José María Escrivá Albás: Einige historische Probleme

 

Jaume García Moles

 

11/06/2013

 

12. Beitrag.

Kapitel 3.  Die Übersiedlung nach Saragossa

WARUM ÜBERSIEDELTE ESCRIVÁ VON LOGROÑO NACH  SARAGOSSA?

Bevor wir danach fragen, aus welchen Motiven der Seminarist nach Saragossa gegangen ist, und wenn wir die Sache mit dem Jura-Studium einmal beiseitelassen, müssen wir uns erst noch klar machen, was die Familie Escrivás dazu veranlasst haben könnte, dass José María sein Zuhause verlässt und fortgeht, um Priester zu werden, und zwar in der Diözese Saragossa anstelle von Calahorra. Diese Entscheidung brachte einige Nachteile mit sich, und  es war nicht die unbedeutendste davon, dass die Orte, in denen er nach seiner Weihe als Seelsorger eingesetzt sein würde, zum Territorium der Diözese Saragossa gehören würden, das heißt, sie waren weiter weg  vom Zuhause seiner Familie  als jene der Diözese Calahorra.

Da es ja scheinbar keinen Konflikt zwischen ihm und seinen Eltern gegeben haben dürfte, müssen wir nach einem äußeren Ereignis suchen, das die Entscheidung zur Übersiedlung nahelegte. Und tatsächlich gab es da eine Verbindung mit der Erzdiözese Saragossa: Don Carlos Albás, ein Bruder der Mutter Escrivás aus Teruel, hatte im April 1919 die Würde eines Archidiakons an der Kathedrale von Saragossa erlangt. 1 Folglich nahm Don Carlos seine Wohnsitz in dieser Stadt, wo er mit seiner verwitweten Schwester Candelaria und deren Tochter, Manolita Lafuente,2 lebte.

Escrivás Mutter  musste in diesem Faktum eine Chance gesehen haben, dass sich die priesterliche Karriere ihres Sohnes leichter und glänzender gestaltete, als man es sich sonst vorstellen konnte. Der Vater dürfte dabei im Auge gehabt  haben, dass es für seinen Sohn in Saragossa einfacher  war, ein allfälliges Jura-Studium aufzunehmen, auch wenn er es nicht nach außen hin zeigte, weil er seinen Sohn nicht an seiner Berufung wankend machen wollte. Der Junge, Escrivá, beschränkte sich vermutlich darauf, das auszuführen,. was seine Eltern entscheiden hatten, mit der natürlichen Freude eines jungen Mannes, der die größte Stadt der Region kennenlernen und dort wohnen wird, das Zentrum der aragonesischen Marienverehrung, wo ihn vielversprechende Aussichten erwarteten.

Die Hagiographen zitieren gerne und ausführlich den alten Kollegen und intimen Freund Escrivás, Don Francisco Moreno Monforte, über den Herrando Folgendes berichtet:

Im September 1920 trat er in das  Seminar San Francisco de Paula aus dem  Seminar von  Teruel über, um das 5. Semester Theologie zu studieren. Er war der Neffe von Don Antonio Moreno Sánchez, dem Vizerektor des Priesterseminars  San Carlos. Zwischen  1921 und 1924 belegte er drei Vorlesungen aus Kanonischem Recht an der Päpstlichen Universität von Saragossa (…). Das Zeugnis von Don Francisco ist das umfangreichste von allen Freunden  aus dem  Seminar und behandelt gründlich die Erinnerungen an die vier Jahre, die er gemeinsam (…) mit Josemaría verbracht hatte, mit dem ihn eine große Freundschaft verband. Sicherlich war er jene Person, die mit dem Gründer des  Opus Dei den meisten Umgang hatte und die ihm am engsten verbunden war (…) Sie verbrachten einen Teil der Sommerferien miteinander in Villel (Teruel), bei der Familie Moreno, und in Logroño bei der Familie Escrivá3.

Hier einige Zeilen aus dem Zeugnis von Moreno Monforte:

[Escrivá] ging nach  Saragossa  wegen eines Onkels  — Don Carlos Albás — der Kanoniker und Archidiakon war (…)  Und ich denke, dass es Josemarías Mutter war,  die ihren Bruder dazu brachte, ihrem Sohn den Eintritt in das Seminar  San Carlos zumindest zu erleichtern, zu den bestmöglichen Bedingungen, und so kam Josemaría nach  Saragossa.

Es ist nicht daran zu zweifeln, dass dieses Zeugnis zeitnah und authentisch das Motiv der Übersiedlung Escrivás beschreibt, denn die beiden Seminaristen schlossen Freundschaft, nachdem sie gleichzeitig in das Seminar San Francisco de Paula eingetreten waren. Man beachte dabei, wie ähnlich die Lebensumstände der beiden Seminaristen waren, ein Faktum, das auch ihre Freundschaft erklärt. Beide kamen aus einer anderen Diözese, hatten in Saragossa einen Onkel, der ein bedeutendes kirchliches Amt innehatte, und sie waren in besser gestellten Familien aufgewachsen, weil Don Francisco Sohn eines Arztes war. Es ist außerdem möglich, dass Don Francisco den Onkel Escrivás, Don Carlos, schon vorher in Teruel kennengelernt haben kann.

Nun gut, das Motiv, das uns Don Francisco für die Übersiedlung Escrivás nach Saragossa nennt, wird von den Hagiographen geflissentlich übergangen. Das ist an sich schon ein Hinweis dafür, dass es sich um das stärkste und eigentliche Motiv gehandelt haben muss. Das klingt jetzt auf den ersten Blick wie ein zynischer Kommentar; aber wie wir aus den vorangegangenen Beiträgen ersehen, ist es das nicht, sondern wir sind einer gewohnheitsmäßigen Taktik der Hagiographen Escrivás auf der Spur, die alles gern der Vergessenheit  überantworten möchten, was ihren Interessen zuwiderläuft.

Das Motiv, das Moreno Monforte nennt, ist andererseits vollkommen natürlich, wie ich mir im Gespräch mit Priestern der betroffenen Diözesen bestätigen ließ. Wenn die Hagiographen Escrivás dieses Zeugnis von Don Francisco Moreno von Anfang an akzeptiert hätten, wäre die Übersiedlung Escrivás bis 1923 nachvollziehbar gewesen. Aber aus Gründen, die sich erst später enthüllen werden, mussten die Hagiographen der Prälatur diese Übersiedlung auf den angeblichen Wunsch Escrivás gründen, Jura zu studieren. Deshalb verwirrten sie den Bericht, um die Ungereimtheiten auszubügeln, die aus dieser willkürlichen Falschinformation entstanden.

Um meine These zu bestätigen, die das Zeugnis von  Monforte übernimmt, muss ich der Vorgangsweise nachgehen, die Escrivá aus den beiden Alternativen, über die er verfügte, ausgewählt hat, um den Wechsel nach Saragossa zu vollziehen.

Einerseits konnte er sich exkardinieren und neu inkardinieren lassen4. In einem solchen Fall exkardinierte der Ordinarius von Calahorra Escrivá, damit er sich in Saragossa inkardinieren konnte, das heißt, er wurde unter die Jurisdiktion des Ordinarius von Saragossa transferiert. So war der Seminarist in allem vom Ordinarius von Saragossa abhängig, und der von Calahorra hatte keine Autorität mehr über ihn.

Andererseits konnte er eine befristete Erlaubnis erwirken, durch die der Seminarist durch den Ordinarius von Calahorra ermächtigt wurde, nach Saragossa zu übersiedeln, um seine kirchlichen Studien zu vervollständigen oder andere Tätigkeiten auszuüben, die diese Übersiedlung rechtfertigten. Am Ende musste er in seine Heimat- Diözese Calahorra zurückkehren, die in diesem Fall ja noch immer für ihn zuständig war.

Dass Don Francisco Moreno selbst übersiedelt ist, zeigt, dass der Wechsel des Seminars, wenn man die Möglichkeit hat sich an einer Päpstlichen Universität zu graduieren oder in der Stadt einen verwandten Priester zu haben, auf den sich der Seminarist stützen konnte, etwas völlig Normales ist.

Nun, eine einfache Erlaubnis des Bischofs von Calahorra5, um die kirchlichen Studien in Saragossa fortzusetzen, einer Stadt, in der es eine Päpstliche Universität gab, wäre einfach zu erlangen gewesen, wenn es nur darum gegangen wäre, die akademischen Grade in Philosophie, Kanonischem Recht und Theologie zu erwerben.

Aber hier haben wir den entscheidenden Punkt: Wäre er unter der Jurisdiktion seines  Ordinarius, des Bischofs von Calahorra verblieben, hätte er damit rechnen müssen, nach der Priesterweihe in abgelegene, unbequeme Nester in den Bergen von Cameros, Demanda oder Urbión geschickt zu werden. Die Mutter war aber nicht bereit, das hinzunehmen, und wir glauben, dass es beim Sohn ebenso war, und er hatte die Mittel, dies zu vermeiden, nämlich vermutlich den Einfluss des Archidiakons des Erzbischofs von Saragossa 6. Im Gegenteil, wenn er den Weg einer Ex- und Inkardination gewählt hätte, hätte ihn sein priesterlicher Weg an Saragossa gebunden. Da sie es gewohnt waren, sich mit Empfehlungen und Einflussnahmen zu behelfen, wählten die Escrivás diesen Weg.

Aufgrund der späteren Ereignisse lässt sich schließen, dass sich der Archidiakon dem Gedanken nicht verschloss, sondern dass er den Neffen aufnahm und ihm gerne so gut wie half,  sein Leben als Seminarist zu erleichtern; und diese Fakten stimmen mit dem Zeugnis von Moreno Monforte überein.

Es scheint mir, dass ich im vorangegangenen Beitrag zur Genüge erwiesen habe, dass der Entschluss des jungen Mannes zu übersiedeln nichts mit dem Vorhaben zu tun hatte, zugleich das Seminar und das Jurastudium zu absolvieren. Tatsächlich unternahm er von 1918 bis 1920 nichts, um Jura in  Logroño zu studieren; und bis zum Sommer  1923 tat er auch im Seminar von Saragossa nicht das Geringste in dieser Richtung. Man weiß nicht einmal, dass er vielleicht aus purer Neugier auf eigene Faust eine Lehrveranstaltung belegt hätte, ohne danach damit fortzufahren, aus Neugier oder purem Interesse. Außerdem äußert sich Vázquez 7 begeistert über die Neigung des jungen Mannes, Bücher in der großartigen Bibliothek des Seminars San Carlos in Saragossa zu lesen, wo er lebte, seinen literarischen Neigungen folgend. Der Lektüre widmete er viele Stunden, die er sogar dem  Schlaf abrang, während einer fruchtbaren Periode, die zwei Jahre lang währte. Wir erfahren aber nicht, dass er ein Jura-Buch aufgeschlagen hätte. All das passt perfekt zu der These, die ich gerade präsentiert habe, und die ich wiederhole, damit sie sich dem Leser einprägt: Escrivá übersiedelte nach Saragossa vor allem bewegt durch die Hoffnung, bessere Umstände nach der Priesterweihe vorzufinden, mit der Hilfe seines Onkels, des Archidiakons. Deshalb wählte er das Schema der Inkardination/Exkardination.

DIE UMGEKEHRTE ARGUMENTATION DER PRÄLATUR

Mir scheint, dass diese Argumente, zusammen mit dem vorangegangenen Beitrag, zwingend sind, aber da dies von entscheidender Bedeutung ist, wenn wir der Berufungsgeschichte Escrivá über die Jahre hin folgen wollen, müssen wir den Wert der Gründe gegeneinander abwägen, die die Hagiographen liefern.

Ich möchte mit einer eigenartigen Behauptung von Vázquez 8 beginnen, der sagt:

Diese Übersiedlung [von Logroño nach Saragossa] erforderte implizit die Erlaubnis des Bischofs von  Calahorra-La Calzada, die Rechte in Saragossa zu studieren.

Man weiß nicht, auf welcher Grundlage er das sagt, da es doch dem gesunden Menschenverstand widerspricht, dass ein Bischof  jemandem Aufträge oder Beschränkungen erteilen sollte, der die Jurisdiktion über einen Seminaristen übernimmt. Wenn es sich um eine befristete Erlaubnis ohne Exkardination gehandelt hätte, wäre das allerdings zutreffend gewesen. Was ist übrigens eine implizite Erlaubnis? Diese kühne Erfindung von Vázquez, findet seine Erklärung, aber wir werden sie an ihrer Stelle mit allen notwendigen Details erläutern. 9

Wir sollten noch einmal die Gründe durchgehen, die Herrando für die Übersiedlung nach Saragossa angibt, 10 denn er hat die längste und am besten dokumentierte Liste.  

Er beginnt damit, schüchtern ein Motiv vorzuschlagen, das Escrivá für das Jura-Studium gehabt haben könnte, eine Mischung von  Vermutung und betrügerischem Eifer, denn er setzt wie ein nachträgliches Orakel voraus, dass die Leser bereits wissen, wie all das ausgehen sollte. Er sagt uns:

Während der beiden letzten Jahre war er in eine große apostolische Unruhe wegen seiner ehemaligen Jahrgangskollegen geraten. Das offenbarte er einmal Máximo Rubio, einem anderen Seminaristen aus Logroño: In unmittelbarer Zukunft sollten sie die Gesellschaft beeinflussen, aber er sah sie mit ihrem Mangel an Frömmigkeit und Bildung. Ein möglicher Weg, dieses apostolische Bemühen in die richtigen Bahnen zu leiten, könnte darin bestehen, den Rat umzusetzen, den ihm sein Vater gegeben hatte, als er ihm das erste Mal davon erzählt hatte, dass er Priester werden wolle: auch  Jura zu studieren.

Herrando möchte uns glauben machen, dass Escrivá sich entschied Jura zu studieren, weil er dachte, dass er so eher an junge Menschen herankam, die der Frömmigkeit und der Bildung so nötig bedurften. Es ist schwer vorzustellen, an welcher Arbeitsstelle eines Juristen außerhalb eines universitären Lehrbetriebs ein Priester junge Menschen zu einem Leben der Frömmigkeit anleiten sollte oder in welchem priesterlichen Amt ein Priester-Jurist Jugendliche in ihrem Frömmigkeitsleben besser unterstützen sollte als als Nichtjurist. Und es ist noch schwieriger sich vorzustellen, dass ihm sein Ordinarius einen solchen Posten zuweisen könnte. Es ist klar, dass uns Herrando vielleicht weismachen möchte, dass Escrivá in seinem Herzen bereits ahnte, dass er etwas Neues gründen sollte, dass irgendetwas mit einem Magistergrad aus Jura zu tun haben sollte, damit er Unterricht in Akademien geben konnte. Das ist ein Betrug in der Argumentation, aber es eröffnet uns eine Aussicht auf das, was Escrivá möglicherweise als Vorahnungen dessen verstand, worum Gott ihn bat. Diese Projekte, Ideale oder Wünsche Escrivás,  einen Weg einzuschlagen, der diesen apostolischen Eifer aufnehmen sollte, waren Entwürfe,  Skizzen für sein Lebensprojekt, das noch im Embryonalstadium war und nachher Opus Dei heißen sollte.

Die folgende Begründung Herrandos, die jetzt auf das Zweckmäßige abzielt, lautet: Es war eine günstige Verbindung, die es Josemaría gestattete seine Familie besser zu unterstützen, obwohl seine ältere Schwester Carmen im September 1920 praktisch ihre Ausbildung zur Lehrerin beendet hatte und jetzt ihrer  Mutter besser im Haushalt und bei der Pflege des jüngsten Bruders helfen konnte. Ich gestehe, dass ich zusammenzuckte, als ich das zum ersten Mal  las,  da ich eine andere Antwort erwartet hatte: Ich hatte erwartet, dass Carmen möglichst rasch von ihrem neuen Titel Gebrauch machen und Geld verdienen sollte, um zur Lösung der wirtschaftlichen Probleme beizutragen, die nicht zuletzt durch die Ausgaben des Seminaristen verursacht wurden; aber nein: Aus irgendeinem geheimnisvollen Grund übte die junge Frau den Lehrberuf nicht aus, obwohl sie die Ausbildung dazu möglichst schnell abgeschlossen hatte. Es ist, als ob hier alle an „Familiosis“ litten, ein Ausdruck, den Escrivá im Lauf der Jahre erfinden sollte, um diejenigen in seinem Werk zu brandmarken, die sich so verhielten wie er, seine Schwester und seine Eltern, zumindest seit seiner Ankunft in Logroño. Aber dazu kommt, noch, dass die Übersiedlung des Jungen nach Saragossa das häusliche Leben der Mutter nicht verkomplizierte, sondern vereinfachte, weil es die Möglichkeit bot, dass Carmen ihren Beruf ausübte. Auch in dieser Hinsicht ist das Argument Herrandos völlig sinnlos.

Herrando fügt hinzu, dass er abgesehen von dem Hauptgrund, nämlich Jura zu studieren, noch andere Motive hatte, nach  Saragossa zu übersiedeln. Es war die nächste Universitätsstadt von Logroño aus. Es scheint, dass Herrando sagen möchte, dass Escrivá, gesetzt den Fall, er hätte Jura studieren wollen, idealerweise nach Saragossa gegangen ist, weil es näher als andere Universitätsstädte ist. Ich gebe ihm da Recht, aber er hätte auch genauso gut in Logroño bleiben und hier für sich Jura studieren können. Mit ziemlicher Sicherheit bot irgendeine Akademie in Logroño solche Studien an. In jedem Fall ist seine Argumentation nur dann stichhaltig, wenn man  annimmt, dass er Jura studieren wollte; dazu kam es aber nicht.

Herrando fährt fort: An einer Päpstlichen Universität konnte er sein Theologiestudium auf einem höheren akademischen Niveau fortsetzen.  Warum aber war er dann nicht gleich, schon 1918,  in das Seminar von Saragossa eingetreten?  Und warum graduierte er sich nicht, wenn er nun schon einmal in Saragossa war, als Magister oder Doktor, ein Faktum, das er später bereute und orakelhaft ausdeutete? 11 Und warum ging er nicht nach Burgos, das zur selben Kirchenprovinz wie Calahorra gehörte,  das damals ebenfalls eine Päpstliche Universität hatte und nicht viel weiter als Saragossa entfernt war?

Herrando weiter: Wenn er in Logroño geblieben wäre, hätte er für das 3. theologische Semester nach  Calahorra gehen müssen. Oder die Übersiedlung des Seminaristen nach Calahorra im Lauf von drei Jahren war mühsamer für die Escrivás als die Übersiedlung innerhalb von vier Jahren nach Saragossa,  während Saragossa weiter entfernt und teurer war. Das ist absurd.

Herrando schließt mit der Bemerkung, dass es Verwandte in Saragossa gab, und er erwähnt ein Ehepaar, das große Zuneigung zu Escrivá hatte, aber es wird in der Cronología  nur mehr erwähnt, wenn er uns mitteilt, dass Escrivá und seine Schwester zur Totenwache des Ehemannes kamen. Dann, fast wider willig, erwähnt er Don Carlos Albás, Archidiakon an der Kathedrale von  Saragossa seit April 1919, der ihn zweifellos in allem unterstützte, was mit dem Umzug zusammenhing.

Und hier riecht man die Manipulation durch Herrando schon von weitem. Er möchte den Archidiakon wegbekommen, so wie Vázquez Don Manuel González. Zu diesem Zweck setzt er ihn an die letzte Stelle der möglichen Gründe , und zwar mit einem Fragezeichen. Die Wirklichkeit sieht gänzlich anders aus. Es steht fest, dass Don Carlos mit seinem Neffen während der ersten Jahre in Saragossa einen herzlichen Umgang hatte; er half ihm zumindest, ein Stipendium zu bekommen, und vielleicht auch, Inspektor zu werden, was ihm mehrere Vorteile brachte, unter anderem ein ganzes Stipendium. Wir wissen von Einladungen zu Mahlzeiten und zum Kaffeetrinken, dass er ihn seinen Freunden vorgestellt hat, Persönlichkeiten des kirchlichen und des universitären Lebens der Stadt, und er fühlte sich verantwortlich für seinen Neffen im Seminar San Francisco de Paula. In seinem Haus wurde jede Woche die Wäsche Escrivás gewaschen und ausgebessert.

Aber da gibt es noch etwas. Wir wissen, dass in diesen Jahren, bis 1922, ein Cousin der Mutter Escrivás12, Don Cruz Laplana, Pfarrer an der Kirche San Gil in Saragossa war. Don Cruz war vorher jahrelang als Priester Inspektor des Seminars San Francisco de Paula13, er wurde 1921 zum Bischof von Cuenca ernannt und 1922 geweiht. Es ist also schwer zu glauben, dass Don Carlos seinen Neffen nicht mit Don Cruz bekannt gemacht hätte, als die drei gleichzeitig in Saragossa weilten, und vor allem als es seine Ernennung zum Bischof zu feiern galt. Ein Jahr später gab es die Gelegenheit zu einem Wiedersehen beim Begräbnis des Kardinals Soldevila, zumal Don Cruz hier zelebrierte, wie das offizielle Diözesanblatt dieses Jahres berichtet. Und Don Cruz sollte in der Zukunft Escrivás noch eine wichtige Rolle spielen, die wir später erwähnen werden. Und dennoch übergeht Herrando diesen Verwandten. Warum? Weil wir nicht erfahren sollen, dass er in Saragossa war und im verborgenen Leben Escrivás in dieser Erzdiözese eine Rolle spielen wird, wie ich weiter unten beweisen werde.

Toldrà und Vázquez schildern dieselben Gründe für die Übersiedlung. Umgekehrt macht Vázquez14, als er uns über die Entscheidung Escrivás,  Priester, aber nicht Mönch  zu werden, informiert, folgende Behauptungen, die unser Thema berühren: Der kirchliche Status als Weltpriesterließ ihm eine Meinungs- und Bewegungsfreiheit, die es ihm erlaubte, den Notwendigkeiten seiner Familie zu entsprechen, eine zivile Karriere anzufangen, die mit dem priestertum vereinbar war, wie es bei einigen Professoren des Instituts der Fall war, und gegenüber den Anregungen des Herrn verfügbarer zu sein, da er an kein Gehorsamsgelübde gebunden war.

Vázquez wollte damit sicherlich den Unterschied zwischen einem Welt- und einem Ordenspriester herausstreichen. Aber das Bild, das er vom Leben eines Weltpriesters entwirft, entspricht bei Weitem nicht der Wirklichkeit von damals, denn dieser Stand erlaubte es sich, sich um die Notwendigkeiten der Familie zu kümmern oder eine zivile Karriere einzuschlagen oder eine größere Verfügbarkeit gegenüber den Anforderungen des Herrn zu haben, da er bereits durch einen Eid an den gehorsam gegenüber seinem Bischof gebunden war, in seiner Diözese bleiben musste und sich auch in jedem einzelnen dieser drei Fälle den Anordnungen des Bischofs fügen musste.

Diese Manipulationen sollten ausreichen, den Leser hellhörig zu machen und ihm den Schluss erleichtern, dass der einzige und hauptsächliche Grund für die „Inkardination“ Escrivás in Saragossa die Anwesenheit seines Onkels  Don Carlos Albás war, eines Archidiakons an der Kathedrale, der vielleicht seinen Werdegang als Priester beeinflussen konnte. So geben wir, mit unabhängigen Argumenten, Don Francisco Moreno Monforte bei seinem Zeugnis Recht. Man muss ihm soweit Recht geben, dass man sagen könnte, auch wenn es eine Gedankenspielerei ist, hätte Don Carlos nicht während dieser Jahre in dieser Stadt gelebt, so wäre Escrivá nicht dorthin gezogen und hätte auch nicht Jura studiert.

Jaume García Moles

(wird fortgesetzt)

 

1 Im Buch von Vázquez fehlt das Datum der Inkorporation von Don Carlos in die Diözese von Saragossa. Herrando hat es in seinem Buch erwähnt (Los años de Seminar…, S. 29). Die Tatsache, dass dies erst kurz vor dem Aufenthalt Escrivás im Seminar geschehen sei, zerstört die Annahme, dass der Archidiakon großen Einfluss in der Erzdiözese gehabt hätte, wie Vázquez – und Escrivá – uns glauben lassen wollen.

2 Andrés Vázquez de Prada, Der Gründer des Opus Dei, Bd. I, 6. Aufl., Rialp, Madrid 2001, S. 118.

3 Ramón Herrando Prat de la Riba, Los años de Seminar de Josemaría Escrivá en Saragossa (1920-1925), Rialp, Madrid 2002, S. 351-352. 

3 Ramón Herrando Prat de la Riba, Los años de Seminar de Josemaría Escrivá en Saragossa (1920-1925), Rialp, Madrid 2002, S. 351-352.

4 Die juristischen Ausdrücke Exkardination (auch  Exeat genannt) und Inkardination wurden im CIC de 1917 für Laien abgeschafft und blieben nur für Kleriker in Kraft. Dehalb galt die Regelung 1918 nicht mehr. Dennoch verwendete man diese Ausdrücke damals noch, zumindest für Seminaristen, wie die Dokumente zeigen, die im Fall Escrivás 1918 und 1920 Verwendung fanden.

5 Wie geagt, ich beziehe mich auf eine einfache Erlaubnis, die seine Stellung als dem Bischof  von Calahorra zugeordnet nicht veränderte. So musste er sich nach der weihe diesem Bischof zur Verfügung halten, um seine Weisungen entgegenzunehmen.

6 Wie wir sehen werden, diese Neigung von Mutter und Sohn, alle Hebel in Bewegung zu setzen, um Posten oder Vorteile zu erlangen, lässt sich sein ganzes Leben hindurch nachweisen, obwohl Escrivá immer wieder und nachdrücklich das Gegenteil behauptet hat. Ich möchte ein Beispiel dafür geben, das mir liebenswürdigerweise Vázquez  an die Hand gibt (s. o., S. 88, Anm. 8), wo Escrivá Folgendes sagt: Wegen des rein geistlichen Auftrags, den mir der Herr anvertraut hat, war meine Verhaltensnorm immer, jemals eine Empfehlung abzugeben, mit der einen Ausnahme, wenn es im Interesse meiner geliebtesten Heimatstadt Barbastro oder seines Umkreises war.  Unter Umständen hat er das nicht gemacht, auch wenn wir es im Fall von Don Antonio Rodilla gesehen haben, aber das macht sein Verhalten noch abstoßender: Ständig auf Protektion aus zu sein und es dabei abzustreiten. 

7 S. o., S. 166.

8 S. o.,  S. 167.

9 Ich möchte annehmen, dass sich Vázquez schlecht ausgedrückt hat, denn er behauptet, ohne Belege beizusteuern, das Folgende: Beim Vorgang der Exkardination habe Escrivá den Ordinarius von Saragossa die Inkardination zu erteilen, eine Bedingung dafür, dass der von Calahorra ihm die Exkardination erteilen könne mit der Begründung, dass er Jura studieren könne. Sobald diese beiden Gesuche erfüllt waren, stellte er, nunmehr bereits sicher, einen Antrag in Saragossa, zusammen mit dem Bescheid aus Calahorra, indem er um die Inkardination in Saragossa ansuchte, vielleicht noch ohne das genaue Motiv anzugeben, das dann im Gesuch von Calahorra stand.  Und in diesem Sinn konnte er vielleicht, wenn auch etwas unsauber, sagen, dass er die implizite Erlaubnis des Ordinarius von Saragossa erhalten hatte, Jura zu studieren. Jedenfalls war der zuständige Ordinarius für die äußere Bildung des Seminaristen der von Saragossa, und dieser musste entscheiden, ob es angebracht war, dass Escrivá diese Studien aufnahm, nicht der von Calahorra. wie Vázquez glauben lässt.

10 S. o., S. 27 ff. 

11 Siehe den vorangegangenen Beitrag.

12 Toldrà, s. o., S. 200.

13 Archiv der Diözese von Barbastro, Fasz.1067, Antrag vom 2/10/1901 von Don Cruz Laplana y Laguna an den Bischof von Barbastro wegen der Exkardination nach Saragossa aufgrund seiner Ernennung zum Direktor des Seminars San Francisco de Paula.

14 S. o., S. 99, Anm. 82. 

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