwendigerweise das erste Ziel mit seinen unausweichlichen Anforderungen überlagert, er gestattete ihm die Verfolgung zweier Wege: ein apostolisches Werk für junge Menschen voranzubringen, eine juristische Karriere zu machen, Direktor einer Akademie zu sein, gelehrt zu sein, sich auf eine Existenz als Universitätsprofessor oder Domherr vorzubereiten, oder, wenn sich die Gelegenheit ergab, Abgeordneter zu werden.

Und diese beiden Ziele, die bis dahin miteinander rangen, vermischten sich in seinem Leben in einem bestimmten Augenblick, als   ihm aufging, er könnte vielleicht ein eigenes Priestertum nach seinem persönlichen Geschmack führen. Und er begann ein Unternehmen in diese Richtung, das sein Werk sein sollte, das er Opus Dei nannte, eine große Unternehmung, um Seelen einzufangen und zu leiten.

Welche Rolle spielte in dieser Vision das Werk, oder welche Rolle spielte die Vision vom Werk darin? Wie wir sehen, ist es sehr schwer zu glauben, dass Gott ausgerechnet einen Menschen mit einer derart vertrackten Psyche inspiriert haben soll, um ein Werk mit universalem Auftrag zu schaffen, das so viele Menschen  in Schwierigkeiten bringen sollte, weil er in einem bestimmten Moment seines Lebens nicht mehr weiter wusste, den inneren Frieden verlor, sich von Ungehorsam und Betrug angefochten sah.

Ganz offenkundig an Escrivá ist die deutliche Veränderung im Umgang mit den Menschen an seiner Seite. Sobald er Jünger für seine Idee fand, hörte er mehr und mehr auf sich wie ein gewöhnliche Priester zu sehen und empfand sich als Führergestalt, die die ganze Kirche auf seine Schultern nahm, die er aus ihrem drohenden, halsbrecherischen Sturz retten sollte. Und freilich nahmen die Begehrlichkeiten gegenüber denen, die um ihn waren, zu in dem Maß, als er sich seiner eigenen Wichtigkeit vor Gott und vor der Geschichte bewusst wurde.

Dieser Knick in seinem Charakter ereignete sich ziemlich bald; er zeigt sich etwa in seiner Handschrift. Bis 1925 ist das Schriftbild normal; spätestens 1938 geben seine Buchstaben  Anzeichen von Größenwahn. Hierzu eine Probe von 1940.

 

DAS ZIEL DIESER ARBEIT

Für diese Arbeit habe ich mir ein eng umgrenztes Ziel gesteckt, ich wollte mich auf die oben genannten Probleme beschränken , auf die dunklen Aspekte des Lebens Escrivás zwischen 1920, als er nach Saragossa ging, und 1936, als der Spanische Bürgerkrieg ausbrach. Diese Periode entspricht auch dem ersten Band der Biographie von Vázquez de Prada.

Nachdem die Dokumentation dieser Ereignisse äußerst bruchstückhaft ist. obwohl viele Zeugenaussagen vorliegen – manche davon allerdings wohl ferngesteuert, mit hagiographischer Absicht verfertigt – war es nicht möglich endgültige schlüssige Aussagen zu machen. Andererseits erschien es mir doch möglich, einige Erklärungen zu finden, die mit den vertrauenswürdigen Daten rund um die zitierten schwarzen Löcher vereinbar scheinen, wenn es auch keine Erklärung dazu in den Hagiographien gibt.

Es gibt ein gewisses Muster in der Lebensweise Escrivás, das er sich sehr früh angeeignet haben dürfte, nämlich den Wunsch, das Priestertum irgendwie mit einer juristischen Karriere vereinbar zu machen.. Wenn man die Dinge von dieser Seite betrachtet, versteht man leichter, wie und warum er sich häufig so und nicht anders entschied. Er empfand vieles, was seinen geheimsten Wünschen entsprach, als unumstößliches Omen, dem es zu folgen galt.

Jaume García Moles.

(Wird fortgesetzt)