Jaray Sedal: Geschriebene und ungeschriebene Gesetze
22. Mai 2015
Ich hege eine große Bewunderung für die Schriften von E.B.E. Ich widerspreche ihm allerdings respektvoll, was das zentrale Anliegen seiner jüngsten Schrift „Traumatischer Übergang vom Säkularinstitut zur Personalprälatur“ betrifft. Er selbst gibt zu, dass das Trauma von den Mitgliedern kommt, da sie Bedingungen erfüllen wollen, die mit der Anerkennung des Werks als Personalprälatur zusammenhängen. Wenn so etwas nicht vorkommt, sind keine schlimmen Konsequenzen zu erwarten. Er erklärt nicht, wem gegenüber oder vor welcher Instanz dies zu rechtfertigen sein sollte...
Mein Zugang ist ein anderer; man kann endlos über den Status des Opus im Kirchenrecht diskutieren, über seine Anerkennung als Personalprälatur, über die Folgerungen, die sich daraus für seine Mitglieder ergeben, als was man die Gläubigen ansehen soll und viele andere Dinge, die damit zusammenhängen. All das hat seine Grundlage in der Apostolischen Konstitution Ut Sit, in den Statuten der Prälatur oder, in geringerem Man, im Katechismus des Werkes, was wir mit einer Metapher das Geschriebene Gesetz, die Magna Charta, die Verfassung des Opus Dei oder sonstwie nennen wollen. Die Superlative werden uns nicht ausgehen, denn nicht einmal die Statuten von 1982 ersparen sie uns, wenn sie sich in Nr. 181 als „Codex“ bezeichnen“, wo er seine Rechtsvorschriften auch als „heilig“, „unverletzlich“ und „immerwährend“ bezeichnet: „Dieser Codex ist die Grundlage der Prälatur Opus Dei. Deshalb muss man seine Vorschriften als heilig, unverletzlich und unaufhebbar ansehen, und einzig den Heiligen Stuhl steht es zu, sie zu ändern oder neue Vorschriften hinzuzufügen”.
Dennoch können uns einige dieser Diskussionen sogar belanglos erschienen, den das Wesentliche am Werk sind nicht seine geschriebenen Konstitutionen, sondern das, was wir seine innere Verfassung nennen könnten, seine „Praxis”, die nur diejenigen kennen, die drinnen waren oder noch drinnen sind. Man kann sagen, dass die Gewohnheiten stärker sind als die geschriebenen Gesetze, dass sie sich auch explizit gegen Vorschriften („contra legem”) behaupten. Derselbe E:B.E. hat in einer seiner Schriften dokumentiert, wie einige der bekanntesten Praktiken des Werks, die Verpflichtungen seiner Mitglieder, keinerlei Rückhalt in den Konstitutionen haben oder ihnen sogar offen zuwiderlaufen.
Ein großer Teil dieser Gewohnheiten, die das Leben der Mitglieder bis ins kleinste Detail regeln, sind in den internen Vorschriften der Institution zusammengefasst.
Die Mitglieder des Werkes leben nur aus dem einen Grund nicht in einer beständigen Bewusstseinsspaltung, weil die Statuten nicht die Grundlage der internen Handlungsanweisungen sind, die sich durch den Priester und den Geistlichen Leiter vermittelt bekommen, sie wissen nicht einmal, was drin steht. Sie wissen in jedem Moment, was sie zu tun haben, weil man es ihnen sagt.
Wenn man der Änderung des juristischen Standpunktes einen solchen Wert beimisst, unterschlägt man eine elementare Wirklichkeit: Während sich nach außen hin alles Mögliche geändert hat, ist in der Praxis des Werkes alles gleich geblieben, die Mitglieder sind einer bestimmten Lebensweise unterworfen, die tägliche Praxis ist ihrer Substanz nach gleich geblieben. Ein einfaches Beispiel ist die Anwerbung von Minderjährigen. Niemand kann sagen, dass sich das geschriebene Recht nicht gegenüber den früheren Statuten geändert hätte, aber unter dem fragwürdigen Begriff „Aspiranten“ verbirgt man, dass man genauso schändlich handelt wie immer.
In dem, was wir metaphorisch das „System der Rechtsquellen“ im Opus Dei nennen könnten, ist die Kelsen-Pyramide irrelevant. Mehr noch, man könnte sagen, dass sich die Hierarchie umkehrt und die niedrigeren Regeln die höher gestuften overrulen. Im Konfliktfall zwischen Regeln derselben Ebene ist die vorzuziehen, die schlimmere Folgen für ein Mitglied des Werks hat, also „heiliger“ ist.
Trotz alldem scheint es, dass sich das Opus im Lauf seiner Geschichte heftig bemüht hat, die Rechtsfigur zu finden, die seiner wahren Natur entspricht, und war das einst das Säkularinstitut, so scheint es jetzt endgültig die Personalprälatur zu sein, die so persönlich ist, dass man sie schon wieder „Prälatur nullius“ nennen kann. Ich denke, dass diese Sorge keinen anderen Grund als den Wunsch des Gründers hatte, sich von dem abzuheben, was es bereits gab, weil es nicht zur Größe und Originalität seiner Schöpfung beitrug, weil es etwas Einzigartiges und Unabhängiges schaffen wollte.
In diesem Zusammenhang beschäftigte sich E.B.E. mi der Natur des „juridischen Bandes“ zwischen den Mitgliedern des Opus und der Prälatur nach der Umwandlung der Institution. Wie ich bereits einmal geschrieben habe („Vínculo moral, no jurídico” Ein moralisches, kein juridisches Band, 17. April), kann man bei der Beziehung zwischen den Mitgliedern des Werkes und ihm selbst nicht von einem juridischen Band sprechen. Das ist ein juristischer Terminus technicus, der aus dem römischen Recht stammt und der die Verpflichtungen betrifft. Die Römer definierten die Verpflichtungen wie „Obligatio est iuris vinculum, quo necessitate adstringimur alicuius solvendae rei secundum nostrae civitatis iura” (die Verpflichtung ist ein Rechtsband, durch das wir gedrängt werden für etwas gemäß den Rechten unseres Gemeinwesens zu bezahlen). Oder die Verpflichtung ist das juristische Band, durch das wir uns verpflichten, jemandem etwas zu geben, etwas zu machen oder zu leihen. Es gibt kein juristisches Band, keine Verpflichtung, ohne dass seine Erfüllung eingefordert würde; das ist die notwendige Bedingung, damit es eine Verpflichtung sein kann, ein „juridisches Band“. Nicht einklagbare Verpflichtungen nennt das römische Recht „natürliche Verpflichtungen“. Zwischen den Mitgliedern des Opus Dei und ihm selbst gibt es kein legalen Mittel, die Erfüllung der angeblichen Verpflichtungen, die von der Zugehörigkeit zu dieser Institution abgeleitet wären. Als Beispiel nenne ich die Hauptsache: in ihm zu bleiben.
Sei es bei einer Personalprälatur oder bei einem Säkularinstitut, es gibt nirgends ein „juridisches Band“, um diese Beziehung anzusprechen.
Nicht einmal der Codex des Kanonischen Rechts verwendet den Ausdruck „juridisches Band“, wie ich in einem späteren Beitrag gezeigt habe („Ein moralisches, kein juridisches Band“; 20. April 2015). Es bezieht sich aber auf ein „heiliges Band“, denn es sind keine Beziehungen unter Menschen, sondern vor Gott, aber sie sind vor gewöhnlichen Gerichtshöfen nicht einklagbar.
Warum bezieht sich das Werk auf in „juridisches Band“? Zunächst einmal, um sich von den „heiligen Bindungen“ der Kleriker zu unterscheiden.
Ich will mich nicht mit fremden Federn schmücken; auf www.opuslibros.org fand ich unter dem Darum 18. März 2005 einen Artikel von Tolorines („Das juridische Iter des Werks?”), in dem er gleichfalls versichert, dass es lediglich eine natürliche Verpflichtung gäbe: „Daraus ergibt sich, dass die entstehende Beziehung juridisch ist (weil es kaum eine menschliche Beziehung gibt, die das nicht ist, sogar einige Sakramente sind juristisch verfasst, wie zum Beispiel Ehe, Priesterweihe und Firmung), wenn sie auch keinen Vertragscharakter hat, zumindest nicht im Zivilrecht. Wenn wir uns also unsere juristischen Handbücher wieder in Erinnerung rufen, kommen wir zum Schluss, dass wir eine NATÜRLICHE VERPFLICHTUNG haben, das heißt, dass sie nicht einklagbar ist: Jemandem einen Euro in die Hand zu drücken, der ihn braucht, die Zeit zu sagen, einem Fremden den Weg zu weisen…
Im Fall des Werkes kann man von moralischen Verpflichtungen sprechen, von religiösen Verpflichtungen, von Gewissensverpflichtungen, aber niemals von juridischen Verpflichtungen.