Josef Knecht: Der historische Manipulation in der offiziellen Version des Opus Dei:

Paul VI. (seine „Verlautbarung” von 1964) und Manuel Fraga (der Fall „Matesa” von 1969)

 

Als vor kurzem Manuel Fraga Iribarne (1922-2012), ein bedeutender Politiker des zeitgenössischen Spanien, starb, erinnerte ich mich, was man mir über ihn erzählt hatte, als ich ein junger Numerarier war und Erzählungen der „Älteren von Zuhause“ über das politische Wirken der Mitglieder des Opus Dei lauschte, die Regierungsämter im Spanien des General Francisco Franco innehatten. Man erzählte uns, das der Fall „Matesa“ im Juli 1969 vom Minister Fraga aufgedeckt worden war, nicht nur um Franco zu bewegen, den technokratischen Ministern des Opus Dei die Macht wegzunehmen, die in diesen Korruptionsskandal verwickelt waren, sondern auch, um den damaligen Thronfolger Juan Carlos de Borbón zu stürzen, der mit der bedingungslosen Unterstützung durch den Vizepräsidenten Luis Carrero Blanco (1904-1973) und die Opus-Minister Laureano López Rodó (1920-2000) rechnen konnte…

Die Vorgangsweise von Manuel Fraga  im Zusammenhang mit dem Fall „Matesa“ wurde im Umfeld des Opus Dei in den 60er-, 70er- und 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, das heißt zur Zeit Francos, der im November 1975 starb, und in den Jahren des Übergangs (1975-1982), wie die eines Monsters geschildert, das nach der politischen Macht griff und die Plände Francos, eine Monarchie zu installieren, konterkarieren wollte, weil er den Ehrgeiz hatte, selbst Präsident einer hypothetischen spanischen Republik zu werden.

Diese Interpretation der Geschichte enthält Halbwahrheiten und unglaubliche Falschheiten. Es stimmt, dass der Matesa-Skandal 1969 vom Minister Fraga aufgedeckt wurde, um die Minister des Opus Dei aus der Regierung entfernen zu lassen, die von Carrero Blanco unterstützt wurden – dieses Ziel erreichte er nicht. Was diesen Fall zu einem außergewöhnlichen machte, war vielleicht, wie er von der Presse behandelt wurde, denn unter dem Schutz des „Pressegesetzes“, das von Manuel Fragas Informationsministerium ausging, wurde besonders dieser Fall einige Monate mit vollkommener Freiheit behandelt. Dieses politische Ringen vollzog sich in einem Kampf um die Macht zwischen den beiden hauptsächlichen Strömungen des Franquismus, den „Blauen“ und den „Technokraten“, ein Kampf, den Fraga und die Blauen verloren und Carrero Blanco und die Technokraten gewannen. Aber in keiner Weise beabsichtigte Fraga den Thronfolger Juan Carlos aus dem Weg zu räumen, noch wollte er am Willen Francos rütteln. seine Nachfolge als Staatschef in Form einer Monarchie zu regeln, unter anderem Gründen, wie jüngst der Professor für Politikwissenschaft und ehemaliger Schüler Fragas, Antonio Elorza, in einem Artikel in der Tageszeitung El País (18.01.2012, S. 27) unter dem Titel Fraga y la libertad: una pasión tardía schrieb: „Es gab in seinem Verhalten ausdrücklich einen roten Faden: eine bedingungslose Anhänglichkeit an die legitime etablierte Ordnung, aus der er die legitime Autorität ableitete, die er gegen jede Art von Subversion, die der demokratischen Opposition bis 1976 oder die der 23-F in Schutz nahm“.  Mag er in seinem politischen handeln auch arrogant gewesen sein, Manuel Fraga respektierte stets, auf der Basis seiner ethisch-politischen Prinzipien, die etablierte Ordnung: von Franco und seinen Plänen einer Monarchie bis zu König Juan Carlos I. und der Verfassung von 1978, an deren Text Fraga selbst als einer von sieben Redaktoren mitarbeitete.

Wenn man uns jungen spanischen Numerariern der 60er, 70er und 80er Jahre den Fall „Matesa“ als antimonarchistische Verschwörung darstellte, so verfälschten die Leiter des Opus Dei damit die Geschichte des Franquismus. Mit dieser Manipulation wollte man den Ruf der Technokraten-Minister des Opus Dei als ehrbare und anständige Leute sicherstellen, während Fraga im Gegensatz zu ihnen intrigant und ehrgeizig gewesen sein soll. Aber in Wirklichkeit entsprach das politische Gewebe nicht einer Schwarz-Weiß-Malerei wie in einem simplen Wildwestfilm, sondern etwas komplexer, und über diese Hintergründe klärte man uns  niemals auf. Wie leicht ist es doch, einen naiven Jüngling im Opus hereinzulegen!

Diese Jugenderinnerungen wurden nicht nur durch den Tod Manuel Fragas am vergangenen 15.  Januar wieder wachgerufen, sondern auch, weil hier beschrieben wurde, wie die Leiter des Opus Dei besonders die Geschichte der eigenen Institution verfälschen, vor allem in Bezug auf das, was sich auf die politische Aktivität der Mitglieder im franquistischen Spanien bezieht; ich spiele auf die Artikel von Guillaume (28.11.2011) und Tornasol (18.01.2012) an, die Inocencio (20.01.2012) kommentiert hat. In diesen Artikeln wird an die Verlautbarung erinnert, die Papst Paul CI. an Msgr. Josemaría Escrivá am 1. Oktober 1964 richtete, in der er die Beteiligung des Werks als Institution in der Politik verbat.

In dieser Hinsicht möchte ich die Schrift von Inocencio kommentieren [Anm.: Dort drückt eine ehemalides Mitglied seine Entrüstung darüber aus, anch Jahrzehnten erfahren zu müssen, dass Paul VI. die korporative politische Aktivität getadelt hat; den Mitgliedern wurde nur eine lobedne Wende aus der Schluss-Floskel bekanntgegeben.]. Paul VI. war mit dem Regime Francos niemals glücklich, denn seine christ-demokratischen Vorstellungen waren mit dem faaschistoiden Totalitarismus des Caudillo unvereinbar; besonders aus diesem Grund nahm der Papst an der Handlungsweiser katholischer Opus-Mitglieder in der Regierung des General Franco Anstoß. Aber der Tadel, den Paul VI. in seiner Verlautbarung an Escrivá richtet, ist nicht nur durch persönliche Differenzen mit jenem diktatorischen Regime zu erklären, sondern auch aus pastoralen Motiven, in dem historischen Kontext, dass die katholische Kirche nach neuen Formen der Beziehung zwischen Kirche und Staat suchte. Ein konfessionell-katholsiches Regime, wie es das franquistische und national-katholische Spanien (1939-1975) war, in dem der Staatschef entscheidend an der Ernennung von Bischöfen mitwirkte, stand jenem Modell, wie es sich Paul VI. vorstellte, diametral entgegen. Mehr noch, einer der reformatorischen Impulse des Zweiten vatikanischen Konzils (1962-1965) war es,  die Tendenzen zum katholischen Integralismus aus der Kirche zu entfernen: Der Frankismus war doch die Quintessenz dieses Integrismus, der Monsignore Escrivá so sehr gefiel!

Wegen all dieser Dinge, so denke ich, erteilte Papst Paul VI. dem Opus Dei mit seiner überdeutlichen Verlautbarung von 1969 eine Zurechtweisung, und zwar nicht nur wegen der politischen Uneinigkeit zwischen dem Papst und dem Caudillo, sondern weil ihn tiefere, pastorale Gründe leiteten (Kampf gegen den Integralismus) , und weil er von dem Wunsch beseelt war, in Spanien eine neue Form der Beziehung zwischen Kirche und einem Staat einzuführen, der nicht konfessionell gebunden bleiben sollte, so wie es die damals gültige Verfassung vorsah. Spanien war fast vierzig Jahre eine kirchlich geprägte Diktatur, in der das Opus Dei seine triumphalen Momente höchsten Glanzes erlebte; vom Dezember 1978 an war es zu einem zivilen, demokratischen Staat geworden, in dem das Opus Dei sich nicht wiederfinden konnte, weil es sich dem politischen Integralismus mit Haut und Haar verschrieben hatte, und dafür zahlt es dafür seinen Preis, indem es verbergen muss was es ist und was es im wirklichen Leben tut.

Josef Knecht