Atomito: Das heilige Marketing

 

4. Mai 2009

 

Escrivá predigte die heilige Unverschämtheit, die heilige Unnachgiebigkeit und das heilige Drängen; und er praktizierte das heilige Marketing. Es war ein Meister und ein Visionär in dieser Disziplin. Sehen wir zum Beispiel, was er anfängt, um die Berufung eines Numerariers zu bewerben. Es ist natürlich viel schwieriger, einen jungen Menschen dazu zu bringen, sein Leben hinzugeben und zölibatär zu bleiben, als ein Handy oder ein Shampoo zu kaufen. Im Marketing spricht man von einer wichtigen Entscheidung, wenn das Produkt, das man verkaufen will, einen hohen Prozentsatz vom Einkommen des Konsumenten kostet. Die betreffende Person denkt gut darüber nach und überlegt sich die Folgen, bevor sie sich entscheidet. Für diesen Fall schlägt das Marketing-Handbuch vor, dass man dem potentiellen Käufer Garantien anbietet: „Zufriedenheit garantiert, oder Geld zurück“, oder „Wir garantieren Ihnen ein Jahr vollste Zufriedenheit“. Das Gleiche machte Escrivá: Er garantierte seinen Kindern den Himmel, wenn sie die Normen erfüllen. Natürlich, man muss die Normen erfüllen, eine Garantie ist immer an bestimmte Bedingungen geknüpft, die die Garantieverpflichtung aufheben, wenn sie nicht erfüllt worden sind. So bietet auch eine betrügerische Werbung Flugreisen für 15 € an, aber wenn man das Ticket kauft, machen die Taxen und Zusatzgebühren über 50 € aus. Den Vierzehnjährigen erklärt man, dass „die Hingabe total und für immer ist”, aber man sagt ihnen nicht, dass sie zwei Stunden am Tag einen Bußgürtel tragen oder sich ausschließlich internen Aufgaben werden widmen müssen, denen sie sich nicht mehr entziehen können...

 

Eine Strategie, um eine höhere Marge bei einem Produkt zu erzielen (es teurer zu verkaufen) besteht darin, es als Statussymbol zu verkaufen. Die Botschaft der Werbung geht immer in die Richtung: „X – weil du es dir wert bist“; „X – du hast es dir verdient“. Escrivá nutzte diese Strategie auf wirksame Weise: “Führender Mann sein … du reißt die anderen mit deinem Beispiel mit”. Nike warb mit “Just do it”. Um den Zölibat zu verkaufen, meinte er: „Die Ehe ist für die gewöhnliche Truppe, nicht für den Führungsstab.” Klingt das nicht ein bisschen wie „Begnüge dich nicht damit, Supernumerarier zu sein – auch du kannst zum auserwählten Kreis der Numerarier und Assoziierten gehören”?

 

Die Politiker trachten danach, die Dinge möglichst positiv zu formulieren. So sprach auch Escrivá nicht von einem Verbot der Empfängnisverhütung, sondern davon, „die Quellen des Lebens nicht versiegen zu lassen”. Es klingt eben auch besser, sich für Pro-Life als für Abtreibungsgegner zu engagieren. Escrivá verstand die Imagepflege ebenso gut wie manche moderne Politiker; deshalb hat er uns so viele Filme hinterlassen, in denen er immer von vielen Menschen umgeben ist, die ihn bewundern und ekstatisch ansehen, und die ihm offenbar naive Fragen stellten, damit Escrivá quasi spontan eine Antwort formulieren konnte, die er allerdings schon längst vorbereitet hatte. Alles an diesen Tertulias ist gemacht, von langer Hand vorbereitet; niemals hat sich Escrivá einer Presskonferenz mit echten Journalisten gestellt, die ihm vielleicht unangenehme Fragen gestellt hätten, auf die er nicht vorbereitet gewesen wäre. Alles war perfekt organisiert, aber damit man das nicht merkt, ließ man ihn das Beisammensein mit den Worten beginnen: „Wir sind eine Familie und reden über das, was ihr wollt. Also, wer beginnt?“

 

Ein anderes typisches Marketingkonzept, das Escrivá gegenwärtig hatte, war die Segmentierung. Das heißt, man bietet nicht einfach ein Produkt für alle an, sondern teilt den Markt in mehr oder weniger homogene Segmente und bietet allen das adäquate Produkt. Deshalb gibt es Studentenheime speziell für reiche junge Leute und Lehrlingsbildungszentren für die Kinder der Armen. Die Reichen interessieren das Opus mehr, auf sie haben sie sich traditionellerweise konzentriert. Die Armen interessieren sie nur aus Imagegründen, damit man nicht sagen kann, das Opus wäre elitär. Aber statt Zentren für Reiche und Arme zu gründen, wo beide am selben Tisch sitzen, wie es offenbar die ersten Christen getan haben, hält man sie hübsch getrennt.

 

Escrivá war auch ein Pionier des Direktmarketings. Vor einigen Jahren lud mich eine Freundin zu einer Veranstaltung in ein ziemlich cooles Hotel in Montevideo ein, ohne mir genau zu sagen, worum es ging. Nun, es war eine Verkaufsschau von Gesundheits- und Kosmetikprodukten; man konnte sie seinen Freunden verkaufen, und diese wieder an ihre. Für jede verkaufte Einheit gab es eine Provision, aber das „Interessante” war, dass man auch für jede Einheit, die ein Freund verkaufte, den man angeworben hatte, eine Provision gab. Und wenn dieser Freund wieder einen anwarb, erhielt ich auch für den eine Provision. Das Beeindruckendste dabei war für mich die Ähnlichkeit mit der Stimmung in den Zentren bei der Samstagabendbetrachtung, zu der man üblicherweise neue Leute einlädt. Es gab da eine gewisse Anzahl von Leuten, die schon für das System angeworben waren und Stimmung dafür machten: Alle lächelten und waren glücklich darüber, eine so tolle Beschäftigung gefunden zu haben, die es ihnen erlaubte, in ihrer freien Zeit rasch reich zu werden. Besucher wie ich wurden dann zu einem Mittel, um einen Freund einzukochen, dem man sich dann glücklich und lächelnd präsentierte. Diese Verkauftechnik, die den jungen Leuten damals unglaublich innovativ und cool vorkam, hatte Escrivá schon Jahrzehnte zuvor entwickelt.

 

Ein anderes Thema im erfolgreichen Marketing ist der Relaunch eines Produktes, wenn es aufgehört hat interessant zu sein. Das klassische Beispiel dafür ist das Shampoo „Johnson für Kinder“. In den siebziger Jahren sank auch in den USA die Geburtenrate – und damit die Verkaufsziffern für Babyshampoo. Normalerweise muss man in so einer Situation ein neues Produkt entwickeln, um den Markt aufzubereiten; das bedeutet hohe Investitionen. Aber Johnson & Johnson schafften schafften einen genialen Relaunch als “Familienshampoo”. Die Werbung verkündete, dass man ein sanftes Shampoo entwickelt habe, das für zarte Kinderhaare geeignet sein, und dass es für die ganze Familie geeignet sei, die es jeden Tag benützen könne. Und so stiegen die Verkaufszahlen, ohne dass Johnson & Johnson auch nur einen Dollar in die Entwicklung eines neuen Produktes stecken musten. Ähnlich verfuhr Escrivá mit dem Produkt “religiöser Orden”. Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts kam dieses Produkt an das Ende seines Lebenszyklus, und die Menschen interessierten sich einfach nicht mehr dafür, sich einen Habit überzustreifen und sich in einen Konvent zurückzuziehen. Escrivá erfand deshalb das Opus, das dasselbe ist wie ein religiöser Orden, nur ohne Habit und ohne Konvent. Ein Numerarier macht im Prinzip das Gleiche wie ein Ordensmann; er betet den ganzen Tag, erhält und erteilt religiöse Bildung, tötet sich ab und macht Apostolat, und eine gewisse Zeit widmet er einer weltlichen Tätigkeit. Aber statt in einem dunklen, einsamen Konvent lebt er in einem luxuriös ausgestatteten Haus mit Fünf-Sterne-Service, und statt eines völlig veralteten Habits trägt er Hemd und Krawatte. Aber das Wichtigste – und davor muss man den Hut ziehen: Der Konsument ist davon überzeugt, ein völlig neues Produkt erworben zu haben; ein Numerarier fühlt sich nicht als Ordensmann und stellt das ganz klar, falls da jemand etwas „verwechselt”.

 

Escrivá war letzlich ein Pionier des Marketings; sein Name gehört gerechterweise unter die großen Verkaufsgenies eingereiht, denen er um Jahrzehnte zuvorgekommen ist.

 

Atomito

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