Frau Daniela-Kathrin Latzl veröffentlichte im FH Magazin auf vienna.at am Mittwoch 26.5.2006 folgendes Interview:
„Gottes Werk und Teufels Beitrag“
„„Neun Jahre lang war Dietmar Scharmitzer Mitglied des Opus Dei. Ein Gespräch über seine Erlebnisse, die Methoden der katholischen Prälatur und die Darstellung des Werk Gottes im Bestsellerroman „Sakrileg“.
FH-Magazin: Wie sind Sie mit dem Opus Dei in Berührung gekommen?
Scharmitzer: Mit 14 Jahren habe ich einen sehr faszinierenden Religionslehrer bekommen: Professor Ernst Burkhart, einen Priester, der sehr gut Geige spielte. Vor seiner Weihe war er Journalist und hat die politische Wochenzeitung „Die Analyse“ herausgegeben. Ich sah, dass es in der Kirche auch intellektuelle Leute gibt, nicht nur zitternde alte Pfarrer und Rosenkranz betende Weiblein. Und nachdem ich eher konservativ erzogen worden bin, war es den Herrschaften leichter möglich, mich einzufangen, wobei zum Teil ganz brutal vorgegangen wurde: Kaplan Paul Blecha, ebenfalls Religionslehrer, hat mich im Beichtstuhl der Peterskirche so lange bearbeitet, bis ich tränenüberströmt versprochen habe, auch mit einem Laien des Opus Dei zu sprechen. Der Laie war Dr. Albert Hofmayer, Dozent auf der Wirtschaftsuni, Geograph, Mitglied der Akademie der Wissenschaften – ich bin vor Ehrfurcht gestorben und habe ihm natürlich alles abgenommen, was er gesagt hat.
Unter welchen Umständen kam es dann zu Ihrem Beitritt?
Ich wurde zu Einkehrstunden eingeladen und war vollkommen fertig, weil die Probleme, die da vor etwa elf Jugendlichen angeschnitten wurden, genau meine persönlichen Probleme waren. Später bin ich drauf gekommen, dass alle anderen bereits Mitglieder waren und diese Veranstaltung allein auf mich zugeschnitten waren. Es bemühen sich alle sehr, wenn es gilt, einen Fisch an Land zu ziehen. Im ersten Jahr meines Studiums bekam ich dann plötzlich das Angebot beizutreten, nachdem man mich vorher hatte dumm sterben lassen: Ich wusste nicht, ob ich dazugehöre, und ob es überhaupt eine formale Mitgliedschaft gibt. Ich wurde dem späteren Kardinal Groer vorgestellt – er hat gefragt: „So, sie sind beim Opus Dei?“ und ich habe ihn mit großen Augen angeschaut und geantwortet: „Ich weiß es nicht!“
Wussten Sie denn überhaupt, worauf Sie sich eingelassen haben?
Viele Dinge, die im Opus Dei üblich sind, habe ich erst Wochen, Monate oder gar Jahre später erfahren. Ich wusste bei meinem Beitritt nicht, dass ich mich verpflichte, mein Geld abzugeben. Dass Bußwerkzeuge verwendet werden, also die Peitsche und ein Bußband mit Dornen, habe ich erst nach etwa eineinhalb Jahren erfahren. Ich hab das Bußband den ganzen Tag lang um den Oberschenkel getragen, weil mir niemand gesagt hatte, dass zwei Stunden ausreichen.
Was geht in einem vor, dass man diese Werkzeuge wirklich verwendet?
Wenn man einmal eine Zeit lang dabei ist und man davon überzeugt wird, dass man auch andere Menschen ins Boot holen muss, um sie zu retten, dann akzeptiert man alles und es reduziert sich alles auf dieses Ziel. Es gehört dazu, dass man sich mit diesen Dingen malträtiert und stolz auf dieses christliche Indianerspiel ist, dass man ein richtiger Held ist und ein richtiger Christ, und ein bisschen mit Verachtung auf die anderen hinunter schaut, die das nicht haben.
Haben Sie in Gemeinschaft gelebt?
Nachdem ich chronisch krank war, hat man bei mir darauf verzichtet, mich als Numerarier anzusprechen – das sind die richtigen Mitglieder, die in Gemeinschaft leben. Es wird zwar immer wieder gesagt, alle Mitglieder sind gleich, aber das stimmt nicht – die verheirateten Mitglieder bekommen nichts mit, sie müssen auch nur zehn Prozent ihres Einkommens abgeben. Ihr Zweck ist es, dem Opus Dei möglichst viele künftige Numerarier zu schenken.
Ich wurde als Assoziierter akzeptiert. Das sind Mitglieder die auch zölibatär leben, alles hergeben, aber nicht notwendigerweise Akademiker, die nicht in Gemeinschaft leben. Ich habe also lange Zeit bei meinen Eltern gewohnt, die von nichts wussten.
Wie wird das Geld abkassiert?
Alle Mitglieder liefern zu Beginn des Monats ihr Geld ab. Man muss alle Bankauszüge abgeben und es ist aus Gründen der Geheimhaltung auch nicht erwünscht, das Geld zu überweisen, denn ein schlauer Bankbeamter könnte ja eine Liste der Mitglieder konstruieren. Man muss ein Jahresbudget erstellen, glaubhaft machen, was man braucht, und jede einzelne Ausgabe durch einen Ausgabenzettel belegen. Sogar für ein Straßenbahnticket. Dann bekommt man ein Taschengeld.
Weiß man, was mit dem Geld passiert?
Naja, die Häuser sind sehr gut eingerichtet und Rom arbeitet mit diesem Geld. Das Opus Dei hat eine Reihe von Privatuniversitäten in der ganzen Welt, und es ist natürlich ein wunderbares Mittel, den Diözesanklerus zu unterwandern, wenn man den Bischöfen in der Dritten Welt anbieten kann, dass ihre besten Leute in Rom studieren dürfen. Die kriegen dann ein Stipendium, kommen meist als überzeugte Opus Dei-Mitglieder zurück und fahren dann als Trojanische Pferde in der Diözese: Sie unterstehen zwar dem Bischof, machen aber Werbung für das Opus Dei. Damit lässt sich vieles machen, und auch wenn der Heilige Vater Geld braucht, dann ist was für ihn zu haben.
Welches Ziel wird im Opus Dei verfolgt?
Es heißt die Arbeit heiligen, sich durch die Arbeit heiligen und andere durch die Arbeit heiligen. Das ist natürlich ein sehr schönes Ideal, wenn man als vollwertiger Christ lebt, alle Ideale erfüllt wie sonst nur ein Mönch oder ein Priester, und trotzdem als normaler unauffälliger Mensch in der Welt lebt. Man kommt auch gar nicht dazu drüber nachzudenken, weil der ganze Tag mit Stoßgebeten angefüllt ist, über die man Rechenschaft abzulegen hat. Jeder Schritt wird im „brüderlichen Gespräch“ mit dem Laien besprochen. Das wird auch niedergeschrieben – ich hab einmal die falsche Tür geöffnet und den Inhalt meines vertraulichen Gesprächs auf dem Computerbildschirm gesehen. So wird man ständig in Atem gehalten.
Was hat Sie schließlich zu Ihrem Austritt bewegt?
Verschiedene Dinge. Unter anderem habe ich meine spätere Frau kennen gelernt – das war weniger eine Zölibatskrise, als meine einzige Chance, mit jemandem zu sprechen, und eine Stütze zu haben – mit meinen Eltern konnte und wollte ich darüber nicht sprechen.
Ich habe eine Lehrverpflichtung am Schottengymnasium angeboten bekommen und musste unter fadenscheinigsten Vorwänden absagen. Das sind dort Benediktiner, die haben anscheinend eine andere Religion als das Opus Dei. Man hatte offenbar Angst, dass ich dort eine weltoffenere, fröhlichere Art kennen lerne, Christ zu sein.
Ich wurde von allen gemieden und geschnitten und von meiner Gruppe separiert, weil mein interner Vorgesetzter gemeldet haben dürfte, dass bei mir die Gefahr der Homosexualität bestünde. Das konnte ich mir erst nach Jahren zusammenreimen.
Und ich hatte durch einen riesengroßen Zufall das Glück, dass meine Mitgliedschaft öffentlich bekannt geworden war: Weil bei mir sozusagen die Tarnung bereits aufgeflogen war, wurde ich als Vertreter des Opus Dei zu einem Kongress des päpstlichen Laienrates geschickt, und hatte dort erstmals die Statuten des Opus Dei in Händen, nachdem ich bereits neun Jahre Mitglied war. Da ist mir zufällig der Satz aufgefallen, dass jedes Mitglied das Recht hat, entlassen zu werden. Und dieser Satz hat mich gerettet.
Sie sagen, Ihre Tarnung sei aufgeflogen. Auf der Homepage des Opus Dei heißt es, die Angehörigen „stellen ihre Zugehörigkeit … nicht unbedarft zur Schau, verbergen sie aber auch nicht.“
Es ist ganz offenkundig bekannt, dass Dr. Richard Estarriol, Journalist bei “La Vanguardia“ 1957 als eines der ersten vier Mitglieder nach Österreich gekommen ist. Wenn man ihn fragt: „Sind Sie bei Opus Dei?“, antwortet er: „Ich kenne das Opus Dei sehr gut, mein Bruder ist Priester des Opus Dei.“ Das ist eine halbe Wahrheit und somit eine glatte Lüge.
Was ist passiert, als Sie bekannt gegeben haben, dass Sie austreten möchten?
Das war eine Mischung aus Psychoterror. Es hat ununterbrochen das Telefon geläutet, ständig war jemand an der Gegensprechanlage. Ich wurde sechs Stunden lang verhört, dann bin ich aufgestanden und gegangen. Ich weiß von anderen ehemaligen Mitgliedern, dass so ein Verhör bis zu 24 Stunden dauern kann und ihnen Beruhigungsmittel verabreicht wurden. Ohne jemanden an meiner Seite hätte ich dem Druck sicher nicht standgehalten. Wahrscheinlich wäre ich geblieben, hätte zu trinken begonnen oder einen Selbstmordversuch unternommen. Ich war so instabil, dass ich eine Lasershow am nächtlichen Himmel für eine Teufelserscheinung gehalten habe.
Wie hat sich Ihr Leben danach verändert?
Gesundheitlich ging es mir wesentlich besser. Ich war vorher wie gesagt chronisch krank, das hab ich alles hinter mich gebracht. Ich bin noch gewachsen mit 28 Jahren, zwei Zentimeter. Das war psychisch bedingt, weil ich eben so niedergedrückt war. Ich hab mich ganz einfach wohler gefühlt und es war ein anderes Leben als vorher. Und es ist immer besser geworden in dem Maß, als die Schuldgefühle geringer geworden sind, weil ich es durchschaut habe als etwas, das mir angetan wurde und von außen aufgezwungen.
Mitte Mai kommt die Verfilmung von „Sakrileg“ in die Kinos. Was sagen Sie zur Darstellung des Opus Dei in Dan Browns Roman?
Grundsätzlich halte ich es für ein schlechtes Buch und es ist mutig, dass der Name „Opus Dei“ genannt wird. Umberto Eco hat mit „Der Name der Rose“ gezeigt, wie ein spannender Roman ausschauen kann, der mit Geheimnissen im Schoß der Kirche arbeitet. Das ist der Versuch eines Remakes. Es ist natürlich nett, ein Ratespiel zu veranstalten und Atmosphäre zu erzeugen, aber es schlägt in die falsche Richtung und trägt auch nicht zur Aufklärung über das Opus Dei bei. Das Opus Dei wird als Gruselkabinett geschildert und das ist es auch, aber nicht in der Form. Manches ist genauestens beschrieben, zum Beispiel das Hauptquartier in New York, und das vermittelt den Eindruck von Authentizität, aber es passt nicht zusammen.
Das Opus Dei fordert einen Hinweis auf den fiktiven Charakter des Films. Denken Sie als Pädagoge, dass vor allem junge Menschen dazu in der Lage sind, die fiktiven von den realen Elementen zu unterscheiden?
Ich glaube diejenigen, die das Buch in die Hand nehmen und es auch zu Ende lesen, können das durchaus. Bei einem Film ist es schon kritischer, angeblich glauben viele amerikanische Jugendliche, dass in Deutschland die Nazis am Ruder sind und dass sie noch mit ihren Fliegern hinüberkommen könnten. Es ist natürlich eine Verzerrung der Wirklichkeit, die hier angeboten wird.
Der Sprecher des Opus Dei in Rom, Marc Carrogio, betonte in einem Interview, es werde keine Empfehlung bezüglich des Filmkonsums an die Mitglieder geben. Das sei nicht nötig, weil es sich um „erwachsene Menschen“ handle.
Das klingt gut, man muss natürlich unterscheiden zwischen dem, was nach außen hin vermittelt wird, und der eisernen Disziplin, die nach innen herrscht. Im Opus Dei gibt es selbstverständlich Bücherzensur. Ich hatte die Ehre, die Kartei ein Jahr lang zu betreuen, Bücher zu lesen und Empfehlungen zu schreiben. Es ist auch passiert, dass ich zurechtgewiesen wurde, weil ich das Buch gelesen hatte, das ich nachher kritisiert habe. Auch wenn im Fernsehen eine Reportage über das Opus Dei läuft, dürfen die Mitglieder das selbstverständlich nicht anschauen.
Carrogio meinte weiters, man werde versuchen „Saft aus der Zitrone zu machen“.
Es bleibt ihnen auch nicht viel anderes übrig, als auch die Negativpropaganda zu nützen. Im Spanischen gibt es das Sprichwort „Cual quiera ocasión es buena“ – jede Gelegenheit ist gut –, das sie auch immer wieder in ihren internen Schriften verwenden, als Beispiel wie man überall an Menschen herankommen und auch aus negativen Beispielen lernen kann. Ich habe ein Erlebnis gehabt, dass ein gebildeter, nobler Herr mit 83 Jahren zum Pfarrer der Karlskirche gegangen ist, das war damals jener erwähnte Dr. Burkhart, um sich an der Quelle zu informieren, was denn das Opus Dei sei, nachdem er einen negativen Zeitungsartikel gelesen hatte. Und es war schön und erbaulich für uns zu sehen, dass dieser alte Herr, der ein braver Katholik war, nach einigen Wochen beigetreten ist. Kurz später wurde er gebeten, die Nummern seiner Aktien bekannt zu geben, und er ist wieder ausgetreten.
Dan Brown sagte in einem Interview, er habe die Hoffnung, sein Buch könne die Leser motivieren, über die wichtigen Dinge des Glaubens zu diskutieren; Kontroversen und Dialog seien gesund für die Religion als Ganzes.
Ich weiß nicht, ob man auf die Diskussion des Glaubens und auf die Wahrheitsfindung warten sollte. Die wenigsten Menschen sind daran interessiert, über Dinge des Glaubens und der Religion ernsthaft nachzudenken. Viele sind zu oberflächlich oder wollen nichts mehr hören. Und die, die in der Kirche sind, sind oft einem großen Druck ausgesetzt, den Mund zu halten und naiv und kindlich zu sein, namentlich Mitglieder von straff geführten Organisationen wie dem Opus Dei. Natürlich muss man über die Ursprünge des Christentums nachdenken. Es gibt viel zu wenig Aufklärung darüber, was eigentlich wirklich in den Evangelien steht, wie das zu verstehen ist und in welcher Hinsicht manche Gebote des Herrn, zum Beispiel der Zölibat, zu verstehen sind.
Wie gehen Sie heute mit Ihrer Religiosität um?
Ich stehe der Kirche sehr kritisch gegenüber und weiß nicht, in welche Richtung sich mein Glaube noch entwickeln wird. Die Enttäuschung, die ich von Seiten des Opus Dei erfahren habe, hat ihre Narben hinterlassen – und es ist noch lange nicht vorbei.
Zur Person: Dr. Dietmar Scharmitzer unterrichtet Deutsch und Latein an einem kirchlichen Gymnasium in Wien. Er hat zwei Kinder und ist geschieden. Dem Opus Dei gehörte er von Ende 1982 bis Anfang 1992 an.““