Heraldo: Sie haben uns das Leben gestohlen

6. April 2015

Liebe Isabel: Zu deiner Frage , ob das Gleichnis vom Gold und vom Fleisch in die gleiche Richtung geht wie die Worte von D. Florencio Sanchez Bella (con esos que no perseverarán se hace la labor – wir machen die Arbeit mit denen, die nicht bleiben), und ich sage dir ja, das geht beides in die gleiche Richtung. Freilich sagt das Gleichnis mit dem Gold und dem Fleisch etwas ganz Spezifisches aus. In beiden Fällen spielt man auf die an, die gehen, als solche, die ihren Beitrag für das Werk geleistet haben. Sie selbst, als Menschen, sind uninteressant. Alle leisten sie ihren Beitrag, aber nur die brillantesten (das Gold) nützen sie als Angelhaken für die anderen.

Trotzdem habe ich vielfach gehört, dass diejenigen, die das Werk voranbringen, die mit einer durchschnittlichen Begabung sind (das Fleisch), nicht die Brillantesten. Die Brillantesten sind auch sehr nützlich, aber nur eine Zeitlang und für einige Dinge, während diejenigen mit einer durchschnittlichen Begabung wie das Fundament für das Haus sind. man sieht sie nicht, sie glänzen nicht, aber sie bilden die Stütze. Wie es logisch ist, sind diejenigen mit einer durchschnittlichen Begabung auch fügsamer und machen weniger Probleme...

Du fragst mich auch, was ich darüber denke:

1) ich war mir dessen nicht bewusst, was für schlimme Dinge sie den Menschen antun (denke daran, dass wir keinerlei Informationen hatten);

2) solange ich vom Werk war, dachte ich, dass das Leiden eben entweder zur Hingabe gehörte oder eine Folge der persönlichen Sünden sei;

3) ich dachte, dass diejenigen, die nicht durchhielten, schuldhaft handelten und dass die meisten, die gingen, dies aus Egoismus taten;

4) Die Worte von D. Florencio waren für mich eine große Enthüllung. Vorher hat es mich sehr beschäftigt, dass nur so wenige bleiben; von diesem Augenblick an war es mir nicht mehr wichtig.

Ich dachte, dass es nur aus Egoismus geschehen wäre, wenn jemand das Werk verlassen hat. Heute sehe ich die Dinge aus einem ganz andren Blickwinkel. Zunächst einmal denke ich, dass viele von uns ohne eine echte Berufung zum Werk gekommen sind, als Folge des wilden Proselytismus, der hier praktiziert wird. Dann sind wir jahrelang dabeigeblieben sind, weil sie uns an nichts anderes denken ließen. Aber da dies nicht unsere Sache war (ich glaube, dass war es für niemanden), die absurde Lebensweise voller Einschränkungen und Über-Normierungen hat unsere Lebensenergien gebunden, ebenso im menschlichen Bereich wie im spirituellen. Diese Entmutigung schadet dem psychischen Gleichgewicht, man hat irgendwann genug, gerät vielleicht in ein schlimmes moralisches Dilemma. Nur einige wenige Intelligente erkennen die Ungereimtheiten des Systems, auch wenn sie vielen im Detail auffallen.  Man erreicht einen Tiefstand und man entschließt sich das Werk zu verlassen, weil man überleben will.

Einige verlieben sich in ein Mädchen, aber die gehen nicht wegen eines Mädchens, sondern mit einem Mädchen. Es kann einem im Werk sehr schlecht gehen, aber man geht erst, bis man sich in jemanden verliebt.  Niemand gibt etwas für nichts auf.  Eine menschliche Liebe ist ein großer Katalysator für einen Prozess, der bereits im Gang ist und der so nur beschleunigt wird.

Es ist vollkommen klar, dass das Werk Schuld auf sich geladen hat. Erstens, weil ein wilder Proselytismus betrieben wird, mit Menschen, die noch nicht wissen, was sie wollen (ich habe mit 14 Jahren und drei Monaten gepfiffen!!!). Zweitens, weil man sich keine Rechenschaft über die Echtheit einer Berufung gibt und auch nicht zulässt, dass dies geschieht. Einem, der gerade erst gepfiffen hat, versiegeln sie das Gewissen, damit er seine Berufung als unantastbar ansieht. Drittens, weil sie dich von dem Tag an, an dem du gepfiffen hast, zahllosen Bildungsmitteln unterwerden, zahllosen Normen der Frömmigkeiten, und sie lassen dich einen beruflichen Weg einschlagen, der dich nirgends hinführt. Die neue Berufung wird einer schwindelerrregenden Dynamik unterworfen; man bewegt sich und kommt nicht zum Nachdenken.  Und wenn das noch nicht genug wäre, kommen die vielen Beschränkungen in der Lektüre dazu, das Verbot, sein Gewissen gegenüber anderen Priestern zu öffnen, oder auch gegenüber den eigenen Eltern, die Unmöglichkeit, persönliche Angelegenheiten mit anderen Mitgliedern des Werkes zu besprechen, sind wir die Scheuklappen für ein Pferd. Die Dynamik des Werks verschlingt dich wie ein Wirbel; du landest in einem Tunnel.

Ist das Vorgehen der Leiter heimtückisch oder boshaft, wenn sie menschliche Wesen für den Dienst am Werk missbrauchen? Was ich beobachtet habe, ist dass die Personen umso gnadenloser handeln, je höher sie in der Hierarchie des Werkes aufgestiegen sind. Gewöhnlich kommen die Fanatischsten ganz hinauf. Und der Fanatismus hat eine Blindheit zur Folge, die einen die Bosheit dessen nicht sehen lässt, was geschieht. Ganz im Gegenteil: putantes se obseqium prestare Deo (sie denken, dass sie Gott einen Dienst damit erweisen).

Meinem Verständnis nach ist der schlimmste Schaden, den sie einer Person zufügen, nicht einmal die Tatsache, dass sie sie ohne Sozialversicherung arbeiten oder in die Depression abgleiten lassen. Das erste Verbrechen besteht darin, dass sie so vielen Menschen das Leben rauben, dass sie ihnen eine Berufung aufschwatzen (als Numerarier oder Numerarierin) , dass sie sie ausnutzen, bis sie kaputtgehen, um sie dann zu Verrätern zu stempeln und sie zu vergessen und aus ihrer Geschichte zu streichen. Eine echte Sauerei. Sie sprechen dir eine Berufung zu, weil sie Numerarier brauchen, und sie suchen sie verzweifelt, aus Eifer für den Erfolg der Institution.

Das ist alles; denn ansonsten wurde ich im Werk nicht schlecht behandelt. Im Gegenteil, sie liebten mich sehr und ich liebte sie. Manchmal machen sie Fehler, aber darauf kommt es nicht an.

Ich erinnere mich an einen Fall, der mir symptomatisch erscheint. Ein Numerarier hat sich 15 Jahre lang verausgabt, ohne sich seiner Berufung sicher zu sein. Er konnte sich niemals als Numerarier sehen und lebte alle diese Jahre in tiefstem Zweifel. Man ermutigte ihn weiterzumachen, immer wieder, der er war ein ordentlicher und intelligenter Junge, und das Werk brauchte ihn. 15 Jahre lang ließen sie ihn nicht sein Leben leben, bis endlich klar war, dass er nicht bleiben würde, weil er keine Berufung hatte. Das ist wirklich geschehen, ich könnte euch den Namen der Person nennen. Viele andere hatten auch keine Berufung, auch wenn wir das gedacht hatten, aber dieser Fall zeigt, wozu das Werk fähig ist, um sich der Arbeitskraft eines Menschen zu bedienen, weil seine Arme gebraucht werden, um den Karren aus dem Dreck zu ziehen.

Heraldo