José María Escrivá Albás: Einige historische Probleme
Jaume García Moles
26/08/2013
23. Beitrag:
Kap. 6: Übersiedlung von Saragossa von Madrid
Dieses Kapitel wird sehr kurz sein. Es handelt von einer Angelegenheit, die von der Abwicklung her sehr klar ist, aber dunkel in den Motiven. Es handelt sich darum, dass Escrivá im April 1927, zwei Jahre nach dem Weggang von Perdiguera nach Madrid übersiedelte, wo er bis zu seiner Übersiedlung nach Rom 1946 lebte, mit einem Übergang von etwa 15 Monaten in Burgos während des Spanischen Bürgerkriegs. Das Motiv der Übersiedlung, die Escrivá verkündet hat und das seine Hagiographen verteidigten, war es, das Doktorat aus Jura an der Zentral-Universität Madrid zu erlangen, weil der Grad an dieser Universität verliehen wurde. Dennoch werden wir aus mehr als einem Grund sehen, dass das Doktorat nur ein Vorwand war, um aus Saragossa zu flüchten.
ZWEI JAHRE IN SARAGOSSA
Als er aus Perdiguera weggegangen war und mit seiner Familie in Saragossa lebte, setzte Escrivá während zweier Jahre sein Jurastudium fort und erlangte im Januar 1927 sein Lizentiat. Wie bereits gesagt wurde, steht nicht fest, dass er die dafür vom Erzbischof nötige Erlaubnis eingeholt hat. Ich möchte mich darüber nicht weiter verbreitern; es kann sein, dass eine mögliche Erklärung ein Kompromiss war, der mit dem Erzbischof Doménech hinsichtlich seiner Stellung als Priester gewesen sein könnte, als er auf seine Bestellung als Aushilfspfarrer in Perdiguera verzichtete. Es liegt in der Verantwortung der Prälatur, die Dokumente zu dieser Hypothese zu liefern.
Wie ich schon erklärt habe, müsste seine Situation der eines Priesters mit Patrimonium entsprechen. Das heißt, man müsste annehmen, dass sich Escrivá durch seine Arbeit erhalten musste, seien es priesterliche Arbeiten, sei es durch die Ausübung seines Berufs als Anwalt. Was seine Abhängigkeit vom Erzbischof betrifft, war er nur mehr im Notfall einzusetzen. Im Übrigen konnte er sich um Ernennungen bewerben, die vom Erzbischof abhängig waren, die aber nur im Hinblick auf seine Verdienste um die Diözese zu berücksichtigen waren.
Nehmen wir einmal an, dass dies sein Wunsch gewesen sei, jedenfalls erhielt er keine Anstellung in Saragossa. Andererseits wissen wir, dass er sich beim Erzbischof um eine Arbeit bemühte, denn das, was er als Kaplan an der Kirche von San Pedro Nolasco und ald Dozent am Instituto Amado verdiente, reichte kaum hin um seine Familie zu erhalten. Vázquez berichtet uns von zwei dieser Bemühungen, beide gestützt auf Empfehlungen des Präsidenten des Provinzialrates, um eine Kaplanstelle bie den Müttern von der Wiedergutmachung (Dezember 1925) oder den Schwestern von der Menschwerdung (April 1926). Diese Bewerbungen blieben ergebnislos, wie zu erwarten war, denn er wollte eine feste Stelle in Saragossa, nachdem er es nicht einmal 50 Tage in einer Landpfarrei und nun in San Pedro Nolasco ausgehalten hatte.
Vázquez berichtet uns dies 1 in einem Kapitel mit dem Titel 4. Providentielle Ungerechtigkeiten, und wir kennen das bereits als Tenor seiner Argumentation. Tatsächlich schreibt er, als sich die Bemühungen, die sich in den beiden Briefen an den Erzbischof konkretisieren, scheiterten, weil er schon andere Kandidaten für diese Posten habe:
Diese Briefe vermittelt den Eindruck, dass Josemaría wegen zu vieler Bewerber oder wegen derer größerer Verdienste die Stellen nicht erhielt. Wenn man aber kühl und sachlich das Verhalten der Kurie betrachtet, so muss man denen zustimmen, die das klerikale Leben in Saragossa gut kannten: es schien nämlich so, als wollte ihn jemand, höflich oder mit Gewalt, aus der Diözese herausdrängen.“
Als Stütze für diese Behauptungen verweist er uns auf Erklärungen von Echevarría und von Portillo für die Seligsprechung, und deshalb könne es wohl keinen Zweifel mehr geben, dass das, was sie gesagt haben, der Wahrheit entspricht. Analysieren wir, was Vázquez (und vermutlich die Positio) sagt, denn hier zitiert er nun die Akten der Seligsprechung. Er vermutet, dass das Motiv für den Erzbischof, seinen Antrag zurückzuweisen, darin bestanden habe, dass es für diese Stellen bereits mehrere Kandidaten und mit größeren Verdiensten als Escrivá gegeben habe, aber er zieht es vor, dieses Argument ohne nähere Untersuchungen zurückzuweisen. Sehen wir einmal; nehmen wir an, Vázquez weist dieses Argument zurück, weil er denkt, es habe gar nicht so viele Kandidaten gegeben. Das heißt dann aber so viel wie dass es zu wenige Priester in der Diözese gegeben habe; wenige Seiten früher behauptet er das Gegenteil; es gab sie ja vielleicht, aber sie waren jedenfalls nicht so würdig wie Escrivá, um sie zu erhalten.
Die Hagiographen verfallen hier in einen Fehler, der alle ihre Äußerungen verseucht: Sie urteilen über Ereignisse, als hätten sie Escrivá schon als kanonisierten Heiligen vor sich. Und so denken sie, dass niemand das Recht hätte, ihn als einen gewöhnlichen Menschen zu betrachten, die wie die anderen Gesetzen, Rechten und Pflichten unterworfen ist. In Wahrheit war er nicht mehr als ein frisch geweihter Priester der sich dazu beeinflussen ließ, seinen ersten Einsatzort in der Diözese zurückzuweisen, und der Erzbischof hatte es geduldet, dass er sich eineinhalb Monate nach der Übernahme seiner Stelle wieder von ihr entfernte. Und das setzte, im besten Fall, voraus, dass er in der Diözese keine Klage über ihn gab, etwa weil er sich anfangs auf ungesetzliche Weise nach Saragossa begeben hatte, seine zivilen Studien fortsetzte oder seine Pfarrerstelle in Perdiguera verlassen hatte.
Hätte Escrivá tatsächlich erkannt, dass seine Haltung beim Weggang aus Perdiguera ein Fehler oder ein Scheitern war, weil er nicht ausreichend an seine Familie gedacht hatte, hätte er eben nachgeben müssen, sich den Anordnungen des Erzbischofs fügen und ihn um einen neuen Dienstort bitten, diesmal ohne Bedingungen. Dann hätte ihn der Erzbischof geradewegs in die letzte freie Pfarrei seiner Diözese geschickt. Mehr hätte er nicht verlangen können, und genau das tat er, und zwar mindestens zweimal, indem er um die konkrete Bestellung auf freie Posten in der Hauptstadt bat. Und wenn er das tat, so war das eine notwendige Folge seiner übereilten Ernennung zum Inspektor des Seminars, denn jetzt fühlte er sich seinen Jahrgangskollegen überlegen, und sogar älteren Priestern, wegen der Vorliebe, die der Kardinal Soldevila, deretwegen er sich für ausgezeichnete Posten in der Diözese geeignet hielt.
Von daher kam seine innere – und nach eineinhalb Monaten auch die äußere – Ablehnung seiner Stelle in Perdiguera. Hat das etwas mict dem „Ich“ zu tun, das er vor seinen Namen in das Taufbuch von Perdiguera setzte? Ich denke es, denn durch sein Verhalten zeigt er, dass er sich maßlos überschätzte.
Vázquez begnügt sich nicht damit, das Motiv zurückzuweisen, dass der Erzbischof gehabt haben könnte, um die Bewerbung Escrivás abzuweisen, sondern er lässt dunkle Mächte intervenieren, das heißt, er verleumdet eine unbestimmte Person, die der Leser leicht erraten wird, wenn er sich auf die Gedanken eingelassen hat, die Vázquez schon vorher ausgebreitet hat. Er stützt sich dabei auf ebenfalls nicht genannte Personen, die das klerikale Leben in Saragossa gut kennen. Er sagt aber nicht deutlich, wer das sein soll, wenn nicht Pou de Foxá. Dieser Priester hatte viele Jahre außerhalb von Saragossa gelebt und hatte sich in dieser Stadt erst 1922 niedergelassen, als er eine Professur für römisches Recht an der Juridischen Fakultät erhielt. Auch dann taucht der Name Pous nur ein einziges Mal im Amtsblatt der Erzdiözese auf in den jahren, in denen Escrivá in Saragossa war, d. h. sein Leben berührte sich mit dem der Erzdiözese nur höchst peripher; er war ihr „zugeordnet“. Außerdem zitiert Vázquez Pou nur um uns zu sagen, dass es seiner Meinung nach für Escrivá keinen Platz in Saragossa gab. Vázquez sagt uns da aber nicht, ob Pou das wahre Motiv des Weggangs Escrivás gekannt hat. Tatsächlich gab es für ihn keinen Platz in der Hauptstadt Saragossa, wohl aber in der Diözese Saragossa, wenn er sich nur den Anordnungen des Erzbischofs gefügt hätte.
Und ich erwähne Pou, weil man auch darüber reden muss, wie Escrivá seinen Bekannten gegenüber seine Lebenssituation darstellte, ohne dass man erst die meinungen der Hagiographen befragen müsste. Zu Beginn von Abschnitt 5: Von Saragossa nach Madrid behandelt Vázquez die Korrespondenz Escrivás mit einem befreundeten Claretiner, P. Prudencio Cancer, den er bat, ihm bei der Überwindung der Schwierigkeiten bei der Übersiedlung nach Madrid zu helfen. Die Briefe Escrivás sind nicht erhalten, ihren Inhalt muss man aus den Antworten des P. Cancer erschließen. Vom ersten Brief des Claretiner, geschrieben in Segovia am 17. Februar 1927, bietet uns Vázquez folgenden 2. Text:
Mein verehrter Freund! Wie immer habe ich mit Freude Deinen Brief erhalten und gelesen, durch den ich jetzt über Deine Situation aufgeklärt bin […]. Ich erinnere mich noch gut an das, worüber wir uns in Saragossa unterhalten haben. Auch an die schönen Stunden, die ich in Deiner Gesellschaft verbracht habe. Ich habe nach meiner Ankunft in Madrid mit einem unserer Patres über Dich gesprochen. ich bat ihn, beim Bischof von Madrid ein gutes Wort für Dich einzulegen. Sicherlich hat er ihn den ein oder anderen Gefallen getan. Ich hatte nicht den Eindruck, dass er gern die Empfehlung ausspricht, da er mit Bitten und Einflußnahmen vin Klerikern bestürmt wird, die eine Stelle in Madrid suchen.
Man beachte, wie P. Cancer hier zweierlei Maß anlegt. Ohne dass er sich dessen bewusst wird, könnte er die letzte Zeile natürlich auch auf Escrivá anwenden, der sich in die Schlange der Bewerber einreihte. Das einzige, was er dem Leser vermitteln möchte, ist, dass Escrivá P. Cancer über seine Information informiert hat, und dass es zwischen den beiden ein langes Gespräch in Saragossa gab. Und der P. Cancer, über beides in Kenntnis gesetzt, sucht sofort Unterstützung für Escrivá.
Laut Vázquez3 datiert der folgende Brief von P. Cancer mit Segovia, 28. Februar 1927. In diesem Abschnitt bietet uns Vázquez diesen Brief:
Mein verehrter Freund! Ich habe in Madrid Deinen ersten Brief mit der Beglaubigung Deiner Examina erhalten, den anderen bereits in Segovia. In Madrid habe ich Dich zwei Patres sehr empfohlen und eine Aufzeichnung über Deine Vorhaben und Wünsche beigefügt. Beide hatten schon mit verschiedenen Prälaten viel Kontakt, und einer hat mir eine oder zwei Personen von großem Ansehen in Saragossa genannt, mit deren Hilfe wie versuchen sollten, das zu erreichen, was mir vorher leichter erscheinen wollte: mit Unterstützung des Bischofs eine Stelle für dich in Saragossa zu finden. Den zwei oder drei Patres, mit denen ich über Deine Situation gesprochen habe, erschien es ausgesprochen ungewöhnlich, daß jemand, der solche Vorzüge und bedeutenden Verdienste hat wie Du – ich habe ihnen darüber berichtet – vom Bischof keine Stelle erhält und er es zuläßt, dass Du seine Diözese verläßt. Es erscheint unglaublich, daß C. A. einen solchen Einfluß bei einem so wichtigen Bischof hat und dieser es deshalb nicht wagt, Dir eine Stelle zu geben. Die Lösung, daß Du in Saragossa bleibst, erschien ihnen die einfachste. Nach Madrid zu kommen wird sicher große Schwierigkeiten mit sich bringen.“
Ich versuche durch diese beiden Briefe zu rekonstruieren, was im Februar geschehen sein mag. Im ersten Brief vom 4. Februar bittet Escrivá P. Cancer, ihm eine Anstellung in Madrid zu suchen, denn er habe lediglich eine Kaplanstelle in San Pedro Nolasco, mit der er seine Familie kaum erhalten konnte, obwohl er Unterricht im Instituto Amado gab. Der Klaretiner meldet ihm am 7. März von Segovia aus, dass er mit seinen Bemühungen gescheitert sei, da es noch sehr viele andere Priester in der gleichen Situation gab.
Wir wissen es nicht, aber man könnte aus dem Brief des P. Cancer vom 28. Februar ableiten, dass er in seinem ersten Brief, dem vom 7., Escrivá auch noch gesagt habe, dass er versuchen werde in Saragossa seinen Einfluss geltend zu machen4. Tatsächlich erzählt P. Cancer in diesem zweiten Brief von den Bemühungen, die er unternommen hatte, um zu erreichen, was ich mir leichter vorgestellt hatte: von deinem Bischof eine Anstellung in Saragossa zu erbitten.
Aber in diesem zweiten Brief erkennt P. Cancer an, dass er diese Anstrengungen nur unternommen habe, weil er noch nichts von dem allmöchtigen Einfluss von CA gewusst habe, und das ist Don Carlos Albás. Deshalb schreibt er auch, dass er sich die Einflussnahme in Saragossa vorher leichter vorgestellt hatte. Man versteht es nun leichter, dass er nach Madrid gehen wollte. Also muss P. Cancer einige Tage nach dem 7. und einige Tage vor dem 28. Februar eine entscheidende Information über den schlimmen Einfluss von CA auf den Erzbischof erhalten haben, der ihn sich nun bemühen ließ, in Madrid eine Stelle für Escrivá zu finden. Man beachte aber, dass P. Cancer Escrivá nicht erklärt, woher er die Information über CA habe, aber der Hausverstand und Ockhams_Rasiermesser verpflichten uns anzunehmen, dass Escrivá selbst ihm diese Information gegeben habe. Wir wir sehen, lässt uns Vázquez glauben, dass diese Information zu P. Cancer aus einer anderen Quelle stamme, konkret von Don José Pou de Foxá.
Dieser Brief vom 28. Februar ist sehr wertvoll, denn, wie ich schon sagte, sowohl dem P. Cancer als auch den zwei oder drei Priestern, von denen er sprach, erschien die Situation von Escrivá sehr merkwürdig: Der Erzbischof gab ihm keine Stelle, aber andererseits scheint es keine Klage über ihn gegeben zu haben, und er erlaubte ihm anstandslos nach Madrid zu gehen.
Außerdem kann man kaum annehmen, dass Carlos Albás (C.A.) der Grund für seine Lage gewesen sei. Es ist nicht denkbar, dass sein Einfluss so weit ging, dass er den Erzbischof soweit beeinflussen konnte, dass sich dieser gegen seine Verpflichtung, einen Priester seiner Diözese zu erhalten, so schwer verfehlt haben soll. Das ist die eine Seite; auf der anderen attestiert der gute P. Cancer Escrivá solche Vorzüge und bedeutenden Verdienste, während er in diesen zwei Jahren tatsächlich praktisch nichts gemacht hat, außer das Lizenziat in Jura abzuschließen; das unterstützt meine Analyse des Charakters Escrivás, die ich in Kap. 5 unternommen habe. Denn es erscheint unglaublich, dass Escrivá den P. Cancer und andere Priester betrügen konnte, indem er sagt, dass ihm der Erzbischof keinen Posten geben wollte aufgrund der Abneigung seines Onkels Don Carlos Albás. Man könnte hier daran denken, dass den Erzbischof der Fluch aus der Bibel treffen sollte, wenn er dem Tagelöhner seinen Lohn vorenthält, nur aufgrund des Einflusses eines Kanonikers, den er vermutlich erst bei seiner Ankunft in Saragossa kennengelernt hatte? Aber Escrivá schaffte es, dass man ihm glaubte. Im Kapitel 5 hätte ich es nicht gewagt einen so starken Ausdruck zu verwenden 5, aber eine Beschönigung macht nichts besser: Escrivá hatte sich in diesen Jahren in einen Betrüger verwandelt.
Weniger Bedeutung hat da die Randbemerkung von Vázquez zum Text des Briefs von P. Cancer, denn jede Zeile strotzt vor manipulativen Aussagen: Neue Informationen hätten P. Cancer die Augen geöffnet, während sie in Wirklichkeit nur eine gewisse Ratlosigkeit widerspiegeln. Und er weiß nicht, wen er ignorieren soll: Escrivá, der ihm sagt, dass er gegen der Intrigen seines Onkels Saragossa verlassen müsse, oder seine Freunde, die ihm sagen, wie unwahrscheinlich die Geschichte Escrivás klingt. Und um das Geflecht der Verleumdung weiterzutreiben, fügt Vázquez ohne jede Quellenangabe und ohne jeden Skrupel hinzu, dass die geheimnisvolle Anspielung auf den Erzdechanten, Carlos Albás (C. A.), der, über den Bischof hinweg, seinen Neffen als persona non grata in der Diözese erklärt hatte, deutet auf die Ungerechtigkeiten, die Gott in seiner Vorsehung zulässt. Das Fettgedruckte bezeichnet wörtliche Zutaten von Escrivá5. Man beachte, dass Vázquez in seinem hagiographischen Eifer sich noch weiter versteigt als Escrivá selbst, wenn er völlig freihändig seinem Onkel Carlos die Machtbefugnis zuschreibt, seinen Neffen zu einer persona non grata in der Diözese erklären zu lassen. Entweder hatte er mehr Einfluss als der Bischof, oder Vazquéz unterstellt Erzbischof Doménech einen beschämenden Charakterfehler.
Um seine Randbemerkung zum Brief von P. Cancer abzuschließen, mutmaßt Vázquez: „Es ist gut möglich, dass Don José Pou de Foxá Pater Cancer ins Bild gesetzt hat, da er ihn am Schluss des Briefs wie ein weiteres Familienmitglied erwähnt: „Grüße an Herrn Dr. Pou, an deine Mutter und deine Geschwister. Dein treuer Freund P. Cancer“. Ich bitte den Leser, dieses Kapitel nochmals durchzulesen und sich zu fragen, ob die Gedankengänge von Vázquez einen Sinn ergeben. Ich habe Stunden darauf verwendet, einen zu suchen, aber es fehlt das geistige Band.
Man fragt sich, warum die Autoren des Positio das Risiko eingingen sich mit dieser verqueren Argumentation lächerlich zu machen, wenn sie nicht schon mit dem Rücken zur Wand stünden: Sie haben über den Weggang aus Perdiguera gelogen und sich bis zu einer Verleumdung des Onkels und des Erzbischofs verstiegen.
Ich denke, dass man, wenn man den Brief von P. Cancer unvoreingenommen liest, merkt, dass es Escrivá selbst es war, der in einem Brief zwischen dem 7. und dem 28. Februar dem P. Cancer diese Geschichte über die Kurie von Saragossa erzählt habe 6. Wie kann außerdem jemand denken, dass Pou, der in Saragossa lebte, diese Gruselgeschichte Marke Rasputin geglaubt habe, dass der Erzdechant einen solchen Einfluss auf den Erzbischof ausübe? Hier endet jedenfalls ein großer Abschnitt, und eine neue Kette von Manipulationen der Prälatur beginnt, um die Folgen der Irrtümer Escrivás zu überkleistern. Ich werde also die allgemeine Lage Escrivás in den Monaten nach seiner Übersiedlung nach Madrid schildern, die ihn für immer von Saragossa trennte
Vázquez7 gibt selbst zu, ohne es zu wollen, dass es in Saragossa bekannt war, dass Escrivá kein Interesse an der Ausübung seines Amtes und am treuen Dienst an der Diözese hatte. Wie ich bereits gesagt habe, er akzeptierte den vierzehntägigen Auftrag in Fombuena und hoffte damit von diesem Stigma befreit zu sein. Das ist allerdings lächerlich: Während zweier Jahre hat er damit zwei Monate und drei Tage für die Diözese gearbeitet. In Wirklichkeit hatte er dabei aber ein privates Dienstverhältnis, das er selbst oder seine Mutter durch den Don Cruz Laplana angebahnt hatten, um die Kaplanstelle an der Kirche San Pedro Nolasco zu erhalten. Davon wusste der Erzbischof allerdings nichts, wie ich ober erklärt habe, und umso mehr brauchte Escrivá eine Bestätigung, dass er hier diese Arbeit verrichtet habe.
Escrivá machte weiter seine juristischen Prüfungen bis zum Abschuss im Januar 1927. Außerdem widmete er einen Teil seiner Zeit dem Unterricht am Instituto Amado, einem privaten Bildungszentrum zur Vorbereitung von Kandidaten der Militärakademien und von Juristen, die sich auf das Staatsexamen vorbereiteten, etc. Wie schon Giancarlo Rocca in dem erwähnten Werk angemerkt hat, bat er den Erzbischof nicht um Erlaubnis für dieses Engagement in einem weltlichen Unterricht. Das stützt eine der beiden Vermutungen: Entweder hat es Escrivá unterlassen, die Vorkehrungen dafür zu treffen, oder er wurde dazu ermächtigt als Teil jenes Kompromisses, den er mit dem Erzbischof gelegentlich seines Verzichts auf die Berufung nach Perdiguera geschlossen haben dürfte, wie ich im vorigen Kapitel erklärt habe.
Vázquez8 malt uns die ökonomische Situation der Familie mit traurigen Farben, nachdem sich die Einkünfte Escrivás reduziert haben und seine Schwester – für mich unerklärlich – nicht mehr unterrichtete, nachdem sie 1920 die Lehramtsprüfung angelegt hatte. Man muss wissen, dass seit 1923 die Reformen unter der Diktatur von Primo de Rivera durchgeführt wurden, durch die die Zahl der Schulen und das Gehalt der Lehrer erheblich erhöht wurden sodass Carmen höchstwahrscheinlich eine Stelle in der Umgebung von Saragossa hätte finden können. Darüber sagen uns die Hagiographen allerdings nichts. Ich werde später noch einmal auf das Thema der beruflichen Arbeit von Carmen Escrivá zurückkommen.
Jaume García Moles
(wird fortgesetzt)
1 Andrés Vázquez de Prada, El Fundador del Opus Dei, Bd I, 6. Aufl., Rialp, Madrid 2001, S. 229 (deutsche Ausgabe, S. 219 f).
2 S. 233.
3 S. 234 (deutsche Übersetzung: S. 224 f).
4 Das könnte die Prälatur mit einer Veröffentlichung eines Faksimile des vollständigen Briefs von P. Cancer vom 7. Februar 1927 erreichen.
5 Hierher gehört auch, woher Escrivá die Worte providentielle Ungerechtigkeiten hat. Vázquez referiert auf S. 230. Um anzudeuten, warum die Kurie ihm so willkürlich gegenüber Escrivá verfährt, zitiert Vázquez Catalina Nr. 193 wie folgt: Es wäre an dieser Stelle interessant zu berichten, was mit meinem Führungszeugnis in Saragossa passiert ist, aber ich erzähle das nicht. Vázquez fügt hier noch auf eigene Faust hinzu, dass sein einziger und gelassener Kommentar, als er von Portillo darüber befragt wurde, gewesen sei, dass Gott einige providentielle Ungerechtigkeiten zugelassen habe. Das wirft nun viele Fragen auf. Hat Vázquez die ganze Catalina zitiert oder fehlt ein Hinweis über das Wann und Warum dieser Zeugnisse? E scheint, dass der Inhalt dieser Zeugnisse das Interessante wäre; warum hat er es dann nicht in der Catalina, zumindest kurz behandelt, über seinen Inhalt und warum dieser Inhalt interessant sein sollte, vor allem wenn er die Catalinas für sich selbst geschrieben hat? Oder hat er das nicht für sich, sondern im Hinblick auf andere geschrieben, und wollte sie vielleicht mit halben Andeutungen über die Art, wie die Kurie von Saragossa mit ihm umging, aufhetzen? Und was ist daran gelassen, wenn er zu Portillo sagt, dass man Interessantes berichten könne und er sich stattdessen über providentielle Ungerechtigkeiten verbreitet? Sogar die Ausdrucksweise des P. Cancer zeigt, dass es Escrivá selbst war, der ihn über CA informierte. Er sagt, dass es den Patres, mit denen ich darüber (…) gesprochen habe, ausgesprochen ungewöhnlich erschien. Er zweifelt hingegen nicht an sich, denn das hieße Escrivá ins Gesicht sagen, dass er lügt. Wenn die Information aus einer anderen Quelle gekommen wäre, hätte er bei Escrivá darüber rückgefragt, bevor er etwas geglaubt hätte, was wie eine Ente aussieht.
8 S. 227 ff.
7 S. 241.