Elcanario: Das Siezen

20. Juli 2015

Kurz nachdem  du dem Opus Dei beigetreten bist, merkst du, dass es eine ganze Nomenklatur gibt, wie man mit Menschen umzugehen hat, die ein Amt bekleiden. Ich dachte zuerst, ich wäre ich zu einer Familie gekommen, wie ich sie von meinen Eltern her kannte, aber das war ganz falsch. In unserem 21. Jahrhundert ist es undenkbar, dass ein Kind seine Eltern und den Rest der Familie so behandelt, wie man das im Werk gewohnt ist. Es ist schockierend. Es hat mich viel Zeit gekostet, seit ich kein Assoziierter mehr bin, dass ich mir klar darüber wurde, dass solche Dinge nicht einmal in den erzkonservativen Familien üblich sind, wohl aber im Opus Dei, das man aber nicht gut als eine Familie betrachten kann.

Wenn es Ausdrücke gibt, die man oft im Werk hört, so sind das „Herr“ („Don“) und das Sie. Jeder Leiter des Opus Dei muss von den Gläubigen der Prälatur mit „Don“ und „Sie“ angesprochen werden. Das betrifft aber nicht nur die ganz frisch gefangenen Berufungen, sondern auch die Altgedienten, wenn man auch in den Zentren der Älteren ein Auge zudrückt. Wenn einer zum Generalrat gehört, zur Kommission (nach außen hin heißt das „Regionalvikariat“) oder zu deiner Delegation, muss er mit „Sie“ und „Don“ angesprochen werden. Aber klar doch. Natürlich müssen auch alle Priester mit „Sie“ und einem „Don“ vor dem Namen angesprochen werden. Und dasselbe gilt für die Altgedienten der Prälatur. Mein Vater wurde 1911 geboren. Er hat aber  nie verlangt dass ich ihn sieze, auch wenn er sehr konservativ war. Bei meiner Mutter war es ebenso, sie wurde 1914 geboren. Es wäre schrecklich gewesen, hätten wir einander mit „Sie“ und „Herr“ angesprochen. Ich duzte sie, und das hat ihrer Autorität bei mir keinen Eintrag getan. Natürlich rechnet die offizielle Lehre der Prälatur das Siezen zur Ehrerbietung und zur Autorität. Ich habe nur eine Großmutter von mir gekannt, aber ich habe sie weder mit „Sie“ noch mit „Herr“ angesprochen.

Ist das Opus Dei wirklich eine Familie? Ich habe da meine starken Zweifel. Auf jeden Fall ist es eine Sekte mit einer Machtstruktur. Das war sie, seitdem diese Familie mit übernatürlichem  Beigeschmack gegründet wurde. Auf jeden Fall muss man von einer Prälatur sprechen, nicht von einer Familie. Was würde aus einem älteren Bruder, dessen jüngere Brüder ihn mit einem „Sie“ und einem „Herr“ vor dem Namen anreden müssen? Dass das Opus Dei an diesem System festhält, ist ein Verrat an der Familie, die sie zu sein vorgeben. Damit jemand Autorität hat, ist ein solcher Umgang nicht nötig. Die Autorität funktioniert anders. Sie ist herzlich, sucht die Nähe.

Einige Male spürte ich unmittelbar die Distanz zu einem Leiter des Werkes, der in Rom arbeitete. Ich hatte sogar Angst vor seinem eisigen Gesichtsausdruck, als er sich in einer Tertulia an mich wandte. In einer normalen Familie kann es vorkommen, dass der Vater wortkarg ist und die Mutter gesprächig, aber niemals so eiskalt wie jener Mensch aus dem Generalrat, der auf einem Jahreskurs im Colegio Mayor Ayete in San Sebastán zu uns sprach. Ich bin jetzt seit 17 Jahren nicht mehr vom Werk und denke noch immer mit Schaudern daran zurück. Einige im Werk wollen sofort mit Sie angesprochen werden, sobald sie zu Priestern geweiht sind. Das geschah mit einem meiner ersten Direktoren. Wie kompliziert! Er wollte, dass man ein „Don“ vor seinen Namen setzt und ihn siezt, damit er sich besser vorkommt. Bei anderen Priestern des Werkes hatte ich ähnliche Erlebnisse. Der einzige, der sie duzen darf und das „Don“ weglassen, ist der Direktor des Zentrums. Die anderen nicht. Das sind die Kasten im Opus Dei.

Den Fall der Auxiliarinnen möchte ich schlussendlich beiseitelassen. Ich habe mitbekommen, dass sie die Numerarierinnen mit „Fräulein Sowieso“ anreden müssen, also mit ihrem Namen. Es ist so ähnlich wie bei den Männern, nur dass man dort „Herr“ sagt. Nicht, als ob die Auxiliarinnen ihre Sklavinnen wären.

ELCANARIO