E.B.E. : Das Boot des Opus Dei

 

13. Dezember 2003

 

Mich hat immer ein Satz beeindruckt, der sehr oft wiederholt wurde: „dem Werk einen Schaden zufügen“. Das bezog sich auf alle, die nicht gut über das Opus Dei sprachen. Das Umgekehrte war etwas Undenkbares: „ein vom Werk verursachter Schaden. Das Opfer war immer das Werk, abstrakt und göttlich zugleich.

Zwei Texte haben mich frappiert; mehr noch jetzt, von außen. Der erste betrifft den Schaden, den Personen im Werk erleiden; der zweite den Schaden, den sie erleiden, wenn sie das Werk erst einmal verlassen haben. Der erste ist vom Gründer, und ich denke, dass er zusammenfassen soll, was das Opus Dei letztlich ist, wenn man einmal drinnen ist und die Zeit vergangen ist. Es handelt sich um eine Betrachtung- auch wenn ich nur Ausschnitte daraus kennen – „Leben für die Ehre Gottes“ vom 21. 1. 1954. Er sagt:

„Mein Sohn, überzeuge dich davon, einmal für immer, dass es den Tod bedeuten würde das Boot zu verlassen. Und deshalb muss man, um im Boot zu bleiben, das Urteil hinzugeben. Eine tiefe Arbeit der Demut ist notwendig: sich hingeben, sich verbrennen, ein Ganzopfer werden“  (zit. in Betrachtungen, IV, S. 84 ff., 1987).

Diese Worte fassen alles auf eine außerordentlich treffende Weise zusammen. Es gibt hier keine gemäßigten Ausdrücke. Die berühmte Aufopferung des Ich wurde und wird weiterhin gepredigt. Es kann keinen Zweifel geben: „Wenn du aus dem Boot aussteigst, wirst du in die Wellen des Meeres stürzen, du wirst in den Tod gehen, du wirst durchnässt in den Fluten des Ozeans zugrunde gehen, und du wirst nicht mehr zu Christus gehören“.

Und er fügt noch hinzu, wie zur Bekräftigung: „diese Gesellschaft hast du dir freiwillig ausgesucht“ (und implizit heißt das: Es ist deine Schuld, wenn du nachher gehen willst). So sieht er in der Praxis aus, der heilige Zwang, in der Predigt und in der Praxis, besonders weil die Freiheit der anderen hinter der Überlegung versteckt wird, dass deren Entscheidungen unwiderruflich seien. Deshalb kann der Ratschlag nur ein kategorischer sein – entscheide dich –einmal für immer. 

Der Text ist nicht einmal besonders verklausuliert; die „Botschaft“ ist klar. Es gibt nur ein Boot… und es ist nicht das des Petrus gemeint.

Das Boot ist ein zweideutiger Begriff – so wie vieles im Werk – wandelbar wie ein Chamäleon, denn in dieser Betrachtung spricht er zuerst vom „ Boot jedes einzelnen“, um klarzumachen, dass „dein Boot nichts taugt“. Deshalb „sind wir mit Christus in das  Boot Petri gestiegen, diese Boot der Kirche (...), das kein Gewittersturm zum Scheitern bringen kann“. Dennoch wird ein wenig später deutlich, dass „das Boot, dieses Boot des Opus Dei...“ ist, in das wir gestiegen sind.

Das Boot ist hier nicht die Kirche – es ist das Werk. Und die Worte stammen vom Gründer, nicht aus dem Evangelium.

Was mir bei den internen Texten immer aufgefallen ist, war der Schriftsatz: Die Worte des Gründers sind immer fett und kursiv gesetzt; alles andere war unauffälliger gehalten, und wenn es Worte eines Kirchenvaters oder selbst ein Evangelientext war. Schon rein optisch, ohne dass es explizit ausgesprochen worden wäre, war der Grundgedanke klar: Das Werk kommt noch vor der Kirche und die Worte des Gründers vor allem anderen.

Die Geschichte mit dem Boot ist ein Paradebeispiel für die Manipulation, die das Werk mit Bedeutungen der Begriffe unternimmt, wenn es seine Bildung erteilt. „Du kannst dich mit aller Freiheit innerhalb des Boot es bewegen“; am Ende aber heißt es: „Im  Boot kann man nicht tun, was einem gerade einfällt“.

Zugestehen ohne nachzugeben, mit der Absicht es wiederzugewinnen, könnte man mit den Worten des Gründers selbst sagen.

„...Mit Kreativität, Initiative und Spontaneität legt alle Kräfte des Verstandes in das,  was man uns aufträgt, um alles auszuführen, was man uns aufträgt, und nur das, was man uns aufträgt. Alles andere wäre Anarchie“ (Worte unseres Vaters, Brief 6-V-1945, n. 39, zit. in Betrachtungen II, S. 166, 1987).

Wer diese Worte ernst nimmt, zerstört seine Psyche. Und es gibt viele, die den Sinn der Treue darin sehen, sich selbst auszulöschen, ein Ganzopfer darzubringen, wie der Gründer verlangt hat.

Es sind das keine Geheimschriften: Diese Texte sind aus dem Buch der Betrachtungen, die wir jeden Morgen im Gebet gelesen haben.

Die Geschichte vom Boot hält nicht der geringsten Analyse eines Psychologen oder Linguisten stand. Die theologische Aussage des Gründers lautet, dass wer das Werk verlässt, außerhalb der Kirche steht und verdammt ist. Der Text lässt keinen Spielraum für die Interpretation, man kann keine zweideutige oder poetische Variante konstruieren – vor allem nicht, wenn man sich die Praxis in der Leitung ansieht.

Das wollte der Gründer damit nicht ausdrücken, werden viele argumentieren. Und warum hat er es dann gesagt? Es sind harte Worte, die man natürlich nachher abschwächen kann, man kann sie als spirituellen Aufruf zur Beharrlichkeit verstehen. Abe am wörtlichen Sinn lässt sich nicht rütteln.

Was er gesagt hat, hat er wirklich gesagt, und zwar weil er es wirklich so gemeint hat. Und die Direktoren wiederholen das, nicht nur wörtlich, sondern mit Vehemenz, immer dann, wenn jemand auf eigenen Wunsch „das Boot“ verlassen möchte. Das angeblich Literarische ist nur ein Versuch zu verschleiern, was diese Worte letztlich bedeuten sollen, und dass die Institution tatsächlich mit eben jener Brutalität vorgeht, wie es der die Worte verkünden.

Dennoch setzen Texte wie der über das Boot unserer Analyse einen gewissen Widerstand entgegen. Mehr noch: Wir haben diese Lehre angenommen, als käme sie direkt von Gott. Draußen ist der Tod, drinnen die Unterwerfung (eine angenehme, frohe, müsste man noch hinzufügen). Das waren die beiden einzigen Möglichkeiten, zwischen denen wir zu wählen hatten und die uns vor allem in Momenten einer inneren Krise vor Augen gestellt wurden: ewige Verdammnis oder Unterwerfung? Und dabei mussten wir jeden Tag lächeln, um unsere Beklemmungen und unsere Krisen zu verschleiern.

Ich denke, es ist zugleich notwendig und heilsam, diese Texte nochmals einer kritischen Lektüre zu unterziehen. Er bezweckt eine Deformation des Gewissens. Die Frage bleibt offen, warum das Opus Dei so verquer ist?

Der andere Text ist der Brief, den Don Alvaro im März 1992 geschrieben hat -  von demselben, dessen Seligsprechungsprozess dieser Tage begonnen hat, und der Anlass war die bevorstehende Seligsprechung des Gründer. Es ist ein sehr beeindruckender Brief, wenn man ihn kritisch liest.

Er fällt sein Urteil vorab und vermeidet jeden Dialog, wenn er sich auf die bezieht, die das Opus Dei in  Frage stellen, ob sie ihm nun angehört haben mögen oder nicht. Von ernsthafter Selbstkritik ist nicht die Rede.  

Wenn man erlebt hat, welchen Schock OpusLibros ausgelöst hat, ist es empörend zu lesen dass es „einige wenige sind – auch wenn sie viel Lärm machen“, die das Werk kritisieren. Sicher, OpusLibros kam zehn Jahre nach diesem Brief, aber der Gedanke, so etwas Ähnliches anzugehen, ist schon wesentlich älter.

„Was sollen wir angesichts dieser rücksichtlosen Verleumdungen tun?“, fragte sich Don Alvaro.  „Sie versteifen sich auf ihre Vorurteile und lassen nicht ab davon, wir können machen, was wir wollen“.  

Ich weiß, was mir widerfahren ist und so vielen anderen, die ich kenne. Mir fehlen die Worte, wenn ich lese und nochmals lese, „wir können machen, was wir wollen“.

„... Wir spüren es wie einen Riss in der Seele, wenn jemand seiner Berufung nicht treu geblieben ist. Es lässt uns leiden, aber nicht wanken. Jesus Christus selbst hat die Bitterkeit über den Verrat des  Judas empfunden“.

Durch eine unauffällige Zusammenstellung von Ideen soll hier suggeriert werden, welche Sorte Menschen es sind, die das Boot des Werkes verlassen: Wenn er es schon schaffen sollte, den Fluch des Gründers zu überleben, dass er in den Wassern des Ozeans untergeht, dann wird er wenigsten mit dem Sündenmal des Judas weiterleben. Wie das mit dem Wort zusammenpasst, dass die Ausgangstür des Opus Dei weit offen steht, weiß ich nicht.

Man darf sich nicht wundern, wenn sie unser Eifer irritiert, die Fülle einer christlichen Berufung inmitten der Welt zu leben  (...) es beunruhigt sie, dass wir glücklich sind, ohne wie sie zu leben“, heißt es abschließend. Bei dieser eigenartigen „Logik“ ist es unmöglich zu dialogisieren oder zu einer Verständigung zu gelangen.

 „Es gibt andere, die noch mehr Leid verursachen: Einige wenige, die den Blick zurückgewendet haben, nachdem sie die Hand an den Pflug gelegt haben und in die Blindheit gefallen sind.“ Das schrieb er angesichts der Bücher von María Angustias und von Carmen Tapia.

Trotzdem wissen wir heute, dank des Internet, dass wir nicht „einige wenige“ sind, sondern ziemlich viele, und wer sich abgewendet hat, ist das Opus Dei, das sich weigert der Wahrheit ins Gesicht zu sehen und die persönlich attackiert, die nicht so denken, „wie es vorgesehen ist“.