José María Escrivá Albás: Einige historische Probleme

Jaume García Moles

 

16/09/2013

27. Beitrag:

KAPITEL 7: IN MADRID, 1927-1937

WEITERE PROBLEME

Fast wäre er ein Büroangestellter geworden

Rodríguez1 gibt uns in Anm. 82, die den Versuch Escrivás kommentiert, im September 1929 eine Aushilfsstelle im Sekretariat des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheit zu bekommen, gehaltvolle Informationen, die uns helfen, die Denkweise des Meisters - José Pou – und des Schülers – Escrivá – zu verstehen.

Mit dem Datum 13. September  1929 wurde dieses Gesuch eingereicht. Der hl. Josemaría hatte sein Projekt mit Pou de Foxá abgesprochen, dessen Kommentare zum Thema die Problematik dieser Versuche deutlich zeigen: „Ich stimme mit Herrn  Spottorno darin überein, dass dies ein Platz ist, der für einen Priester kaum passt. Aber das ich das nicht als Zweck, sondern als Mittel ansehe, denke, ich, dass in diesem Fall der Zweck die Mittel heiligt: Ich könnte diesem Herrn jetzt vorwerfen, dass er dir gefälligst ein anderes Mittel zeigen soll, damit du deinen Zweck ohne dies erreichst.“  (Brief von  Pou de Foxá, 27. August 1929,…) Die Frage war: Dieser Herr  Spottorno – den ich nicht idetifizieren konnte – sagte eine offenkundige Wahrheit, aber Pou sagte eigentlich genau das, was sich Josemaría dachte. Dass der Zweck die Mittel heiligt, werden wir immer wieder finden. Pou fügte in seiner urwüchsigen Art hinzu: „Hinter vorgehaltener Hand nennen sie ihn Sancho, denn so wie es im Leben viele Quijotes gibt, so übernehmen auch viele die Aufgabe von Sancho, auf die Insel zu kommen, und wenn es nur Barataria ist.“.

Wir werden gleich sehen, dass Escrivá dazu bereit warin ein Büro zu gehen, und zwar nicht irgendwo, sondern in das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten. Nach der Meinung von Rodríguez, Herrn Spottorno, der von Pou und auch der meinen wäre das ein wenig eigenartig, dass ein Hochwürden in einem Büro arbeitet, auf einer Ebene mit dem Hausmeister und den Sekretärinnen.  „Escrivá, bring mir die Akten von Ruritanien, und dann sag er dem Hausmeister, er soll die Heizung ein wenig drosseln“, „Escrivá, kommst du zum Frühstück zu uns?“. So wäre das üblicherweise gewesen.

Man hätte ihm auch vielleicht gesagt: „Escrivá, wo haben Sie Maschinschreiben gelernt? Üben Sie gefälligst noch!“ Spottorno wollte sich, dass sich Escrivá angesichts der Würde des priesterlichen Dienstes zu solchen Arbeiten erniedrigt. Aber dann kommt Pou, der große Meister, und erklärt, dass der Zweck in diesem Fall die Mittel heiligt. Seine Argumente sind aber nicht stichhaltig, sondern vielmehr völlig gekünstelt; er argumentiert, dass Escrivá keine Karriere machen, sondern nur überleben wollte. Tatsächlich hatte er vor sich einer Arbeit zu widmen, die eines Priesters unwürdig ist, und das ohne die Erlaubnis seines Ordinarius. Wir wollen sehen, was dabei herauskommt: Er lügt, wenn er sagt, du unternimmst es nicht als Zweck, sondern als Mittel, um dann Karriere zu machen: Ich glaube, dass in diesem Fall der Zweck die Mittel heiligt. Und Rodríguez, der die Prälatur und sich selbst über die rechten Absichten Escrivás beruhigen möchte, nennt das die Gedanken Pous, anstatt sie Escrivá zuzusprechen und das zu sagen, was wir vermuten: Die beiden waren zwei ordentliche Dickschädel; denn ein solcher muss man sein, wenn man sich zu der Äußerung versteigt: Ich könnte diesem Herrn jetzt vorwerfen, dass er dir gefälligst ein anderes Mittel zeigen soll, damit du deinen Zweck ohne dies erreichst;  so als ob Herr Spottorno irgendeine Ver­pflichtung als Beamter gehabt hätte, arbeitslose Priester zu versorgen, oder ob es seine Schuld sei, dass der Job in einem Ministerium nicht mit der Stellung eines Priesters vereinbar war. Pou  schließt mit einer Abspielung auf Quijote und Sancho, die auf den Rat hinauslaufen: Du bist in einer schlimmen  Lage, also gib keine Erklärungen ab und mach, was dir passt. Aber warum musste sich Escrivá um jeden Preis einen Lebensunterhalt suchen, wenn er sofort in der Diözese Saragossa ein priesterliches Amt ausführen hätte können, das seiner Stellung entsprochen hätte? Seine Starrköpfigkeit und sein Drang nach Unabhängigkeit hatten ihn in diese Situation gebracht.

Sehen wir ein weiteres Beispiel der moralischen Laxheit Escrivás, die sich in zwei seiner Catalinas ausspricht, Die erste ist Nr. 1126 vom 26. Januar 1934, aus der wir jenen Ausschnitt zitieren, den wir hier benötigen:

Der wichtigste Teil der Unterredung war, als ich ihm von der „Akademie des Herrn Zorzano“ erzählte”, wo ich meine Arbeit mit jungen Akademikern fortsetzte, und er mir sagte: Warum geben Sie nicht Vorlesungen aus Religion für Intellektuelle? Und er beklagte sich, dass man diese bereits im „Boletín” und in den anderen Heften hätte ankündigen können (ich hatte ihm eines mitgebracht), neben anderen Kursen in Luchana 33.  Der Ausdruck „Luchana 33” sagte ihm etwas, bevor ich noch darüber gesprochen hatte.

Die Unterredung, von der er spricht, hatte er mit D. Francisco Morán, dem Generalvikar der Diözese Madrid. Die „Akademie des Herrn Zorzano“ ist die Akademie DYA in der Straße Luchana 33, die Escrivá seit Dezember 1933 betrieb und leitete. im Buch von Vázquez gibt es vorher keinen Anhaltspunkt, woher D. Francisco von der Etage in Luchana 33 gewusst haben sollte, und meiner Auffassung nach zeigt der Text der Catalina klar, dass Escrivá davon gehört hatte, dass die Akademie DYA dem Vikar zu Ohren gekommen war. Einige Monate vergingen, und am 29. Mai war er erneut beim Generalvikar, der ihn zu sich bestellt hatte. In Catalina Nr. 1191 erzählt Escrivá, was er Don Francisco gesagt hatte; ich beschränke mich auch hier auf die aussagekräftigen Passagen:

Er sagte: Erklären Sie mir, was die Akademie  DYA ist. Ich habe ihn abgefertigt, wie ich wollte (…) Zusammenfassend sagte ich ihm: 1/ Er machte mir mit dieser Frage eine große Freude. In meinen Briefen (ich schrieb ihm häufig) würde ich alle seine Fragen beantworten. Ich informierte ihn über die äußere Geschichte seit dem 2. Oktober 28. 3/ Ich ließ ihn wissen, dass wir in Luchana waren und wussten, dass dort ein guter Freund von ihm lebte – vom Vikar – denn wir haben nichts zu verbergen.. 4/ Ich sprach von meinen priesterlichen Söhnen und lobte die  die er kannte, wie es ein Vater tun muss.

Das klingt stellenweise so, als wolle er sich verteidigen, und er tut so, als wäre er die eigentliche Autorität: Ich habe ihn abgefertigt, wie ich wollte.  Das klingt, als hätte er ein Hindernis überwunden, und er stellt es so dar, als wäre die Initiative bei ihm gelegen. Der ganze Abschnitt 3 enthält eine excusatio non petita, besser gesagt ein unbewusstes Eingeständnis, dass er etwas zu verbergen hat. Vorerst informiert er lt. Abschnitt 2  über die äußere Geschichte seines Werk, die innere, worum auch immer es sich handeln mag, bleibt verborgen. Auch im vor­an­gegangenen Gespräch, über das er in Catalina 1126 reflektiert, täuscht er seinen Vorgesetzten darüber, dass er, Escrivá, die Akademie DYA leitet; er schiebt Zorzano als Verantwortlichen vor.  In diesem Gespräch hat er übrigens noch gar keine Ahnung, wie Morán von der Akademie DYA in der Luchana-Straße 33 erfahren haben könnte. In den vier Monaten zwischen den beiden Gesprächen mit Morán hatte Escrivá erfahren, dass ein Freund des Vikars dort wohnte, und er nützte diese Information durch die Lüge, dass er schon zu Beginn der Aktivitäten von DYA gewusst habe, dass dort ein guter Freund von ihm lebte – vom Vikar. Und auch der Abschnitt 4 enthält eine Entgleisung, denn er bezeichnete sich als Vater der Priester, die Diözesanpriester aus Madrid waren und der „Vater“ doch wohl der Bischof war. Am, selben Tag schrieb er Catalina 1192, die eigenartig beginnt:

Nun drei Worte: Arbeiten wir geheim? nein. Was würde man über eine schwangere Frau sagen, die ihr noch ungeborenes Kind am Standesamt und in der Pfarrei anmelden möchte? Wenn sie es an der Universität einschreiben lassen möchte? Gnädige Frau, würden sie ihr sagen, warten Sie, bis es zur Welt gekommen ist, und dann wird sich alles weisen. Nun: Im SAchoß der katholischen Kirche gibt es ein ungeborenes Wesen; es lebt und zeigt Eigenbewegungen, wie ein Kind im Mutterleib… Bleiben wir ruhig; Die Stunde wird kommen, es einzuschreiben und die notwendigen Erlaubnisse einzuholen. In der Zwischenzeit werde ich die kirchliche Autorität über alle unsere äußeren Aktivitäten informieren – so habe ich es immer gemacht -  ohne einen vorzeitigen Papierkram auszulösen, der zu seiner Zeit schon kommen wird. Das ist der Rat von  P. Sánchez und von  D. Pedro Poveda, und, ich füge hinzu, was der Hausverstand eingibt.

für ein Zufall! Nach dem Gespräch mit dem Vikar fragt er sich, ob sie Heimlichtuer sind. Noch so eine excusatio non petita. Aber diesmal sagt er alles selber, er sagt nein, sie arbeiten nicht im Verborgenen; er ist gleichzeitig Ankläger, Verteidiger und Richter. Und das Urteil erfolgt bei verschlossenen Türen, ohne Zeugen; da ist es dann kein Wunder, dass es wertlos ist. Statt seine eigenen Handlungen und die anderer sowie ihre Motive zu hinterfragen, beschränkt er sich darauf, eine Metapher auszuspinnen, als ob er sich selbst alles erklären müsste oder ob ihn nur der polemische Aspekt der Angelegenheit interessierte; er antwortet dem imaginären Gesprächspartner nicht wirklich, er speist ihn ab, und er kommt für sich zu dem Schluss, dass sie auf keine Weise im Verborgenen arbeiteten. Aber in Wirklichkeit verheimlichen sie ihre Ziele – den Proselytismus – mit einer bürgerlichen Verkleidung, der Akademie des Herrn Zorzano. Sie machen eine katholische Bildungsarbeit, die von einem Priester geleitet wird, und sie legen keinen Wert darauf, dass sie im Amtsblatt der Diözese aufscheinen. Mit anderen Worten, sie sind sehr daran interessiert, dass sich die kirchlichen Autoritäten  nicht in ihrer Angelegenheiten mischen, und schon gar nicht in die wirtschaftlichen Belange der Akademie. Und eigenartigerweise widerspricht er sich, wenn er behauptet, dass er in seinen äußeren Werken immer mit der kirchlichen Autorität rechnet. Bei welchen äußeren Werken? Den Kursen, die sie anbieten, den Tarifen und Einschreib­gebühren? Und was ist mit den inneren Werken? Wird er darüber Rechenschaft ablegen, dass er seine Gefolgsleute durch die Gelübde des Gehorsams, der Keuschheit und der Armut an sich bindet (und Armut bedeutet hier, dass sie ihm alles Geld abliefern, ohne dass er sich dem Ordinarius gegenüber dafür zu rechtfertigen hätte)? Wird er darüber Rechenschaft ablegen in dem Sinn, dass er eine neue Berufung erfunden hatte, in dem Sinn, dass er darüber entscheiden konnte, wer diese Berufung hatte, und außer dem behauptet 4 er, dass Gott als Schaf oder Bock urteilen würde, er dieser Berufung entsprochen habe und wer nicht? Hat denn nicht vielleicht der Bischof darüber zu befinden, wenn er Personen durch ein Gehorsamsgelübde an sich band? Wir wollte er die Gehorsamspflicht dieser seiner Jünger mit dem Schutz des Beichtgeheimnisses und des vertraulichen Gesprächs in Einklang bringen? Wenn er diese Interna dem Vikar, dem Repräsentanten der Kirche, verheimlichte und sich dabei etwas auf seine „Gründungsvisionen“ einbildete, mit welchem Recht wollte er dann behaupten, dass „sein Werk gekommen ist, um den Willen Gottes zu erfüllen“, und er erlegte seinen Jüngern sogar praktische Regeln auf, wie sie im Detail vorzugehen hatten?  Das sind Fragen von enormer Tragweite.

Wenn Escrivá der kirchlichen Autorität nur die äußere Geschichte des Werkes mitteilt, muss ich an die Schwarzgeldkonten in manchen Unternehmungen denken. Es gibt sogar mehr als genügend Beweise, dass die Prälatur eine vollkommene Geheimhaltung in seiner Finanzgebarung pflegt, und zwar sowohl gegenüber der Kirche wie gegenüber den Staaten. In diesem Gespräch mit Morán sehen wir bereits die ununterbrochene Kette schwerster Betrügereien gegenüber der Kirche und an den Mitgliedern seines Werkes, die diese Institution bis heute kennzeichnen.

Weitere Schelmenstücke

Wir setzen mit einem anderen Beispiel cleveren Betrugs fort. Diesmal ist es Rodríguez2, der uns in aller Unschuld mitteilt:

Josemaría hatte ein Problem damit, dass im Juni dieses Jahres [1930] die Erlaubnis seines Erzbischofs, in  Madrid zu bleiben, ablief. Er musste befürchten, dass sie nicht mehr erneuert würde und er in der Diözese  Madrid keine Aufenthaltsgenehmigung mehr bekommen würde. Was sollte er tun? Er absolvierte die dritte Prüfung und „hob sich“ die vierte auf, um ein Argument zu haben, warum er noch bleiben müsste.

Man erinnere sich daran, dass er die Gesellschaftspolitik dreimal inskribierte, ohne zur Prüfung anzutreten, und schließlich absolvierte er die Prüfung 1935, nach fünf Jahre! Was meinte hier Rodríguez mit „aufheben“ und „Argument“? Er setzt sie in Anführungszeichen, um anzudeuten, dass es nicht seine Erfindung sei, sondern eine Strategie Escrivás. Ich finde dafür keine andere Erklärung als die, dass er nicht erledigte Prüfungen als Grund vorschob, um in Madrid bleiben zu können. Das erklärt auch die Hartnäckigkeit, mit der er Lehrveranstaltungen belegte, ohne sie abzuschließen. Das möge dem Leser eine Hilfe sein, wenn sie den Schwärmereien der Hagiographen über Escrivás Vorbildlichkeit aufzusitzen drohen.

Eine offene Wunde

Rodríguez3 erinnert uns daran, dass sein Verweilen in der Hauptstadt nur auf Abruf sicher war und das Ordinariat jederzeit die Erlaubnis widerrufen konnte. Und in diesem Zusammenhang erwähnt er die inoffizielle Stellung Escrivás als Kaplan des Krankenstifts. In Anm. 114 fügt er hinzu, dass Josemaría selbst es in seinem Brief an Pou vom 23. Februar 1930 erklärt: All das ohne die offizielle Anstellung als Kaplan: Deshalb haben sie neulich eine Peron, die mir wohlwollte und die mir eine bedeutende Stellung verschaffen wollte, gefragt, welche Ämter ich bis jetzt ausgeübt habe? Und, mein lieber D. José, die Güte meiner Vorgesetzten in  Saragossa hat mich drei Jahre ohne Anstellung gelassen und drei weitere Jahre, in denen ich de jure, nicht de facto in der gleichen Situation war…

Nicht nur Vázquez de Prada und die anderen Hagiographen geben die Schuld für Escrivás Versagen anderen: Carlos Albás, dem Vikar Pellicer, dem Erzbischof Doménech und dem Bischof von Madrid; ihretwegen sei Escrivá zwei Jahre ohne Einkommen gewesen. Es ist Escrivá selbst, der ihnen die Schuld dafür gibt, dass sein Curriculum noch immer mehr als bescheiden anmutet. Er übersieht dabei aber geflissentlich seine Fehler: Dass es ohne Erlaubnis noch vor der Weihe ein Jura-Studium begonnen hatte und es von 1925 bis 1927 fortsetzte; dass er seine Ernennung zum Aushilfspfarrer in Perdiguera hintertrieb und sich damit in der Diözese unmöglich machte; dass seine Mutter und er Angst vor einer Berufung in ein Dorf um Saragossa hatten und dass er deshalb nicht bereit war, eine solche Ernennung zu akzeptieren, und das als frisch geweihter Priester; der dreifache Ungehorsam, nach Fombuena zu gehen, Perdiguera zu verlassen und das Studium in Madrid zu vernachlässigen, das ja der Grund für seine Aufenthaltserlaubnis war. Drei Jahre in Madrid, ohne das Doktorat in Jura erlangt zu haben.

Und er macht sich auch nicht bewusst, dass er sich selbst die Schlinge um den Hals legt, wenn er von einer bedeutenden Stellung faselt, während er nicht einmal in einer einfachen Dorfpfarrei ausharren oder einen akademischen Grad aus Theologie, Kanonischem Recht oder Jura erreichen konnte

. So hatte er nicht viel vorzuweisen: Unterricht in Akademien, inoffizieller Kaplan am Krankenstift, Messen in Saragossa und in Madrid, aber nicht viel mehr. Er kümmere sich nicht um eine priesterliche Karriere, hatte er vor der Weihe behauptet, und so hat er sich dann auch verhalten. So erntete er, was er gesät hatte: ein armseliges Curriculum.

Vorzeichen und Vermutungen

Rodríguez4 gefällt sich darin, uns einige Aspekte des Innenlebens Escrivás zu erklären.

St. Josemaría wusste, dass der Herr damit rechnete, dass er in  Madrid blieb. Von daher kam seine Unruhe. Schon vor der Gründung des  Opus Dei, als der Weggang aus Saragossa unvermeidlich schien, wurde die Übersiedlung des jungen Priesters nach Madrid  als „Vorahnung“ des Göttlichen Willens über das „Land, das ich dir zeigen will“, gedeutet, das Land, in dem sich die Fülle des Willens Gottes in seinem Leben offenbaren sollte. Er zeigte sich dann am 2. Oktober 28 und, vor allem, am  14. Februar  30, als er schon deutlicher war: Sein Beichtvater,  P. Valentín Sánchez Ruiz, gab ihm klar zu verstehen, dass er in Madrid bleiben musste. Aber dafür hatte er keine kirchenrechtliche Sicherheit. Von daher kam die Notwendigkeit, seine Dissertation fertigzustellen und zu verteidigen, und zugleich das Studium nicht ganz abzuschließen. Diese Streckung seines Doktoratsstudiums „stützte“ seinen Aufenthalt in  Madrid und seine Widmung an das Werk, das zur Welt kommen sollte, zur gesellschaftlichen und öffentlichen Welt der „apostolischen Werke“. Noch stand er allein vor dem Herrn. „Ich hatte nichts – sagte er später, wenn er sich an diese Zeiten erinnerte – als meine 26 Jahre, die Gnade Gottes und  gute Laune“.

Vielleicht erklärt das etwas, was in den folgenden Jahren geschah: St. Josemaría, der 1930 das dritte Staatsexamen für das Doktorat gemacht hatte, ließ sich mit dem vierten bis 1935 Zeit.

An dieser Stelle wird der Leser bemerkt haben, wie weit Escrivá seine Jünger beeinflussen konnte, in diesem Fall Rodríguez. Man beachte, wie hier Vermutungen und Eingebungen einander stützen: St. Josemaría wusste, dass der Herr damit rechnete, dass er in Madrid blieb. Wer hat das gesagt: eine Erscheinung, eine Stimme, eine prophetische Begabung? Und wann? Nach seiner geistigen Schau am 14. Februar 1930 in einer anderen geistigen Schau? War sein Vorhaben vom Februar oder April 1930, sich in Cuenca zu inkardinieren, eine Trübung der übernatürlichen Sicht, weil er für einen Augenblick vergaß, an Madrid festzuhalten?

Rodríguez scheint sich da nicht ganz sicher zu sein, wenn er beginnt Vermutungen oder in der Luft hängende Behauptungen zu äußern. Denn wenn er den Weggang aus Saragossa als „unvermeidlich“ bezeichnet, so geht das an der Wirklichkeit vorbei, wie wir wissen. In die gleiche Kategorie fällt die kühne Vermutung, die Übersiedlung nach Madrid als das Ergebnis einer „Vorahnung“ Escrivás ansehen zu wollen. Und den Vergleich mit Abraham, der nicht weiter als eine lächerliche Blasphemie ist, lassen wir besser beiseite, denn sein Verhalten rührte aus dem Hochmut, sich für etwas Besseres zu halten, der nicht die Arbeit eines Landpfarrers zu machen brauchte und auch nicht den Bischof um Verzeihung bitten wollte; und dazu braucht er auch noch den Eid, in der Diözese Saragossa zu bleiben5. Dann beruft er sich auf angebliche Gründungsvisionen, die ihn aber nicht daran hinderten, sich nach einem Job in Cuenca umzusehen, und auf den kategorischen Hinweis des P. Sánchez Ruiz. Davon spricht er in der Catalina  vom 15. Februar 1932, also nach den Geschehnissen, von denen Rodríguez erzählte. Der Text erzeugt Verwirrung, da nicht klar ist, was er als Versuchung verstanden haben mag, und wir wissen auch nicht, ob Escrivá dem P. Sánchez die Wahrheit über seine „Schicksalsschläge“ in Logroño und Saragossa gesagt hat, denn so konnte ihm der Jesuit kaum einen passenden Ratschlag geben. Das ist die Catalina (Nr. 598):

Danach (ich habe es Don Norberto erzählt, sogleich und auch noch einmal später, als ich die Versuchung des Feindes spürte), danach brachte er mit in Erinnerung, dass der Domtheologe von Cuenca mit meiner Mutter gesprochen und ihr gesagt hat, ich solle mich um eine vakant gewordene Stelle im Domkapitel von Cuenca bewerben… Anschließend sagte mir mein geistlicher Vater, dass das Werk in Madrid beginnen müsse; also muss ich auf jeden Fall hierbleiben. Man kann sehen, dass Satan listig, böse und verachtenswert ist. Er hat mich allerdings erkennen lassen, wie Don Norberto mir lachend sagte, dass, obschon ich das Gegenteil dachte, ich die Freude und den Frieden verlieren kann (ich habe sie nicht verloren) und Unannehmlichkeiten kommen können.

Rodríguez setzt dann fort und spricht davon, dass die immer drängenderen Notwendigkeiten einander im Wege standen, wie etwa der Entschluss, das Studium endlich zu beenden und der Zwang, es wegen der Aufenthaltsgenehmigung für Madrid in die Länge zu ziehen, und er machte sich damit über die Bemühungen des Bischofs und des Heiligen Stuhles lustig, die Zahl der Priester aus fremden Diözesen in vernünftigen Grenzen zu halten. Tatsächlich war das nicht nur ein Drängen, sondern wiederholte, drängende Aufforderungen, sich hinzusetzen und ernsthaft das Doktorat zu betreiben, was bisher daran gekrankt hatte, dass er unbeständig war oder keine Lust hatte, sich mit seinen Büchern zu beschäftigen. Man könnte es auch volkstümlich so ausdrücken: Er weiß nicht, was er will.

Mit kommt es so vor, als bewege sich Escrivá zwischen unterschiedlichen  Polen, die ihn alle anziehen: Da ist sein menschlicher Ehrgeiz und die Verbindung mit Pou, die ihn dazu bringen, die Studien fortzusetzen und von einer Zukunft als Universitätsprofessor zu träumen. Dann ist hier sein verkümmertes Pflichtgefühl, das ihm sagt, dass seine Ambitionen nicht mit der Widmung an sein Werk und mit der Ausübung eines echt verstandenen Priestertums zusamengehen, und das ist nicht das Priestertum von Pou. Drittens schämt er sich, nach Saragossa zurückzugehen und seine Versäumnisse dort in Ordnung zu bringen. Dazu kommt noch seine Rolle als Familienvater, der seine selbst auferlegte Verpflichtung verheimlicht, die Verwandten zu erhalten. Und je nachdem, was sich ihm gerade drängender vorstellt, kommt es zu abrupten Kurswechseln.

Mit diesem Berg an falschen Vorspiegelungen will uns Rodríguez glauben lassen, dass die Vorsehung diese Richtungswechsel gewollt habe, denn einerseits brachten sie ihn dem ersehnten Doktorat näher – das ihm nichts weiter brachte, als mit einem Titel anzugeben, nicht aber mit einer Dissertation, die spurlos verschwunden ist – und andererseits wurde er dadurch in Madrid festgehalten, um das Fundament für sein Werk zu legen.

Kurswechsel

Ich möchte in der Folge alle misslungenen Versuche Escrivás, sein Studium zu beenden, zusammenfassen, auch wenn manche davon bereits erwähnt worden sind. Ich unternehme das, um deutlich zu zeigen, dass ich nicht übertrieben habe. Die nummerierten Texte stammen aus der jeweiligen Catalina. Das Sigel R-32 bedeutet dann, dass der Artikel von Pedro Rodríguez, S. 32 zitiert wird.

R-24. Pou de Foxá: Du sagst mir nicht, wie es dir mit deinen Prüfungen gegangen ist, außer dass du sie im September abschließen wirst [notabene: die vier Kurse für das Doktorat](23/7/1927).

R-25. Man sieht, dass Josemaría erzählte [im August 1927] die zwei [Internationale Rechtsgeschichte und Rechtsphilosophie] im September absolvieren zu wollen.

R-53. Pou de Foxá an Escrivá: Über das Doktorat: Ich denke, du wirst die Prüfungen im September absolvieren  und für die Präsentation gibt es entzückende Themen [...] (20/6/1928).

R-29. Joaquín Ayala an Escrivá: Ich freue mich, dass Sie sich ans Doktorat machen [die Prüfungen für das Kanonikat in Cuenca]. Die Prüfungen bestehen aus einer lateinischen Abhandlung über  eine zufällige Stelle, die die drei aus dem CIC aussuchen; zwei Fragen sind eineinhalb Stunden lang zu bearbeiten, dazu kommt eine Rechtssache, deren species facti aus dem Gedächtnis zu explizieren ist (17/7/1928).

R-29. Prudencio Cancer an Escrivá: Es freut mich, was du sagst, und wir wollen sehen, ob du die Stelle als Militärkaplan bekommst. [...] Ich dachte nicht, dass du deine Sachen dort bleiben lässt, aber wenn du denkst, dass du die Sicherheit und die ehrenvolle Stellung erreichen kannst, dann vorwärts. (9/8/1928)

R-36. Isidoro Zorzano an Escrivá: Erzähl mir, was du tust. Wirst du die Diplomatenlaufbahn einschlagen?  (9/12/1928).

R-37. Wir wissen, was das Sekretariat  [des Ministeriums] für Auswärtige Angelegen­heiten unternahm, um einige Hilfsposten zu besetzen. (13/9/1929). Am 1. März 1930 zog er die beim Ministerium vorgelegten Dokumente wieder zurück [Anm. 92 bei Rodríguez]. Man beachte, dass er mit der Gründung seines Werkes bereits begonnen hatte. Außerdem zog er die Dokumente nach sechs Monaten zurück; hier stellt sich die Frage, ob er sich in der Zwischenzeit den erforderlichen Prüfungen stellte oder nicht.

R-39. Sondieren einer Möglichkeit, mich in  Cuenca zu inkardinieren  (Februar  1930).

R-55. Escrivá an Pou de Foxá: Notwendigerweise muss ich die Arbeit [die Dissertation] im Juni vorlegen, komme, was da wolle (7/3/1930).

Diese Worte zeigen, dass Escrivá dachte, er könne aus dem Stand heraus, innerhalb von drei Monaten, eine Dissertation schreiben. Rodríguez6 stützt das noch, wenn er kommentiert, dass Escrivá in diesem Brief die Ernsthaftigkeit seines Vorsatzes belegt, sich ernsthaft der Frage zu widmen, welches Thema zu wählen war, und es anzugehen.

1681. (…) Wenn ich mir eine weltliche Beschäftigung suchte, hieße das, an der Göttlichkeit des O. zu zweifeln – und das ist mein Zweck auf Erden, zweifellos, es ist unmöglich, dass ich mich von ihm trenne (vom O.), denn das heiße, dass ich mich von Gott trenne (...) (10/1931).

385. Ich habe das früher einmal niedergeschrieben, aber ich bestehe darauf, und so sehe ich es in der Gegenwart Gottes: Mir persönlich würde es gefallen, juristische Kurse zu halten, bis zum Überdruss, und gebildet zu sein. Ich glaube dennoch ganz fest, dass Jesus nicht will, dass ich ein Gelehrter in irgendeiner menschlichen Wissenschaft bin. Er will, dass ich  heilig bin. (11/11/1931).

441. (…) Jetzt: ein, zwei, ...  drei Einheiten aus Jura für junge Menschen, die lernen wollen, und die man nebenbei mit  dem Feuer Christi entzünden kann... Das fühle ich, und dafür habe ich die Berufung (2/12/1931).

Die folgende Catalina überrascht uns nicht mehr, denn  auch wenn er es für machbar hält, weise zu sein und einen Lehrstuhl zu erlangen, so wissen wir doch schon, dass er nicht das Zeug dazu hatte, sich in solche Höhen hinaufzuarbeiten und ernsthaft einige Staatsprüfungen vorzubereiten. Deshalb klingt seine Entscheidung so wie das Urteil des Fuchses aus der Fabel, dass die Trauben sauer seien.

678. Unter anderen Dingen ist es wichtig, dass ich über meine persönliche Vorgangsweise entscheide. Ich werde es so sagen, wie ich es sehe, und hoffe, dass er es gutheißt. Zwei Wege tun sich auf: Dass ich studiere, einen Lehrstuhl bekomme und weise werde. Das würde mir gefalle, und ich sehe, dass es machbar ist. Zweitens; Dass ich meinen Ehrgeiz aufopfere, den Wunsch zu wissen, der sicher edel ist, und ich begnüge mich damit, gescheit zu sein, nicht unwissend. Mein Weg ist der zweite: Gott will, dass ich heilig bin, und ich will es für sein O, O. (3/4/1932).

780. Ich werde ernsthaft den Vortrag der Dissertation in Zivilrechtvorbereiten. Gott, mein Vater, wenn es dein Wille ist, wirst du mir das nötige Geld geben um das Doktorat zu machen. In jedem Fall, fiat. (14/7/1932).

Wenn man an diesen Punkt gekommen ist, kann man schon voraussehen, was geschehen wird: Nichts – und zwar bis nach dem Bürgerkrieg. Das kann man schon aus der folgenden Catalina herauslesen:

1676. Soll ich das Doktorat aus Zivilrecht und Theologie machen?  (...)Ich habe kein Geld. Das hat zwei Konsequenzen: a/ich muss arbeiten – manchmal sehr viel – um meine Familie zu erhalten, und da bleibt mir dann weder Zeit noch Ruhe für das Studium.  b/ auch wenn ich die Zeit hätte, aber nicht das Geld, ist es unmöglich, die akademischen Übungen zu absolvieren (vermutl. Oktober 1932, auf Exerzitien).

1677. Die Zeit, die ich für das Studium aufwende, ist nicht vergeblich. Die Bildung unserer Laien erleidet dadurch keinen Schaden. Jede Stunde Studium – für das Werk Liebe – ist vor Gott eine Stunde des Gebetes. Und das Gebet bringt immer Frucht  (4-X-1932).1680. Ist es angebracht, dass ich einige Prüfungen ablege, an der Universität beispielsweise?(...) Gründe dafür: Ehrlich gesagt, ich sehe sie nicht (vermutl. Oktober 1932, auf Exerzitien).

Er sagt bereits alles. Warum stellt er diese Frage, wenn er dabei nicht Gründe zu seinen Gunsten sieht? Hat er die Möglichkeit bereits ad acta gelegt, dass Pou ihm dabei helfen könnte, an der Universität Fuß zu fassen? oder sah er ein, dass ein Lehrstuhl außerhalb seiner Reichweite war?

1140. Vergangen Montag war ich beim Vikar von Madrid. Es ging um eine Angelegenheit im Zusammenhang mit dem Konvent St. Isabel. Wir sprachen über viele Dinge, über unsere Apostolate, die Jungen… Herr  Morán verbrachte eine gute Weile mit mir und war ziemlich verändert: Vorher hatte er mich gedrängt, mich um einen Lehrstuhl zu bemühen; jetzt sagte er mir, man brauche keine Priester, die lehrten, auch nicht auf der Uni, sondern Priester, die die Lehrer und die Professoren bilden [Rodríguez, S. 65, Anm. 173, zum Datum 24/2/1934].

Ich denke, dass man die Veränderung bei Morán anders interpretieren kann. Vorher hat er ihm geraten, seine Dissertation fertig zu machen, weil er ihn auf diese Weise aus seiner Diözese loswerden konnte. Nunmehr war aber der Konvent von Santa Isabel in die Zuständigkeit der Diözese Madrid gefallen, und Escrivá hatte schon seit einigen Jahren die Kaplanstelle um einen Salär von 1500 Peseten jährlich inne, die ihm der Patriarca de las Indias zu bezahlen hatte7. Das heißt, die Diözese Madrid hätte sich nun zu den gleichen Bedingungen um Escrivá kümmern müssen, und dem Vikar lag mehr daran, dass er für die Diözese als für seine Studien arbeitete, wenn er schon für ihn zu sorgen hatte.

Die zwei folgenden Catalinas sind in Burgos während des Kriegs geschrieben worden, nach dem Übertritt auf die Nationale Seite. In der ersten  zeigt sich seine Tendenz, die Geschichte umzuschreiben. Er sagt, dass er sein Theologiestudium nicht abgeschlossen hatte, weil sein Vater gestorben war, während er bisher weder den Grad eines Baccalaureus noch eines Magisters erworben hatte, obwohl er die nötigen Studien abgeschlossen hatte, um das Lizenziat im Juni 1923 zu erwerben, eineinhalb Jahre nach dem Tod  seines Vaters8. Der Rückgriff auf ein Zeichen der Vorsehung beweist einmal mehr, dass er in solchen Fällen einfach lügt. Der Bezug auf das Zivilrecht, mit dem er denkt, er könne alles irgendwie rechtfertigen, ist uns mittlerweile auh nicht mehr neu. Erinnern wir uns an Catalina Nr. 193: Es wäre sehr interessant zu erzählen, was mit meinen Dienstzeugnissen in Saragossa geschehen ist, aber ich erzähle es nicht.

1445. Die unmittelbare Arbeit (...):5°/ die Dissertation aus Jura schreiben, und, wenn möglich, mich in Theologie graduieren.- Zu diesem fünften Punkt muss man daran erinnern, dass mein Beichtvater ebenso wie P. Postius mir immer dazu rieten, diese Würden zu erwerben. Ich habe sie seinerzeit in Theologie nicht abgeschlossen, weil mein Vater starb (R. I. P.) und mir das Geld dazu fehlte. Dann – vielleicht werde ich es eines Tages im Detail erläutern – habe ich verstanden, dass die Vorsehung wollte, dass ich es nicht mache. Was das Zivilrecht betrifft, so ist das lustig: Ich werde auch in Ruhe darüber sprechen, wenn es passend ist; jetzt fehlt mir nur noch die Vorlage der Doktorarbeit.  Ich glaube, dass Jesus mich darum bittet, es möglichst früh zu machen (23/12/1937).

1479. Ich war am Nachmittag bei D. Manuel Ayala, und er versprach mir Unterlagen für die Doktorarbeit zu liefern. Was für einen Spaß könnte man schreiben, nach so vielen Jahren! (10/01/1938)

R-81. [am 23/6/1939, in Vitoria. Escrivá] schreibt den Mitgliedern der  Opus Dei von  Madrid einen herzlichen Brief, der uns interessiert.(…) Mitten unter den Ermahnungen liest man, als eine weitere Nachricht: Es ist wichtig mit der juridischen Dissertation weiterzumachen. Worauf bezieht sich  Escrivá da? Er meint niemanden konkret. Keiner aus der kleinen Gruppe schreibt eine Dissertation aus Jura. So wie ich die Sache versteht, ist die Angelegenheit klar: So wie ich es verstehe ist die Angelegenheit klar: Der Vater erinnert auf eine feinfühlige Weise daran, nicht auf die Reinschrift seiner Dissertation zu vergessen.

Da wir aber mittlerweile die Vertrauenswürdigkeit der Person und seiner Hagiographen kennengelernt haben, neige ich dazu die Erklärung von Rodríguez in Frage zu stellen. Erstens manipuliert er uns, denn mit der Frage, worauf es sich bezieht, gibt er zu, dass er die Antwort nicht weiß. Dennoch behauptet er, als ob es schon erwiesen wäre, dass Escrivá ihnen vor Antritt der Reise den Auftrag erteilt hätte, die Dissertation zu tippen. Das müsste er allerdings erst belegen. Der Text Escrivás, so wie er dasteht, legt viel eher nahe, dass er ihnen den Auftrag gegeben habe, das Material, das sie aus Burgos bekommen hatten, zu bearbeiten.

Zweifel an der Übernatürlichkeit seiner Visionen und Entscheidungen.

Ich habe hier eine Zusammenstellung von Texten aus den Catalinas,  in denen Escrivá von Versuchungen in der Frage spricht, ob seine Unternehmung wirklich übernatürlich ist, sei es, dass er es für notwendig hielt dies erst noch zu beweisen oder es für sich selbst zu wiederholen, weil er sich eben doch nicht ganz so sicher war, wie es schien. Ich habe die für mich entscheidenden Passagen fett gedruckt:

Nr. 21, 24/3/1930: (...) es geht nicht um mein  Werk, sondern um das  Werk  Gottes.

Nr. 22. 7/4/1930: (…) Herr, wir gut Du bist, wie gut! – Und ich verstehe wahrhaftig nicht, warum er mir nicht angewidert einen letzten Stoß verpasst hat. sondern mir so liebevoll und so väterlich hilft wie er es tut. Ich denke, dass er mir vielleicht so hilft, für meine Mutter und meine Geschwister: und auch, weil er mich für sein Werk will.  (6/4/1930) [Erfolg der Bemühungen, in Madrid zu bleiben].

Nr. 27, 4/1930. Ich habe kein einziges Mal daran gedacht, dass ich hier einen Betrug begehe, dass Gott sein Werk nicht will. Ganz im Gegenteil: Trotz meiner Armseligkeit und sogar wegen meiner Armseligkeit und meines Unvermögens hat mich der Herr für diese Unternehmung ausgesucht.

Nr. 66, 1930. Wenn ich alles überlege, was ich bis jetzt niedergeschrieben habe, drängt mich mein Verstand es auf diese Weise aufzufassen: Gott, unser Herr, ist sehr gut. Die Güte Gottes will mir nicht in den Kopf gehen,  zusammen  mit dem Gedanken, dass ich mich darin getäuscht haben könnte, was allen Wünschen meines Lebens entgegenkommt, was mich zur entscheidenden Kursänderung gebracht hat und mich über alles andere hinweggehen ließ. Außerdem will mich der Herr deshalb für eine gewisse Zeit demütigen, damit ich mich nicht für einen Übermenschen halte, dass ich seine Gedanken nicht mir zuschreibe damit ich nicht glaube, ich hätte Seine Vorliebe verdient, um Sein Instrument zu sein…

Nr. 67, 6/1930. Ich denke weiterhin über das nach, was ich geschrieben habe, um mich davon zu überzeugen, dass man die Phantasie eines Romanautors oder 40° Fieber braucht, um sich ein Werk auszudenken, das, falls es nicht von Gott ist, der Plan eines Menschen sein muss, der von Hochmut betrunken ist. Bei der Barmherzigkeit des Herrn, ich war weder verrückt noch krank... (...). Der Gedanke stammt nicht von mir. Der Gedanke stammt von Ihm, von  Gott. Nr. 164, 27/6/1932. (…) Was  Gott will, ist sehr schön, und andererseits verstehe ich weder noch sehe ich, warum es vorher kein solches Werk gegeben hat, wo es doch so notwendig ist.

Nr. 167. Wenn ich diese  Catalinas schreibe (so nenne ich diese Anmerkungen), so tue ich das, weil ich den Antrieb fühle, nicht nur diese Anregungen von Gott nicht nur festzuhalten – ich glaube fest, dass es sich um göttliche Eingebungen handelt – sondern Dinge des Lebens, die mit geistlichen Nutzen gebracht haben und bringen können, und damit mein Beichtvater mich besser kennt. Wenn es nicht so wäre, hätte ich diese Blätter schon tausendmal zerstört und verbrannt, aus Liebe zu mir selbst (Frucht meines Stolzes)

Nr. 475, 12/12/1931. Die Ruhe des Herrn seit dem 2. Oktober 1928,  dem Fest der heiligen Schutzengel und dem Vorabend der hl. Theresia von Avila, bis zum November 1929 sagt mir viel  (...): auf unbezweifelbare Art, dass das Werk von  Gott ist, denn wäre es keine göttliche Eingebung gewesen, hätte es die Vernunft erfordert, gleich nach Ende der Exerzitien am 28. Oktobermit Begeisterung loszulegen, denn es gab schon einen Plan, wie dieses arme Priester sich das Werk vorstellte und es formen wollte. So war es aber nicht: Es verging mehr als ein Jahr, ohne dass Jesus sprach. Und so war es, neben anderen Gründen: um sicher zu beweisen,  dass sein Eselchen nur ein Werkzeug war  - und zwar ein schlechtes! Nr. 703, 22/4/1932. Wenn es darum gegangen wäre, ein Ferienhäuschen zu errichten, so wäre es leicht und schnell gegangen: vier Pfähle in den Böden rammen, einige Meter Perkalin, man befestigt die Fächer eines Kastens … und fertig. Aber das Gebäude des  O. D. ist ein Palast für Jahrhunderte – er wird bis zum Ende stehenbleiben – und der Heilige Geist ist sein Architekt...

Nr. 775, 12/7/1932. Oh, Jesús: tibi derelictus est pauper, orphano tu eris adiutor! Ist es nicht ein echtes Wunder, dass dieses Eselchen, das nicht einmal sein „tägliches Brot“ gesichert hatte  - unser Brot: Jesus wollte, dass ich es niemals mein Brot nennen konnte; jetzt sind es meine Mutter und meine Geschwister, dass werden es die Kinder meiner Seele sein – es ist kein Wunder, dass sich dies fortsetzt, ohne dass ich mich um das Übrige bekümmere und nur an die glänzende Dummheit denke, die Welt für Gott zu erobern? Alles, was mich antreibt, ist Er. Man braucht keinen anderen Beweis.

Nr. 1303, 25/11/1935. Ich nutzte die Gelegenheit, um [einem der Priester, die ihm halfen] , dass das Werk nur ein Haupt hat, mich )Jesus: Demut ist Stärke) ,und dass ich um Rat fragte, was ich wollte, und nicht um Rat fragte, wenn es mir richtig schien: Denn im Werk gibt es nur einen Weg, dass man gehorcht oder geht. Alles das sagte ich sehr leidenschaftlich. Sicher ist, dass ich allen sehr dankbar sein muss.

Man beachte die fehlerhafte und bedrückende Argumentation der folgenden Catalina. Statt darüber nachzudenken, welche Konsequenzen  das Versprechen haben musste, das er diesen Priestern auferlegt hatte, verschließt er sich jedem Gedanken an Selbstkritik und schaltet wieder einmal ein Omen ein: Die Entfremdung seiner Mitarbeiter ist nur ein weiterer Beweis für die Göttlichkeit seines Unternehmens. Es ist vielmehr so, als sage Escrivá zu seinen Eingeweihten: „Sie entfernen sich von mir, sie haben also keinen guten Geist, ich habe ihn aber, und was ich mache, kommt direkt von Gott“; es wäre also ein neues Zeichen für seine Auserwähltheit. Es stellt die Dinge auch so dar, als ob er nichts vorgeschlagen hätte, sondern als ob seine Jünger ihm unter dem Antrieb des Heiligen Geistes aus Eigenem, spontan den Gehorsam gelobt hätten, um seine Söhne und Mitarbeiter zu werden. Ich frage mich, ob nicht die eben zitierte Catalina Nr. 1303  mit seinem diktatorischen Anspruch den Grund beinhalte, warum sich diese Priester von Escrivá abwandten, nachdem sie gesehen hatten, wie er sie behandelte.

Nr. 1435, 21/12/1937. (...) Einer der offenkundigen Beweise für die Göttlichkeit unseres Unternehmens: Als sich montags diese heiligmäßigen Priester trafen, ich nannte das „Priesterkonferenz“, um ihnen den Geist des Werkes zu vermitteln, damit sie meine Söhne und Mitarbeiter werden könnten; als 1932 oder 1933 einige dieser Herren Priester  freiwillig, spontan und ganz von selbst in unserem Haus in der Luchana-Straße das Versprechen des Gehorsams abgaben, konnte ich mir nicht vorstellen, dass sie,  mit völlig reiner Absicht, das Werk missverstehen könnten.

Nr. 1595, 13/4/1939. Letzte Nacht hatte ich einen Anfall, einen Katarrh, und ich schlief wenig: Deshalb bat ich den Herrn viele Male um meine großen Sünden um Verzeihung, ich sagte ihm, dass ich ihn liebe, küsste das Kreuz und sage ihm Dank für seine väterliche Vorsehung in diesen Tagen. Ich war überrascht, wie in diesen Jahren, ohne dass ich das vorher bemerkt hätte - „Dei perfecta sunt opera”. Zugleich überkam mich vollkommene Sicherheit, ohne irgendeine Art von Zweifel, dass dies die Antwort  Gott an sein sündiges Geschöpf war, das Ihn liebt. Ich erwarte mir alles von Ihm. Gepriesen sei Er!

Nr. 1609, 5/2/1940. Die Unlust, die ich fühle, kann ich mir nur damit erklären, dass ich die Reglamentos zusammenschreiben und dann dem Ordinariat aushändigen muss, als äußeren Beweis für die Göttlichkeit des Werks: Wenn es ein menschliches Unternehmen wäre, hätte ich mich mit Feuereifer in die Arbeit gestürzt – jetzt ist das alles leicht – um die offizielle Approbation zu erhalten. Da alle von  Gott kommt und Er will, dass dies bis zum Ende vorangeht, gibt es genügend Gründe sich an die Arbeit zu machen. Das Werk begann  1928, am Festtag der heiligen Schutzengel, und es ist für die Ewigkeit. Solange es Menschen gibt, wird es das  Werk geben!

Nr. 1699. Um abzuschließen:  Ich glaube, dass auch wenn Gott es zulässt, dass ich in dieser Unternehmung allein bleibe, auch wenn ich arm und ehrlos bleibe – mehr als ich jetzt bin – und krank – ich werde nicht an der Göttlichkeit des Werkes zweifeln noch daran, dass es sich verwirklicht!

Erschütternd erscheinen mir die beiden folgenden Catalinas. In seiner Gier nach Vorzeichen versteigt sich Escrivá dazu von Gott ein Zeichen zu fordern, das beweisen soll, dass das Werk Seines ist, und dass es nicht sofort zerstört wurde, bestätigte ihn in seiner Vorstellung. Dass gar nichts geschehen ist, belegt füpr ihn, dass sein Werk von Gott kommt. Man beachte auch die Unterschiede in der Beschreibung desselben Ereignisses im Abstand zweier Tage, und wie er einen lächerlichen Vorwand nützt, um in seinen Nachfolgern die Zuversicht bzw. den theologischen Glauben zu bestärken: Dieses Werk ist wirklich das  Werk Gottes!

Nr. 1729, 24/6/1933. Am Donnerstag [es war der 22.], dem Vorabend des Fest vom Heiligsten Herzen Jesu, fühlte ich zum ersten und einzigen Mal, seit ich den Willen Gottes kenne, die grausame Prüfung, die mir P. Postius ankündigte: Allein, auf einer Tribüne dieser Kirche von der Beständigen Hilfe,, machte ich Gebet vor dem ausgesetzten Jesus im Sakrament, als mir plötzlich und ohne konkreten Grund – es gibt keinen dieser sehr bittere Gedanke kam: „Und wenn das alles eine Lüge ist, deine Einbildung, du die Zeit vergeudest und – was viel schlimmer ist – so viele ins Verderben führst?“ Es war eine Sache von Sekunden, aber ich litt sehr! Dann sprach ich zu Jesus und sagte ihm:  „Herr (wörtlich), wenn das Werk nicht von Dir ist, zerstöre es, jetzt, sofort, so, dass ich es weiß“. Sofort fühlte ich mich bestärkt in der Wahrheit Seines Willes im Hinblick auf Sein  Werk, und ich sah mit Klarheit einen Punkt in seiner Organisation, den ich bis jetzt nicht hatte lösen können.

 Nr. 1730, 25/6/1933. Gestern, am 24., schrieb ich das Voranstehende. Heute habe ich eine Notiz gefunden, die ich auf derselben Kirchentribüne geschrieben habe ut sit! Sofort fühlte ich mich bestärkte in der Wahrheit Seines Willens für Sein Werk.

 […] denn ich möchte, dass die Ersten Bescheid wissen über die göttlichen Kleinigkeiten, die das Entstehen dieses neuen Heeres Christi begleitet haben. Mit diesem Wissen und dass sie meine Armseligkeiten kennen, können sie nichts anderes als das Werk zu lieben und auszurufen: Wagrlich, dieses Werk ist das Werk Gottes !

Nr. 1873, 22/11/1948. Er [P. Sánchez] war sehr zufrieden mit den Berichten über die Ausdehnung des Werkes, die ich ihm gab. Ich spannte ihn ein wenig auf die Folter und sagte ihm: „Ich leide wirklich, Pater, wenn ich sehe, wie ich so viele gute Menschen… Ich habe mir einmal gedacht, dass ich mich täusche … dass das nicht von Gott ist… und würde ich nicht die Seelen betrügen?“ Er protestierte sofort heftig: „Nein, nein, es ist von Gott, alles ist von Gott”.

Jaume García Moles

(wird fortgesetzt)

1Pedro Rodríguez, El doctorado de San Josemaría en la Universidad de Madrid, SetD 2 (2008) 13-103.

2 S. 38-39

3 S. 45.

4 S. 45-46.

5 Abgesehen davon, dass er aus Perdiguera davongelaufen ist, hätte ihn der Erzbischof Doménech von seinem Eid entbinden können, unter Berücksichtigung der Tatsache, dass dieser Eid nur von jenen Verlangt wurde, die sich für den Dienst in der Diözese weihen ließen.

6 S. 61.

7 Rodríguez, S. 88, Anm. 257 über den Betraf. Über die Herkunft vgl. Badrinas, Josemaría Escrivá de Balaguer. Sacerdote de la diócesis de Madrid, AHIg 8 (1999) S. 58, Anm. 40.

8 Vgl. Vázquez, S. 166. In Catalina Nr. 1090 macht er ihn für seine Faulheit verantwortlich, nicht rechtzeitig in Saragossa das Studium abgeschlossen zu haben.