Gervasio: Opus Dei – idealisiert wie in einem Film
28/08/2015
Es ist verständlich, wenn eine Witwe ihren verstorbenen Mann idealisiert, oder eine Mutter oder ein Vater ihr Kind. Viele Menschen haben sogar freundliche Erinnerungen an ihre Militärzeit, obwohl sie nichts als weg wollten, während sie dort waren. Bis zu einem gewissen Punkt gehört das Idealisieren zu unserem Naturell, denn, so sagt T. S. Elliot (Burnt Norton, I), das Menschengeschlecht mag nicht zu viel Realität ertragen”…
Es gibt Menschen, die die Unsterblichkeit der Seele für eine reine Idealisierung halten. Ein Neffe von mir, der Arzt ist und sich der Tatsache bewusst ist, dass er an einem tödlichen Krebsleiden erkrankt ist, sagte über seinen Hund, einen blinden alten Setter: „Dieser Hund würde sich auch für unsterblich halten, wenn er Bewusstsein hätte“. Die Unsterblichkeit erschien ihm als whishful thinking. In einer Fernsehsendung sagte Severo Ochoa über die Glaubensbekenntnisse: „Wenn mit jemand versichert, seine Frau sei die schönste der Welt, die intelligenteste, die besonnenste, werde ich niemals das Gegenteil behaupten. Bei der Religion mache ich das genauso."
Ochoa bezog sich auf Idealisierungen, die in diesem Fall „unschuldig“ sind, sie tun niemandem weh. Dass man hingegen im Sati-Ritus auf dem Scheiterhaufen des Verstorbenen auch die Witwe verbrennt, ist keine harmlose Idealisierung und auch kein Ausdruck einer akzeptablen Religion. Man muss sich dagegen vorsehen und dagegen vorgehen. So etwas geschieht auch bei einigen Idealisierungen im Opus Dei.
Auf den Seiten dieser Homepage werden immer wieder Idealisierungen im Zusammenhang mit der Heiligkeit des Gründers des Opus Dei aufgezeigt, des göttlichen urspungs seiner Gründung, der Schriften und Kriterien, die er hinterlassen hat, etc. Ich habe mich selbst über die „Spuren im Schnee“ ausgelassen (vgl. La sobrenaturalidad del Opus Dei). In seinem neuen und großartigen Buch El ogro cariñoso („Der liebenswürdige Menschenfresser“) spricht Job Fernández von „Sakralisierung“, nicht von Idealisierung. Das sind sicherlich zwei unterschiedliche Dinge. Aber die ASakralisierung ist eine Folge der Idealisierung und umgekehrt; sie bedingen einander.
Ich will mich in diesem Beitrag nicht bei jenen Idealisierungen aufhalten, die den essentiellen Kern des Opus Dei ausmachen, wie die vorhin erwähnten über den göttlichen Ursprung oder die Hagiografien über den Gründer, sondern bei anderen, „geringfügigeren“ Idealisierungen, die nicht so weit gehen wie die „Sakralisierungen“, über die Job Fernández spricht. Ich würde sie Hollywood- Idealisierungen nennen. Der Herr bittet dich darum…
Meine Eltern besuchten mich bei zwei Gelegenheiten in dem „Numerarierheim“ in dem ich wohnte. Beim ersten Besuch hinterließen sie den Eindruck, sie hätten einen bescheidenen Hintergrund; beim zweiten Mal glaubten alle, ich käme aus der Oberschicht. Worauf gründeten sich diese so unterschiedlichen Urteile? Sie kamen mit ganz unterschiedlichen Autos; das war die ganze Geschichte. Darauf gründete dann das Urteil. In Filmen wird dieser Trick oft verwendet, im Opus Dei praktisch immer. Wichtig ist die Fassade, die Inszenierung.
Jüngst gab es im spanischen Fernsehen eine Serie, bei der man die Schauspielerin, die Elisabeth II. von England spielte, eine Krone tragen ließ. Sie eröffnete das Parlament und trug dabei die Krone. Wenn das Parlament eröffnet ist, setzt sie sich dann ein Jahr lang nicht mehr auf, vor allem auch deshalb, weil sie sehr viel wiegt, und das macht sie sehr unbequem. Die spanischen Könige habentrafen sie iemals und werden sie auch niemals trafen, nicht einmal in feierlichen Zeremonien, außer vielleicht bei der Krönung selbst. Aber in der Fernsehserie muss man dem Zuschauer dieses Zugeständnis machen, denn er will sich ganz sicher sein, dass er da eine Königin vor sich hat. So hat sie eine Krone auf. Man könnte das Urteil aber auch umgekehrt aufzäumen. Wenn Isabella die Katholische eine Krone trägt, weiß der Zuschauer bereits, dass diese Person schlecht dargestellt ist, dass es in Wirklichkeit nicht so gewesen ist und dass es sich um eine Idealisierung für den Film handelt. Wenn also die Leser lieber einen historischen Roman als eine gute historische Biografie lesen, dann deshalb, weil das, was wirklich geschehen ist, gar nicht so romantisch war.
Die geistliche Leitung im Opus Dei ist meiner Auffassung nach ebenfalls für einen Film inszeniert, weil sie nicht auf einer fundierten Kenntnis des Inneren der Person basiert, sondern auf äußeren Abzeichen. Daher darf man sich Beichtvater und geistlichen Leiter nicht selbst aussuchen, sie wechseln häufig, und im Opus Dei kennt tatsächlich niemand wirklich die Personen. Alle Mitglieder versucht man eben gleichzuschalten. Diesen Eindruck hatte ich vor allem, seitdem ich im Studienzentrum war. Was für Zeiten! Trotz der wilden Aufrichtigkeit kannte einen das Kleeblatt des Örtlichen Rates nicht wirklich. Zu dieser Zerstreutheit trägt natürlich auch die Besessenheit bei, dass die Bewohner des Zentrums, um nicht zu sagen die Seminaristen, ständig Berufungen kreieren sollen. Statt sich in die Kenntnis der Personen zu vertiefen, siebt man sie in einer „zweiten Selektion“ nochmals durch; das heißt, man bemisst die Mitglieder nochmals nach den Kriterien, nach denen man die Jungen von St. Raphael“ aufnimmt oder eben nicht. Mir scheint, ich habe einmal gehört, dass man das den zweiten oder dritten Proselytismus nannte, der sich an die richtet, die bereits innerhalb des Werkes sind.
Diese Zurschaustellung gibt es in vielen Dingen. Es beginnt schon damit, dass man „Numerarier“ oder „Numerarierin“ ist, oder auch Supernumerarier. Sie verpflichten einen, jemanden darzustellen, der man nicht ist. Schlimmer war es allerdings, dass man die Verpflichtungen und Anforderungen verheimlichen sollte, die das Leben eines Numerariers im gesellschaftliches Leben mit sich bringt. Zu dieser Verlogenheit passt, wenn das a. o. p. („apostolado de la opinión pública“, die Öffentlichkeitsarbeit des Opus Dei – in Spanien sind das, abgesehen von den Leitern, 50 hauptamtliche Funktionäre) ein typisches Mitglied zeigen möchte und dann einen Supernumerarier oder eine Supernumerarierin hervorholt, keinen Numerarier. Das wäre so, wie wenn der Predigerorden einen „typischen“ Dominikaner demonstrieren möchte und eine verheiratete Dominikanertertiarierin holt. Man sah ein offizielles Video des OD, in dem eine französische Supernumerarierin, als ein ausgewähltes Beispiel für ein Mitglied des Opus Dei, versicherte, dass sie noch nie einen Bußgürtel verwendet habe und auch niemanden kenne, de so etwas tue. Ich erinnere mich auch an das Verhalten von Kadetten der spanischen Marine, die Numerarier des OD waren. Die militärische Dienstvorschrift regelte ihr Leben so weit, dass sie bei jedem gesellschaftlichen Ereignis, bei dem getanzt wurde, Mädchen zum Tanz auffordern mussten. Ich rede von en sechziger oder siebziger Jahren. Die armen Numerarier-Kadetten mussten wahre Seiltänze vollführen, um sich „natürlich“ zu benehmen und nicht zu tanzen. Kurz gesagt, wir hatten die Verpflichtung, nicht wie Numerarier zu wirken. Du hast den Wunsch, Märtyrer zu sein, heißt es in Punkt 848 des „Weges“, —Ich will dir ein Martyrium in deiner Reichweite zeigen: Apostel sein du dich nicht Apostel nennen, Missionar mit Sendung sein, ohne so zu heißen, ein Mann Gottes sein und als Mensch in der Welt erscheinen: verborgen sein!“ Man darf nicht merken, dass du Numerarier bist. Was für eine Befreiung bedeutet es, mit dem Theaterspielen aufzuhören und das Opus Dei zu verlassen!
Vor den anderen Numerarier muss man ebenfalls Theater spielen, um ein gutes Ambiente zu schaffen. Ich erinnere mich an das Verhalten eines bereits älteren Numerariers, der auch interne Ämter bekleidete, während eines Jahreskurses. Er war so erbaulich. Wenn im Beisammensein ein Witz erzählt wurde, lachte er schallen, weil er ein Beispiel guter Laune geben musste. Wen sein Direktor beispielsweise eine Änderung des Stundenplans bekanntgab, überschlug er sich vor Begeisterung. Er übertrieb einfach. Die Leute vom Opus Dei neigen dazu, sich so zu verhalten, als würden sie für eine Filmaufnahme posieren. Wenn in einem Film ein Blinder vorkommt, muss man aug übertriebene Weise immer wieder darstellen, dass er nichts sieht. Er muss wiederholt mit den Armen Gegenstände betasten, über Sessel stolpern und ähnliches, all das oft und überdeutlich. Wenn jemand einen Homosexuellen darstellen soll, muss er häufig feminine Gesten, Gebärden und Worte gebrauchen. Ein Trinker hat immer ein Glas in der Hand. Im wirklichen Leben und sogar in einem Roman ist das nicht so. Wenn jemand homosexuelle oder blind ist, reicht es, dass der Erzähler diesen Umstand erwähnt.
Ich erinnere mich auch an die Kehrseite der Medaille: Den Leiter eines korporativen Werkes, der im Opus Dei ziemliches Ansehen genoss, hatte das Los getroffen, am nächsten Tag das offizielle Fest dieses korporativen Werks zu leiten, in Gegenwart der Eltern und der anderen Familienmitglieder, der Schüler, des Personals etc. All das war mit diversen frommen, kulturellen und angenehmen Events gewürzt.
—Morgen trifft es mich, rief er trostlos am Vortag aus. Morgen muss ich es tun.
Es erinnerte an das Gebet im Garten Gethsemane: Herr, lass diesen Kelch an mir vorübergehen, aber nicht mein Wille geschehe, sondern der deine. Es sagte das, weil wir im petit comité waren und er wusste, dass niemand Anstoß nehmen würde. Das petit comité bestand aus einer Gruppe von Leuten, die man in einem Einkehrhaus abgestellt hatte, um sich zu erholen. Er ging, um Kräfte für den kommenden Tag zu sammeln und erlaubte uns nicht einmal, einen flambierten Schnaps anzuzünden, den die Verwaltung liebevoll vorbereitet hatte. Und es belastete ihn, dass er den Schnaps wegschaffen ließ. Am nächsten Tag würden alle lächeln und gut gelaunt sein.
Sanjosemaría selbst liebte die Darstellung. Man konnte es sehen, wenn er erschöpft war. Anlass zur Sorge? Nein: Er war einfach etwas müde. Sah man ihn nicht besonders jovial und geistreich? Schlimm: Etwas wurmte ihn. Wenn er von einem Gespräch mit dem Papst zurückkehrte, versammelte er die Studenten des Collegium Romanum um sich und zeigte eine jugendliche Attitüde.
Dasselbe geschieht mit der Heiligkeit des heiligen Josemaría. Er ist ein heiiger fürs Kino, tip-top herausgeputzt. Seine Heiligkeit, seine Tugenden mussten grell ins Auge stechen. Wenn er sich geißelte, bespritzte er die Wände mit Blut. Er verheimlichte, dass er Bischof erden wollte. So eine Heiligkeit passt nicht zu dem, was man uns sagte, dass nämlich heilige gewöhnliche Menschen mit ihren Fehlern und Schwächen seien. Dasselbe geschieht mit der Institution Opus Dei, mit dem Werk. man muss es als Realität ansehen, die man gar nicht mehr besser machen kann. Man muss akzeptieren, dass es uns sein Gründer in aller Vollkommenheit hinterlassen habe.
Ganz wichtig sind Kleidung und Körpersprache. Alle, oder fast alle Männer haben eine der ersten brüderlichen Zurechtweisungen deshalb bekommen, weil wir im Kurzen Kreis die Beine übereinander schlugen; häufig sind auch Zurechtweisungen darüber, wie man sich kleidet: in der Kapelle, außerhalb der Kapelle, im Speisezimmer. Was die Kleidung in der Kapelle betrifft, so verboten sie mir zuerst die kurzen Ärmel; dann den Pullover mit langem Ärmel ohne Krawatte; man akzeptierte nur, so erklärte man es mir, einen Jersey mir hohem runden Kragen, der schon so designet war, dass man ihn ohne Krawatte trafen musste. Aber die Gnadenfrist für den Jersey dauerte nicht lange. Ich musste in Anzug und Krawatte kommen. Ich beschloss meine Tage im Opus Dei, indem ich am Morgen mit einem Anzug in die Kapelle kam, Hose und Sakko in der gleichen Farbe. Unterschiedliche Farben konnten als übertriebener Individualismus ausgelegt werden. Wie ich es vorausgeahnte hatte, brachte die nächste Zurechtweisung neue Forderungen mit sich – für Gott ist das alles wenig. Wie ich es vorausgesehen hatte, brachte die nächste Zurechtweisung neue Anforderungen – für Gott ist jeder Aufwand gering – und ich entschloss mich, ab sofort einen dunklen Anzug und eine dunkle Krawatte zu tragen. Und so verbrachte ich meine Tage im Opus Dei unter dem Schutz der brüderlichen Zurechtweisungen, die mich beständig lehrten, wie ich mich in der Kapelle zu kleiden hätte Ich hatte meinen Anzug für die Kapelle.
Heute ist mir klar geworden, dass im Opus Dei die Leute mit einem theatralischen Talent Karriere machen. Wenn jemand „ausruhen“ will oder eine Diät benötigt, muss er das mit Nachdruck einfordern. Es reicht nicht zu sagen: Ich brauche das und das. Der Gründer selbst hat es so gemacht. Er machte aus seinen Bedürfnissen ein Theater. Genau so werden die Geburtstage gefeiert. Es fegt um Aufwand und Effekt.
Tante Carmen, die Großmutter, der Übergang üpber die Pyrenäen. Sehr auffällig sind die Idealisierungen in „Crónica” und „Obras”. Ich verstehe ja, dass die dort präsentierten Geschichten positiv sein sollen und keine „Jammerlappen“, wie der Gründer sich auszudrücken beliebte; aber von hier zu einem sublimierten Bild der Wirklichkeit ist ein weiter Weg. Die Supernumerarier, die hier vorkommen, sind wie aus einem Film, wie in einer Geschichte für Kinder, die Wände sind aus Pastete, die Türen aus Schokolade, die Stiegen aus Marzipan. Es ist nicht nur, dass die internen Schriften immer nur erzählen, dass jemand gepfiffen hat und nicht, wer aller gegangen ist; die Abgänge werden nicht einmal im normalen Zusammenleben erwähnt. Wenn man davon spricht, dann nur abstrakt, sehr im Allgemeinen, im Rahmen einer „Betrachtung“ durch einen Priester, der über eine abscheuliche, haarsträubende Sache predigt.
— Wie geht es dir im Opus Dei?
— Göttlich! Göttlich. Ich führe ein Leben wie im Film. Alles hier ist göttlich. Wir langweilen uns niemals. Ich sag dir: wie im Film.
— Wie schön!
Gervasio