José María Escrivá Albás: Einige historische Probleme

Jaume García Moles

 

09/09/2013

25. Beitrag:

Kap7: In Madrid, 1927-1937

In diesem Kapitel werde ich mich weiterhin auf das Buch von Vázquez de Prada1 stützen, aber auch auf den Artikel von Pedro Rodríguez2, weil dieser bei der Schilderung des äußeren Lebens Escrivá s mehr ins Detail geht.

DIE ERSTEN TAGE IN DER HAUPTSTADT SPANIENS

Bei der Ankunft in Madrid fand er eine Pension in der Calle Farmacia. Dort bleib er nur einige Tage, den  sie kostete 7 Pesetas am Tag, und sein Mess-Stipendium in San Miguel erbrachte nur 5,50 Pesetas. Einige Tage später fand er einen besseren Platz in einem Priesterhaus in der Calle Larra, das von Luz Rodríguez-Casanova gegründet worden war, die auch die Damas Apostólicas  und das Krankenstift gegründet hatte. Die Pension kostete täglich 5 Pesetas, sodass er irgendwie überleben konnte. Alles das steht bei Vázquez, S. 253 (deutsche Ausgabe: S. 241). Wir werden gleich eine weitere Manipulation, mehr von Seiten Escrivá als von den Hagiographen, bemerken, denn auf derselben Seite schreibt Vázquez:

Es bestehen jedoch starke Anzeichen dafür, dass die zuversichtlichen Pläne, die Pater Cancer für seinen Schützling entworfen hatte, von irgendetwas durchkreuzt wurden. In seinem Brief hatte er Escrivá angehalten, das Te Deum anzustimmen und nach Madrid zu kommen: „Ich würde dir raten, ohne deinen Haushalt aufzulösen, nach Madrid zu kommen, die Angelegenheit zu besprechen, das Gespräch mit dem Herrn Nuntius zu suchen und so zu beginnen, Dir deinen Weg zu bahnen“.

Zwei Wochen nach seiner Ankunft in Madrid war die Angelegenheit noch nicht besprochen, das Gespräch mit dem Nuntius hatte noch nicht stattgefunden, und der Weg wat keineswegs gebahnt. Dies geht aus einem Brief hervor, mit dem Luis Latre (…) am 9. Mai auf ein Schreiben Josemarías antwortete.

Luis Latre war der Subregens von San Carlos. Der Leser möge sich daran erinnern, dass Escrivá seine Zelte in Saragossa abgebrochen und seine Familie nach Fonz geschickt hatte, und er wird auch beachten, dass ihm Pater Cancer  in weiser Voraussicht angeraten hatte, sein Heim nicht aufzugeben und erst noch zuzuwarten, wie die Dinge sich entwickelten, aber Escrivá hatte nicht auf ihn gehört und nur den Rat angenommen, wie er sich legal in Madrid aufhalten könne; damit erschwerte er sich natürlich die Rückkehr nach Saragossa. In dieser Situation schickte Escrivá Latre einen Brief, in dem er seine Lage darlegte. Latre antwortete mit einem anderen, und im Wissen, dass es ihm seine Situation nicht gestattete, die Familie nach Madrid nachzuholen, meinte er:

Der gute Ordensmann hat wohl nicht Deine Erwartungen erfüllt. Er hätte Dich zumindest mit anderen Leuten in Verbindung bringen können, um Unterricht zu nehmen, oder Dich dem Bischof direkt oder indirekt vorstellen können, damit Du einer Pfarrei zugeteilt wirst und so Stipendien und andere rechtmäßige Einkünfte erhältst!(…)

Lerne so viel Du kannst, damit, wenn es Gottes Wille ist, daß sich Dir die Tore Madrids endgültig verschließen, Du Dich unserem Bischof, dem es so sehr an Personal mangelt, zur Verfügung stellen kannst.

Wenn Latre den tatsächlichen Inhalt des Briefs von P. Cancer gekannt hätte, so hätte er sich anders geäußert, denn das hätte er das aufrichtige Bemühen Cancers erkennen müssen, Escrivá zu helfen, und dass seine Ratschläge vernünftig waren. Es erscheint mir aber sehr wahrscheinlich, dass Latres Brief nur die Information wiedergibt, die er von Escrivá erhalten hatte.

Vázquez begeht eine schlimme Gemeinheit, da er den Irrtum Latres unkommentiert stehen lässt, wenn dieser Cancer die Schuld an der schwierigen Situation Escrivás zuschiebt. Und er setzt noch ein drauf, wenn er in Anm. 10 schreibt: Bemerkenswert ist im Zusammenhang mit den „providentiellen Ungerechtigkeiten“ des vorigen Kapitels die Wendung: daßDu  (…)Dich unserem Bischof, dem es so sehr an Personal mangelt, zur Verfügung stellen kannst. Wenn sich Vázquez auf das Verhalten Escrivás in Perdiguera zwei Jahre davor bezog, rechtfertigte er seine Kritik an der Kurie mit dem Priesterüberschuss. Jetzt stört ihn die gegenteilige Behauptung gar nicht, wenn er nur der Kurie eine weitere Ungerechtigkeit vorwerfen kann, und er folgt hierin offenkundig Escrivá. Aber außerdem hat Latre, ohne es zu wollen, einen wunden Punkt bei Escrivá berührt: daß Du Dich unserem Bischof zur Verfügung stellen kannst. Das bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als dass Escrivá Latre nicht über die Gründe für seine Situation informiert hatte und dass er auch nicht bereit war, in der Erzdiözese eine Seelsorgestelle außerhalb der Stadt Saragossa zu übernehmen.

Der Leser entdeckt auf S. 255 eine Reihe weiterer, für Escrivá kompromittierende Fakten. Hier und in der Folge beschäftigt sich Vázquez mit einem Priester, den Escrivá im Priesterhaus in der Calle Larra getroffen hatte, den jungen Priester Antonio Pensado, der 1920 in Santiago de Compostela geweiht worden war.- Warum beschäftigt er sich mit ihm? Weil sich dieser Priester in der gleichen Situation wie Escrivá befand; er lebte in Madrid unter dem Vorwand des Studiums. Vázquez beschreibt die Geschichte Pensados in Madrid wie folgt:

Die Situation von Antonio Pendado gibt uns Aufschluß über die Richtlinien des  Bischofs von Madrid hinsichtlich der Gewährung von Amtslizenzen an fremde Priester. Der junge Kleriker aus  Saragossa wußte also bald sehr gut, was ihn erwartete. Fünf Jahre lang, von 1922 bis 1926, hatte Pensado mit Erlaubnis seines Ordinarius sein Studium an der Philosophischen Fakultät in Madrid absolviert. Dann begann sein Leidensweg.  Am 2. Oktober 1926 wird ihm mit amtlichem Schreiben des bischöflichen Sekretariats mitgeteilt, daß seine Amtslizenzen in  Madrid nicht verlängert würden, da er das Studium, das der zwingende Grund für seinen Aufenthalt in der Hauptstadt gewesen war, bereits abgeschlossen war. Auf einem anderen Weg erhält er jedoch für ein Jahr die Erlaubnis, die heilige Messe im Kloster von der Menschwerdung (Encarnación) zu feiern. Dieses Kloster war eine Gründung der spanischen Könige und exempt. Der Bischof von Madrid ließ aber nicht nach und schrieb im Februar 1927 an seinen Amtsbruder von  Santiago de Compostela, Pensado die Lizenzen ebenfalls zu entziehen, falls dieser sich weigere, in seine Heimatdiözese zurückzukehren. Damit wollte der Bischof den Richtlinien des Heiligen Stuhles Folge leisten, mit denen die Einwanderung von Priestern aus anderen Städten nach Madrid verhindert werden sollte. Ohne die Erlaubnis also, das Priesteramt auszuüben, und dennoch entschlossen, in Madrid, zu bleiben, fand Pensado eine Stelle am Allgemeinen Armenhaus Madrids und stellte im April erneut den Antrag an das Bistum, in dem er um die Erlaubnis bat, dieses Amt annehmen und ausüben zu dürfen. Seine Bitte wurde jedoch erneut abgelehnt.

In Anm. 14 auf S. 256 fügt Vázquez hinzu, dass die Briefe, die zwischen Antonio Pensado und den Bischöfen von Madrid und Santiago hin- und hergingen, in einem sehr strengen Ton verfasst gewesen seien und dass ihm sogar am 1. Februar 1927 in seiner eigenen Diözese die Erlaubnis, die Messe zu feiern, entzogen worden war, solange er nicht nach Santiago zurückgekehrt war. Es steht allerdings fest, dass er sechs Monate später noch immer in Madrid war. Wenn man also von diesem Zwischenfall liest, kann man zu keinem anderen Schluss kommen, als dass Antonio Pensado  ein unverschämter Kerl war, und dass die Maßnahmen des Heiligen Stuhls gerechtfertigt waren. Aber Vázquez stellt die Story Pensados als „Leidensgeschichte“ dar, als einen Kampf gegen Feinde, die ihm Böses antun wollten, und er bedauert seine „ausweglose Situation“ (S. 245 der deutschen Ausgabe). Keinen Moment denkt Vázquez darüber nach, dass dieser Kerl seinem Bischof den Gehorsam schuldete  und dass er umgehend in seine Heimatdiözese zurückkehren hätte müssen! Aber Vázquez freundete sich im Mai mit Josemaría an, da beide in der Calle Larra wohnten. Wie soll er also Pensado kritisieren, wenn er doch ein Freund Escrivás war? Wie konnte einer der Autoren der Positio Pensado kritisieren, der doch nur dasselbe getan hat wie Escrivá in Madrid von 1927 bis 1936? Dieser lieferte mit seinem Verhalten ja nur eine erweiterte Neuauflage dessen, was Pensado getan hatte? Meiner Meinung nach hat Escrivá nur um so verwerflicher gehandelt, da er die Folgen des schlechten Beispiels bereits vor Augen hatte und da er immer nur einen gehorsam nach dem eigenen Geschmack leben wollte.

Wenn Vázquez sagt, dass der junge  Kleriker aus  Saragossa wusste, was ihn erwartete, spricht er ohne es zu wollen eine große Wahrheit aus. Escrivá hat von Pensado nicht alle Tricks gelernt; für ihn hat Pater Cancer um die Sondererlaubnis angesucht, und schlussendlich kam er ja doch damit durch, mit der endgültigen Ernennung zum Rektor von Santa Isabel im Jahr 1942. Pensado arbeitete im Armenhaus, Escrivá hatte sein Gegenstück im Krankenstift. Dir zwei Biographien verliefen parallel, mit einem Unterschied: Escrivá schaffte es schließlich dank seiner Betrügereien trotz aller Hindernisse in Madrid inkardiniert zu werden, wobei sich einige Schwierigkeiten unversehens in Wohlgefallen auflösten und Escrivá in der Diözese bleiben konnte.

Als roten Faden in diesem Kapitel wollen wir das Verhalten Escrivás in Madrid  im Verlauf dieser Jahre laut den Quellen des Opus Dei untersuchen.

ESCRIVÁ UND DIE ERSTEN SCHRITTE IM DOKTORATSSTUDIUM

Es soll den Leser nicht befremden, dass in diesem Kapitel die Zitate von José Pou de Foxá (kurz: Pou) überwiegen, denn dank Rodríguez vermitteln uns diese bisher unbekannten Details aufschlussreiche Einblicke – im Archiv der Prälatur befinden sich also offenbar, chronologisch geordnet, über hundert Briefe von Prof. Pou an Josemaría, alle aus dem Zeitraum 1924-19393.

Wie kann man sich diese Fülle erklären? Ich denke, dass Escrivá Pou betrogen hat, indem er sich als sein potenzieller Nachfolger darstellte – immerhin wäre dann ja dieser Lehrstuhl der Juridischen Fakultät in den Händen eines Priesters geblieben! Unter anderem wissen wir durch Vázquez und Rodríguez, dass Pou und Escrivá auch in ihren Familien die Freundschaft pflegten, solange der letztere in Saragossa war, das heißt, zwischen 1925 und 1927. Tatsächlich nahm es Pou sehr ernst, sich um seinen Schützling Escrivá in allem zu kümmern, was sich auf das Studium und das Doktorat bezieht. Wie wir sehen erden, machte er sich viele Hoffnungen in Bezug auf ihn, aber nach und nach verstand er, dass Escrivá weder die Ausdauer noch das Interesse oder die ausdauernde Konzentration besaß, um diese Vorhaben in einer angemessenen Zeit umzusetzen.

Indem ich mich auf die Daten stütze, die Pedro Rodríguez in dem zitierten Werk bietet, habe ich ein kleines Schema vom Curriculum Escrivás von 1927 bis 1936, nach den Daten und nach den Fächern. Hier die Einteilung nach den Daten:  

- 28/04/1927: Immatrikulation als Externer für Internationale Rechtsgeschichte, aber er ging weder im Juni noch im September dieses Jahres zur Prüfung.

- 29/08/1927: Immatrikulation in Rechtsgeschichte, aber er ging im September dieses Jahres nicht zur Prüfung.

- 31/08/1928: erneute Immatrikulation in diesen beiden Fächern, dazu in Geschichte der Juridischen Literatur Spaniens; Prüfung am 29/09/1928 bestanden.

- 07/01/1929: erneute Immatrikulation in Geschichte der Juridischen Literatur Spaniens und außerdem in Gesellschaftspolitik, trat aber in diesem Jahr nicht an.

-15/12/1929: - erneute Immatrikulation in Geschichte der Juridischen Literatur Spaniens und außerdem  in Gesellschaftspolitik; Antritt beim ao. Prüfungstermin im Januar 1930. Er inskribierte erneut Gesellschaftspolitik, scheint aber nie angetreten zu sein.

- Januar 1930: bestand Geschichte der Juridischen Literatur Spaniens mit bemerkenswert.

- 22/04/1935: Immatrikulation in Geschichte der Politischen und Gesellschaftlichen Institutionen Amerikas; Prüfung am 13/06/1935 mit Auszeichnung bestanden.

In der Einteilung nach Fächern sieht das so aus:

- Geschichte des internationalen Rechts: inskribiert am 28/04/1927 und am 31/08/1928, trat im Juni und September 1927 nicht an, bestand am 29/09/1928.

- Rechtsphilosophie: Immatrikulation 29/08/1927 und  31/08/1928,  ging im September 1927 nicht zur Prüfung, bestand am 29/09/1928.

- Geschichte der Juridischen Literatur Spaniens: Inskription 31/08/1928, 07/01/1929 und 15/12/1929. Trat im Juni 1928, und im Juni und September 1929 nicht an, bestand im Januar 1930.

- Gesellschaftspolitik: Inskription am 07/01/1929, dann noch drei Mal; trat nie an.

- Geschichte der Politischen und Gesellschaftlichen Institutionen Amerikas: Inskription 22/04/1935; bestand am 13/06/1935 mit Auszeichnung.

Vergleichen wir diese Zeittafel mit dem Studienplan, den sich Pou für Escrivá. In seinem Brief vom 23. Juli 1927 schreibt Pou5:

Du sagst mir nicht, wie es Dir bei Deinen Prüfungen gegangen ist, sondern nur, dass Du im September fertig machen wirst, und als Theatiner-Schüler stelle ich angesichts dieser Mitteilung eine Reihe von Mutmaßungen an: Du bist nicht hingegangen, Du hast nicht bestanden, oder Du hast bestanden. ich denke, als Dein Freund habe ich das Recht die Wahrheit zu erfahren, auch wenn sie traurig ist.

Wenn es dem Leser entgangen sein sollte, weise ich ihn nochmals darauf hin, dass Escrivá in seinem Brief an Pou geschrieben haben muss, dass er im September sein Doktorats-Studium abgeschlossen haben wollte. Die Wahrheit war aber tatsächlich sehr traurig: Er hatte sich zu einer einzigen Lehrveranstaltung inskribiert und war dann nicht zur Prüfung gegangen. Wenn ihm Pou im September geschrieben hätte, wäre die Antwort noch trauriger ausgefallen: Er hatte in zwei Fächern inskribiert und keines davon abgeschlossen. Das ist die Bilanz des Jahres, für das Pou  gedacht hatte, dass er im Juni schon seinen Doktor gemacht hätte!

Was war geschehen? Die Hagiographen versuchen sin Scheitern im Studium durch die Beschäftigungen zu erklären, durch die Escrivá aufgehalten wurde, vor allem ökonomische. Wir wollen sehen: Im Juni beginnt er als Kaplan am Krankenstift zu arbeiten, einer Initiative der Damas Apostólicas, die von Frau Luz Rodríguez Casanova gegründet worden waren. Diese Dame hatte, auch durch ihre Kontakte zu anderen Frauen des Adels, einen gewissen Einfluss in Madrid und erreichte es, dass der Bischof Escrivá für ein Jahr die Erlaubnis erteilte, in seiner Diözese zu arbeiten; vorher hatte ihm dies der Nuntius für seine Stelle an der Kirche San Miguel gewährt. Bei Gelegenheit dieses Erfolges listet uns Vázquez die einzelnen Lizenzen Escrivás für Madrid7 auf, eine zweifellos komplizierte Geschichte, und er nützt den Fall des Antonio Pensado, um erneut auf die Schwierigkeit hinzuweisen, solche Erlaubnisse zu bekommen. Er gibt einen Brief des Bischofs von Madrid an einen Kardinal der Römischen Kurie wieder, dem er seinen Wunsch mitteilt, die Kongregation möge einem vom Kardinal empfohlenen Priester keine Genehmigung erteilen, in Madrid zu bleiben. In diesem Brief sagt Don Leopoldo Eijo y Garay, der Bischof von Madrid, dem Kardinal u. a. Folgendes wörtlich: Dies [die Menge an fremden Priestern ] bedeutet ein echtes Kreuz für die Diözese, wo ich praktisch jeden Tag vier oder fünf solcher Gesuche ablehnen muss. Vázquez  teilt hier auch mit, dass die Mehrzahl der Priester, die in Madrid wohnten, nicht zur Diözese gehörten.

Aber das bringt die Hagiographen nicht dazu, Erklärungen für das Versagen Escrivás im Studium zu suchen, denn das war ja der Grund, warum der Erzbischof von Saragossa ihm überhaupt die Erlaubnis erteilt hatte, nach Madrid zu gehen. Ich nehme an, das fällt alles unter die große Amnestie, weil er ja bekanntlich dort war um das Opus Dei zu gründen, und deshalb brauchte er sich um solche Kleinigkeiten nicht zu kümmern. Das ist aber bloße Manipulation, und es entschuldigt nichts, es macht alles nur noch schlimmer. Vázquez erklärt uns auf S. 261 (deutsche Ausgabe: S. 250): Wie man sehen wird, können die Register der Diözese den Kummer des Bitstellers nicht ausreichend wiedergeben. Diese Vorfälle sind auch fast bedeutungslos im Vergleich zu dem Verdruss, den ihm sein Status als außerdiözesaner Priester in Madrid bereite. Vázquez  unterlässt es allerdings anzumerken, dass Escrivá genau diesen Status angestrebt hatte, um eine zivile Karriere zu beginnen, oder genauer, um aus Saragossa zu fliehen. Tatsächlich scheint Escrivá sein Doktorat als Etappe auf dem Weg zu einem Lehrstuhl angestrebt zu haben. Vázquez unterlässt es aber auch klarzustellen, dass Escrivá wusste, warum der Bischof die unverschämten Kerle abweisen musste, die ihre eigene Diözese verlassen hatten, und dass deren Aufenthalt allenfalls nur dann zu rechtfertigen war, wenn sie die Absicht hatten, nach Ablauf einiger Jahre in ihre Heimatdiözese zurückzukehren. Das scheint zwar die Intention Pous, nicht aber Escrivás gewesen sein, der sich diesem gegenüber unaufrichtig verhalten hat, und es gibt genügend Anhaltspunkte zu denken, Escrivá hätte sich durchaus mit einem sicheren, guten Posten als Priester in der Hauptstadt begnügt.

Fahren wir fort mit unserer Untersuchung, warum Escrivá keine akademischen Fortschritte gemacht hat.  Vázquez liefert  uns eine Spur durch das Zeugnis von Fr. Asunción Muñoz, die Escrivá folgende Rolle zuweist:

Der Kaplan des Krankenstifts kümmerte sich um die liturgischen Akte im Haus; er las täglich die Messe, setzte das Allerheiligste aus und betete den Rosenkranz. (…) Jedenfalls nützte Don Josemaría seine Ernennung zum Kaplan, um sich großzügig, mit Opfergeist  und uneigennützig zahllosen Armen und Kranken zu widmen.

Aber Escrivá kümmerte sich mehr um die Andacht als um seine Pflicht, er warf sich auf diese Aufgabe, und er muss komplett auf seine juridischen Bücher vergessen haben. Das Urteil seines Regens im Seminar San Francisco scheint sich so zu bestätigen, dass er nämlich unbeständig sei.

Im Juli unterrichtete er an der Academia Cicuéndez, die vom Priester José Cicuéndez Aparicio gegründet worden war, der vom Juli 1910 bis zum 9. Februar 1931 gleichfalls Kaplan am Krankenstift Santa Isabel war. An dieser Akademie waren zumindest drei Priester Professoren8, abgesehen von Escrivá und Cicuéndez. Mit den Einnahmen als Kaplan des Krankenstifts und als Professor an der Akademie konnte er genug verdienen, um eine Wohnung zu mieten und seine Familie nachkommen zu lassen, die Ende November oder Anfang Dezember 1927 einzig.

Über diese Akademie geben uns sowohl Vázquez wie Rodríguez einige höchst beunruhigende Informationen. Vázquez9 sagt uns:

Aus einem Brief seines ehemaligen Professors für Römisches Recht [Pou] vom 27. Juni 1928 geht hervor, auf welche Weise Escrivá seine Hilfe in Anspruch nahm. dass; zum Beispiel bat er ihn um Skripten und Programme aus Saragossa. Eine Gruppe von Studenten der Akademie legte in der dortigen Universität die Prüfungen in Römischem Recht, Rechtsgeschichte und Volkswirtschaft ab. Professor Pou de Foxá erleichterte die  Formalitäten: „Lieber José María: Ich halte deinen Brief vom 21. des Monats in Händen. […] Ich denke, dass ich Deine Studenten für die Prüfung in den drei genannten Fächern einschreiben kann“, so der Brief vom 27. Juni 1928. „Mit getrennter Post lasse ich Dir drei Exemplare der Skripten, Curricula und Programme zukommen.  

Ich sagte beunruhigend, denn man muss über ein paar Dinge Bescheid wissen, die uns Vázquez und Rodríguez mitteilen. Die Studenten waren extern, sie wohnten in Madrid und konnten sich anderswo immatrikulieren. Pou beschreibt das Ambiente als eine Institution für „ewige Studenten“, die Geld hatten und ihre Pürfungen jeweils an der Uni ablegen konnten, wo sie am leichtesten waren. Aber in Cicuéndez sehen wir ein noch vollkommeneres Schelmenstück: Die Studenten immatrikulieren an einer Universität, deren Professor ein Freund eines der Professoren der Akademie ist (und besser noch, wenn es mehr sind, und besser noch, wenn er auch Priester ist), man bittet den Univ. Prof. um Hinweise und Programme – das bedeutet ein kleines Zusatzeinkommen, aber immerhin, für den Professor  - und später begleitet der Professor der Akademie, der ebenfalls Priester ist, die Studenten zu seinem Kollegen, der sie prüft, und alles ist Wonne und Waschtrog. Heutzutage nennt man so etwas einen Interessenskonflikt, aber es gibt auch noch volkstümlichere Bezeichnungen, wie etwa „Kuhhandel“. Damit beschäftigten sich Cicuéndez, Escrivá und  Pou.

Rodríguez10 seinerseits zitiert einen anderen Brief Pous vom 18. Oktober 1929, in dem er sagt: Wir wollen sehen, wann ihr uns wieder einen Kandidaten bringt.  Und in Anm. 85 der folgenden Seite versichert er uns: St. Josemaría stellte uns Studenten von Cicuéndez  in Saragossa als“Externe“ vor. Manchmal begleitete er uns auch.  Und er schämt sich nicht einmal „St. Josemaría. „Verschämt“ fügt er hinzu, was mich allerdings nicht wundert, dass José Cicuéndez lt. Aussage von Portillo11 der Wohltäter gewesen sei, der ihm die Immatrikulation an der Universität Madrid bezahlt habe.  Und Rodríguez fügt auf derselben Seite hinzu, dass in diesem Jahr [1929-30] Cicuéndez nicht nur die Immatrikulation zahlte, sondern dass es sein Neffe Faustino Cicuéndez gewesen sei, der eigenhändig die Immatrikulationsanträge für den jungen Priester geschrieben habe, dem noch zwei Prüfungen fehlten. Vázquez12  seinerseits vermittelt uns eine Idee davon, wie lange diese Korruption vor sich ging, wenn er einen Brief Escrivás an Pou vom 8. April 1932 wiedergibt, in dem er sagt: Wenn Gott keine Abhilfe schafft, muss ich nächsten Juni nach  Saragossa gehen, wo ein Sohn der  Guevaras geprüft erden soll13. Das heißt also, Gott soll ihm bei seinen Tricks soweit entgegenkommen, dass er wenigstens nicht persönlich nach Saragossa reisen muss, um einem Prüfungserfolg nachzuhelfen.

Vázquez14 zeigt uns einen Brief vom P. Cancer vom 19. Juli 1927, also drei Monate nach der Ankunft Escrivás in Madrid, in dem er sich wegen dessen Schweigen besorgt zeigt. Ich geben ihn hier wieder, um den Umfang des Betrugs zu zeigen, durch den Escrivá bei dem Ordensmann den  Eindruck hervorgerufen hatte, er wäre ein ganz außerordentlicher Mensch, dem  die zivilen und kirchlichen Autoritäten sofort bereitwilligst entgegenkommen müssten: 

Ich wähnte Dich schon ausreichend versorgt, viel besser als mit der Kaplanstelle an der Päpstlichen Rektoratskirche: Nachhilfestunden oder Unterricht an einer Privatakademie … vielleicht eine Praktikantenstelle bei einem bekannten Anwalt, Zusatzeinnahmen durch Aushilfen in Pfarreien oder Ordenshäusern. Darüber läßt Du nichts verlauten, auch nicht über Deine Beziehungen zum Nuntius oder über die Vermittlung durch Pater Ramonet, der ja so geschickt und gewandt ist und so viele einflussreiche Leute kennt, noch weniger sagst Du über Dein Verhältnis zum  Bischof von Madrid, zum Priesterseminar oder zum Ordinarius Deiner Diözese Saragossa. Hast Du vielleicht deine Stelle in San Miguel verlassen und Dich ganz Frau Luz Casanova zur Verfügung gestellt?[…].

Ich war davon überzeugt, daß irgendein Hochwürden oder eine mit Pater Ramonet befreundete Exzellenz Dir bereits ein bischöfliches Sekretariat und einen Lehrauftrag als Assistent besorgt hätte. Ich hoffe, daß wir bald einander wiedersehen.

Der Kontrast zwischen den Hoffnungen des Ordensmannes und der Realität ist so stark, dass der Brief fast ironisch wirkt, wenn man sich nicht sicher sein könnte, dass sich P. Cancer keinesfalls über seinen Freund lustig machen will.  

Ich denke nicht, dass es hierzu noch viel mehr zu erzählen gibt, denn der Weg Escrivá blieb mehr oder weniger gleich, abgesehen davon, dass er im September zwei Kurse seines Doktorats-Studiums abschließen konnte.

Jaume García Moles

(wird fortgesetzt)      

1 Andrés Vázquez de Prada, El Fundador del Opus Dei, Bd. I, 6. Aufl., Rialp, Madrid 2001.

2 El doctorado de San Josemaría en la Universidad de Madrid, SetD 2 (2008) 13-103.

3 Rodríguez, S. 18, Anm. 13.  

4 Rodríguez, S. 18, Anm. 12.

5 Rodríguez, S. 24.

6 Rodríguez sagt auf derselben S. 24, dass Dr. Pou damit rechnete, dass sein Student im Juni alle oder fast alle Prüfungen abgelegt haben würde. Und auf S. 60 kommentiert er, dass es sehr leicht möglich gewesen wäre, in drei Monaten intensiver Arbeit eine ordentliche Dissertation zustande zu bringen. Das heißt, wenn sich Escrivá ans Studieren gemacht und ernsthaft an seiner Dissertation gearbeitet hätte, hätte er als Doctor iuris nach Saragossa zurückkehren oder die Dissertation zumindest bis Anfang 1928 abgeschlossen haben.

7 S. 260.

8 Vázquez, S. 269, Anm. 42.

9 S. 271.

10 S. 38.

11 Rodríguez, S. 42.

12 S. 461.

13 Die Welt ist klein. Vázquez verrät uns  (El Fundador del Opus Dei, Bd. , Rialp, Madrid 2002, S. 30, Anm. [9]) , dass die Marquesa de Guevara mit einem Bruder von Doña Luz Rodríguez-Casanova verheiratet war, der Gründerin der Damas Apostólicas.

14 S. 264.