L. H.: Meine Erfahrungen an der Pontificia Universitá „Santa Croce“

 

 27. 5. 2013


Von 2008 bis 2010 habe ich an der Universität des Opus Dei in Rom, Santa Croce, Philosophie studiert.

 

Schon bevor ich nach Santa Croce ging, wurde ich von Studenten anderer römischer Universitäten gewarnt. Diese Warnungen bezogen sich hauptsächlich auf zwei Aspekte. Zum einen würde man dort „nur Thomas“ hören, also keinen seriösen Unterricht bekommen. Zum anderen würde man dort "sehr persönlich" betreut werden. Ich ließ das zunächst auf sich beruhen, in der Überzeugung, dass ich schon auf mich aufpassen könnte und mit der Neugier, mir selbst ein Bild davon zu machen. Schließlich hatte ich schon einiges vom Opus Dei gehört...

 

Meine ersten Eindrücke waren sehr gemischt. Unsere Klasse war sehr klein. wir waren ca. 20 Studenten aus ca. 15 verschiedenen Nationen. Die größte Gruppe waren Seminaristen aus Afrika, Asien und Lateinamerika, die im (vom Opus Dei betreuten) Seminar „Sedes Sapientiae“ in Trastevere, wohnten. Die übrigen waren fast alle Angehörige verschiedener sog. neuer Gemeinschaften (CL, Sisters of Mercy of Alma, Familie Mariens u.a.).

 

Es ging relativ fromm zu. Zu Beginn jeder Stunde wurde ein Ave Maria gebetet. Mittags um zwölf beteten wir den Angelus bzw. das Regina caeli, einige Studenten verbrachten die Pausen zwischen den Vorlesungen (die ohnehin sehr kurz waren) in der Kapelle. Alle unsere Professoren waren Angehörige des Opus Dei, Numerarier oder Supernumerarier, die meisten waren Priester. Sie ermutigten uns zu einem gläubigen Leben, sahen sich offensichtlich in einer Rolle pastoraler Verantwortung uns gegenüber. Der ganze Unterricht schien von der unausgesprochenen Voraussetzung getragen, dass wir ausgebildet werden sollten, um später draußen, in der "Welt" für die Sache der Wahrheit und gegen die Tendenzen der Entfremdung von Gott und Kirche eingesetzt werden zu können. Es schien zudem gleichsam vorausgesetzt, dass wir alle jeden Tag in die Messe gingen, das Brevier beteten, den Rosenkranz etc. Dabei war niemand in unserer Klasse Mitglied des Opus Dei und worum es eigentlich ging war ja wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Philosophie. Tatsächlich hatte es den Anschein, es ginge um geistliche Formung einer bestimmten Couleur.

 

Die Studenten des Opus Dei kamen erst in der Theologie dazu. Die Klassen der Theologen waren also wesentlich größer, sie bestanden aus ca. 50 bis 70 Studenten, die meisten der Opus Dei-Studenten hatten Spanisch als Muttersprache. Sie waren auffallend gut gekleidet, insbesondere die (wenigen) Frauen. Diese Schar junger gutaussehender Menschen, die jeden Tag in die Uni strömten und die eine demonstrative Entschlossenheit, Freude und Gläubigkeit ausstrahlten, wirkte auf den ersten Blick faszinierend. Allerdings merkte ich, dass sie meist gar nicht miteinander sprachen. Sie schienen, insbesondere in der Gruppe, etwas auszustrahlen. Als Einzelne bekam man sie aber nicht zu fassen. Sie waren in der Pause oft in der Kapelle und lasen auf ihren Blackberries das Wort des Tages, ein Wort Escrivas, das allen Mitgliedern täglich zugeschickt wurde und von ihnen betrachtet werden sollte. Selbst wenn einmal zwei von ihnen miteinander redend im Gang auf und ab gingen, hörte ich im Vorbeigehen, dass sie nicht miteinander sprachen, sondern den Rosenkranz rezitierten, auf Latein. Ich hatte bald das Gefühl, dass sie auch gar nicht mit uns sprechen durften, sondern dass nur diejenigen jemanden persönlich ansprachen, die einen Auftrag dazu erhalten hatten.

 

Es dauerte nicht sehr lange, da wurde ich auch angesprochen. Allerdings ganz anders als ich erwartet hatte. Als ich einmal morgens die Stufen bis zum dritten Stock erklommen hatte, wo sich unser Hörsaal befand, schien ein Professor dort gleichsam auf mich zu warten. Es war kein Philosophieprofessor, sondern einer von der Theologie (deren Hörsäle waren eigentlich eine Etage weiter unten). Als ich die letzten Stufen heraufkam, begrüßte er mich und fragte nach meinem Namen, meiner Nationalität und versuchte sich dann sofort in ein paar Worten auf Deutsch. Seinerseits erzählte er mir, dass er Italiener war, früher - wenn ich es richtig in Erinnerung habe - für eine Bank gearbeitet hat und nun Priester im Opus Dei ist. Es war ein kurzer Wortwechsel, aber ein merkwürdiger, weil ich mir nicht erklären konnte, warum er mich überhaupt angesprochen hatte. In den Wochen zuvor war so etwas nie vorgekommen, keiner der Professoren, bei denen ich Vorlesungen hörte, hatte mich nach irgendetwas Persönlichem gefragt und das Wort 'Opus Dei' war nie zuvor gefallen. Die kommenden Tage wartete besagter Professor täglich auf mich. Das eine Mal fragte er etwas zu meiner Familie, das andere Mal, wie mir das Studium hier gefalle, wieder das nächste Mal hatte er ein Gebetsanliegen für mich. Ich hatte ein irgendwie ungutes Gefühl und versuchte immer wieder, die Begegnungen mit ihm zu vermeiden, aber er war unweigerlich immer wieder da - obwohl seine Vorlesungen ja auf einer anderen Etage stattfanden.

 

Die Vorlesungen unterdessen amüsierten mich. Da sie inhaltlich wenig Herausforderung boten, machte ich sie zu einem Charakterstudium. Die meisten Professoren waren Spanier (und ich liebte den Spanischen Akzent im Italienischen). Viele machten immer wieder dieselben Sprachfehler. Auf den ersten Blick fiel mir ihre Demut auf. Sie wirkten alle ausgesprochen bescheiden. Zugleich merkte ich, wie viele von ihnen versteckt oder sogar offen zynische Bemerkungen machten. Sie hatten wirklich kein großes Interesse uns zu unterrichten, fühlten sich aber offensichtlich andererseits dazu verpflichtet, so zu tun als ob. Es war zudem sehr merkwürdig, diese sicher nicht unterdurchschnittlich intelligenten Menschen, die hier als Wissenschaftler auftraten, die auch offensichtlich in Philosophie promoviert haben mussten, dabei zu erleben wie sie uns alles andere als wissenschaftliches Denken lehrten. Wie sie uns etwa die zehn Kategorien der aristotelischen Metaphysik erklärten: nicht als wäre es ein Versuch der damaligen Zeit gewesen, die Welt zu erklären, sondern als hätten sie bis heute unbedingte Gültigkeit, ja als würde viel davon abhängen, dass wir das begreifen und in unserer Zeit wieder propagieren. Die Frage war nur, ob es wirklich zehn Kategorien sein mussten, einen weitergehenden Disput gab es nicht. Noch schlimmer wurde es mit Thomas. Obwohl er ohnehin der Hauptprotagonist aller unserer Fächer war, mussten wir zusätzlich eine eigene Vorlesung über Thomas hören. Das war die schwierigste von allen, nicht wegen des Inhalts (das auch, denn vieles konnten wir einfach nicht begreifen), sondern wegen der Stoffmenge. Thomas hatte absolute Gültigkeit, er war die Autorität. Ich amüsierte mich darüber. Mit der Zeit fiel es mir aber immer schwerer, das Ganze mit Humor zu ertragen.

 

Denn nicht nur, was wir lernen mussten, war z. T. absurd, sondern auch wie wir lernen mussten. Von Anfang an versuchten unsere Professoren uns vor allem eines klar zu machen: dass das alles sehr, sehr schwer zu verstehen war, dass man eigentlich erst ab einem Alter von fünfzig Philosophie treiben könnte und dass folglich niemand von uns glauben sollte, wir könnten es verstehen. Demut schien gewissermaßen das Haupterziehungsziel zu sein. Z. T. wurden wir gezielt gedemütigt, d.h. jemand wurde aufgerufen, sollte bspw. erklären, was ein Akzidenz war und wurde dann vor allen anderen wegen seiner Fehler in der Erklärung gerügt. Natürlich geschah das in der Regel mit freundlichen Worten, dennoch war es demütigend: es machte besonders deutlich klar, dass wir wie Kinder betrachtet wurden, dass uns nichts zugetraut wurde, als die uns vorgesetzen Definitionen auswendig zu lernen, und nicht einmal das; es schien ein surreal reaktionärer Katechismusunterricht zu sein, nur dass es um scholastische Philosophie ging. Und es ist wahr, dass viele von uns vieles von dem, was wir lernen sollten, nicht begreifen konnten. Angesichts der Dinge, die wir etwa in Naturphilosophie, in Metaphysik und Anthropologie zu hören bekamen, war das auch nicht verwunderlich: vieles konnte man beim besten Willen nicht begreifen: der Substanz-Begriff, Materie als Individuationsprinzip, die Seele als forma corporis. Ich war mir bald sehr sicher: an jeder deutschen Fakultät hätte ich das bestenfalls unter der Überschrift "Geschichte der Philosophie" gehört. Hier aber wurde uns das einfach als die Wahrheit dargeboten. Für die Prüfung war es auswendig zu lernen. Seminararbeiten oder andere Arbeiten schrieben wir nicht, nur in einigen Fächern sollten wir als Hausaufgabe kleine Aufsätze schreiben, die aber den Umfang von zwei Seiten nicht überschreiten durften. Kritische Auseinandersetzung gab es nicht, höchstens apologetische. Das machte sich besonders in der Philosophiegeschichte bemerkbar: alles, was unter Neuzeit und Gegenwart fiel, hörten wir nur in der Vorlesung zur Geschichte der Philosophie. Die Neuzeit begann mit Cusanus, die Gegenwart mit Fichte. Als ein ganz besonderer Feind stellte sich Kant heraus. Er wurde ausführlich kritisiert, und zwar mit Thomas. Dabei wurde insbesondere die Kritik der reinen Vernunft angegriffen und die Ethik. Kant schien so etwas wie der Sündenfall der modernen Philosophie zu sein, alles, was nach ihm kam, wurde ohnehin nur noch jeweils kurz kritisiert. Die Geschichte der Philosophie endete mit Heidegger, über das, was dann kam, hörten wir nie auch nur ein Wort. Ich möchte sagen, dass wir von der modernen Philosophie an sich eigentlich nichts gehört haben, alles wurde höchst einseitig dargestellt, um es dann sogleich vor unseren Augen zu zerpflücken, die einzige Ausnahme war Maritain und vielleicht Popper. Insbesondere die Logik ist hier noch erwähnenswert, sie war ebenfalls rein scholastisch (allerdings habe ich mir sagen lassen, dass das an den übrigen Päpstlichen Universitäten auch der Fall ist).

 

Die Auswirkungen, die diese Art von Unterricht haben musste, insbesondere wenn man damit Seminaristen ausbildete, erschienen mir bedenklich. Besonders deutlich empfand ich das in der Ethik und dem uns vermittelten Menschenbild. Die Todesstrafe wurde nicht verurteilt, Kriege ebenfalls nicht. Sexualität dagegen war streng reglementiert. Viele Lebensweisen und Kulturformen, die in unserer Welt praktisch gang und gäbe sind, wurden als objektiv verfehlt dargestellt - und das nicht einmal mit kirchlicher oder theologischer, sondern mit philosophischer Begründung, mit zurechtgebogenen Argumenten von Aristoteles und Thomas. Das war mir schließlich zuviel. Mir war klar, dass ich an dieser Uni auf keinen Fall bleiben würde, um Theologie zu studieren.

 

Außerdem hatte sich "mein" Professor mittlerweile immer mehr aufgedrängt. Mich quälte das Gefühl, dass er alles, was ich ihm sagte, irgendwo melden würde. All diese Gespräche schienen so gewollt, als ob sie von irgendjemandem veranlasst wären und irgendeinem Zweck dienten, es schien einen Plan dahinter zu geben, in den ich aber nicht eingeweiht war und hinter den ich auch nie gekommen bin. Nun war ich ja schon Mitglied einer anderen Gemeinschaft. von daher dachte ich, könnte ich gelassen beobachten, was weiter geschehen, mit welchen weiteren Vorschlägen er auf mich zukommen würde. Er hatte mich eingeladen, das Haus des Opus Dei in Rom zu besuchen, in dem sich auch das Grab Escrivas befindet. Ich ging mit einigen Mitschwestern dorthin. Es war eine sehr merkwürdige Atmosphäre. Mit ausgesuchter Freundlichkeit führte er uns durch diesen beeindruckend ausgeschmückten Bau, der einem Labyrinth ähnelte. Die Stationen schienen festgelegt, das, was er uns jeweils dazu erklärte auch, es war wie ein festes Programm, Höhepunkt: ein Gebet am Grab. Alles war sehr förmlich. Wir verabschiedeten uns schließlich. Unausgesprochen blieb der Sinn und Zweck dieses Besuches.

 

Ich lernte andere Häuser des Opus in Rom kennen, wenn auch zum Teil nur flüchtig. Die Bibliothek hinter dem Campo dei Fiori, in der das Projekt der Universität Santa Croce Jahrzehnte zuvor begonnen hatte, und die Sedes Sapientiae, das Wohnheim für Studenten aus armen Diözesen in der ganzen Welt. Einmal nahm mich ein junger Dozent, der nicht Mitglied des Opus Dei war (vielleicht noch nicht), kurz in sein Arbeitszimmer mit, um irgendein Dokument für mich auszudrucken. Dabei führte er mich durch mehrere verschlossene Türen, die er mit seinem Passwort öffnete, durch Treppenhäuser und Flure, uns begegneten einige Opus Dei-Professoren, die alle nicht erfreut schienen, mich hier zu sehen. Mir fiel auf, dass alle diese Häuser eine Atmosphäre steriler Vollkommenheit ausstrahlten, alles war (oder schien zumindest) kostbar, ausgesucht, blitzblank, aber nicht bewohnt, beseelt, durchlebt, menschlich.

 

Am deutlichsten empfand ich das bei einem Besuch in der Sedes Sapientae. Normalerweise, erfuhr ich von unserem Klassensprecher, dürften Frauen dieses Haus gar nicht betreten. Die Studenten durften Besucher nur in Ausnahmefällen mitbringen, normalerweise war das nicht erlaubt, das galt insbesondere für Frauen. Es war aber ein besonderer Umstand, der es doch möglich machte: Ein nigerianischer Student aus unserer Klasse, ein sehr aufgeweckter froher junger Mann, war bei einem Aufenthalt in seinem Heimatort so schwer an Malaria erkrankt, dass man eine Zeit lang sogar um sein Leben fürchtete. Als er nach Monaten einigermaßen über den Berg war und auf einen Stock gestützt sogar ein wenig laufen konnte, beschloss unsere ganze Klasse ihm in der Sedes Sapientiae einen Besuch abzustatten. Offensichtlich wagte es damals niemand, die wenigen Frauen in unserer Klasse von diesem Besuch auszuschließen. Das Wohnheim machte denselben Eindruck auf mich wie die übrigen Häuser des Opus Dei auch. Was diesen Eindruck allerdings noch verstärkte, war, was ich von den Studenten, die dort lebten, über ihren Tagesablauf erfuhr. Ihr ganzes Leben war geregelt. Sie waren alle in Mehrbettzimmern untergebracht, in jedem Zimmer trug einer die Verantwortung, dass die Regeln eingehalten wurden. Es gab einen ganz festen Tagesablauf, nicht nur für Gebet, Mahlzeiten und Nachtruhe, sondern bspw. auch für das kurze Dankgebet in der Kapelle nach dem Mittagessen und für die nachmittägliche Rekreation mit den Professoren. Überhaupt schien alles im Beisein der Professoren zu geschehen, die ebenfalls dort wohnten. Die Sitzordnung der Tische war festgelegt, das Sprechen mit den Schwestern, die in der Küche und beim Hausputz tätig waren, war verboten - der Spontaneität schien absolut jeder Raum genommen. Noch mehr beunruhigte mich zu hören, dass jeder der hier wohnenden Studenten einem Professor zugeteilt war, der für ihn als "geistlicher Begleiter" fungierte und mit dem er regelmäßige Gespräche hatte. Oft waren das dieselben Professoren, die sie auch unterrichteten. Wussten sie, dass sie eigentlich das Recht hatten, sich ihren geistlichen Begleiter frei zu wählen? Wie liefen diese Gespräche ab?

 

Ein Umstand, der mir ebenso immer wieder auffiel und der bisweilen verrückte Züge annahm, war die – wenn ich es so nennen darf – „Angst vor Frauen“. Zwar studierten, wie ich, einige Frauen an Santa Croce, saßen in denselben Hörsälen wie die Männer, legten dieselben Prüfungen ab; und schließlich war ich ja auch von einem Priester des Opus Dei persönlich angesprochen worden. Aber zugleich legte jeder Professor größten Wert darauf, niemals mit einer Frau alleine im Raum zu sein. Das kam mir bald komisch vor, so dass ich mich bei Mitstudenten erkundigte, die mir sagten, dass das tatsächlich der Fall war: sie mussten darauf achten, nicht mit einer Frau allein im Raum zu sein. Für die mündlichen Prüfungen, die an den römischen Universitäten in der Regel nicht von Assistenten protokolliert werden, ließen sie sich deshalb immer etwas einfallen, - und obwohl sie es so einrichteten, dass zwei, drei andere Studenten im Raum waren oder mindestens die Tür offen stand, merkte man ihnen die unglaubliche Anspannung an, die eine solche Situation – einer Frau gegenüber zu sitzen, im Gespräch mit einer Frau zu sein – in ihnen auslöste. Das waren sehr beklemmende Momente für beide Seiten. Ich versuchte nicht darüber nachzudenken, was in diesen Männern vor sich ging.

 

 

Als ich nach 2010 schließlich an eine deutsche Fakultät wechselte, um dort Theologie zu studieren, war ich sehr froh. Zum einen von Santa Croce weg zu sein, zum anderen aber auch diese Erfahrung gemacht zu haben. Die Erinnerung an diese beiden Jahre ist für mich nach wie vor sehr vielschichtig. Einerseits habe ich Dinge gelernt, die ich durchaus brauchen kann (an einer anderen Fakultät wäre ich wohl nicht so gründlich in die Begriffe der aristotelischen und scholastischen Philosophie eingeführt worden, die ja doch nach wie vor eine gewisse Rolle spielen, wenn man theologisch denken will), andererseits begleitet mich bis heute die Unsicherheit darüber, wie sehr ich mich auf die Inhalte verlassen kann, die ich dort gelernt habe. Zum Einen habe ich Menschen kennengelernt, die zweifellos aufrichtig motiviert und in hohem Maße engagiert waren. Die meisten Professoren waren wirklich sehr demütige und sympathische Menschen, an die ich auch heute noch gerne denke. Zum Anderen - und das ist es, was mich nachhaltig beunruhigt - habe ich nie zuvor ein System kennengelernt, dem es mit all seiner intellektuellen, emotionalen und wirtschaftlichen Potenz, so konsequent gelingt, sich der Wirklichkeit zu verweigern und sich eine moralische Verpflichtung anzumaßen, andere Menschen in diesem Geiste zu erziehen. Dass das gerade Menschen aus den ärmsten Teilen der Erde sind (Europäer und Nordamerikaner gibt es an Santa Croce kaum) – und das heißt auch, aus den wachsenden Kirchen – macht es nur schlimmer.

 

LF