José María Escrivá Albás: Einige historische Probleme

Jaume García Moles

03/06/2013

 

11. Beitrag.

 

Kapitel 3. Die Übersiedlung nach Saragossa

ESCRIVÁ HATTE KEIN BESONDERES INTERESSE AN EINER JURISTISCHEN KARRIERE

Escrivá  begann im November 1918 die Ausbildung für das Priestertum am Seminar von Logroño, das dem Bischof von Calahorra-La Calzada (im Folgenden kurz Bischof  von Calahorra bzw. Diözese Calahorra) untersteht. Zwei Jahre später, 1920, ging er nach Saragossa, um dort seine Studien fortzusetzen. Laut seinen Hagiografen war das bestimmende Motiv dieser Übersiedlung die Entscheidung, gleichzeitig Jura studieren zu wollen. Dieser Punkt ist wichtig, da seine zivilen Studien sein späteres Leben im höchsten Maß beeinflussten, zumindest bis 1939. Sie bedingten beispielsweise seine Übersiedlung nach Madrid 1927, dem Ort, wo er im folgenden Jahr sein Werk gründen sollte. Außerdem sollten diese Studien viel mit seiner Krise in seiner Priesterberufung zu tun haben.

Ebenso wie im vorigen Kapitel, nur eben weit häufiger, werden wir hier mit den Manipulationen der Hagiographen konfrontiert werden. Da es keine Daten gibt oder weil sie falsch interpretiert werden, ist es sehr schwierig draufzukommen, und noch schwieriger sie unwiderleglich zu deuten, und auch wenn man sie dem Leser zugängig macht, müsste man viel dazu kommentieren. Aber genau dies ist der Grund für diese Untersuchung: Die Texte, die die Prälatur anbietet, so darzubieten, dass sich die Widersprüchlichkeiten zeigen, wenn man nur genau genug hinsieht.

 

Ich glaube allen Ernstes, dass dies die einzige Art und Weise, wie man den Mitgliedern des Werkes die Ursachen für all diese Widersprüchlichkeiten erklären kann, die ihnen zusetzen, und  sie davon zu befreien, und ebenso denen, die gegangen sind, in ihren Verstörungen, Zweifeln und Ängsten zu helfen. Bloße Vorwürfe gegenüber Escrivá oder einzelnen Direktoren mögen für den Augenblick einige Erleichterung verschaffen, aber sie werden den Herzen keinen Frieden bringen.

Wie man gesehen hat und wie sich immer deutlicher zeigt, man kann den offiziellen Versionen der Biographie Escrivás nicht trauen. Deshalb muss ich das in Frage stellen, was die Prälatur durch das Buch von Vázquez und anderer Ergänzungen äußert, die veröffentlicht worden sind. In dem Fall, der uns heute beschäftigt, versucht mit einiger Sicherheit das Motiv für die Übersiedlung Escrivás nach Saragossa zu ermitteln, das heißt festzustellen, ob er vielleicht schon vor 1923 irgendein Interesse daran geäußert hatte, Jura zu studieren. Ich sage deshalb 1923, weil es im Oktober dieses Jahres war, als er das erste Mal an der Universität von Saragossa. immatrikulierte. Nun gut, dieser und der folgende Abschnitt wollen den Beweis dafür erbringen, dass und die Prälatur handfeste Beweise dafür schuldig geblieben ist, dass der Grund für die Übersiedlung Escrivás nach Saragossa die Aufnahme des zivilen Jura-Studiums gewesen sei. Mehr noch, wir werden sehen, dass Escrivá vor dieser Übersiedlung keinerlei Interesse für diese Laufbahn zeigte, weder in taten noch in Worten.

Wir wollen sehen, worauf die Prälatur ihre Version über die Angelegenheit stützt. Vázquez1 spricht von einem Gespräch Escrivás mit seinem Vater, das im Sommer 1917 stattgefunden habe, das heißt etwa ein Jahr vor seinem Eintritt ins Seminar.

Der Junge war fest entschlossen, Architekt zu werden, besaß er doch eine vorzügliche Begabung für Mathematik und Zeichnen. José Escrivá versuchte sanft, ihn in Richtung Rechtswissenschaft zu lenken, da er sowohl redegewandt und  im Umgang mit Menschen geschickt war als auch eine Neigung für Geschichte und Literatur hatte. (In der deutschen Übersetzung: S. 88)

Josemaría ließ sich nicht überzeugen.

Das ist ein erster Hinweis: Sein Vater hatte es ihm vorgeschlagen, er hatte den Vorschlag zurückgewiesen.  Er ließ sich nicht davon überzeugen, weil es ihn nicht interessierte, weil ihm diese Studien nicht attraktiv vorkamen. Wir müssen daher die Situation zu rekonstruieren trachten: Laut Catalina 1688 habe ihm sein Vater das Abitur vorgeschlagen im Hinblick auf eine akademische Karriere, mit drei möglichen Richtungen: Advokat, Architekt, Arzt. Wir wissen, dass Escrivá nicht daran dachte und keine Lust hatte Anwalt z u werden, und den dritten Vorschlag finden wir lediglich in dieser Catalina. Das einzige also, was er sich selber vorstellen konnte, war demnach die Ausbildung zum Architekten. Sein Vater musste ihm erklären, dass diese Laufbahn langwierig und ungewiss war, dass er über Jahre hinweg kein sicheres Einkommen haben würde, und dass sich vor allem die Familie diese Ausbildung nicht leisten konnte. Es kann auch sein, dass Escrivá  nicht weiter wusste und das Studienjahr 1917-18 vorübergehen ließ, um noch zu überlegen.

Einige Monate später spürte er gewisse Unsicherheiten hinsichtlich seiner Hingabe an Gott. Er fragte um Rat und teilte schließlich seinem  Vater im Mai 1918  seine Entscheidung mit, dass er Priester werden wolle. 2 Wir wissen, dass er sich dieser Berufung nicht sehr sicher war, wie seine eigenen Worte verraten: 3

Warum bin ich Priester geworden? Weil ich dachte, dass es so viel leichter sein würde, den Willen  Gottes zu erfüllen, auch wenn ich ihn noch nicht kannte.

Um abzuwägen, mit welcher Sicherheit, oder besser gesagt, Unsicherheit er das Priestertum wählte, muss man sich vor Augen halten, dass er einerseits unter dem Druck litt, sich für seine Zukunft zu entscheiden, denn er hatte das Abitur gemacht, musste sich entscheiden und sah in einem möglichen Jura-Studium überhaupt nichts Positives.

Der Vater kannte seinen Sohn besser als jeder andere, und vielleicht hatte er entdeckt, dass bei ihm Phasen des Enthusiasmus von solchen der Ernüchterung abgelöst wurden. Er kannte auch seine große Anhänglichkeit an die Familie. Deshalb stellte er ihm vor Augen, dass das Leben eines Priesters hart war, dass er keine irdische Liebe, keine menschliche Liebe haben würde, kein Zuhause. Allerdings fügte er hinzu, dass er sich seinem Wunsch nicht entgegenstellen würde. .

Gehen wir im Buch von Vázquez zwei Seiten weiter. Auf S. 193 sagt er uns:

Da die Frage nach dem Architekturstudium nicht mehr zu befürchten war, riet der Vater dem Jungen erneut, dass er eine juristische Karriere anstreben sollte, die mit den kirchlichen Studien vereinbar war. Aber zuerst galt es zu klären, wie er das Priesterseminar beziehen konnte. (Deutsche Übersetzung: S. 100)

Ich möchte diesen Abschnitt genauer untersuchen, da er ein Paradebeispiel der Manipulation bietet – es ist so gut, dass man es kaum  bemerkt. Man bemerkt es nur, weil die Folgen dieser Manipulation 70 Seiten später zutage treten. Aber das Thema ist grundsätzlich. Deshalb bitte ich den Leser mir mit Geduld zu folgen und, wenn nötig, Papier und Bleistuft einzustecken. Gut, diesen Teil der Arbeit will ich ihm ersparen. Aus diesem Grund, und damit wir einander ohne erschöpfende Wiederholungen verstehen, führe ich hier die Elemente dieses Abschnitts an, die uns hier beschäftigen:

Bezeichnung                          Text

Präambel                                Da die Frage nach dem Architekturstudium nicht mehr zu befürchten war

Rat des Vaters                       riet der Vater dem Jungen(…), dass er eine juristische Karriere anstreben sollte

Modifikator                           erneut

Rechtliche Information          die mit den kirchlichen Studien vereinbar war

Binsenweisheit                       Aber zuerst galt es zu klären, wie er das Priesterseminar beziehen konnte

Was sagt uns der zitierte Abschnitt auf den ersten Blick, abgesehen davon, dass es sich um einen „väterlichen Rat“ gehandelt hat? Erstens, dass das Gespräch stattfand, als sich Escrivá  bereits entschieden hatte Priester zu werden. Das lässt sich aus drei Dingen ableiten: aus der „Präambel“, denn die Entscheidung, in das Seminar einzutreten, ließ ihn von einem Architekturstudium Abstand nehmen; aus der „Rechtlichen Information“, die überflüssig wäre, wenn er sich nicht schon entschlossen hätte Priester zu werden; und der „Binsenweisheit“, die keines Kommentars bedarf. Das zweite, was uns der Absatz mitteilt, ist, dass es nicht das erste Mal war, dass Don José seinem Sohn diesen „väterlichen Rat“ gab, weil es der Modifikator „erneut“ voraussetzt. Drittens,  die „Rechtliche Information“. Viertens, dass er noch nicht in das Seminar in Logroño eingetreten war, ergibt sich aus der „Binsenweisheit“. All das würde implizieren, dass das Gespräch im Sommer 1918 stattgefunden haben muss.

Wir wollen sehen, woher Vázquez oder die  Positio ihre  Information beziehen. 4 Vázquez bietet uns hierzu keinerlei überzeugenden Beleg. Er zitiert drei Zeugnisse, aus denen wir gar nichts entnehmen können, weder den Zeitpunkt des Gesprächs zwischen Vater und Sohn noch seinen Inhalt. Wir müssen Vázquez glauben. Wir wissen also nicht, inwieweit sich die in diesem Absatz behaupteten Dinge überhaupt auf Zeugnisse stützen; wir müssen sie also auf ihren inneren Gehalt hin überprüfen.

Es beginnt mit der „Präambel“. Vázquez übertreibt mit dem Ausdruck „befürchten“:  Will das heißen, dass Don José Angst vor einer mögklichen wütenden Reaktion seines Sohnes ghabt habe? Ich denke nicht, dass Vázquez nur übertreiben möchte, um dem Leser klarzumachen, dass niemand ernsthaft das Architekturstudium mit dem Seminar für vereinbar halten könnte. Auch die „Rechtliche Information“ wird der Leser wohl schlucken, auch wenn er sich nicht ganz exakt dabei ausdrückt. Tatsächlich war die Erlaubnis des Bischofs nötig, wenn ein Kleriker ein ziviles Studium vor oder nach der Priesterweihe beginnen wollte; der CIC verbietet den Klerikern die Ausübung des Anwaltsberufs, außer es handle sich um ausdrücklich kirchentypische Angelegenheiten. 5

Wie bereits in der „Präambel“ angedeutet wird, soll der Leser annehmen, dieses Gespräch habe stattgefunden, nachdem José María seinem Vater mitgeteilt habe, dass er Priester werden wolle. Das heißt, Vázquez gibt uns indirekt zu verstehen, dass dieses Gespräch nach dem Mai 1918 stattgefunden habe, und dass dieses Gespräch deshalb nicht dasselbe ist, das sie 1917 führten, bevor er sich die Frage des Priestertums stellte? Aber ist es sicher, dass einer der drei Zeugen gesagt hat, dass es zwei verschiedene Gespräche gewesen seien? Das wäre eiindeutig, wenn uns Vázquez die drei Zeugenaussagen im Wortlaut angeführt hätte. Genau das tut er aber nicht.

Andererseits muss aber dem Leser die „Präambel“ nur wie eine literarische Floskel erscheinen, die den „väterlichen Rat“ vorbereitet und die in keiner der drei Zeugenaussagen vorkommt. Meiner Auffassung nach hat Vázquez die „Präambel“ ganz frei erfunden, um das Datum plausibel erscheinen zu lassen und die mögliche Gleichzeitigkeit Seminar- Jura-Studium zu unterstreichen.

Dann kommt der „väterliche Rat“:  Der  Vater riet der Vater dem Jungen erneut, dass er eine juristische Karriere anstreben sollte. Ich kann mir gut vorstellen, dass die Zeugen diesen „väterlichen Rat“ bestätigen.

Betrachten wir nun den „Modifikator“  erneut. Was sie uns im Werk erzählten, erscheint mir wenig wahrscheinlich, dass nämlich die angeführten Zeugen hier einen Unterschied zu jenem „väterlichen Rat“ gemacht hätten, den der Vater Escrivá ein Jahr vorher gegeben habe, als er sich noch nicht entschieden hatte ins Seminar einzutreten; dafür sind die beiden Aussagen zu ähnlich. Das aber die Textzeugen fehlen, scheint mir der Modifikator“  erneut eine Erfindung von Vázquez-Positio zu sein. Damit wird in der Geschichte Escrivás die Hartnäckigkeit seines Vaters eingeführt , der seinen Sohn bat, nicht nur Jura anstelle von Architektur oder Medizin zu studieren, sondern Jura während der Zeit im Seminar zu studieren.

Auch hinsichtlich der „Rechtlichen Information“ erscheint es mir unwahrscheinlich, dass dieser Hinweis in den Zeugenaussagen vorgekommen sein soll. Viel wahrscheinlicher  erscheint es mir, dass Vázquez sie eingefügt habe, um den Leser zu belehren. tatsächlich aber soll diese „Rechtliche Information“ implizit den angeblichen Wunsch Don Josés unterstreichen, sein Sohn solle zugleich die kirchlichen wie die juristischen Studien angehen.

Und nun kommen wir zur „Binsenweisheit“. So erscheint es mir, denn wenn der Junge sich entscheiden hat etwas zu studieren, wird er wohl die nötigen Schritte zur Immatrikulation nicht unterlassen haben; man sagt ja auch nicht: „Ich gehe jetzt auf die Straße, auch wenn ich mir die Schuhe anziehe“.-  Wieso auch wenn? Gibt es einen gegensatz zwischen den Studien des Jungen und den notwendigen Schritten, der das auch wenn rechtfertigen würde? Sicherlich nicht. Der Satz erscheint seltsam, überflüssig. Es erscheint jedenfalls unglaubwürdig, dass die „Binsenweisheit“ auf den zitierten Zeugenaussagen beruhen sollte.

Aber in Wirklichkeit steht bei Vázquez kein überflüssiges auch wenn, denn was er mit der „Binsenweisheit“ zeigen möchte ist, dass die endgültige Entscheidung über die juristischen Studien erst später erfolgt sein muss und es im Moment nur entscheidend war ins Seminar zu kommen. Vielleicht will er uns Folgendes zu verstehen geben:

Don José  riet seinem Sohn erneut eine juristische Karriere an, die mit den kirchlichen Studien vereinbar war. Nichtsdestoweniger ließen sie das Thema unentschieden bis zur Zeit nach seinem Eintritt in das Seminar.

Man merkt also insgesamt das kollektive Interesse der Hagiographen, das sich auch in der Positio niederschlägt, und durch die „Binsenweisheit“ glauben zu lassen, dass der junge Mann, als er bereits die Studien im Seminar begonnen hatte, erneut von seiner Familie gedrängt wurde, an eine Jura-Studium zu denken.

Mit anderen Worten, es erscheint mir wahrscheinlich, dass die Zeugen behaupten, der Vater habe dem Sohn eine juristische Karriere angeraten. Weniger glaublich erscheint es mir, dass diese Zeugen versichern, dass es nicht das erste Mal gewesen sein soll, als er diesen Rat erteilte (anders gesagt, dass von Neuem erscheint mit wenig glaubwürdig). Und noch viel unglaubwürdiger erscheint mir das, was dann kommt. Was kann man dann aber noch für ausgemacht halten? Denn es gibt eine gewisse Wahrscheinlichkeit, die sich aber nur schwer bewerten lässt, dass Don José seinem Sohn geraten habe, gleichzeitig die kirchlichen und die juristischen Studien anzugehen. Und allerdings erfahren wir nicht, wie der junge Mann den Rat aufgenommen hat.

Ich denke, dass ich nunmehr den Sinn von alldem begriffen habe, und ich denke, dass ich auch eine weitere schockierende Behauptung von Vázquez 6 verstehe,  die uns begegnet, als er schildert, was Escrivá fünf Jahre später tat, bereits in Saragossa, nach dem Sommer 1923: Der Augenblick war gekommen, so wie vorgesehen das Seminar von Logroño zu verlassen, um seine Studien in Saragossa fortzusetzen.

Wenn man die 60 Seiten seines Buches, die zwischen des beiden Einträgen liegen, hernimmt, findet man keinen Hinweis auf seinen angeblichen Plan Jura zu studieren. 7 Worauf bezieht sich Vázquez mit so wie vorgesehen? Meine Erklärung ist die folgende:

Vázquez, oder auch die Positio, wissen um die Schwäche der Argumentation, um die Übersiedelung  Escrivás nach Saragossa zu rechtfertigen, und, wie wir sehen werden, wissen sie, dass dies eine höchste bedeutsame Frage ist, um die letzten Jahre Escrivás im Seminar zu verstehen, ob nämlich die Entscheidung, Jura zu studieren, mit einer Reihe von Berufungskrisen zusammenhängen könnte. Deshalb müssen sie den Mitgliedern der Heiligen Kongregation für die Heiligsprechungen einbläuen, dass die Entscheidung, ein Jura-Studium zu beginnen, 1923 einfach nur von der Tatsache motiviert gewesen sein solle, dass zu diesem Zeitpunkt bereits vier der fünf Theologiekurse erledigt waren und dass Zeit war für einige Pflichtfächer, ohne dass dies die Ausbildung zum Priester beeinträchtigt hätte. Was machen sie also? Sie konstruieren mit dem oben wiedergegebenen Absatz einige fiktive Pläne der Familie, dass der Jujnge Jura anstelle von Theologie studieren solle, und dann, im nächsten Absatz, rechtfertigen sie den Beginn des Jura-Studium als etwas, was die Familie ohnehin bereits fünf Jahre vorher geplant hatte.

Das heißt, sie belegen das eine durch das anderen, und für keines von beiden haben sie einen Beweis! Das heißt, die Auffassung, dass  Escrivá  ernsthaft an ein Jurastudium während seines Aufenthalts im Seminar gedacht habe, ist durch keinen Beleg gestützt, und sein Entschluss, 1923 tatsächlich damit zu gewinnen, ist durch keinen dokumentierten Plan der Angehörigen oder durch ein juristisches Interesse belegt. Aber es gibt noch mehr Gründe, diese Vermutungen von Vázquez nicht zu beachten: Wenn jetzt der Moment gekommen war und die Entscheidung vor der Übersiedlung gefallen war, warum fand dann die Übersiedlung 1923 statt und nicht 1920?  Andererseits widerspricht diese These den Ansichten von Herrando und Toldrà, da sie die Ansicht vorlegen, dass die Absicht Escrivás gewesen sei, sich gleich nach der Ankunft in Saragossa für Jura zu immatrikulieren, wie wir sehen, wie wir sehen werden.

Wenn jemand diesen klugen Rat Don Josés liest, kann er ihn nur auf eine Art interpretieren: Don José, der damit beschäftigt war, seine Familie zu erhalten, dem am Wohl seiner Kinder gelegen war, wollte damit der Gefahr begegnen, dass sich sein Sohn aus unbedachten Enthusiasmus zum Priestertum entschloss, dass sich diese Entscheidung als nicht tragfähig erweisen könnte und er dann ohne Beruf im bürgerlichen Leben stehen könne. Das soll heißen, durch den Rat, den Don José an Escrivá richtete, empfahl er ihm das Jura-Studium als Sicherstellung für den Fall, dass er seine geplante Karriere als Priester vor oder nach der Weihe abbrechen musste. Von daher scheint mir die Meinung ganz unwahrscheinlich, dass Don José bei seinem Sohn im Zusammenhang mit den Jura-Studien an ein Leben als Priester gedacht habe, da dieses keinerlei Bezug zum Priestertum hat.

Nunmehr glaube ich allerdings, dass Don José seinem Sohn die Motive für diesen Rat erklären musste, den er ihm aus Klugheit gegeben hatte. Und für eine zarte Berufung ist es ein äußerst bedenklicher Zug, wenn man nicht bereit ist alle Schiffe hinter sich zu lassen. Wenn Escrivá diesen Rat angenommen hätte, hätte man annehmen müssen, dass er irgendwie daran dachte seine Neigungen zum Priestertum aufzugeben oder seinen Beruf aufzugeben, falls dies nach der Weihe geschehen sein sollte. Es war wie ein Blick zurück, eine verkappte Versuchung.

Meiner Meinung nach handelte Don José hier nicht mit der genügenden christlichen Klugheit, auch wenn man das entschuldbar ist, denn er kannte den Charakter seines Sohnes am besten. Er dürfte ihn gebeten oder aufgefordert haben noch eine Zeit zu warten, bis er sich seiner Berufung zum Priestertum sicherer war, und sich dann für das eine oder andere zu entscheiden. Und der junge Escrivá hätte nicht wirklich als Christ gehandelt, wenn er auf seinen Vater gehört hätte, der ihm Ratschläge rein menschlicher Klugheit gab, die aber im Widerspruch zu jener Passage des Evangeliums stehen, wir haben alles verlassen und sind dir nachgefolgt, so wie Petrus zum Herrn gesprochen hat, um ihm seine völlige Hingabe zu beweisen, die mit der er sich hundertfachen Lohn verdient hat. .

Wenn Escrivá daher so viel Innenleben gehabt hätte wie seine Hagiographen voraussetzen, hätte er darum gekämpft, seine Berufung nicht durch rein menschliche Interessen in Frage tzu stellen und der Vorsehung nicht vollkommen zu vertrauen. Einerseits wollte sein Vater, der für seinen Sohn ein annehmbares Ausstiegsszenario schaffen wollte, falls er die Berufung zum Priestertum verlieren sollte, andererseits  war der Sohn entschlossen, Priester zu werden, und gleichzeitig wollte er seinen Vater zufriedenstellen, ohne jedoch seinen Weg als Priester in Frage zu stellen. Die andere Möglichkeit wäre es so zu sehen, dass Escrivá  nur für den speziellen Fall bereit war Jura zu studieren, wenn er sehen sollte, dass seine Berufung schwankte, Aber folgen wir der Erzählung.

Von seinem Eintritt in das Seminar von Logroño (1918) bis 1920, hatte Escrivá keinerlei Interesse gezeigt, gleichzeitig Jura zu studieren. Vázquez erzählt uns, 8 dass er im zweiten Studienjahr am Seminar von Logroño über ausreichend freie Zeit verfügt habe. Er nützte sie, um sich in diesen Monaten in philosophische Themen zu vertiefen und sein Latein zu verbessern.  Von Jura ist aber nicht die Rede. 9

Auch wenn Vázquez10 sein Desinteresse an Jura vertuschen möchte, da er uns einen Besuch der Escrivás in Fonz im Sommer beschreibt, vermutlich, sagter, im Sommer 1919, als Don José seine Geschwister besuchte, und er zitiert die Worte eines Zeugen:  

Er hatte Fotos seiner Kinder dabei: von  Santiago, der eben erst geboren war, von Carmen und von  Josemaría. Die zeigte er uns voller Stolz […]. Dann zeigte er auf Josemaría und sagte nachdenklich: Dieser hat mir gesagt, dass er Priester sein will und zugleich auf Anwalt studieren. Das wird uns ein kleines Opfer abverlangen… 11

Herrando12 sagt nicht, dass es eine Reise der Familie gewesen sei, sondern dass der Vater von Josemaría diesen Sommer [1920] oder den davor einige Tage in Fonz war, seiner Geburtsstadt, wo seine Schwestern lebten. Ich glaube, dass Vázquez recht damit hat, diesen Besuch für das Jahr 1919 anzusetzen, denn damals passte die Zeugenaussage, dass Santiago gerade erst geboren war, denn er wurde am 28. Februar 1919 geboren. Und ich glaube, dass Herrando darin Recht hat, dass Don José die Reise allein gemacht hat, denn es macht wenig Sinn Fotos von jemandem mitzunehmen, der ohnehin dabei ist.

Herrando sagt uns, dass María del Carmen damals ein Kind war, sodass ihr Zeugnis, das 55 Jahre später abgelegt worden war, mit Vorsicht zu genießen ist, weil es verfälscht worden sein kann. Andererseits deuten Details der Zeugenaussage auf ein präzises visuelles Gedächtnis hin, oder der Zeuge habe eine große Empathie gegenüber dem Beschriebenen empfunden, sodass sich ihm die Szene deutlich eingeprägt hatte. Wenn wir das Zeugnis als zweifelhaft annehmen und  die Details als unwahrscheinlich, oder dass es durch den großen zeitlichen Abstand verfälscht wiedergegeben worden sei, weil es durch nachher Geschehenes rückwirkend beeinflusst worden sei, dass hätte es wenig Wert und würde dem bereits Bekannten nur wenig hinzufügen.

Wir könnten aber andererseits auch annehmen, dass die Zeugin durch die Bemerkung Don Josés über den bewunderten großen Bruder  ihrer Freundin aus Kindertagen, dass die Szene wie ein Film in ihr Gedächtnis eingegraben blieb. Lesen wir also dieses Zeugnis so.  

Am auffälligsten ist, dass Don José in dem Moment, als er zu seinem Sohn José María sprach, nachdenklich blieb. Etwas beschäftigte Don José hinsichtlich der Berufung seines Sohnes, und das schlägt sich auch in seinem Kommentar nieder. Es sagte nicht, wie es normal wäre: „Er will Priester werden und lebt schon ein Jahr im Seminar in Logroño“. Statt einer objektiven Darstellung dessen, was ist, beschränkt er sich darauf zu wiederholen, was ihm sein Sohn gesagt hat Dieser hat mir gesagt, dass er  Priester sein will. Es scheint, dass er das Vorhaben seines Sohnes realistisch einschätzt, als ob er ernste Zweifel an seiner Beharrlichkeit gehabt hätte. Mit macht es den Eindruck, dass Don José gesagt hat was er fühlte: Wenn sein Sohn auch im Seminar war, so war damit noch nicht sicher, dass er auch geweiht würde. Der Zusatz aber gleichzeitig wird er Jura studieren kann auch so verstanden werden, dass Don José das so wünscht für den Fall, dass der Berufswunsch schief ginge, und dass der Sohn darauf eingegangen sei, wenn auch ohne große Lust.

Um die Dinge noch weiter zu verkomplizieren, fügt der Zeuge einen Kommentar von Escrivás Vater hinzu, der ein anderes Motiv für seine Besorgnis reflektiert: Das wird uns einiges an Opfer abverlangen… Dass er das so sagte, scheint darauf hinzuweisen,. dass die Immatrikulation seines Sohnes für Juraunmittelbar bevorstand und kein Zukunftsprojekt war, das zu einem unbestimmten Zeitpunkt eintreten könnte. Tatsächlich waren bereits mehr als zwei Jahre seit dem ersten Gespräch des Vaters über die Zukunft des Sohnes vergangen, und der Sohn hatte keinen Schritt getan, um eine juristische Karriere anzugehen.

Auf jeden Fall kann  es eine Erklärung dafür geben, warum dieser Plan, falls er denn je bestanden haben soll, in der Folge abgebogen wurde. Das Konsistorium hatte am 30. April 1918 im Mitteilungsblatt der Diözese Calahorra auf den Seiten 332-333 die Vorschrift veröffentlicht:

Kein Kleriker darf ohne die Erlaubnis seines Bischofs einer weltlichen Universität angehören oder an ihr Teile seines Studiums absolvieren. (…)[auf Ersuchen einiger Bischöfe legt dieses Dekret] Normen fest, um im Jura-Studium voranzukommen und sich gegen die großen Gefahren zu wappnen, die, wie  zahlreiche und traurige Erfahrungen lehren, die Heiligkeit des Lebens und die Reinheit der Lehre derjenigen  Priester bedrohen, die an den erwähnten Universitäten vorkommen können.

Falls Escrivá die Absicht gehabt haben soll, sich in Jura zu immatrikulieren, hätte er früher oder später um diese Erlaubnis ansuchen müssen. Wenn man dazu bedenkt, dass der Vatikan erst ganz kurz davor ein Dekret veröffentlicht hatte, dass eine solche Erlaubnis in der Regel zu verweigern sei, wenn es keinen besonders triftigen Grund dafür gab, so hätte das seine Abneigung gegenüber dem Jura-Studium noch verstärken müssen.

Die Hagiographen geben nicht mehr Beweise zu Inhalt und Datum, dass Escrivá vor 1923 auch nur das geringste Interesse an einem Jura- Studium gezeigt hätte. Ich fand noch einen weiteren Hinweis, aber die Catalina  verdient, wie festzustellen sein wird, wegen ihrer Komplexität einen eigenen Abschnitt.

ESCRIVÁ  ERINNERT SICH AN VERGANGENE ZEITEN

Ich möchte auf  Catalina Nr. 1090, geschrieben im Dezember 1933, näher eingehen. Da sein Text geschehene Ereignisse erwähnt oder suggeriert, vor allem Dinge, die im Lauf der Jahre gar nicht geschehen sind,  muss ich nun notgedrungen in meiner Argumentation, dem Material folgend, ebenfalls im Zeitverlauf hin- und herspringen. Den Anfang müsste die Catalina Nr.  1089 vom 19. Dezember 1933 gemacht haben, die besagt:  

Du, Weiser, Berühmter, Beredter: Wenn du nicht demütig bist, taugst du gar nichts. – Beschneide dein alles überwucherndes Ich, reiß es aus – Gott wird dir dabei helfen – und dann kannst du beginnen für Christus zu arbeiten, a der letzten Stelle seines Apostelheeres.

Ich bin mir nicht ganz sich, ob 1089 tatsächlich hier endet oder ob es nicht vielleicht 1090 ist, das mit jenem Text beginnt oder schließt, den ich in der Folge kommentieren möchte:

Mit diesem Satz meinte ich meine eigene Borniertheit, mein Studium nicht zur rechten Zeit in  Saragossa abgeschlossen zu haben. Trotz der menschlichen Gründe sehe ich jedoch auch andere, übernatürliche:  Wenn ich Dr. theol. gewesen wäre, hätte ich mich sicherlich bei der Ausschreibung für ein Kanoni­kat beworben oder mich um andere Dummheiten gekümmert, wie sie in der Zeit von Primo de Rivera üblich waren, etwa Religionsunterricht an der Sekundarstufe zu erteilen, und es wäre all das nicht geschehen, was in Madrid geschehen ist, und vielleicht hätte mich  Gott dann nicht für das O. inspiriert. Er hat mich geführt und sich der Widerwärtigkeiten bedient, sogar meiner Trägheit!

Ich will versuchen zu erklären, was er da sagt, denn einiges daran ist schwierig oder zweideutig. Wenn er sagt, ich habe mich damals nicht graduiert, bezieht er sich auf  seine Studien im Seminar in Saragossa, wo er ohne größere Schwierigkeiten den Grad eines Baccalaureus, Magister oder Doktor in Theologie oder Kirchenrecht ablegen hätte können, so wie viele seiner Kollegen das auch getan haben. Mit dem, was in Madrid geschehen ist, will er die Schwierigkeiten ausdrücken, vor allem die ökonomischen, sich und seine Familie zuerhalten; aber auch die, Arbeit zu finden, häufige Wechsel des Wohnsitzes, Bitten um Erlaubnisse und Lizenzen sowie die beständige Gefahr, dass ihn der Bischof von Madrid aus seiner Diözese hinauswerfen könnte, weil er schon zu lange hier verweilte, etc.

Über all das wollen wir später sprechen. Mit den Worten endgültig für das O. inspiriert will er ausdrücken, dass Gott das Opus Dei über mehrere Stufen und anfangs über Jahre hinweg  ihn ahnen ließ, bis Er ihn im Oktober 1928 und im Februar 1930 das ganze Opus Dei sehen ließ. Ich gebe hier nur wieder, was er gesagt hat. Es gibt aber hier noch immer einen schwierigen Satz: Wer weiß, vielleicht hätte  Gott mich nicht endgültig für das O. inspiriert! Das ist die Schlussfolgerung nach einer Reihe bloßer Mutmaßungen über Dinge, die nie eingetreten sind, und was geschehen wäre, wenn Dinge nicht eingetreten wären, die tatsächlich eingetreten sind. Das heißt, er setzt eine Reihe von Dingen voraus, die nicht der Wirklichkeit entsprechen,  um daraus die hypothetische Schlussfolgerung abzuleiten, dass Gott ihn diesfalls nicht dazu berufen hätte, der Gründer des Opus Dei zu werden.

Bevor ich es noch vergesse: Er erwähnt zwar, dass er sich in Theologie graduieren hätte sollen, aber er spricht mit keiner Silbe von einem Jurastudium. Warum? Weil Jura ihn überhaupt nicht interessierte, obwohl er damals (1933) ein Doktorats Studium durchführte und gerade die Akademie DYA errichtet hatte. Es ist nur eine mühsame Bürde, und es diente dazu, sich aus Saragossa davonzumachen und sich ein paar Peseten als Professor einer Akademie zu verdienen, wie wir weiter unten erfahren werden. Das ist der Hinweis, den uns die Catalina  gibt, wenn wir denken sollen, dass sich Escrivá nicht wirklich für Jura interessiert habe. Ich werde fortfahren und möglichen Einwänden Schritt für Schritt zu begegnen trachten. - Während er im Seminar war, besuchte  Escrivá lediglich eine einzige Pflichtveranstaltung aus Jura, nämlich im Juni den Vorbereitungskurs Spanische Geschichte. Das heißt, er studierte in den Sommerferien sorgfältig die Pflichtfächer aus Jura, so dass sie ihn nicht vom Theologiestudium während der Vorlesungszeit abhielten. Wenn ich die Catalina weiter kommentiere, so deshalb, weil sie ein bezeichnendes Licht auf die Denkweise Escrivás zu werfen in der Lage ist, wenn er etwa seine Vorgangsweise im Jahr 1933 zu rechtfertigen versucht.

Wir wollen versuchen zu ergründen, wie seiner Meinung nach sein Leben ausgesehen hätte, wenn er vernünftig  (und kein Tölpel) und fleißig (und kein Faulpelz) gewesen wäre. Es sagt, dass er sich in erster Linie um ein Kanonikat oder eine Stelle als Religionslehrer an der Sekundarstufe beworben hätte, und der Ausdruck mentirijillas zieht diese Überlegungen etwas ins Lächerliche. Er fügt hinzu, er hätte dann in Madrid nicht so viele Schwierigkeiten erlebt. Vor allem aber sieht er darin einen übernatürlichen Sinn, denn vermutlich hätte Gott ein vernünftiges, fleißiges Vorgehen damit geahndet, dass er ihm nicht das Werk anvertraut hätte.

Er hätte die Vorgänge ja auch so auffassen können: Da mir Gott das Werk anvertraut hat, muss ich mir keine Sorgen machen und mir muss weder meine Unbeholfenheit leid tun noch seine Trägheit, die zu einem guten Ende gelangt sind. Und diese Form der Begründung nannte er „übernatürlich“, während er doch nur darüber nachgrübelte, was er getan hatte und was er nicht getan hatte, was geschehen wäre, wenn er getan hätte, was er nicht getan hättet oder wenn er nicht getan hätte, was er getan hatte. Er versuchte mit plausiblen Argumenten eine Entscheidung zu zu rechtfertigen, die aus aus nicht zu rechtfertigenden Motiven oder Gründen getroffen worden waren; aber es handelt sich dabei um pure Sophismen. 13

Diese Hirngespinste, um die es ihm niemals wirklich ging, sei eine Karriere als Kanonikus oder Theologieprofessor gewesen, die er als nicht erstrebenswert hinstellte (und die es doch im höchsten Maße waren, besonders für einen Priester). Für ihn waren sie eben unerreichbar (Sie sind sauer, rief der Fuchs in der Fabel, als er sah, das er die Trauben nicht erreichen konnte)14. Er scheint sich aber auch nicht, sei er nun darum bekümmert zu haben, welche priesterliche Arbeit er anstreben solle, sei er nun Doktor der Theologie oder nicht, so wie es die anderen seines Weihejahrgangs taten. 

Es erscheint mir auch nicht als übernatürliches Ereignis, dass er Probleme hatte; in der Mehrzahl waren dies die Folgen wiederholter, schwerwiegender Fehler in seinem Verhalten und kein Kreuz, das einem Unschuldigen aufgebürdet worden wäre. Der einzige übernatürliche Grund wäre die Aussicht auf das Werk, aber das wäre höchst seltsam, denn es bliebe höchst un­ver­ständlich, welchen Zusammenhang Escrivá zwischen seiner Überzeugung, träge oder faul zu sein, und einer hypothetischen Weigerung Gottes, das Werk zu inspirieren, bestehen sollte. Aber zweifellos liegt hierin der Schlüssel, diese Catalina zu verstehen. Wenn man weiß, dass er sich schon als den Erwählten Gottes sah, der ein gewaltiges Werk für die ganze Menschheit auf die Beine stellen sollte, so war von seinem Podest aus ein Doktorat in Theologie, ein Kanonikat oder ein Lehrstuhl aus Theologie nur mehr ein Witz - oder schlimmer- Dinge, die Gott daran gehindert hätten, ihn für die Durchführung des Werks auszuwählen. 15

ZUSAMMENFASSUNG DIESES BEITRAGS

Ich bin mir der Tatsache bewusst, dass dieser Beitrag lang und schwierig war. Aber es war notwendig, ihn durchzuziehen, ihn nicht zu zerstückeln. Die anfangs gestellte Frage war, ob Escrivá vor seiner Übersiedlung nach  Saragossa irgendein Interesse gezeigt hatte Jura zu studieren, und zwar in der Art, dass es seine Übersiedung motivieren könnte.  Und deshalb musste ich die wenigen Daten, die die Prälatur zur Verfügung stellt, genau unter die Lupe nehmen.

Für mich erscheint es, ohne dem geringsten Zweifel Raum zu geben, dass Escrivá weder durch Worte noch durch Taten jemals vor seiner Übersiedelung nach Saragossa das Interesse bekundet hätte, Jura zu studieren..

Es scheint mir erwiesen zu sein, dass keine gesicherten Daten darüber vorhanden sind, dass sein Vater ihm geraten haben soll, Jura zugleich mit den kirchlichen Studien anzugehen. Andererseits ist es möglich, dass der Vater ihm sehr wohl geraten haben  könnte, Jura vor dem Eintritt ins Seminar oder nach dem Austritt zu studieren. Aber darüber lässt sich wenig sagen, denn abgesehen davon, dass es hierüber keine direkten Dokumente gibt, ist es Tatsache, dass Escrivá  sich nur sehr am Rande bemühte, das heißt, er beendete seine Jura-Studien erst nach der Priesterweihe.

Und schlussendlich erachte ich es auch als erwiesen, dass die Frage des Jura-Studiums bei der Übersiedlung Escrivás nach Saragossa keine Rolle gespielt haben dürfte. Ich nächsten Beitrag will ich diese These erhärten.  

 

1 Andrés Vázquez de Prada, Der Gründer des Opus Dei, Bd. I, 6. Aufl., Rialp, Madrid 2001, S. 90-91.

2 Die Geschichte des Gesprächs Escrivás mit seinem Vater, um ihm seine Entscheidung mitzuteilen, berichtet Vázquez, s. o.., S. 101. Man beachte, dass kein Datum von diesem Bericht angegeben ist, dessen Archivnummer AGP, P04 1974, II, S. 398 lautet. Das scheint anzudeuten, dass es 1974 niedergeschrieben worden sei.

3 Ramón Herrando Prat de la Riba, Los años de seminario de Josemaría Escrivá  en Saragossa (1920-1925), Rialp, Madrid 20

4 Vázquez weist am Ende dieses Abschnitts bei Anm. 90 darauf  hin, dass er uns drei Zeugenaussagen aus der Voruntersuchung des Seligsprechungsverfahren schickt, die für den gewöhnlichen Sterblichen gar nicht zugänglich sind. Von den beiden ersten wurde uns nichts mitgeteilt, weder Datum noch Inhalt. Vom letzten, Jesús Álvarez Gazapo, teilt er uns nur das Folgende mit: „Es war ein kluger Rat“.  Dazu merkt Vázquez an:  Wie der  Gründe später kommentierte, hat sich der Herr auch dessen bedient, um ihm eine juristische Mentalität zu geben, die später von großem, Nutzen sein sollte. Wieder ein Vorzeichen, das von Escrivá auf Vázquez übertragen wurde: Eine Handlung in der Vergangenheit mit fragwürdigem Ausgang soll durch die Früchte, die die Zukunft bringen wird, gerechtfertigt werden. Und ich fügr hinzu, die Ergebnisse dieser juristischen Bemühungen sind zweifelhaft, denn man muss feststellen, dass viele Manipulationsversuche Escrivás auf erbärmliche Weise scheiterten. Man erinnere sich daran, wie Escrivá mit dem Versuch gescheitert ist Johannes XXIII zu bewegen, das Werk in eine Prälatur nullius umzuwandeln, deren besonderes Recht in den (bereits approbierten) Constitutiones  des Säkularinstituts bestehen sollte; ein juristischer Zentaur, eine Hybridform von Säkularinstitut und Teilkirche. Vgl. Amadeo de Fuenmayor, Valentín Gómez-Kirches, José Luis Illanes, Itinerario jurídico del Opus Dei,  Anhang 44. 02, S. 25, Anm. 14. 

5 C. 139, §2. 

6 S. o., S. 166-167. 

7 C 8, s.o., S. 110.

8 Ebda. 

9 Er könnte sich bereits 1918 als inoffizieller Hörer in Saragossa immatrikuliert haben. Diese Art der Immatrikulation wählte er während seines gesamten Jurastudiums. Das Diplomstudium für Jura begann außerdem mit einem Vorbereitungskurs, der drei recht allgemeine Pflichtfächer umfasste, die er auf eigene Faust studieren konnte: Spanische Sprache und Literatur, Spanische Geschichte und Grundlagen der Logik. Tatsächlich hat er dies fünf Jahre später absolviert.

10 S. o., S. 119.

11 Das Zitat stammt aus der Zeugenaussage von María del Carmen Otal, Baronesse von Valdeolivos. Sie war damals ein kleines Mädchen, versichert Herrando im oben zitierten Werk, S. 28. Es war dasselbe Mädchen, das Jahre zuvor Zeugin der Szene mit der Burg aus Spielkarten war.

12 S. o., S. 28.  über den Einwand gegenüber den Worten Don José Escrivás in Fonz, die wir in der Folge untersuchen werden. 

13 Vgl. auch http://de.wikipedia.org/wiki/Strohmann-Argument.

14 Man muss wissen, dass Escrivá  geplant hatte, sich im Juli 1928 bei  einer Ausschreibung zum Kanoniker zu bewerben. Er führte dies ebenso wenig durch wie sein Doktorat.

15 Ironischerweise zeigt sich, dass er 22 Jahre später den Doktorgrad aus Theologie an der Päpstlichen Lateranuniversität erworben hat, ohne vorher Baccalaureus oder Magister gewesen zu sein, mit einer Neubearbeitung seiner – juristischen! – Dissertation.

 

Jaume García Moles

(wird fortgesetzt)

 Zurück