Castalio: Wie wir in Mexiko Numerarier produzierten

10. Juli 2009

 

 

Ich will singen, singen, um sein wahres Lügenleben zu vergessen

und um mich an sein verlogenesLeben der Wahrheit zu erinnern


Octavio Paz

 

 

 

 

 

 

 

 


Die Banalität einer “Berufung” zum Numerarier

 

Die Automatisierung des Proselytismus, die die Numerarier des Opus Dei in Mexiko durchführte, hat es möglich gemacht, dass jede beliebige Person, die sich seinen Aktivitäten näherte, in das erweiterte Profil einer Berufung passt, die an sich sehr beschränkt und nur für wenige geeignet wäre. Deshalb glaube ich, dass das Opus Dei in Mexiko heutzutage keine elitäre Institution ist, ganz im Gegenteil: Es handelt sich um eine Maschine, die Berufungen von Numerarierin produziert, aus verderblichem Material, d. h., aus dem Durchschnitt der Studenten, der anonymen urbanen Masse aus der Mittelschicht. Würde sich seine Arbeit darauf beschränken, die Menschen zu christianisieren, wäre dies zweifellos anerkennenswert, aber darauf sind sie nicht aus, sondern sie wollen möglichst viele Menschen der Institution als Numerarier oder zölibatäre Mitglieder eingliedern, wobei es keine Rolle spielt, ob sie das haben, was sie „Berufung” nennen.

In die Kategorie der „Berufung” (eines Numerariers) fällt jeder halbwegs normale Jugendliche, an den man nicht zu viele Ansprüche bezüglich seiner Eignung stellt, schon gar nicht wegen persönlicher oder intellektueller Neigungen. Es ist sogar, wie ich das in Mexiko während vieler Jahre beobachtet habe, vorzuziehen, wenn die letzteren fehlen, denn Personen, die zu viel denken – so sagen die Leiter des Werks in diesem Land – sind für gewöhnlich kompliziert im Kopf, und die Hingabe fällt ihnen schwer.

Das Opus Dei hat die Berufung zum Zölibat banalisiert; es hat sie den Massen in der Großstadt plausibel gemacht, sie modernisiert und sogar populär gemacht, zugleich aber zu einem Wegwerfartikel abgewertet. Ich würde sogar so sagen wagen, es hat dieses Ideal desakralisiert.

Soweit ich es verstehe, ist das der erste und hauptsächlichste Grunde, warum sie viele hundert Numerarier gegangen sind und weiter gehen, nicht nur hier, sondern in vielen anderen Ländern.

Ich kenne keine andere Institution in der Geschichte der katholischen Kirche, die so wie das Werk den Zölibat und das Konzept der Berufung standardisiert, verallgemeinert und vulgarisiert hätte. Deshalb gibt es in Mexiko jetzt bereits Hunderte, die wir diesen Weg wieder verlassen haben, vielleicht mit einem Gefühl der Trauer darüber, dass wir vielleicht eine göttliche Berufung verloren haben.

Ich leugne nicht die Schönheit und Transzendenz der Botschaft der Kirche und des II. Vatikanischen Konzils, die auf irgendeine Weise von Escrivá de Balaguer in seiner Organisation aufgegriffen wurden. Ebenso wenig leugne ich, dass dies viele Menschen in Mexiko und in vielen anderen Ländern, die sich den Frömmigkeitsübungen der Kirche nähergebracht und sie ermutigt hat, Tugenden anzunehmen und lasterhaftes Verhalten abzulegen. Was ich nicht verstehe, ist der hohe Preis für all dies, denn damit die Organisation funktioniert und einige wenige übrig bleiben, die nötig sind, werden Hunderte, ja Tausende Jugendliche in Gespräche über eine angebliche Berufung zum Zölibat (als Numerarier) verwickelt, die tatsächlich einen standardisierten Prozess der Anwerbung, von Taktiken und der Manipulation von Informationen darstellen, die wohlerwogen sind und vom Gründer und seinen Nachfolgern so reglementiert wurden..   

Ich bin Katholik. Ich denke, dass ich ein normaler Mensch mit den üblicherweise akzeptierten Verhaltensmustern bin. Ich möchte das Leben eines Christen leben, mich an der Wahrheit orientieren, an der Liebe und gestützt auf die Gnade Gottes. Ich studierte an der Universität und machte eine postgraduale Weiterbildung in Europa mit dem Wunsch, Gott und der Gesellschaft, in der ich lebe, besser zu dienen. Dennoch finde ich, je mehr ich lese, darüber nachdenke, mit Kollegen spreche, trotzdem keine Antwort auf das große Paradoxon der „Berufung“ der Numerarier, die ich angeblich  für über 20 Jahre hatte. Und ich werde versuchen, den Grund dafür zu erklären.

Meine jahrelange Erfahrung in den „Örtlichen Räten“

Für diejenigen, die mit dem Spezialvokabular des Opus Dei nicht vertraut sind, der Örtliche Rat ist das Leitungsorgan eines Zentrums. In der männlichen Abteilung sind dies generell drei Laienmitglieder: der örtliche Leiter, der Subdirektor, der Sekretär und ein Numerarier-Priester. Man sagt, dass der letztgenannte bei den Treffen des Rates  nur Sitz, aber keine Stimme hat. Dennoch ist in der Praxis er es, welcher die Entscheidungen und Aktionen der übrigen Mitglieder des Rates ratifiziert und autorisiert. 

Hier beziehe ich mich in besonderer Weise auf die Örtlichen Räte der Zentren, in denen apostolische Arbeit mit Jugendlichen gemacht wird, sie man die Arbeit von St. Rafael nennt.  Ich glaube, dass es hier, in diesen Zentren geschieht, wo die Berufungen der Numerarier durch wiederholte Praktiken und genau ausgeklügelte menschliche Strategien fabriziert werden, denen ein mehr oder weniger gutwilliger junger Mensch nur schwer entkommen kann.

Wir Mitglieder des Örtlichen Rats trafen uns regulär zweimal die Woche: einmal, um Fragen betreffend das innere Lebens des Zentrums und der Probleme der Numerarier zu besprechen, die wir hier lebten (Arbeit von St. Michael), und dann, um Aktivitäten zu organisieren und an den Personen dranzubleiben, die noch nicht vom Werk waren und daran teilnahmen (Arbeit von St. Raphael). Die Mehrheit der Mitglieder dieser Räte war jung, zwischen 2o und 30. Wir waren von der durch die Regional­kommission von Mexiko zu Örtlichen Leitern  (Direktor, Subdirektor und Sekretär) ernannt worden und dachten, fass uns dieses Faktum dazu ermächtigte, bei jeder beliebigen Person über eine mögliche Berufung zum apostolischen Zölibat zu entscheiden.

Normalerweise trafen wir uns für diese Sitzungen des Örtlichen Rates bei verschlossenen Türen im Zimmer des Leiters, wo wir minuziös die intimsten, persönlichen Angelegenheiten der Teilnehmer an den Kreisen, der Grundkurse, Katechesen, Betrachtungen an Samstagen, der kulturellen Tertulias und der sozialen Arbeiten,  die im Zentrum organisiert wurden, durchgingen. Es genügte, dass ein Student (namentlich der Universidad Panamericana) an einer dieser Aktivitäten teilnahm, dass wir ihm sofort einen Numerarier zur Seite stellten, der am ihm dranblieb. Wir notierten seinen Namen auf einer Liste und schlossen ihn als Freund eines von Zuhause oder als Junge von St. Raphael in unsere Gebete ein (alles, was ich kursiv schreibe, gehört zu den charakteristischen Ausdrücken des Opus-Jargons in Mexiko). Wie ich weiter oben angedeutet habe, sprach man bei diesen Zusammenkünften über absolut alles, ohne die geringste Rücksicht und ohne den geringsten Respekt vor der Intimität oder dem Gewissen eines anderen.

Vom Örtlichen Rat werden Ziele und Friste für den neuen Proselyten festehelegt, damit er sichere Schritte in der Erkundung des Werkes zurücklegt (man sprach nicht von Gott, sondern vom Werk). Wir sprachen auf unterschiedliche Art und Weise von Apostolat und Proselytismus, und wir behaupteten, dass wir uns um diejenigen kümmerten, die sich unseren Aktivitäten annäherten. Aber in Wirklichkeit – so denke ich jetzt, aus der Distanz  - kümmerten uns diese Personen gar nicht, sondern es ging uns nur darum, dass sie pfeifen, das heißt, dass sie so schnell wie möglich einen Brief an den Prälaten schreiben, indem sie ihn um ihre Aufnahme als Numerarier zu bitten. Wenn eine gewisse Zeit des apostolischen Umgangs vergangen war, wie man sagte, ohne dass sich die Hoffnung auf eine Berufung ergab, dann strichen wir ihn von der Liste oder verwendeten seinen Namen, um Hefte auszufüllen und die Informationen über die Arbeit von St. Raphael zu vermehren, die wir monatlich an die Regionalkommission senden mussten. Dadurch vermeiden wir es, von den Hohen Direktoren wegen unserer apostolischen Ineffizienz oder unseres Mangels an apostolischem Eifer getadelt zu werden.

Trotz unserer jungen Jahre sprachen wir in diesen Zusammenkünften des Rats wie echte Theologen, die in der geistlichen Leitung erfahren sind und die Bescheid wissen, ob junge Menschen eine Berufung haben, wie ich gesagt habe, und wir dachten, dass uns die Ernennung zum Direktor einen besonderen Status in der Welt der Sterblichen verliehen habe.  wie ein Ritter Kadosch). Wir verstiegen uns sogar dazu, ohne irgendwie theologisch oder kanonisch legitimiert zu sein, dass wir durch diese Ernennung die Standesgnade hätten, das heißt eine göttliche Gnade, die den Trägern von Leitungsämtern in der kirchlichen Hierarchie zukommt. Infolge dieser Gnade hatten wir die Fähigkeit, in moralischen Fragen die richtigen Entscheidungen zu treffen, vor allem wenn es darum ging, den Willen Gottes zu interprezieren ind irgendeinen Jugendlichen  zu bewegen, um die Aufnahme als Numerarier zu bitten, also zu pfeifen.

Treffen des Rats mit den Leitern der Delegation und der Kommission

Alle zwei oder drei Wochen nahmen an diesen Treffen ein oder zwei Direktoren der Delegation (der Leitung des Opus Dei in Mexiko City) und der Regionalkommission (Leitungsinstanz für das ganze Land) teil, um unsere Arbeit im Zentrum zu überwachen. Diese Leiter nennt man Vokale von St. Raphael.

Bei diesen Zusammenkünften öffnete der Leiter des Hauses eine Mappe mit der Aufschrift „SR”, das heißt St. Raphael, jener Erzengel, dem das Apostolat und der Proselytismus (für das Werk ist das dasselbe) mit der Jugend anvertraut ist, die deshalb auch „Arbeit von St. Raphael heißt. Die Liste war voll mit Namen junge Leute, Bilder und Zeichnungen von jedem (persönlicher Umgang) und Schemata von Zielen und Fristen, womit man den Hohen Direktoren imponieren wollte, die mit der Professionalität zufrieden waren, mit der die Dinge hier gemacht wurden (sic).

Die Dynamik der Begegnung mit den Leitern der Delegation oder der Kommission war sehr typisch. Sie kamen in das Haus, immer sehr adrett gekleidet mit ihren typischen Krawatten mit Schildmuster darauf, sie traten grüßend in aller Einfachheit ein und verbreitenden einen überbordenden Optimismus. Üblicherweise aßen sie zusammen mit den anderen, die hier wohnten, um mit dem Ambiente des Zentrums warm zu werden (sic). Dann blieben sie beim Beisammensein, bei dem wahre Triumphe der Arbeit des Werks erzählt wurden. Nachdem die Tertulia aufgehoben war,  wurde es ernst, und man ging mit den übrigen Mitgliedern des Örtlichen Rates, einschließlich des Priesters, in das Zimmer des Leiters. Die Tür wurde geschlossen, man schaltete das rote Licht ein, damit niemand diese Zusammenkunft störte oder unterbrach. Generell begann die Versammlung mit einem unbedeutenden Kommentar eines der Anwesenden, über das Wetter oder den Verkehr in der Stadt, oder über Anordnungen das Haus betreffend oder Ähnliches. All das hatte den Zweck, eine gewisse feierliche Atmosphäre aufrecht zu erhalten oder Normalität zu suggerieren, um die Strenge dessen, was hier gesagt wurde, abzumildern, vor allem aber, weil hier Entscheidungen getroffen werden sollten.

In dieser letzten Phase, der erzwungenen Normalität, waren wir alle im Werk wahre Magier des Wortes und der Gesten. Ich glaube, dass von daher die Kunst des Betruges stammt, wie sie Doliña nennt, denn  wenn man auch zu ihr die Zuflucht nahm, hatte man doch nicht den Effekt wie zu anderen Zeiten.

Aber lassen wir uns nicht von unserem Hauptthema ablenken. Ich sagte, dass man bei diesen Treffen mit weniger wichtigen Kommentaren begann, und in einem bestimmten Moment begann dann der Leiter des Hauses, nervös angesichts dessen, was von den Hohen Direktoren zu erwarten war, den eine oder anderen Namen von Kandidaten zu erwähnen, die pfeifen, also um die Aufnahme als Numerarier bitten könnten, und er legte genaue Rechenschaft von jedem der sechs oder sieben Kandidaten ab. Er bezog sich in seinem Erfolgsbericht auf deren Erfüllung des Lebensplans (Frömmigkeitsübungen. wie das Gebet des Rosenkranzes. die Messe oder das Gebet), ihre Leistungen auf der Universität, ihren Charakter und ihr psychologisches Profil, ihre Beziehung zur Familie und die Klassenkollegen, ebenso wie die Intimitäten ihrer Sexualität, das heiß, die Art, wie sie die Reinheit lebten. Über das letztere wurde, zumindest als ich Mitglied eines Örtlichen Rates war, in Ausdrücken gesprochen wie er ist gelegentlich gefallen, oder er hat Gefühlsverwirrungen, aber bei seinem Alter glauben wir nicht, dass das ein ernstes Problem bedeuten könnte, und anderes von der Art.

Man musste mit absoluter Klarheit wissen, ob der Pfeifkandidat sich bereits an ein Seminar oder an eine religiöse Kongregation gebunden hatte, sogar, wie Alvaro del Portillo sagte, wenn es „kleine [religiöse] Organisationen ohne festen Rahmen waren“ (Instruktion vom 19-III-1934, Nr. 18), denn das konnte für ihn ein Hindernis bedeuten Numerarier zu werden. Wenn man nicht über diese Informationen verfügte, wurden subtile Methoden ausgearbeitet, um sie dem ahnungslosen Kandidaten zu entreißen. In der Zeit, als ich Mitglied Örtlicher Räte war, legte man darauf besonderen Wert, denn die kanonische Errichtung des Werks als Personalprälatur war noch neu (28. November 1982), und man fürchtete immer, dass man die Vorgangsweise von Laien und Ordensleuten oder Mitgliedern von Kongregationen mit denen „ohne festen Rahmen“ verwechseln könne“. Wie man sich darüber informieren solle, ob der Numerarier-Kandidat diesem Hindernis unterliege, erörterte der Gründer in der Instruktion, wie der Proselytismus zu machen sei (Instrucción sobre el modo de hacer Proselytismus,  1934), wo wir diesen taktischen Hinweis anschlossen, den man zu den Normen der Klugheit rechnet, wie sie in dieser Organisation üblich sind:

Eine Frage ist wichtig, bevor ihr eure Arbeit des Proselytismus anfangt. Sie zielt darauf ab zu wissen, ob die Seele, die ihr sucht, schon eine geistliche Bindung in einer anderen Organisation  eingegangen ist. Wenn ja, lasst sie und fragt eure Priester…

War diese peinliche Frage geklärt, bleiben andere Ziele anzupeilen, bevor die (möglichst baldige) Eingliederung ins Werk erfolgen konnte. Wenn der betreffende Kandidat ein wenig nachließ, entwarf man im Örtlichen Rat einen mehr oder weniger detaillierten Aktionsplan, um seine  Probleme aus der Welt zu schaffen oder aber dass man es aufgab ihn pfeifen lassen zu wollen, mit dem Gedanken, dass man ihn sich später nochmals vornehmen wolle. Das war immer dann der Fall, wenn es ein tief eingewurzeltes Laster gab (vor allem in Fragen der Sexualität oder der Reinheit).

Nachdem man die Liste der Pfeifkandidaten dieses Zentrums durchgegangen war, denn darüber sprach man bei diesen Zusammenkünften, traf man eine gewisse Sichtung zwischen denen, die schon nahe dran waren, um die Aufnahme zu bitten, und denen, die noch nicht so weit waren. Am Ende blieb eine Liste handverlesener junger Männer übrig (auch wenn  man nicht von Selektionen sprechen durfte), und man konkretisierte nun die Ziele und die Vorgangsweisen für jeden einzelnen (um zu konkretisieren, wie man sagte). Man pflegte damit zu schließen, dass man diese Kandidaten liste durchging, indem man die jungen Direktoren des Zentrums fragte: „Was fehlt ihm noch, damit er pfeifen kann Und der Örtliche Leiter pflegte verlegen zu versichern: „Praktisch nichts… nur ein kleiner Anstoß“, worauf einer der Älteren mit einer Phrase antworte wie zum Beispiel: „Also viel Glück!“, „Bleibt an ihm dran, damit er uns nicht kalt wird!“, und man drängte so auch zu großzügigem Gebet und zu Abtötung für den Auserwählten. Und wenn ich dies schon erwähne, kann ich auch nicht leugnen, das viele von uns, die so in den Örtlichen Räten handelten (und handeln) das Wort empfehlen sehr gerne benutzen, um solche Arbeitssitzungen abzuschließen, vielleicht um so unsere Absichten zu korrigieren, oder um das Gewissen zum Schweigen zu bringen, wenn uns all das zu menschlich, zu strategisch zu ausgezirkelt vorkam, um noch etwas Göttliches an sich zu haben.

Natürlich hatten es die oberen Direktoren der Delegation oder der Kommission sehr bequem, denn sie brauchten für den Proselytismus nichts zu tun, und wenn sie einmal einen Finger rührten, brüsteten sie sich gleich in den Beisammenseins eine Konvivenz für die Jüngeren, an denen sie gelegentlich teilnahmen, als Visitatoren, die einen jungen Pfeifkandidaten, der sie gar nicht kannte, anzusprechen, um ihn zu drängen (zu ermuntern) um die Aufnahme zu bitten. Sie gaben generell immer nur die Hinweise und die Kriterien, wie man die Jugendlichen erreichen solle, um sie auf einer schiefen Ebene hinaufzuführen (zum Werk), und wie man die Dinge machen solle. Ja, sie hatten den Überblick; sie waren die ersten, die etwas beurteilten, das gemacht wurde, wenn es nicht dem vorgegebenen Schema entsprach, da der Gründer vorgegeben hatte. Sie waren die ersten, wenn es darum ging, Schuld zuzuweisen, zu tadeln und ihre Brüder vor den übrigen Oberen Direktoren bloßzustellen, wenn ihnen etwas an den einfachen Örtlichen Direktoren nicht passte.

Ich erinnere  mich, dass es mich einmal traf, eine dieser Konvivenzen  von St. Raphael zu organisieren und zu leiten, bei denen ich mich nicht für das Thema interessierte, das bei den Konferenzen und Gesprächen dominierte, weil ich die meiste Zeit mit den Pfeifkandidaten verbrachte, indem ich auf sie einredete, um sie für einen möglichen Anruf Gottes sensibel zu machen, sie zu ermutigen, an Ort und Stelle um die Aufnahme zu bitten. Wenn ich ein wenig Zeit zum  Nachdenken hatte, riefen mich die schrecklich lästigen Vokale von St. Raphael, denen vollkommen egal war, was man in den Konferenzen gesagt hatte, weil sie nur daran teilnahmen, um die Fabrikation der Berufungen am Laufen zu halten. Ich habe viel Zeit damit verbracht, mit diesen zielgerichteten Inquisitoren durch die Gärten von Montefalco und Mimiahuapan auf- und abzugehen, während drinnen von der Wertekrise der Jugend und der globalen Armut die Rede war. Ich wollte zuhören, weil mich das Thema interessierte, aber  wenn ich mich unter die Zuhörer setzte, konnte ich für einen dummen, idealistischen Leiter gehalten werden, der diese Fragestellungen nicht richtig einordnen konnte (die Krise der Globalisierung, die Armut auf der Welt), die gegenüber der zwingenden Notwendigkeit, Berufungen zu finden, zu schauen, dass viele  pfeifen, keinerlei Bedeutung hatten… So viele sollten kommen, wie nur möglich war, vielleicht weil dies der Weg war, um alle Krisen der Welt zu lösen: damit das Werk (und das war mehr als die Kirche) wachse und die Botschaft Escrivás sich ausbreite (die mehr galt als das Evangelium). Wenn ich einmal ein wenig zur Ruhe kam und auf das achten konnte, worüber die eingeladenen Vortragenden sprachen, holten sie mich sofort wieder, weil der Vokal mit mir Klartext reden wollte. Immer hinter den Kulissen. Ich ließ sogar die Jugendlichen, die an diesen Konvivenzen teilnahmen, glauben, dass dies (die Themen der Konferenzen) ein wahres Interesse in der Bildung bedeutete, die das Werk vermittelte. Aber das war eine Rosstäuscherei, ein Angelhaken, um zu fischen, oder, wie man in Spanien sagt, um gutgläubige junge Menschen reinzulegen, von denen viele sich übererden ließen zu pfeifen,  weil sie glaubten, die Armut in der Welt oder die Wertekrise in der Zeit der Globalisierung wäre uns ein Anliegen.

Aber kehren wir zur Dynamik der Treffen des Örtlichen Rats zurück. Nachdem wir die Lebensgeschichte jedes einzelnen dieser jungen Leute durchgegangen waren, die an den Bildungsmitteln teilnahmen, die im Zentrum abgehalten wurden, notierte der Leiter des Örtlichen Rates, die Feder in der Hand, in seine Mappe mit der Aufschrift „SR” die Ziele, die die Leiter der oberen Instanz gesetzt (suggerierte, müsste es heißen) hatten, um sie sofort danach, in der Aussprache (so nennt man im Werk die wöchentliche Gewissensauskunft gegenüber dem Örtlichen Leiter) oder vorher dem Numerarier, der den Auftrag hat der Freund zu sein,  und das heißt im Jargon des Werkes: der Numerarier, der ihn behandelt (der ihn belagert, verfolgt, anruft um ihn zu den Aktivitäten im Zentrum einzuladen). Und das funktionierte gleichsam automatisch. Der Leiter sagte dem jungen Numerarier, was er seinem Freund sagen oder was er  ihn fragen sollte, und der gehorchte, denn es ging möglicherweise um die Antwort auf einen Ruf Gottes. Mir fiel auf, dass nichts von dem, was man hier bei den Treffen plante, obwohl es in einer sakralen Aura ablief (man muss sie empfehlen), zu den Taktiken und menschlichen Mitteln passte (ich bestehe darauf, dass es sehr menschliche sind) die für die strategische Planung der Arbeit von St. Raphael vorgesehen sind.

Wie ich gesagt habe, bei diesen wöchentlichen Treffen hinter verschlossenen Türen informierten wir die übrigen Mitglieder des Örtlichen Rates, oder gegebenenfalls die furchterregenden Leiter der Delegation oder der Kommission über die intimsten Dinge der Jugendlichen, die ins Zentrum kamen. Von den Informationen, die wir hier gaben, hing es großteils ab, ob das grüne Licht gegeben wurde, dass jemand um die Aufnahme als Numerarier bitten durfte, oder allenfalls als Assoziierter oder als Supernumerarier (da sprach man von Hindernissen und ähnlichen Dingen).

Aber die Information, die wir gaben, war nicht immer punktuell, das heißt über konkrete Fakten und Taten, die uns die jungen Freunde oder die jungen Numerarier über die Intimitäten ihrer Freunde erzählte hatten, sondern wir arbeiteten ganze scharfsinnige Theorien über ihre Persönlichkeiten aus, so als wären wir profunde, einfühlsame Kenner im Dienste der menschlichen Seelen. Wir sagten beispielsweise, dass ein Jugendlicher pfeifen könne, aber vielleicht besser als Supernumerarier, weil er durch die Art und Weise, wie er von seinen Eltern in seiner Kindheit und Jugend behandelt worden war, verkehrte Vorstellungen von Autorität hatte und er Probleme mit dem Familienleben haben würde, wenn er als Numerarier pfeift. Dinge dieser Art gab es mehr. Wenn wir außerdem auf diese Art Theorien wälzten und Situationen interpretierten, erfuhren wir, wie gute Örtliche Leiter agierten, und wir konnten damit rechnen, bei den Leitern der Delegation und der Kommission gut dazustehen. Mit anderen Worten, die Aussprachen, die die Jugendlichen, die Hoffnung auf eine Berufung gaben, bei uns machten, dienten uns als Steine, durch die wir unsere Karriere und unser Prestige innerhalb der Institution aufbauten. So menschlich, seltsam und verfänglich war die Dynamik der Jagd nach den und der Eifer für die Seelen.

So haben viele gepfiffen, alle, die uns in die Hände fielen, die sich von uns durch unsere Einladungen, unsere Gespräche, unsere apostolischen Strategien überreden ließen. Wir verfügten über zwei Bücher, deren Wirksamkeit besten erprobt war, Der Weg und Der göttliche Wert des Menschlichen, mit denen wir sie konfrontierten und mit denen wir bei ihnen die vom Örtlichen Rat ferngesteuerten Berufungskrisen auslösten: „Es ist jetzt an der Zeit, Meier, einige Punkte aus dem Weh über die Großzügigkeit zu lesen zu geben, damit er sich bald entscheidet“. Es schien, dass sich niemand ihrer Lektüre entziehen konnte, um sich dann für  immer Gott hinzugeben. Die beiden Bücher sprachen in einer kraftvollen Sprache von ebenso überzeugenden wie verführerischen Themen, die jeden mehr oder weniger idealistischen jungen Menschen ansprechen mussten (zumindest bleiben sie das für einige Jahre), dass man die Mittelmäßigkeit hinter sich lassen müsse, Führer sein solle, heroisch in einer Hingabe ohne Rückhalt, in einem christlichen Abenteuer. Und sobald sie das lasen, waren sie erschüttert über die Mittelmäßigkeit und innere Leere ihres Lebens, und der Priester und der Numerarier, die sie begleiteten, unterstützten weidlich dieses Gefühl, sie müssten vom Opus Dei sein, als Numerarier pfeifen.

In anderen Worten, es gibt keinen Prozess, in dem man die eigentliche Berufung erkennt, sondern nur eine Phase wachsenden Drucks, von Einladungen und Suggestionen zu großzügiger Hingabe, es gibt Verfolgung, Bedrängen und heiligen Zwang. In einigen Fällen (ich persönlich erinnere mich nicht daran) präsentierte man das Pfeifen sogar als Vorbedingung für das ewige Heil. Dann haben sich die Jugendlichen einfach hin, sie haben gepfiffen, den Brief an den Prälaten geschrieben, in dem sie ersuchten, als Numerarier zugelassen zu werden und in dem sie ihre Treue für das ganze Leben versprachen. In den Jahren, in denen ich Numerarier war, habe ich Dutzende Jugendliche pfeifen gesehen, vielleicht Hunderte, die ein Ideal hatten, vielleicht auch nur gefühlsmäßig, durch Einschüchterung und Verwirrung. Die Mehrheit von ihnen ist nicht mehr dabei, vielleicht, weil sie niemals hätten beitreten dürfen.

Das Schlimmste von allem ist, dass sie nicht daran denken, ein Jahr ihres Lebens der Legion Christi zu widmen oder während ihres Studiums bei der Marianischen Kongregation mitzuarbeiten, die von den Jesuiten geleitet wird, oder an irgendeiner apostolischen Aktion der Marianisten teilzunehmen, sondern dass sie glauben, dass sie zu einer Organisation gehört haben, für die sie eine Berufung haben, eine  göttlichen Ruf, zu dem sie nein gesagt haben Sie glauben, dass sie Teil einer Institution waren, in der sie sich für den lebenslangen Zölibat verpflichtet hätten… Und es sind so viele, die dabei waren und es nicht mehr sind, die Gott betrogen haben; mehr, als ihr euch vorstellen könnt. Im Falle Mexikos sprechen wir von Hunderten Jugendlichen, die gepfiffen haben und dann wieder gegangen sind, und vielleicht sind es mehr als tausend . So einen banalen Umgang hat man im Werk mit so heiligen Dingen wie der Hingabe des Lebens.

Ich erinnere mich an viele Gelegenheiten, als wir Jungspunde, die den Örtlichen Rat bildeten, dazu autorisierten, dass ein junger Mensch um die Aufnahme bat, wir erlaubten ihm mit so oberflächlichen Phrasen zu pfeifen wie: „Ja, Meier soll pfeifen, wir werden dann schon sehen, ob es etwas für ihn ist“.  Solche Ausdrücke habe ich oftmals selbst gehört, nicht nur von jungen Direktoren der Zentren, sondern von Persönlichkeiten wie Don Florencio Sánchez Bella und alle Vokale von St. Raphael in Mexiko, vor allem Ramón Ibarra, der später Rektor der Universidad Panamericana war. Was für eine Frivolität, Verantwortungslosigkeit und Immoralität!

Die Jagd nach den Pfeifkandidaten

Wie ich bereits gesagt habe, bleibt bei dem Prozess der Erzeugung von Numerarierin und von „Berufungen“ nichts dem Zufall überlassen. Ich erinnere mich daran, dass wir als Mitglieder dieser Räte Richtlinien ausarbeiteten, wie man bei Pfeifkandidaten nachfassen solle.

Bei verschiedenen Gelegenheiten, vor allem im  Studienzentrum von Mexiko City (CIES), gab es eine wöchentliche Besprechung mit jedem einzelnen der jungen Numerarier, die hier wohnten, um Ziele festzulegen, sie zu kontrollieren und au ihre Freunde anzusetzen, in Übereinstimmung mit den Vorgaben des Örtlichen Rates und der Vokale von St. Raphael. Deshalb hatte jeder an einem bestimmten Tag und zu einer festgesetzten Stunde  ein Gespräch mit dem Subdirektor des Zentrums, um ihn über den Status von jedem einzelnen seiner Freunde zu informieren. In diesen schrecklichen Besprechungen wurden (und werden) solche Dinge gesagt wie: Ich war mit Hinz Kaffee trinken und schlug ihm vor zu beichten, mit Kunz habe ich über die Reinheit gesprochen und er sagte mir, dass er immer seltener fällt, auch wenn er auf diesem „Gebiet“ immer noch Schwierigkeiten hat, und bei Albert gibt es im  Moment nichts anderes zu tun als die Freundschaft zu pflegen. Dann kamen die Hinweise des Subdirektors, man solle sich auf diejenigen Freunde konzentrieren, die am meisten Hoffnung auf Berufung gäben. Mit denen sollte man Zeit verbringen, das heißt, zu ihnen nach Hause gehen, ihre Familien kennenlernen, die wichtigen Informationen über sie herausfinden, ob sie die inneren Dispositionen hätten, sie zu der einen oder anderen Aktivität einladen, damit sie sich an das Ambiente des Zentrums gewöhnten, sie einladen, zuhause zu essen, zu ihnen zu gehen, um sie besser anzuleiten und zu sehen, was sie nötig hatten, zu erreichen, dass sie möglichst früh mit dem Priester sprachen und an Einkehrtagen teilnahmen, in Toshi, Mimiahuapan oder Montefalco. Aber nichts davon geschah zufällig. Inzwischen wies der Subdirektor darauf hin, welche konkreten Maßnahmen für jeden einzelnen notwendig seien, und der gehorsame Numerarier notierte jeden Hinweis in seinem Kalender. Es genügte, den Kalender eines jungen Numerariers zu sehen, um sich dessen klar zu werden, auch wenn  das nicht so einfach war, weil sie für alles Abkürzungen und Geheimzeichen hatten.

Die Art, wie wir mit den Pfeifkandidaten umgingen, erschien schrecklich und ziemlich lästig. Außerdem erzeugten wir einen inneren Druck bei den Jugendlichen des Opus, sodass sie früher oder später dieser künstlichen Kniffe überdrüssig wurden, die die Freiheit derer missachteten, mit denen zu tun zu haben sie sich gezwungen sahen.

Der junge Numerarier, der den Auftrag hat, seinen Freunden nachzulaufen und sie zu überreden, dem Werk beizutreten, stehen immer mit dem Rücken zur Wand, denn einerseits, denn andererseits hörten wir in den Vorträgen und Betrachtungen, dass wir die Freundschaft nicht instrumentalisieren dürften, dass wir unsere Freunde wirklich lieben sollten, weil jeder von ihnen das Blut Christi wert war. Außerdem sagte man uns ständig, dass das, was wir taten, zum Wohl der Kirche geschah und dass wir mit unserem Apostolat (Proselytismus) zu Erlösung der Menschheit beitrugen. Andererseits hat man uns dazu gezwungen, in einem ganz anderen Sinn zu handeln, die Freundschaft zu benutzen, um subtil und heimlich an Informationen zu kommen.

Manchmal sagte ich, in meiner Eigenschaft als Leiter eines dieser Örtlichen Räte einem zögernden oder mutlosen Subdirektor, dass diese Taktiken, auch wenn es nicht danach aussah, nicht nur menschliche Mittel seien, sondern dass man sie im Licht des Evangeliums verstehen müsse, denn wir machten nichts anderes, als was einem Apostel zukam (einem modernen Apostel, versteht sich). Aber mit der Zeit verstand ich, dass wir jeden, absolut jeden pfeifen ließen, der sich unseren Zentren näherte. Das System funktionierte: ständige Einladungen zu Aktivitäten, Gespräch mit dem Priester, Aussprachen mit dem Laien und mit dem Leiter des Örtlichen Rats, Kreise, in denen in vielerlei Formen auf der Hingabe herumgeritten wurde, Betrachtungen über die Großzügigkeit und wunderbare Tertulias mit Mag. Pacheco oder mit Carlos Llano, bei denen völlig offen über die Berufung gesprochen wurde.

Dieser höchst effektive Vorgang, der durchgeplant und vorausberechnet ist, heißt im Werk Berufungskrise. Es handelt sich m eine Krise, die absichtlich herbeigeführt wird, indem man vergleicht und nachahmt, neben den ermahnenden Worten, die implizit bei allen ihren Aktivitäten und Gesprächen mitschwingen. Außerdem glauben die jungen Numerarier blind an das, was sie tun, und ihre idealistische Überzeugung bewirkt eine emotionale Ansteckung bei ihren Freunden, das heißt, bei den jungen Leuten, mit denen sie Umgang haben. Deshalb haben im Laufe der Zeit, in der ich Numerarier war, also über 20 Jahre,  Hunderte Personen in Mexiko City gepfiffen. Freilich war die Mehrzahl von ihnen kurz, nachdem sie um die Aufnahme gebeten haben, voller Zweifel und enttäuscht, und viele von ihnen, Hunderte, haben das Werk wieder verlassen, aber dieses berief sich auf ein Siegel göttlicher Auserwählung, während es den übernatürlichen Zweck mit rein menschlichen Taktiken zu erreichen strebte. 

 „Sprechen, damit sie pfeifen“

Aber kehren wir zum Vorgang des Pfeifens zurück. Sobald der Örtliche Rat einmal grünes Licht gegeben hat, kommt es nur noch darauf an, sich dem Kandidaten zu stellen und ihn aufs Pfeifen anzusprechen oder möglichst rasch die Krise der Berufung (sic) durch ein vertrauliches Gespräch zu wecken.

Normalerweise führt jener Numerarier dieses Gespräch, der ihn behandelt hat, das heißt, der sich als seinen Freund ausgegeben und zum Kreis, den Betrachtungen und den Einkehrstunden eingeladen hat. Aber wenn der Numerarier Angst hatte, beim Proselytismus zu langsam vorging oder noch ganz grün war, nahm der Leiter des Zentrums die Sache selber in Hand, damit sie so geschah, wie sie vorgesehen war. Die Formel, um die Krise auszulösen, war uns wohlbekannt. Mehr oder weniger war es immer dies: „Hast du nie an die Möglichkeit gedacht, dein Leben für Gott im  Opus Dei hinzugeben?“ Sehr schön war auch: „Hast du sich noch nie gefragt, ob dich Gott nicht um eine Ganzhingabe als  Numerarier bittet?» Das Schlimmste, woran ich mich erinnere, war: „Hast du nicht die Großzügigkeit, ja zu dem zu sagen, worum Gott dich bittet?“ Dann kam  automatisch die Krise des armen Verhörsopfers. Die Numerarier, die sich kühner vorkamen, lasen dem Kandidaten einen Punkt aus dem Weh vor und interpretierten  ihn auch gleich, nämlich den, wo der Autor sagt, dass e notwendig sei, sich dem Erzengel Raphael anzuvertrauen, um die jungen Menschen  auf eine Gute Ehe vorzubereiten, aber auch an den ehelosen Apostel Johannes, für den Fall, dass der Herr mehr von ihnen verlangt-.

Der Leser soll aber nicht denken, dass irgendetwas  dem Zufall oder der bedenklichen Initiative der jungen Numerarier überlassen war, die im Zentrum lebten. Alles war (ist) durch den Gründer perfekt normiert worden und muss so gemacht werden, ohne ein Jota von dem Verfahren abzuweichen, dass der Autor für eine erfolgreiche Vorgangsweise empfohlen hat. Konkret ist die Taktik, um eine angebliche „Berufung” zu planen, von Escrivá in den Instruktionen für den Proselytismus niedergelegt worden, die sich an seine Söhne richten und in denen wir lesen: Um zu diesem Vertrauen zu kommen, muss man darauf achten, muss man darauf achten, dass sie Seele, mit der wir umgehen, an die Anrufe unseres Gesprächs eingehen, die im Feuer der Liebe Gottes entbrannt sind, wird es euch genügen, die Bedürfnisse  des Apostolat, das wir leben, wie etwas Mögliches zu präsentieren, eine Hypothese... Dann, wenn ihr Fortschritte macht, dass ihr die Personen, mit denen ihr redet, unbedingt darauf verpflichtet, Stillschweigen über das zu bewahren, was sich auf euer vertrauliches Gespräch bezieht. 

Dadurch, dass in Mexiko das Spötteln grundsätzlich dazugehört und man sich auch über die ernsthaftesten und heiligsten Dinge lustig macht, führten wir diesen Prozess der geplanten Berufung, in diesem Milieu voller Heimlichkeiten, bei der alles wie eine Spiel mit Täuschungen wirkte und zwischen ernsten und lustigen Anspielungen oszillierte (die für die heilige Schurkerei typisch sind). Ein Komiker wie Cantinflas war hier gefragt. Wir verstanden, dass wir es so machen sollten wie es der Gründer im vorher zitierten Text angedeutet hatte, wo er vorsah, dass man dem Kandidaten die Berufung „wie eine Möglichkeit“, „eine Hypothese“ vorschlagen solle. Die besondere Taktik dessen, der das Wohlwollen seiner Klientel durch Schmeichelei und Verführung erreichen will. Die jungen Numerarier wagten es viel eher, ihren Freunden die Berufung auf eine unklare, hinterlistige Art und Weise zu präsentieren, denn sie dachten, dass der Zweck, den sie verfolgten, alles rechtfertigte: das Pfeifen.

Die Kühnsten sagten ihren angeblichen Freunden in einem Gespräch, das „vom Feuer Gottes entzündet war“, Dinge wie: „Warum wartest du, um zu pfeifen?“ „Wenn du Angst hast, ist das ein klares Zeichen, dass Gott dich ruft“, oder das abgedroschene Wort „Wartest du vielleicht darauf, dass ein Engel vom Himmel kommt und dir sagt, dass du Berufung hast?“ Mehr in der Art von Pancho Villa war es, wenn wir sagten, wenn er nicht pfeift, sei er ein Schuft, oder Ähnliches in der Art. Und all das geschah in einer Atmosphäre heiliger Bauernschläue.

Bei diesen Gesprächen, so sagte Escrivá de Balaguer in den vorher zitierten Texten, muss man die angebliche Diskretion verletzen, und deshalb dränge man den Kandidaten darüber nicht zu reden. Tatsächlich geht es um nichts anderen, als alles unter dem Siegel der Verschwiegenheit zu halten, um zu verhindern, dass den Interessen des Werkes (unserem Geist) in die Quere kommt, wenn  man einen  Ahnungslosen pfeifen lassen möchte.

Wenn nun der vom Örtlichen Rat Auserwählte vorher bei einem der Gespräche, die der Vater Escrivá vertraulich nannte, irgendwie auf das Thema der Berufung angesprochen hatte, dann musste man darauf bestehen, dass er großzügig sein und sich bald entscheiden müsse. Und deshalb setzte der Örtliche Rat die nächsten Schritte fest, mit denen man ihn drängte großzügig zu sein: in erster Linie, indem man seinen Lebensplan durchging (Gebet, Rosenkranz etc.) und eine Liste von Abtötungen eröffnete. Dann musste man ihm helfen, sich einen Fundus von Freunden zurechtzulegen, die das Werk verstehen könnten, damit er es lernt, Apostolat zu machen, das heißt, seine  Bekannten ins Zentrum zu bringen und ihnen zu zeigen, wie man zwischen denen unterscheiden könne, die nicht hierher passten, und denen, die sie auf ihrem Weg der Berufung stören könnten (zum Beispiel Schulkollegen von früher). Außerdem schlug man ihnen, als Teil der Strategie, vor, Cuadernos 8 zu lesen (ein Buch, das zu dem Zweck geschrieben wurde, Berufungen zu wecken, und das nur Personen von zuhause zugängig ist), und wie man auf geeignete Weise und gut geplant einen Armenbesuch machen könne, um ihn zu rühren und aufzuwühlen, damit er sich entscheidet.

Es war sehr wichtig, zu den Freunden, die man zum Pfeifen bringen  wollte, „mit heiliger Unverschämtheit“ zu sprechen, damit er möglichst bald mit dem Priester des Zentrums sprach, um seine angebliche „Berufung“ mit größerer Klarheit zu erkennen, die man ihm vorgeschlagen hatte.  So hatte es der Gründer in der erwähnten Instruktion vorgeschlagen:

Bringt die Seelen, an deren Berufung euch gelegen ist, mit heiliger Unverschämtheit zu unseren Priestern.

Dann bezeichnete Escrivá selbst, wie es für ihn typisch war, die Taktik und das Spiel der Täuschung als heilige Schelmerei der Numerarier, die versuchten, ihre Freunde zum Pfeifen zu bringen:

Wenn ihr das nicht könnt oder es nicht klug ist sie sofort  hinzubringen, bringt sie mit unsren Priestern aus irgendeinem beruflichen Vorwand in Kontakt, stellt sie als Koryphäen in Jura, Moralphilosophie, Geschichte oder Literatur dar, etc. Dieser Punkt ist von großer Bedeutung.

Wenn es aber doch „klug“ sein sollte, schlug man dem Kandidaten gleich die geistliche Leitung vor, wenn nicht, dann eben den Köder, von dem Escrivá in der Instruktion spricht. Aber für einen jungen Menschen vor dem Pfeifen war das Gespräch mit dem Priester, wie es der Gründer andeutete, von „großer Bedeutung“. Ich beziehe mich hier auf den Priester des Zentrums, von dem man zu meiner Zeit sagte, dass er Sitz, aber nicht Stimme im Örtlichen Rat hätte, der aber die Strategie kannte, die von den jungen Leitern im letzten Treffen des Örtlicher Rats festgelegt worden war, in dem die Arbeit von St.  Raphael geplant wurde oder von den Leitern der Delegation und der Kommission.

 

Mit einem anderen Priester des Werks zu sprechen war nicht sinnvoll, und es war nicht einmal daran zu denken, dass es jemand von außen wäre, denn, so sagte man, hätte das den Pfeifkandidaten noch mehr verwirrt, als er ohnehin schon war. Auch wenn er dann, mit gedämpfter Stimme und als ob er es gar nicht sagen wollte, versicherte, dass der Kandidat sprechen könne, mit wem er wolle, erschien mir das eher als eine rhetorische Floskel als ein wirkliches Anliegen oder die Realität, denn er fügte hinzu, dass es logisch wäre, Rat von jemandem zu erbitten, der die laikale Berufung des Werkes versteht und um den Wert seiner Seele weiß, also vom Priester des Zentrums.

Vielleicht benahmen sich die Priester der Zentren bei diesen Zusammenkünften des Örtlichen Rats, an denen ich teilnahm, etwas seltsam und ein wenig komödienhaft. Ich erinnere mich, dass sie ihre Meinung nicht nur mit Worten zum Ausdruck brachten, sondern auch durch Gesten, zustimmende oder ablehnende Blicke, mit Grimassen und übertriebenem Augenzwinkern. Sie blickten schief auf den Direktor der Kommission oder Delegation, der zu Besuch war, und drückten damit aus, dass sie mit dem, was von den unerfahrenen jungen Leitern über die Jugendlichen gesagt wurde, nicht oder doch einverstanden waren, die wir machten was wir konnten, damit viele Jugendliche pfeifen und sich das Zentrum mit Leben füllt. So verwandelten sich diese Priester schließlich in die alleinigen Herren des Geheimnisses zu pfeifen, die einzigen, die ein tiefes, profundes Verständnis von den Berufungen der Seelen haben, und die auf  ihre kleinen Brüder, die Laien im Örtlichen Rat, wie auf wohlmeinende Jungen herabschauen, denen aber die Weihen ihres Amtes fehlen.

Das Spiel der Verstellung beim Pfeifen

Wie schon bemerkt wurde, war praktisch nichts von dem, was wir beim Proselytismus machten, authentisch; alles war doppeltes Spiel, Wortspiel und Täuschung. Wenn der Kandidat beispielsweise zu einem Armenbesuch oder zu Kranken in ein Spital mitgenommen wurde, ging es niemals um die Armen oder Kranken. Alles drehte sich um die psychologischen und spirituellen Effekte, die die Seele des jungen Menschen bei diesem Prozess der Anwerbung beeinflussen konnte. Die Frage, die wir Numerarier unserem angeblichen Freund am Schluss dieser Werke der Barmherzigkeit stellten, war: Was hat dieser Besuch für dich bedeutet?“ Und wenn er arglos irgendetwas Christliches sagte, das man aufnehmen und umdeuten konnte, kamen wir ihm mit Sätzen wie: „Gut, aber irgendeinen Vorsatz – dich zu bessern, dich hinzugeben“. Das heißt, man pflegte ein doppeltes Spiel. Und das funktionierte fast immer.

Das Gleiche geschah, wenn wir einen unserer Freunde zu einer sozialen Arbeit oder einer Katechese am Samstag einluden. Die Pfarrei interessierte uns dabei überhaupt nicht, die Lehre und die armen Kinder, an die wir uns richteten. Wenn wir tatsächlich bei der Aussprache oder den Beisammenseins des Zentrums darüber sprachen, bezogen wir uns nicht auf sie, sondern wie Anekdoten auf etwas, denn unser wirkliches, tatsächliche Ziel waren die Katechisten, das heißt, die Jugendlichen der Arbeit von St. Raphael, die wir voller falscher Absicht eingeladen haben, denn unsere erste Absicht war, sie zu einer wachsenden Großzügigkeit hinzuführen, damit sie bereit wären, falls Gott mehr von ihnen verlangt. Aber das sagten wir ihnen niemals, denn sie hätten uns nicht verstanden, und schlussendlich war es nicht nötig, ihnen irgendeine Art von Erklärungen abzugeben.

Wir ich erwähnt habe, war der Priester oder der Kaplan des Hauses der Angelpunkt dieser Fischzugs bei der allmählichen  Verwicklung der Freunde, die pfeifen konnten: „Ihr beginnt die  Arbeit des  Proselytismus, und der Priester wird sie vollenden“ – sagte der Gründer in seinen Instruktionen über den Proselytismus. Der Priester war immer vollkommen über alles im Bilde und im Einverständnis mit dem Numerarier und mit dem Leiter des Zentrums, um Stimmung zu machen (jeder an dem ihm zugewiesenen Platz in diesem Kampf des Proselytismus) und den Pfeifkandidaten, das heißt den jungen Menschen, der dem Werk und unserer Aufrichtigkeit vertrautem, dazu zu bringen, dass er so schnell wie möglich um die Aufnahme bitte, damit er im apostolischen Zölibat als Numerarier oder Assoziierter lebt. Obwohl der Priester nicht sagen konnte, was er in der Beichte gehört hatte (die sakramentale Mauer), wohl aber das, was ihm die Jugendlichen in der geistlichen Leitung gesagt haben, oder in einer Theologieklasse an der Universidad Panamericana … Deshalb gab er Hinweise an die Numerarier und bezeichnete ihnen die Richtung und die Taktik, wie sie mit ihren Freunden umgehen sollten. So sah es Escrivá in der zitierten Instruktion über de Proselytismus von 1934 (Nr. 72) vor, der sich an seine Söhne richtete:

Ihr befindet euch am See Tiberias der Welt; ihr habt das  vado piscari des Petrus gehört und die Netze ausgeworfen... vergeblich. — Es ist Abend. – Es kommt der Tag, an dem eure Brüder, die Priester, euch vom Ufer aus sagen werden – ihre Aufgabe ist es, sich zu verbergen und zu verschwinden – wo ihr die Netze auswerfen sollt.

Verborgen und verschwunden, wie der Souffleur in seinem Kasten im Theater, geben sie das Tempo vor, korrigieren den Text und führen Regie. Als Numerarier haben wir diesen verklausulierten Neusprech gut gelernt.   Man hat uns dazu gebracht, es für völlig normal zu halten, mit aller Unverfrorenheit über die Intimitäten des Gewissens unserer Freunde vor dem Priester oder dem Leiter in der wöchentlichen Konferenz zu sprechen, in einer unaufrichtigen Redeweise, bei der wir das eine sagten und das andere meinten. Bei manchen Gelegenheiten sprachen wir über solch heikle Themen auch im Beisammensein, gegenüber allen Numerarierin, die im Zentrum wohnten, und machten Bemerkungen wie diese: „Heute hat mich Hinz wegen der Berufung angesprochen, und er ist deswegen sehr nervös“, oder diese andere: „Mein Freund Kunz hat heute seit vielen Jahren das erste Mal gebeichtet und hat den Vorsatz gefasst, in Zukunft ins Zentrum, zu kommen“. Aber das war etwas, was man nur in der Intimität eines Beisammenseins sagte, wenn man mit den Leuten von Zuhause sprach, das heißt mit denjenigen, die die gleiche Sprache wie wir sprachen oder daran waren, sie zu erlernen, niemals zu Personen, die mit dem Werk nichts zu tun hatten, und noch weniger gegenüber denen, die wir in die Institution eingliedern wollten.

Auch schon als junger, unerfahrener Numerarier wusste ich sehr wohl, dass hinter meinen freundschaftlichen Gesprächen in einem Café oder den Vorschlägen an die Freunde von der Universität, mit denen man Umgang hatte, wie sie sich verbessern könnten, eine mentale Reserve stand, dass man über gewisse Dinge einfach nicht mit ihnen sprach, oder wenn, dann doppelbödig. Wir waren jung, die wir so handelten, und wir waren uns nicht ganz sicher, wohin dieses Spiel mit halben  Geheimnissen zwischen Direktoren und Priestern führen sollte. Wir schwiegen, und als wir Direktoren im Örtlichen Rat eines Zentrums wurde, lehrten wir die anderen genauso zu handeln, indem wir ihnen die gleichen Regeln gaben, wie sie der Gründer des Opus Dei allen seinen Kindern in einem internen Dokument niedergelegt hatte:

Deshalb können wir bei der Diskretion niemals übertreiben. Gebt nicht leichtfertig das Vertrauliche eures Apostolates Preis und sagt den Jungen, dass sie schweigen sollen … (Instruktion über den  Proselytismus, Nr. 41).

So glaubten wir, wie ich angedeutet habe, blind, dass wir weder logen noch mit den Menschen und ihren Gewissen spielten, auch wenn wir bei unseren Handlungen systematisch unsere Absichten verbargen. Wir dachten, dass wir  sie übers Ohr hauten, wie es der Gründer so witzig gesagt hatte. Uns schien es, dass wir sehr korrekt und wirksam handelten, denn der Zweck heiligte alles, denn es handelte sich darum, Apostolat und Proselytismus für eine Institution der Kirche Christi zu machen. Wenn uns in unserem erschütterten Gewissen etwas schwankend machte und wir bei unseren Leitern nachfragten, sagten sie uns in einem sehr ernsten theologischen Ton, dass diese Verhaltensweise unserem Geist entspräche. Und da unser Geist in aller Vollkommenheit von einem Heiligen ausgearbeitet worden war (unserer tiefsten Überzeugung nach war es der größte Heilige, den die zeitgenössische Kirche je gesehen hatte), verging jeder Zweifel oder erstarb jede Mahnung des Gewissens angesichts einer solchen angeblichen Erklärung. Wir machten mit unserer proselytistischen Arbeit weiter, unermüdlich und vielleicht ohne zu wissen, was wir taten – wie Hermann Hesse sagt – dass wir in unserem Inneren das Gefühl für Wahrhaftigkeit demoralisierten… Allerdings glaube ich jetzt, wenn ich in Ruhe darüber nachdenke, dass wir nicht im eigentlichen Sinn logen, sondern bloß Lügen erzählten.

Ich denke, dass viele Institutionen der katholischen Kirche systematisch Berufungen suchen, und das scheint mir nicht schlecht zu sein. Ich bin mir sicher, dass die Jesuiten, die Marianisten, die Augustiner und einige franziskanische Gemeinschaften, neben anderen, Promotoren an ihre Schulen schicken oder Einkehrtage für Jugendliche abhalten, deren Ziel es ist, eine mögliche religiöse Berufung zu entdecken. Aber sie kündigen das auf den Wandtafeln ihrer Kirchen und Schulen an, und sie sagen das offen in ihren Gesprächen und Konferenzen. Und jeder, der hier teilnimmt, ist sich vollkommen der Tatsache bewusst, dass er hier die Ausrichtung für sein Leben in der ganz besonderen Hingabe als Priester oder Ordensmann finden kann.

Als ich jung war, kündigten uns die Professoren unseres Instituts an, dass uns der Promotor seiner Kongregation einen Besuch abstatten und mit uns sprechen würde, in der eine offene Einladung ausgesprochen wurde, eine mögliche Berufung zu entdecken. Der Promotor sprach auch einige Studenten mit direkten und offenen Fragen auf das Thema an. Im Opus Dei sind, ganz im Gegenteil, die Taktiken des Proselytismus immer verhüllt und verlogen, wenn auch höchst effektiv. Und sie richten sich an absolut jeden, der ihren Häusern nahekommt, damit er in ihre Netze fällt, fast ohne mitzubekommen, dass hier über sein Leben entscheiden wird. Hier geht es ausschließlich um neue Berufungen, vom Anfang bis zum Ende, denn man verlangt tatsächlich auch keine besondere Eignung, um Laie zu sein, der sein Leben nach dem Evangelium ausrichtet. Es genügte, wenn sie die Willenskraft ausbrachten, den Zölibat zu leben, die Abtötungen und Beschränkungen auszuhalten und wenn sie sich der Rhetorik der leitenden Klasse beugten.   

Aber kehren wir zu meiner persönlichen Erfahrung in Mexiko; ich erinnere mich an die Zeit, als ich Mitglied einiger Örtlicher Räte von Zentren von St. Raphael und wir uns hinter verschlossenen Türen trafen, um mögliche Berufungen durchzugehen, und es pfiffen viele junge Menschen mit dem Wunsch, Gott zu dienen, als Numerarier. Sofort unterwarfen wir sie einigen Anforderungen, die wir ihnen nach und nach offenbarten, soweit sie es verstehen konnten, man ließ sie die meisten Normen machen, das Bußband benutzen, sie durften nicht mehr ins Theater gehen, sie mussten das Werk ihren Blutsfamilien vorziehen und anderes in der Art. In der Mehrzahl dieser Fälle fühlten sie sich als Privilegierte, die in den inneren Zirkel eingetreten waren, wo man auf Lateinisch betete. Aber alles war erzwungen und gekünstelt, so wie schon das Pfeifen des neuen Numerariers. Und es war generell falsch, weil wir dann nichts weiter taten als sie zurückzuhalten, damit sie nicht mutlos würden, und sie mit dem Geist vertraut machten, mit Worten und Phrasen, die an ihre tiefsten religiösen Gefühle appellierten, oder wir ermahnten sie mit Ausdrücken ad hoc von Escrivá de Balaguer zur Großzügigkeit, oder mit ausgeschmückten oder mit erfundenen Anekdoten. Und all das hatten der Örtliche Rat und die übrigen Leitungsinstanzen des Werkes so komponiert.

Alles, was wir taten, richtete sich an dieser Überredungsarbeit aus, und mehr noch, es bedeutete eine Verführung, damit möglichst viele pfeifen und bleiben. Unsere aufgesetzte Natürlichkeit und die im Studienzentrum einstudierte Eleganz, unser geheimnisvolles Wesen, weil wir so vielen Beschränkungen unterlagen (d. h., unsere innerste Überzeugung war, dass wir gegen unser Gewissen handelten, aber zum Wohle Gottes und der Kirche), erschienen ihnen höchst attraktiv, beispielhaft und oft nachahmenswert. Wir sprachen mit den Jugendlichen, die ins Zentrum kamen und auf unsere Ehrlichkeit vertrauten als Christen, und wenige Stunden nach dem vertraulichen Gespräch mit ihnen breiteten wir ihre Geheimnisse bei den Versammlungen des Örtlichen Rats oder im brüderlichen Gespräch aus.

Es kam uns niemals in den Sinn, dass wir am Vertrauen eines Freundes einen Verrat begingen, wenn wir offen denunzierten, was sie uns als ein höchst persönliches und intimes Geheimnis anvertraut hatten. Wir dachten, dass wir uns aufrichtig und der Institution gegenüber loyal verhielten, wenn wir unverhüllt mit dem Priester und mit den Leitern darüber sprachen, was sie uns anvertraut hatten. Wir sprachen über sie nicht so, wie man über die Seele eines Freundes spricht, sondern wie über Dinge, austauschbare Objekte, materielle Ressourcen, Ersatzteile oder der Input für eine Maschine zur Produktion von Stücken. Mehr noch, ich glaube, dass sich gelegentlich die Präsentation von Geheimnissen und Intimitäten, die uns anvertraut waren, in eine Szene verwandelten, auf der wir Punkte für unseren persönlichen Aufstieg sammeln konnten, weil unser Prestige in der Institution stieg. ;it anderen Worten, das Geheimnis eines Freundes zurückzubehalten, wäre so töricht gewesen, wie wenn man eine Trophäe, die uns eine Triumph eingebracht hätte, versteckt. So prahlten wir mit unseren Heldentaten und Erwerbungen im Umgang mit denen, die wir unsere Freunde nannten, und wir hielten uns bevorzugt dabei auf, die scharfsinnige Art zu schildern, wie wir unseren Zweck erreicht hatten, indem wir auf mehr oder weniger verborgene Art die Unruhe der Berufung in ihnen weckten. Wenn wir ein Zentrum leiteten, breiteten wir bei den Zusammenkünften des Örtlichen Rates die Geheimnisse der jungen Kandidaten aus, als während sie Teil einer Kriegsbeute, den so konnten wir beweisen, dass wir in der Lage waren, unseren jüngeren Brüdern Informationen abzupressen, oder dass wir vertrauenswürdige Freunde unserer Freunde waren, um nützliche Informationen (in der Aussprache) zu gewinnen, um ihren potenziellen Beitritt abzuschätzen.

Ich erzähle hier, was sich in einer eitlen Scheinwelt ereignet, in der die apostolische Sendung nichts Festes war, in der alles, auch das Heiligste, sich in künstliche Verhaltensweisen, Taktiken und doppeltes Spiel auflöste. So etwas geschieht nicht mit Notwendigkeit, aber es ist wahrscheinlich und auch häufig. 

Der Verlauf der Treue zur Berufung

Einige von denen, die gepfiffen haben, brachen unter der Last zusammen und schafften nicht einmal die ersten Monate bis zur Zeremonie der Oblation (das ist die Zeremonie der Eingliederung, die vor dem Holzkreuz in der Vorkapelle mit gewissen Formeln auf Lateinische vorgenommen wird), und man hielt es für normal, weil es so vorgesehen war. Sie verschwanden vom Schauplatz, und entweder sah man sie nie wieder, oder vielleicht erschienen sie später als Mitarbeiter (sic) in den Zentren der Supernumerarier, den sogenannten Zentren von St. Gabriel. Wenn sie bis dahin schon eine gewisse Bildung angenommen hatten oder Prestige in der Geschäftswelt hatten, hielt man sie und ermutigte sie, als Supernumerarier zu pfeifen.

Andere hielten zwar die Last einer angeblichen „Berufung“ aus, lernten aber die Kunst der Heuchelei und schwindelten sich bis ins Studienzentrum durch, vielleicht bedroht von der ständigen Rhetorik der Treue (in den Betrachtungen, Vorträgen und den monatlichen Briefen des Prälaten), unter der Last einer Familientradition oder aus Gewissensbissen. Die wenigsten halten die nächsten fünf Jahre bis zur Fidelitas durch, dem geheimen Verspechen, das in den Kapellen der Zentren bei verschlossenen Türen abgelegt wird, auf Lateinisch und bei dem man einen Ring als Zeichen annimmt, in einer einfachen, aber höchst bedeutungsvollen Zeremonie. Nachdem sie diese Etappe überwunden hatten, beharrten viele, bis sie dreißig oder vierzig waren, und viele andere blieben zölibatär (oder zumindest Numerarier), dank einer gewaltigen Willensanstrengung, oder weil sie es schafften, sich ihre jugendlichen Illusionen zu erhalten. Andere machen weiter, weiter sie wirklich an die Institution glauben. Viele machen weiter, weil sie Priester oder Direktoren sind (einige auch Eingeschriebene Mitglieder, eine besondere Vertrauensposition). Und viele verdanken ihre Beharrlichkeit den Beruhigungsmitteln, die ihre Depressionen tagsüber dämpfen, und die regelmäßig einem Psychiater von Zuhause vorgeführt werden.

In den letzten Jahren erwies sich die Krise des vierzigsten Jahres, wie sie unser Gründer für die Numerarier diagnostizierte, als etwas sehr Ernstes. Allerdings gibt es unter den Numerarier die Kreise auch mir 30, mit 35, mit 45, mit 60 und 70, ich kenne sogar einige mit der Krise der 80. Ich glaube, dass sich das Werk in Mexiko in eine Institution für Kinder und Jugendliche verwandelt hat. Sie führen ihre Gymnasien ordentlich (wie das Cedros) erteilen eine gute Erziehung vielleicht sogar in einigen Clubs. Allerdings wissen die Leiter nichts mit den erwachsenen Numerarierin anzufangen. Deshalb entmutigten sie sie in der Mehrzahl der Fälle oder stellten sie an die Ausgangstüre des Werkes.

Ich leugne nicht, dass einige Numerarier gute Menschen sind, die ihre Hingabe ernst nehmen. Ich kenne viele, die so sind, ja die meisten aus der Minderheit derer in diesem Land, die geblieben sind. Aber hier beziehe ich mich auf die Trägheit der Institution, während diese Menschen sich selbst entfremdet sind, eingetaucht in eine religiöse Struktur, die ihrem eigenen Wesen fremd ist, belastet mit psychologischem Druck, dem man schwer entkommt. Deshalb leide ich unter dem Opus Dei, da es mit Bereichen des menschlichen Lebens spielt, die sehr ernst sind (besonders mit dem tiefen Sinn der Freiheit); vielleicht mit den einzigen, mit denen man nicht spielen darf, denn wenn es auch sicher ist, dass ein guter Teil des Lebens Spiel ist (auch das den Geistes), in den Sinn, wie es Hugo Rahner erklärt, so gibt es doch zwei oder drei Aspekte, die es nicht sind, zumindest nicht, wenn man dem Akt des Pfeifens und der ihm entsprechenden und folgenden Fidelitas eine so tragische Bedeutung zumisst, das sie absolut und für immer sei. Womit spielt das Opus Dei? Was ist das für eine Spiel, das Escrivá de Balaguer erfunden hat, bei dem die Furcht, die Anspannung der Nerven angesichts eines mögliches Rufs ein „klares Symptom der Berufung“ sein soll, oder wo buchstäblich jeder, der an den Bildungsmitteln der Arbeit von St. Raphael teilnimmt, bereits ein potenzielles zölibatäres Mitglied der Institution ist? Was ist das für eine Institution, die jeden Beliebigen pfeifen lässt, indem es einer vorgefertigten Taktik von Kontrolle und Zwang folgt? Was ist das für ein Spiel, das die Leiter des Opus Dei spielen, bei dem jeder Beliebige pfeift und dann wieder geht, weil er niemals hätte pfeifen dürfen? Hat man sich hier schon die schwerwiegenden und dornenreichen moralischen Implikationen klargemacht!

Auch wenn ich meinem Urteilsvermögen und meiner persönlichen Einschätzung nicht vollauf vertraue, kann ich dennoch versichern, ohne dass ich Angst haben muss mich allzu sehr zu irren, dass ein Großteil der Numerarier, mit denen ich jahrelang zusammenlebte, keine Berufung hat oder nicht daran glaubt. Wie viele sind es? Ich weiß es nicht, vielleicht 80 oder 90 %. Das ist zumindest meine Wahrnehmung. Und die Leser mögen mir glauben, dass das keine oberflächliche Überschlagsrechnung ist. Ich habe ihre Lebensgeschichten im Laufe der Jahre aus eigener Anschauung mitverfolgt oder zumindest von ihnen gehört. Ich erinnere mich an viele Geschichten, wo sie unter Druck gepfiffen haben, von Jugendlichen, die um die Aufnahme baten, zwei Tage, nachdem sie die Institution überhaupt kennengelernt haben; endlose Geschichten über kühne Pläne von Don Pedro Casciaro oder der Älteren im Werk.

Als ich jung war, dachte ich, dass jene übereilten Berufungen, von denen ich überrascht in den Beisammenseins von Montefalco und CIES hörte, ebenso wie in den Vorträgen und Betrachtungen, die uns bei den Jahreskursen und Konvivenzen gehalten wurden, eine Folge von außerordentlichen Gnaden waren (typisch für die Gründungszeit) oder Ausdruck des übernatürlichen Charakters der Institution. Dann, im Lauf der Zeit, merkte ich, dass viele dieser älteren Numerarier, mit denen diese Geschichte begann und mit denen ich jahrelang zusammengelebt hatte, unglücklich waren. Die wunderbaren Geschichten enthüllten die Ursache. Es handelte sich, wie ich gesagt habe, um persönliche Erlebnisse, die man der Unschuld und der Blauäugigkeit zuschreiben muss, und sie erschienen mir als etwas durchaus Menschliches – als allzu menschlich, als dass es ich um eine übernatürliche Hingabe handeln sollte. Aber über Jahre hinweg weigerte ich mich zu glauben und vor allem zu akzeptieren, was mit Händen zu greifen war. 

Ich erinnere mich auch daran, dass es in Mexiko Familien gab, in denen alle Geschwister als Numerarier gepfiffen haben (die Kinder von Supernumerariern), manchmal zehn oder elf von ihnen, und blieb nur der Jüngste oder Unvorsichtigste dabei. Man bringt also auf völlig verantwortungslose Art Menschen zum Pfeifen, die nicht den geringsten Sinn dafür haben, was Kirche ist, zumindest die apostolische und römische. Junge Menschen, die keinen Begriff von Zölibat, Treue, aber auch nicht von der Welt haben. Viele, die nur einen Tag in einem Haus des in Condesa, in Mixocac, in Coyoacán, in Lindavista, Satélite oder in Florida verbracht haben, sehen sich in ein endloses Gespräch über die Hingabe und eine absurde Lebensform verwickelt.

Wenn jemand von uns einmal die Dinge etwas tiefer betrachten und hinterfragen wollte, was wir da taten, unterstellte man ihm sofort einen kritischen Geist. Man gab uns oberflächliche Erklärungen und drängte uns, unermüdlich zu arbeiten, ohne an das Wohl der Seelen zu denken. Den, der die seltsamen und zweifelhaften Methoden des Proselytismus oder den Wert solcher falscher Freundschaften hinterfragen wollte, ermahnte man zu schweigen, weiterzuarbeiten wie ein Esel am Schöpfrad, und wenn er weitermachte, wurde er als komplizierter Kopf auf die schwarze Liste gesetzt (so wie ich). Deshalb war es besser zu schweigen und Freunde zu suchen, die pfeifen konnten, und die man stehen ließ, wenn sie nicht pfiffen, weil man mit ihnen keine Zeit verlieren konnte. 

Ich war über 20 Jahre Numerarier, und diese Realität zeigte sich vor allem in den letzten fünf oder sechs Jahren, als ich in einem Zentrum für Studenten lebte. Ich kannte eine Menge Leute, die mit vierzehneinhalb Jahren oder in der Jugend um die Aufnahme gebeten hatten, ohne zu wissen, was sie taten (das ist offenkundig). Andere traten als Studenten bei, vielleicht angezogen  von den Worten eines anderen älteren Numerariers, der ein mehr oder weniger vorgetäuschtes Prestige als Anwalt, Arzt oder Philosoph hatte, von der Eleganz und Vortrefflichkeit der stets adrett herausgeputzten Priester, mit ihren immer gebügelten Soutanen, gebildet und mit guten Umgangsformen.

Von denen, die in der frühen Jugend beitraten, kenne ich nicht einen einzigen Fall (vielleicht einen), der mir einen Hinweis auf eine aus echter Überzeugung getroffene Entscheidung geben könnte. Alle zeigen sie auf vielerlei Arten, auch unwillkürlich, Zweifel, Ratlosigkeit, tiefe Unsicherheit, Angst vor dem eigenen Gewissen. Unter denen, die jung beigetreten sind, kenne ich einzelne isolierte Fälle von Numerarier, die wirklich überzeugt von ihrer Sache sind und hingegeben leben. Aber, um die Wahrheit zu sagen, es sind wenige – sehr wenige.

Es hat schließlich seinen Sinn, wenn religiöse Institutionen ihren Kandidaten eine Probezeit anbieten, als Aspiranten oder Novizen. Ich persönlich denke, dass es nicht zeitgemäß ist, wenn Menschen mit 14 oder 15 Jahren einer religiösen Vereinigung wie dem Opus beitreten. In anderen Zeiten mochte das aus gesellschaftlichen oder familiären Rücksichten angezeigt erschienen; aber weitgehend lässt mich diese Frage nunmehr kalt. Das Problem, das ich beim Opus Dei beobachtet habe und beobachte, ist, dass so viele unvorbereitet in dieses Noviziat eintreten (auch wenn sie es nicht so nennen). Absolut jeder, der sich ihnen nähert. Nicht die kommen, die anklopfen, weil sie einen Ruf verspüren, sondern diejenigen, die man nötigt, weil man sie in die Berufungskrise hinein manipuliert. Und das Schlimmste, und deshalb ist es auch in jedem Sinn ein Betrug, wenn sie um die Admission bitten, sagt man ihnen nicht, dass es Aspiranten in der Probezeit sind, sondern von Anfang an hämmert man den jungen Numerarierin ein, dass sie treu bis zum Tod zu sein haben. Ich leugne nicht, dass man ihnen sagt, was sie sind: Ich sagte, dass man  nicht klar zu ihnen spricht und sie nicht als das behandelt, was sie sind, sondern sobald sie eingegliedert sind, werden sie einer Dynamik unterworfen, die sich in nichts vom Leben eines normalen Numerarier unterscheidet, der seit Jahren vom Werk ist.

Der Fall, der mir am komplexesten und am delikaten vorkommt, ist der der Priester, die keine Berufung zu diesem heiligen Amt haben, die aber dennoch geweiht werden. Viele von ihnen, die meisten, resignieren und sind generell gute Hirten ihrer kleinen Herden. Aber es gibt alarmierende Zeichen von denen, die unter einem Zwang stehen; von Priestern, die Beruhigungsmittel nehmen müssen, weil ihre angebliche priesterliche Berufung sie ebenso depressiv macht wie ihre angeblich laikalen Brüder deren Zölibat. Einige versuchen sich selbst zu überzeugen, und nicht wenige glauben nicht die Hälfte von dem, was über neue und über verlorene Berufungen gesagt wird, und machen sich mit einer guten Portion Zynismus an die ausgefahrenen Geleise einer Pastoral, an die sie selbst nicht mehr glauben. Einige von ihnen, im Alter zwischen 40 und 50, scheinen mir wie Zeitbomben, die in jedem Moment losgehen können, auch wenn man zugeben muss: Wohin sollten sie gehen? So bleiben sie einstweilen, wo sie sind, und leben, so gut sie können ein Leben, an das sie selbst nicht mehr glauben.

Die Numerarier-Direktoren des Opus Dei in diesem Land sind eine eigene Geschichte. Einige der Delegation von Mexiko, andere von der Kommission sind wahre Heuchler, Spezialisten im Ableugnen von Fakten, die alle sehen. Sie wissen, dass die Geschichte mit den Berufungen erfunden ist, sie durchschauen die endlosen Lügen vieler ihrer Brüder, aber sie haben es gelernt zu überleben, indem sie sich die Idee zu eigen gemacht haben , dass all das normal sei; sie haben die Nachtseite der Berufung entdeckt, ihrer und der der anderen. Sie sagen, dass das, was in der Region Mexiko geschieht (der skandalöse Abfall so vieler Numerarier aller Altersstufen, auch der von Priestern, obwohl sie es nicht zugeben) sei die Auslese für jedes Wachstum der Institution; andere sagen, dass es eine Versuchung des Herrn sei, die mit mehr Hingabe und persönlichem Opfer zu überwinden sei; andere meinten, dass es gab keine Krise gäbe, sondern dass es das Kreuz Christi sei, das mit seinem Schmerz für die übernatürliche Entwicklung belohnen würde (so ähnlich heißt es bei den Legionären Christi), und sie erklärten die Flucht der Numerarier wie den Verrat des Judas, als etwas Notwendiges… , wie die Fahnenflucht der Getreuen, die Verständnislosigkeit der Freunde, wie das Bemühen Satans, das Werk Gottes aufzuhalten, und der wohlwollendste Begriff, der Widerspruch der Guten. Einige glauben, was sie sagen, die Mehrheit vermutlich nicht.

Andere, wie der Consiliarius von Mexiko , und an seiner Seite die Vikare der Delegationen (nicht alle), haben sich darauf verlegt wegzuschauen. Sie sagen, dass sie nicht die Zeit haben, sich mit Therapien und unheilbar Kranken abzugeben, denn die Expansion verlangt von ihnen frisches Blut zu suchen, die kräftig zupackenden Hände junger Menschen, die wirklich zu einer unbeschränkten Hingabe in der Lage seien. Sie spielen mit einigen reichen Freunden Golf oder entdecken ihre Begeisterung für das Mountainbiken, und sie entfernen sich immer mehr von der Realität. Deshalb können sie auch ganz zynisch behaupten, dass alles in Ordnung sei, dass man sich durch das Umfeld nicht verwirren lassen möge, das eben einige treulose Gesellen verschlungen habe, die stolz oder lau waren, und drängen ihre Brüder um jeden Preis zur Treue. Und alle bleiben ruhig und glauben, dass sie hier einen Krieg weiterführen, trotz der vielen, die gehen oder scheitern.

Ich erinnere mich an eine Gelegenheit, als ich in meiner Eigenschaft als Mitglied eines Örtlichen Rates gegenüber Don Florencio Sánchez Bella meine Besorgnis über die älteren Numerarier des Zentrums ausdrückte, denn sie waren entweder depressiv  oder lustlos und erschöpft (was in etwa dasselbe ist). Und er antwortete mir mit der Zwanglosigkeit eines Seelenhirten: „Lass sie in ihrem Zimmer, sie sollen sich dort erholen… sie sollen ihre Medikamente nehmen, und du kümmere dich nicht um sie: Konzentriere dich darauf, Berufungen zu finden“. Ich habe ihn nie verstanden, aber ich tat, was der alte Priester aus Spanien gesagt hatte. Ich habe gelernt, dass man die Numerarier ab einem gewissen Alter ihrem Schicksal überlassen müsse, denn wichtig seien nicht die Personen, sondern die Institution, und ich widmete mich nur denen draußen, die pfeifen sollten, auch wenn es zuhause einige demotivierte, enttäuschte, überlastete Menschen gab, denen alles bereits egal war, die über das Leben, das sie führten, tief unglücklich waren. Aber das hatte mir egal zu sein. Ich tat dies im Vertrauen, dass das Werk, wenn es nur den Ratschlägen des Superpfaffen aus Spanien folgte. Von einem dieser Numerarier, der über vierzig war und seine besten Jahre dem Werk und der Universidad Panamericana aufgeopfert hatte, an der er zahlreiche apostolische Initiativen entwickelt hatte, neben seiner Tätigkeit als angesehener Professor der Ingenieurswissenschaft, sagten sie mir in der Delegation (der damalige Subdirektor, Dr. Morán) dass ich mir nicht zu viele Sorgen um ihn machen solle, denn er habe sich zu „Ballast“ verwandelt, und man müsse „seine Situation neu überdenken“. Für mich steht fest, dass er ein bedeutender Mann war, der dem Werk half, wo er nur konnte, aber er hatte wie die meisten keine Berufung. Mehr noch, ich bin überzeugt davon, dass er sie niemals haben konnte. Aber ich zog mich von ihm zurück, wie man mir sagte, und machte weiter Arbeit von St.  Raphael, und es pfiffen weiterhin junge Menschen, von denen die meisten keine Numerarier mehr sind.

So sieht die Realität in einer Institution aus, die den Zölibat als Spiel ansieht, ein möglicher Weg für jeden. Dabei spielt es keine Rolle, ob diese Person nachher, im Lauf der Zeit, das Werk verlässt, die Frömmigkeit aufgibt und sogar den Glauben verliert, wie ich das oft erlebt habe. Es zählt wenig, es zählt nichts.

Die Haltung der Mehrzahl der Numerarier und der Priester, die über die aktuelle Situation des Werkes in Mexiko sprechen, ist nicht zutreffend, aber sehr erhellend. Ihre Blicke, ihre Gesten, ihr Ton, ihre Worte reflektieren den schrecklichen Verdacht, dass sie in einer Situation leben, in die sie nicht berufen worden sind und der sie keinen Sinn abgewinnen können. Angst, Misstrauen, Furcht, Unsicherheit, Beklemmung, Zynismus. Das sind die Gefühle, die die Mehrzahl von ihnen beherrschen. Und ich sage das in tiefem Schmerz, denn ich weiß, wie sehr sie leiden. Mich schmerzt ihr Leid, das von Indifferenz oder Ratlosigkeit verdeckt ist.

Mich schmerzt das Leiden dieser Numerarier und ich leide wegen des Opus Dei, denn ich liebte es sehr. Ihm habe ich meine Jugend aufgeopfert, meine Familie, meinen Beruf, meine Illusionen, meine Gesundheit, meine Lebenskraft. Vor allem aber leide ich um die katholische Kirche, denn was ich hier gesagt habe, betrifft sie zutiefst. Ich bin mir dessen bewusst, dass ich hier ein unmoralisches Verhalten anzeige, etwas sehr Schwerwiegendes, und dass ich eines Tages darüber Rechenschaft ablegen muss, was ich gesagt und was ich geschrieben habe. Aber ich tue dies in der tiefen Überzeugung, dass ich auf irgendeine Weise dabei mithelfe, um zu korrigieren oder zumindest darauf hinzuweisen, was hier ungebührlicherweise mitten im Schoß der Mutter Kirche geschieht. Ich habe nicht vor, sie besser zu machen, und es interessiert mich nicht, ob sie sich reformieren; mir genügt es, wenn ich das tue, wozu ich mich verpflichtet glaube, nämlich meine Erfahrungen niederzuschreiben und die Worte und Taten derer nicht aus dem Zusammenhang zu reißen, die sich einmal meine Brüder genannt haben. Ich hasse sie nicht, und ich vergebe dem Werk trotz seiner ihm eigenen Immoralität. Aber ich werde deswegen nicht aufhören das zu sagen, von dem ich meinem, dass es gesagt werden muss.

Zuletzt möchte ich noch meine tiefe Besorgnis um die Berufung der Numerarier ausdrücken. Jedenfalls ist alles, was ich angedeutet habe, wahr, und ich will auch nicht leugnen, dass die Numerarier und Numerarierinnen den vielen Personen, darunter wunderbare Männer und Frauen, viel Gutes tun Viele meiner Freunde und Verwandten sind dank des Opus Dei und der Arbeit der Numerarier, Numerarierinnen und Priester des Werkes Gott näher gekommen. Viele Numerarier, die ich kenne, leben ein bewundernswertes und überraschend heroisches Leben, denn sie tun viel und haben dabei keinen Rückhalt, manchmal nicht einmal Verständnis oder zumindest das Wohlwollen ihrer Leiter.

Mit einige wenigen Ausnahmen neurotischer und schwieriger Menschen sind ein Großteil der Numerarier, mit denen ich in den vielen Jahren im Werk zu tun hatte aufrichtige Menschen mit den besten Absichten; für die aus Rom gilt das allerdings nicht. Diese bilden die schlimmste Kaste innerhalb der Schicht der Numerarier; sie sind die unmenschlichsten, und ich wage zu behaupten, dass sie zutiefst machiavellistisch sind , auch wenn sie alles, was sie sagen oder tun, rechtfertigen und einer Art jesuitischen Moral  huldigen, die überholt und wirr ist und bei der sie die Heimlichtuerei und den Doppelsinn Diskretion und Mentalreserve nennen. Aber die normale Fußtruppe der Region, zu der ich gehörte, sind in der Mehrzahl ehrenwert, bemüht und ordentlich. So denke, ich, dass das Problem der Berufung keine Frage ist, die die Bosheit oder die moralische Verantwortlichkeit derer betrifft, die als Numerarier leben, sondern eine Redensart, die seit der Gründung herumspukt, eine missverstandene Art, wie die Institution Seelsorge betreibt, und eine Verzerrung des wahren Sinns des Zölibates. Die letzte Frage, die mir am schwersten vorkommt und die mich am meisten beschäftigt, denn man machte aus etwas, was in sich heilig ist, eine banale, gleichsam profane Angelegenheit, die nicht von einer göttlichen Erwählung ausging, sondern aus einer menschlichen Selektion, die sich mit einer Grundierung von Sätzen aus dem Evangelium tarnte.

Vieleicht kann mir jemand sagen, dass ich den tiefen und übernatürlichen Sinn der Berufung eines Numerariers zum Zölibat nicht verstanden habe, so wie ihn der Gründer in seinen Instruktionen von St. Raphael und Über die Art, den Proselytismus zu machen niedergelegt hat. Es ist möglich, aber sicher ist, dass ich im Laufe der Jahre, in denen ich dieser Organisation angehörte, eine Praxis erfahren habe, die, wenn man sie mit seinen Schriften vergleicht, nur für eines da ist: Berufungen erfinden, planen, herstellen, Berufungskrisen wecken, reden, damit sie pfeifen, lehren, den Zölibat zu leben…  mit einem Wort, um Berufungen aus dem Zylinderhut zu zaubern wie die berufsmäßigen Magier dies tun, auch wenn sie es nicht wissen, widmet der Großteil der Numerarier des Opus Dei der Abwerbung angeblich zölibatärer Berufungen.  

Es bleibt mir nur noch meine Anhänglichkeit an eine Idee auszudrücken, die mir vor kurzem ein Priester gesagt hat, der kürzlich das Werk in der Delegation von Guadalajara verlassen hat und der jetzt im Nachbarland im Norden lebt: Bitten wir Gott, dass diese Institution den Menschen und den Kirche Christi nicht noch mehr Schaden zufügt.      

 

Castalio