Gervasio: Vater einer armen und kinderreichen Familie

12/06/2015

In Nr. 94 § 2 der Statuten des Opus Dei lesen wir: Indem sie ihre gewöhnliche berufliche Arbeit mit der Gesinnung und dem Herzen des Vaters einer armen, aber kinderreichen Familie verrichten, haben alle Gläubigen der Prälatur die Pflicht, für ihre eigenen wirtschaftlichen Bedürfnisse und die ihrer Familie vorzusorgen, und soweit es ihnen möglich ist, auch das Apostolat der Prälatur zu unterstützen, indem sie dem geistlichen und materiellen Bedürfnis vieler Menschen Abhilfe schaffen. Dieses Wort vom Vater einer armen und kinderreichen Familie kommt euch gewiss bekannt vor, die ihr zum Opus Dei gehört habt und gehört. Dieses Kriterium begegnet in diversen Bildungsmitteln und in vielen Phrasen des Gründers...

 

Wir haben hier einen Vergleich, der als Verhaltensmaßregel angewandt wird. Die Anspielung an den Familienvater kommt vielleicht aus dem spanischen Gesetzbuch – das seinerseits vom Römischen recht inspiriert ist -, das, wie viele andere Gesetzbücher, angefangen mit dem Code Napoleon, verlange, der Bürger habe sich wie ein guter Familienvater zu verhalten, nämlich hinsichtlich der Sorgfalt – als Gegensatz zur Nachlässigkeit – in bestimmten Gegenständen eines Vertragsverhältnisses. Wer als zur Ablieferung einer Sache verpflichtet ist, ist auch verpflichtet, sie mit der nötigen Sorgfalt zu verwahren, die einem guten Familienvater eigen ist, sagt Art. 1094 des spanischen Código civil.  Das Kriterium der Sorgfalt eines guten Familienvater findet sich auch  Artikeln 1104, 1903 desselben Codex. Bei all diesen Vorschriften geht es wesentlich um die Sorgfalt, mit der etwas durchgeführt werden soll. Allerdings meint das Kriterium eines Vaters einer armen und kinderreichen Familie, wie es im Opus Dei angewendet wird, nicht die Sorgfalt oder Nachlässigkeit bei der Verwaltung von Gegenständen. Der zitierte Text bezieht sich auf etwas anderes.  

Das erste, was in den Statuten des Opus Dei die Aufmerksamkeit auf sich zieht, ist die „Drapierung” – um es irgendwie zu nennen – mit der das Kriterium des paterfamilias verhüllt wird. Man spricht von der „Gesinnung und dem Herzen“ - cum mente et animo  heißt es wörtlich in 94 § 2 – eines Familienvaters. Das mit der „Gesinnung und dem Herzen“ ist mehr als überflüssig. Man könnte also ganz einfach sagen: Gesinnung, Herze und Geist; und wenn man noch mehr Garnierung will, geht auch: Gesinnung, Herz, Geist und Verstand, wie sie einem Familienvater eigen sind. Um eine überflüssige Garnierung hinzuzufügen. Aber es ist eben nur Garnierung. Wenn man etwas dazusagen sollte, dann wäre es, die Sorgfalt eines guten Familienvater s zu erwähnen. Man spricht auch nicht von der „sorgfältigen Verwahrung“ mit der Gesinnng, dem Herzen, der Überzeugung dem Engagement und der Verhaltensweise eines guten Familienvaters. Sich wie ein Familienvater zu verhalten schließt ein, seine Mentalität, seine Werteskala, seine Gesinnung etc. zu haben.

Die Garnierung trägt dazu bei einen Fehler von größter Tragweite zu kaschieren. Das Kriterium des Familienvaters bezieht sich nicht auf die erforderliche „Sorgfalt“. Sie bezieht sich auf die berufliche Arbeit. Das ist das Merkwürdige. Es ist die „berufliche Arbeit“  - so lesen wir es in den Statuten – die mit der Mentalität uns Gesinnung des Vaters einer armen und kinderreichen Familie durchgeführt werden soll. Und das bleibt unverständlich. Lassen wir einmal das Faktum beiseite, dass man die Numerarier und Assoziierte einlädt, Väter einer Familie zu sein, sei sie zahlreich oder nicht. Man lädt sie auch nicht ein, mehrere Beschäftigungsverhältnisse einzugehen – obwohl das viele so machen müssen, die arm sind und für eine Familie zu sorgen haben – sie sind vielmehr eingeladen, einen  guten Job mit einem guten Gehalt zu haben, damit sie möglichst viel Zeit mit der Familie verbringen können. Das Opus Dei sucht seiner Anhänger unter potenten Persönlichkeiten.

Man versteht nicht – zu mindestens ich verstehe es nicht - warum ein Banker oder ein Millionär im Opus Dei so willkommen sind, müssen sie doch ihre berufliche Arbeit mit der Gesinnung und dem Herzen des Vaters einer armen und kinderreichen Familie machen. Weder er noch seine Familie können arm sein oder dafür gehalten werden.. Soweit ich es verstehe, muss sich ein Banker, sei er ein „Millionär oder nicht, wie ein „guter Banker“ betragen; ein Börsenmakler wie ein guter Börsenmakler;; der Vater einer armen und kinderreichen Familie wie ein guter Vater einer armen und kinderreichen Familie, denn es gibt auch schlechte, etc. Ich verstehe es einfach nicht, welchen Grund es dafür geben sollte, dass jemand etwas vorgaukelt, was er nicht ist. Im Opus Dei ist alles so: ein wenig verschnörkelt. Man verlangt von den Laien, dass sie sich wie gute, wie beispielhafte Ordensleute verhalten. Wenn sich jemand genötigt sieht, der Tugend des Gehorsams zu folgen, dann muss er sich dagen lassen, dass er das nur tut, weil es ihm Spaß macht. So ist es bei allem oder fast allem.

Soweit ich es verstehe, sprechen die Statuten beim Ausdruck Familienvater in der rhetorischen Figur einer Syllepse. Ich gebe einige Beispiels für Syllepsen: Sie wurde rot wie ein Apfel statt rot wie Mohn oder rot wie eine Tomate. In irgendeiner Seifenoper gibt es eine Person, die ständig Syllepsen produziert. Es ist so wie wenn  man sagt: Einem geschenkten Gaul schaut man nicht unter die Flügel; oder man zählt die Werke der Barmherzigkeit auf: dem Nackten zu essen geben, den Hungrigen bekleiden , und anderes von der Sorte. Es ist nicht verwunderlich, dass die Leute vom Opus Dei wollen, dass ihre Statuten möglichst wenig bekannt sind. Sie  sagen das Falsche und haben ihren Spaß.

Die Gesetzesbücher setzen das Verhalten eines „guten“ paterfamilias voraus; „gut“ ist aber keine Garnierung. Sei ein Familienvater arm oder nicht, habe er eine zahlreiche Familie oder nicht – er kann gut oder schlecht sein. Soweit ich die Sache verstehe, geht es darum , sich wie ein guter Familienvater zu verhalten. Die „Mentalität und Gesinnung“ sind redundant.

Aber hier endet die Syllepsis nicht. Im Opus Dei haben sie von mir verlangt – das ist meine Erfahrung – mich nicht wie der Vater, sondern wie der Sohn  einer armen und kinderreichen Familie zu verhalten. Daraus leitet sich ab, dass man so wenig wie möglich verbrauchen soll, um die persönlichen Bedürfnisse zu befriedigen, und alles herzugeben, was ich durch meine Arbeit oder sonstwie erworben habe. Das ist übrigens typisch für eine Sekte, nebenbei bemerkt. . Und ich verhalte mich nicht wie der Vater einer armen und kinderreichen Familie. Ein guter Familienvater gibt das, was er verdient, weder dem Opus Dei noch einer anderen Institution, wie verdient sie auch immer sein oder scheinen mögen.

Wenn man einmal alles hingegeben hat, wirklich alles, könnte die Fiktion aufkommen, dass die Institution in ihrer Gutmütigkeit – nicht aus Verpflichtung – geruht, sich um die persönlichen Notwendigkeiten ihrer Mitglieder zu kümmern, während es doch in Wirklichkeit die Numerarier, die Assoziierten, die Supernumerarier und die Mitarbeiter – die organischen und die anorganischen – sind, die die Institution freiwillig durch ihre Beiträge unterstützen. Ich habe nur eines herausgefunden, dass er bekommen kann, was dem Sohn einer kinderreichen und armen Familie entspricht, also sehr wenig, nicht einen Groschen mehr, denn das Werk ist immer arm und wird es immer sein. So hat es niemand Geringerer als ein heiliger Gründer verfügt, der voller himmlischer Erleuchtungen steckt.. Kurz, wer im Opus Dei die Aufgabe des Vaters einer armen und kinderreichen Familie übernimmt, ist die Institution – nicht der Einzelne.

Die Kinder müssen reich sein, möglichst viel Geld nach Hause bringen und es dem Vater aushändigen. Wir Kinder müssen zugunsten des Opus Dei auf alles verzichten, nicht nur, was möglich ist – wie man in den Statuten liest -, nachdem wir „eigenen wirtschaftlichen Bedürfnisse“ befriedigt haben - , denn es war das Opus Dei, das sich um unsere Notwendigkeiten zu kümmern hatte, wenn es das auch noch sehr dürftig hinbekommen hat Das Opus Dei bezeichnet sich selbst als arm – für seine Kinder hatte es immer nur ein Minimum übrig.

Eigentlich hätte mir die Institution jeden Monat Ausgabezettel abliefern müssen, als Rechtfertigung, was sie mit meinem Geld gemacht haben. In der Folge haben sie erreicht, dass ich mich irgendwie als Familienvater gefühlt habe. Sie haben mir aber das Gefühl gegeben ein kleines Kind zu sein. Ein Kind muss den Papa immer um Geld bitten, sogar wenn es Kleidung kaufen, das kleine Laster des Rauchens pflegen will oder einen Schirm braucht. Wer keine Rechenschaft darüber ablegt, was er mit dem bekommenen Geld macht, ist das Opus Dei. So läuft das hier.

Ein Familienvater – vor allem wenn er arm ist – weiß sehr gut, wofür das Geld ausgegeben wird. Ich habe nie gewusst, was sie in meinem Haus für das Essen zahlen, für das Telefon und für die Elektrizität, für die Hausangestellten und wie hoch die Miete für die Wohnung war. Ich habe mich überhaupt nicht wie ein Familienvater verhalten. Auch wenn ich arbeiten gegangen bin, habe ich mich wie ein minderjähriger Sohn verhalten, die noch nicht arbeiten gehen müssen. Von einem Familienvater kann da nicht die Rede sein. Am Ende bin ich draufgekommen, dass sie das Geld, das ich uns andere unvorsichtigerweise hergegeben haben, nicht gut angelegt haben. Die Pflicht dem geistlichen und materiellen Bedürfnis vieler Menschen Abhilfe schaffen, von der der  94 § 2 spricht,  schien und scheint mir nicht befriedigend. Neulich erzählte mir ein Numerarier, wie die Dinge jetzt so laufen, zumindest in seinem Fall, der insofern repräsentativ ist, als es sich um keinen Einzelfall handelt.  Er hatte zu seinem großen Schmerz erfahren, dass ein anderer Numerarier, mit dem er beständig Umgang hatte, eingeladen oder genötigt worden war, das Opus Dei zu verlassen, nachdem er viele Jahre dieser Institution gedient hatte, da er eine Belastung bedeutete, sowohl wegen seiner geringen Beiträge als auch wegen seiner persönlichen Situation. Er nahm es zur Kenntnis. Von diesem Moment entschloss er sich, von seinen monatlichen Beiträgen an das Opus Dei eine bestimmte Summe zurückzubehalten, für den Tag X. Das scheint mir eine elementare Maßnahme der Klugheit. Das ist das persönliches Verantwortungsgefühl, das einen guten Familienvater auszeichnet – dass er nämlich für seinen persönlichen Unterhalt im Fall von Alter, Krankheit etc. vorsorgt. Dieselben Statuten  verfügen in Nr. 24 §1: Alle Gläubigen der Prälatur müssen die notwendigen Versicherungen abschließen oder Vorsorgemaßnahmen treffen, die die zivilen Gesetze für den Fall der Invalidität, Arbeitsunfähigkeit, Krankheit, Alter etc. vorsehen.

In eben diesen Statuten fügen sie im folgenden Paragraph hinzu: Sooft es nach Prüfung der Umstände erforderlich ist, verpflichtet sich die Prälatur den Numerariern und Assoziierten in materiellen Notlagen beizustehen. In dem oben erwähnten Fall scheint es die „Prüfung der Umstände“ nahegelegt zu haben, den betreffenden Numerarier loszuwerden. Ich möchte mich jetzt nicht in die Frage vertiefen, ob die Autoritäten der Prälatur die Standesgnade haben, diese Art von Entscheidungen zu treffen, aber zweifellos hat der betroffene  Numerarier oder Assoziierte – die sich alle in ihrem eigenen Stand heiligen – über ihre Zukunft im Fall von Krankheit, Alter etc. Vorsorgeentscheidungen zu treffen, unabhängig von der Prälatur, denn es ist erweisen, dass die Prälatur mitunter versagt. Im selben Katechismus des Werkes – die staatlichen Gesetze sagen im Hinblick auf die Alimente jedenfalls etwas anderes – liest man, dass das Werk keinerlei Verpflichtung in diesem Sinn hat. Einer der grundlegenden Teile der Tugend der Klugheit, so haben sie es mich im Studienzentrum gelehrt, ist die Voraussicht, jene Tugend, die in die Zukunft blickt, mag sie auch noch so ferne sein, und vorsorgt. Der Gründer hat gesagt, dass er keine Gelübde, sondern Tugenden will. Also lassen wir die Tugend der Armut beiseite und schlagen die Vorsorge dorthin, wo sie hingehört: zur Tugend der Klugheit.

Ich spreche nicht über einen Numerarier, der sich entscheiden hat zu sparen, nachdem er Ruiz Reteguis Text über den Primat des Persönlichen über das Institutionelle, oder über andere anstrakte Überlegungen. Ich spreche von einem Menschen mit Hausverstand – der die Tugend der Klugheit lebt. Wenn man die Tugend der Klugheit knallhart lebt, wird man sein Geld eben nicht dem Opus Dei geben, das es einsteckt, und dann ist es für immer weg.

Der Numerarier, von dem die Rede war, kam vom Regen in die Traufe. Dieser Numerarier hatte also der Delegation früher, als es notwendig war, mitgeteilt, dass er etwas beiseite legen musste, weil er sich beruflich verändern wollte. Er war kein Beamter, sondern Freiberufler. Ich habe der Delegation folgende Alternativen vorgeschlagen: entweder sparen, ohne das Ersparte dem Werk abzugeben, indem man es bei einer Bank deponiert, oder alles beim Werk („unserer Schönen Mutter“) abzugeben, die zu seiner Zeit das notwendige Geld bereitstellen wird. Die Delegation fand die zweite Möglichkeit passender. Aber wenn die Stunde der Wahrheit gekommen ist, verweigern sie ihm das Geld. So sind sie. Abgesehen davon, dass sie betrügen, halten sie sich anscheinend auch für berechtigt, über das Anlegerverhalte n ihrer Mitglieder zu bestimmen.

Wie schon vorher gesagt habe, die Delegation, die mit übernatürlichem Sinn und mit Standesgnade handeln muss, trifft manchmal, soweit ich das einschätze, trotz allem Entscheidungen, die wenig tugendhaft, oder, anders gesagt, wenig heilig und mit der Gerechtigkeit unvereinbar sind. Ich erkläre mich etwas deutlicher. Jeder einzelne von denen, die in der Delegation Entscheidungen treffen, sind für sich genommen tugendhaft  - so nehme ich das wenigstens an – und sie erfüllen die Gebetsnormen des Lebensplanes gut, sodass ihnen, nach den Worten des Gründers, das Tor zum Himmel weit offen steht, aber ihre kollektiven Entscheidungen können  unpassend und sogar ungerecht sein, vor allem wenn es um Dinge geht, die sie nicht unmittelbar betreffen. Das Problem ist, dass juristische Personen nicht in die Hölle kommen, auch wenn sie wenig tugendhafte und wenig angemessene Entscheidungen treffen. Juridische Personen haben keinen Körper, der  die Flammen der Hölle aushalten müsste, Man kann sie auch nicht ins Gefängnis sperren. Sie haben einen sehr subtilen Körper.

Bei einem Numerarier oder Assoziierten kann es also letztlich lediglich darum gehen zu verlangen, dass das in der Praxis umgesetzt wird, was die Statuten vorschreiben:  […] haben alle Gläubigen der Prälatur die Pflicht, für ihre eigenen wirtschaftlichen Bedürfnisse und die ihrer Familie vorzusorgen, und soweit es ihnen möglich ist, auch das Apostolat der Prälatur zu unterstützen.. Die Statuten des Opus Dei wären eine gute Sache, würden sie eingehalten. Sie drücken lediglich die Hoffnung aus, dass sie irgendjemand irgendwann einhält. Mut! Das sind nicht nur hohle Worte für die Galerie. Dafür ist das a. o. p. zuständig (apostolado de la opinión pública, das Apostolat der öffentlichen Meinung, das Reichspropagandaministerium), das sich dadurch auskennzeichnet, dass sie die Lebenswirklichkeit im Opus Dei nicht darstellt, sondern idealisiert.

Als Ersatz für das, was 24 § verfügt, zeigt der nachstehende § 2 eine Anwendung mit subsidiärem Charakter: Sooft es nach Prüfung der Umstände erforderlich ist, verpflichtet sich die Prälatur den Numerariern und Assoziierten in materiellen Notlagen beizustehen.. Vertraut besser nicht darauf, denn das Werk hält sich bei seinen Kindern nicht daran und noch weniger bei seinen Ex-Kindern.

Gervasio