Jaime Escobar: Die Lage der Kirche in Chile und die Macht des Opus Dei

Quelle: Dial, Sonntag 16. Juni 2002

Das Opus Dei ist eine Bewegung christlicher Laien, die von José María Escrivá de Balaguer gegründet wurde, einer Persönlichkeit, die trotz der Heiligsprechung, die Papst Johannes Paul II.in Rekordtempo durchzog, kontroversiell bleibt. Das Opus Dei hat den Ruf, „zur Geheimhaltung zu tendieren“, und dabei versucht es durchaus als geheime Macht die Kirche und die Zivilgesellschaft zu infiltrieren? Stimmt das, oder ist das reine Fantasie? Der Artikel will feststellen, was es mit der Präsenz dieser als konservativ eingestufter Bewegung in Chile auf sich hat. Er stammt aus einem Kapitel des Buchs „Opus Dei. Génesis y Expansión en el Mundo“  („OD. Entstehung und Ausbreitung in der Welt“, Verlag LOM, 1992),  der 2001 von seinem Autor Jaime Escobar M., Experte in Kirchenfragen und Herausgeber der christlichen Zeitschrift „Reflexión y Liberación“ durchgesehen und revidiert wurde.

Die Anfänge des Opus Dei in Chile gehen auf das Jahr 1948 zurück, denn schon damals dachte der Gründer des OD einen Gesandten nach Chile zu schicken. Die Wahl fiel auf den jungen Adolfo Rodríguez Vidal, einen Marineingenieur, der vor kurzem zum Priester geweiht worden war. Er kam 1950 über Buenos Aires nach Chile und stellte sich Kardinal José María Caro vor, der ihn in Santiago einführte. Er erhielt rasch einen Posten als Professor an der Ingenieursschule der Katholischen Universität Santiago. Wenige Jahre später, bereits als Regionalvikar in Chile, startete er durch, zuerst in der Hauptstadt und dann im Süden des Landes...

 

Die Arbeit, die das Opus Dei in Chile in seinen ersten zehn Jahren leistete, machte nur langsame Fortschritte und richtete sich an eine kleine Zahl von Berufstätigen und Studenten. Zwei Jahre nach der Ankunft von Rodríguez Vidal kamen die ersten Berufungen, und am Ende der sechziger Jahre bemerkte man eine gewaltige apostolische Entwicklung unter chilenischen Unternehmern und im ländlich-bäuerlichen Milieu.

Die ersten Streifzüge des Opus unter Unternehmern und Politikern ereigneten sich bei der Zeitschrift Zig Zag, dem zweitwichtigsten Zeitungskonsortium Chiles in dieser Zeit. Andere junge Spitzenkräfte, die sich für das Opus Dei interessierten, kamen aus der Versicherungs- und der Exportbranche. Der weibliche Zweig des Opus Dei zeigte sich von Anfang an sehr aktiv und unterwanderte in kurzer Zeit die Frauenzeitschrift „Eva“, und einige junge Journalistinnen übten einen starken Einfluss auf die Wochenzeitung „Ercilla“ aus.

Opus Dei hat eine große Entwicklung an der „Universidad Católica de Santiago“ genommen. Sie verdankt sie vor allem der Beharrlichkeit einer kleinen Gruppe von Anhängern, geleitet vom Priester Rodríguez Vidal, der sich erinnert: „Am Anfang war es nicht leicht, das Opus Dei zu erklären, denn seine juristische Stellung war nicht geklärt“. Er musste bis 1982 warten, bis Papst Johannes Paul II. es als Personalprälatur errichtete und es seine wahre juristische Identität bekam.

Bis zu diesem Moment war es, wie alles in der Kirche, eine Vereinigung von Gläubigen, die der Heilige Stuhl approbiert hatte, allerdings mit einem juristischen Statut, das nicht exakt dem entsprach, was das Opus Dei war. Aber all das hat es nicht daran gehindert, seine Ziele zu verkünden: „Heiligkeit der Laien im alltäglichen Leben und einige Weltpriester, die aus diesen Laien hervorgehen, mit dem Ziel, der Kirche zu dienen“ [1].

In diesem halben Jahrhundert in Chile hatte das Opus Dei zwei großartige Erfolge, die entscheidend zu seiner Entwicklung und zu seinem Wachstum in den letzten 15 Jahren beigetragen haben. Der erste hat mit dem Besuch des Gründers des Opus Dei in diesem Land zu tun.

Er kam im Juni1 1974 nach Chile; sein Plan war sorgfältig vorbereitet und enthüllte eine eindrucksvolle Logistik, jeder Auftritt des Padre Escrivá wurde in Bild und Ton festgehalten. Die lokale Organisation des Opus misst diesem Besuch eine große Bedeutung bei, und als man den Vikar Don Adolfo Rodríguez nach den wichtigsten Ereignissen in der Geschichte des  Opus Dei in Chile fragte, antwortete er: „Es gab nur ein markantes Ereignis, den Besuch des Gründers in Chile im Juni 1974. Es gab den entscheidenden Impuls, der uns einen großen Sprung vorwärts machen ließ“"  [2]. Tatsächlich erlebte das Opus Dei von da an bis heute eine bemerkenswerte Expansion an den Universitäten und bei den Unternehmern des Landes.

Der andere wichtige Erfolg war die Ernennung von Rodríguez Vidal durch Papst Johannes Paul II. zum Bischof von Los Ángeles im Juli 1988. Zur gleichen Zeit besuchte Kardinal Joseph Ratzinger Chile, zur großen Freude des chilenischen Unternehmertums und einiger  Bischöfe, die zum konservativen Flügel des Episkopats gehören; all das geschah  unter einer großen publizistischen Kampagne der Zeitschrift „Mercurio“ in Santiago de Chile” [3].

Diese beiden Besuche (von Escrivá und von Ratzinger) fanden während der Diktatur des Generals Pinochet statt, als die Kirche wegen ihrer Aufgabe, die Menschenrechte zu verteidigen, unter Druck stand. Aber weder fand Vater Escrivá 1974 noch Kardinal Ratzinger 1988 Worte oder Gesten des Mitgefühls gegenüber den tausenden verfolgten, bedräbgten und vertriebenen Christen, und sie wiesen nicht auf das Drama hin, das Chile unter der Militärdiktatur erlebte.

Wenn wir zum Besuch Escrivás in Chile zurückkehren, müssen wir unterstreichen, dass sich der Gründer lächelnd zeigte, geschickt in seinen Antworten, sehr interessiert an der Arbeit des Werks unter den Jugendlichen der „Universidad Católica“, und er gab Anweisungen an die Leiter, „die nationale Junta der Regierung“ zu unterstützen, die sich gerade selbst unter der Leitung des  Generals Pinochet ernannt hatte, und er sah sich selbst wohl als eine Unterstützung des „edlen Kreuzzugs gegen den totalitäre Kommunismus“, und schließlich hatte das Werk in dieser Hinsicht bereits eine gewichtige Erfahrung, nämlich 37 Jahre bedingungsloser Unterstützung für die Diktatur Francos in Spanien.

Bei einem der Treffen Escrivá mit den Anhängern des Opus Dei in Santiago schilderte ihm eine Frau ihre Bedrückung darüber, dass drei ihrer Kinder dem Opus beigetreten seien, und sie habe das Gefühl, sie verloren zu haben. Escrivá fixierte sie und sagte: „Ich rede mit keinen Gluckhennen“. Andere Zeugnisse sprechen davon, dass eine Frau vom Land Escrivá um Rat fragte; sie sei Hausangestellte und habe Schwierigkeiten, ihre Arbeit zu heiligen, weil ihre Chefin sehr ungerecht sei und ihre Stellung missbrauche. Die Antwort des Gründers: „Jeder auf seinem Platz. Bete für deine Chefin und mach deine Arbeit gut“.  [4].

Die Haltung Escrivás gegenüber dem Regime General Pinochets war keine Überraschung, denn er hatte dieselbe Haltung viele Jahre unter der der Regierung des General Franco gezeigt: Es sah, dass diese beiden Männer „dazu bestimmt und geboren waren zu herrschen“. Er bewahrte ein wohlwollendes Schweigen gegenüber den Ungerechtigkeiten, die in diesen beiden Militärdiktaturen begangen wurden, er verdammte den Diktator nicht und lud ihn nicht einmal ein, seine Arbeit zu heiligen und seine Regierungsweise christlicher zu gestalten.

Allerdings zögerte Escrivá nicht, sich über die Katholiken zu äußern, die darum kämpften, das Leben derer zu retten, die sich gegen die brutale Unterdrückung seit 1974 gestellt hatten: Er nannte sie „treulose Söhne der Kirche“. Dieser Ausdruck rief bei vielen Katholiken ein tiefes Missbehagen hervor, die Verfolgung; Kerker und sogar den Tod erlitten. [5]. Seine Worte wurden als Rechtfertigung des brutalen Staatsstreichs verstanden, der sich einige Monate vor seiner Ankunft in Chile ereignet hatte. Am Ende der Reise verursachte Escrivá einen heftigen Eklat im direkten Zusammenhang mit den täglichen Menschenrechtsverletzungen in diesem Land. Die chilenischen Journalisten Franz Vanderschueren und  Jaime Rojas versichern, dass in einer Begegnung in Santiago davon die Rede war, wieviel Blut im ganzen Land vergossen worden war, und Vater Escrivá bezog sich darauf mit den Worten: „Ich sage euch, dieses Blut war notwendig“.].

Heute (2001) gibt es zwei Bischöfe des Opus Dei in Chile: Adolfo Rodríguez (in Ruhestand) in der Diözese Los Ángeles sowie in Rancagua den Weihbischof Luis Gleisner. Diese Einflussnahme bei Bischofsernennungen ist eine Konstante in Lateinamerika und dem Beweis für die kirchenpolitische Übereinstimmung zwischen Papst Johannes Paul II. und dem, was das Opus Dei auf dem Kontinent macht.

In diesem triumphalistischen Kontext setzte das Opus Dei in Chile einen weiteren bemerkenswerten Schritt: Am 19. März 1990 nahm die „Universität de los Andes“ ihre Tätigkeit auf. Diese Privatuniversität begann im Bereich von Medizin, Jura und Philosophie und eröffnete später weitere Fakultäten. Sie unterzeichnete Kooperationsverträge mit der „Universidad Católica“ Santiago und der Universität von Navarra, die in Chile durch den Delegierten Gonzalo Rojas repräsentiert wird. Die beiden Sitze der Universität entfalteten eine intensive Tätigkeit, vor allem seit 1991 durch die Organisation von Seminaren wie „Unternehmen und Humanismus“, die von katholischen Unternehmern geleitet wurden, das andere war „Scheidung und Recht“, geleitet vom damaligen Präsidenten des Oberlandesgerichts von Santiago, Ricardo Gálvez.

Das Opus Dei brachte alle seine Kontakte ins Spiel, um diese Initiative erfolgreich werden zu lassen. Eine Gesellschaft der Freunde der „Universität de los Andes“ wurde auf die Beine gestellt, die Medizinstudenten absolvierten ihre Praktika im Pfarrspital von  San Bernardo und „anderen Kliniken“, deren Namen ich nicht nennen werden“, erklärte der Dekan der Medizinischen Fakultät, Dr. Fernando Orrego Vicuña.

Offiziell wurde die „Universidad de los Andes“ am 10. Mai 1990 eröffnet, in Gegenwart der Bischöfe Jorge Medina, Adolfo Rodríguez und Orozimbo Fuenzalida, des Consiliarius, Alejandro González, und eines Teils seiner Kommission in Chile, der Priester José Miguel Ibáñez Langlois, Pablo Joannon und Sergio Boetsh. Heute beeinflusst das Opus Dei auch die „Entwicklungsuniversität“ und die „Universidad Finis terrae“.

Während der Diktatur hatten Mitglieder die Ministerien für Wirtschaft, Erziehung und Äußeres inne [7]. Man weiß, dass die letzten drei Staatssekretäre des Militärregimes Mitglieder des Opus Dei waren. Sie beeinflussen auch die katholischen Universitäten von Valparaiso und von Santiago; über den Kanal TV 13 der „Universidad católica“ von Santiago kamen Klagen an die Bischöfe über eine starke Tendenz der Leitung, im Interesse des Proselytismus des Opus Dei zu handeln.

Ein halbes Jahrhundert ist vergangen, seit sich das OD in Chile etabliert hat, und es ist schwer exakt anzugeben, welche Position es in diesem Land einnimmt, weil es keinerlei Informationen darüber gibt. Sie pflegen eine extreme Geheimhaltungspolitik. Allerdings können wir uns durch vereinzelte Notizen, die in der Presse erschienen sind, und durch Äußerungen von Personen, die dem Opus Dei nahestehen, ein Organigramm der Prälatur erstellen: Consiliarius in Chile ist Alejandro González Gatica,  unterstützt von einer Kommission mit den Priestern Sergio Boetsh, Pablo Joannon und José Miguel Ibáñez Langlois, den Laien Francisco Silva, Pablo Elton, Guillermo Monckeberg, Ignacio Morandé, Manuel Vial und José Gabriel Joannon. Die jüngst eröffnete Pressestelle untersteht dem Rechtsanwalt José Antonio Guzmán. Man schätzt, dass es heute 3 000 aktive Mitglieder sind in diesem Land gibt, 35 Priester und über 25 000 Sympathisanten.

Sie besitzen die Privatgymnasien Huelén, Tabancura, Los Andes, Cordillera, Los Alerces, die von Seduc koordiniert werden; den Kindergarten Cantagallo; das Studentenheim Araucaria; die Polykliniken von Cerro Navia, Tabancura und El Salto; das Kulturzentrum Los Aromos; die Buldingszentren für Frauen Centrum und Fontanar; das Zentrum Las Creches und die Landwirtschaftsschule Las Garzas. Außerdem leiten sie die Gymnasien San Rafael, Nuestra Señora de Loreto und dei Sekretärinnen- und Übersetzerinnenschule (ESI). Das Opus Dei stützt sich auf etliche Generäle, wie Videla und Ballerino. Sie sind besonders ind er Marine mit mehreren Admirälen präsent, so den pensionierten Kommandanten Admiral Jorge Martínez Bush und Admiral Jorge Arancibia Reyes.

Opus Dei widmet den Medien eine große Aufmerksamkeit. Deshalb erkämpfte es aufwändig Präsenz und Penetranz bei Canal 13 und Canal 9 Megavisión sowie bei den Radiosendern Minería, Agricultura und Portales; bei den Zeitschriften El Mercurio und La Segunda; bei den Zeitschriften „Cosas“ und „Que pasa“; in den verlagen „Proa S.A.“ und „Antártica“.

Aber die meisten Sympathisanten und Mitarbeiter hat es unter den Unternehmern. Einige wichtige Namen sind: Bruno Philippi Irarrazaval, Eleodoro Matte, Ernesto Ayala, Fernando Agüero, Fernando Léniz, Ricardo Claro, Carlos Cáceres, José Antonio Guzmán, Pedro Ibañez, Eduardo Arriagada, Guillermo Elton.

Bei diesen großen Wirtschaftsgruppen liegt die wahre politische und ökonomische Macht in Chile. Wir behaupten nicht, dass das Opus Eigentümer dieser großen Besitztümer ist, aber wir können beweisen, dass einige ihrer Direktoren in direktem oder indirektem Kontakt mit aktiven Mitgliedern des Opus Dei sind. Das ist der Fall bei den Gruppen MATTE (Zellulose, Vermögensberater, Immobilienmakler, Holz, Minen, Papier und Hygieneartikel etc...), CLARO (Metall, Glas, Wein, der TV-Sender Megavision), ENDESA (Elektro und Sanitär), CRUZAT (Versicherungen, Konserven, Holzverarbeitung, Immobilien) und ENERSIS (Technologie, Immobilien, Elektrohandel etc.)

Angesichts ihrer konkreten und unwiderlegbaren Lebenspraxis erweisen sich die Mitglieder des Opus nach einem Zitat von Yvon le Vaillant als „unverbrüchlich gehorsam gegenüber ihren Vorgesetzten, aber überheblich gegenüber den anderen Dienern Gottes: wirksam, extrem unpersönlich, intolerant und inquisitorisch...” [8]

 

[1] Interview mit dem Regionalvikar des Opus Dei Chile aus Anlass seiner Ernennung zum Bischof von Los Angeles im Süden Chiles. - La Segunda, 20/07/1988, S. 8.

[2] Ebda. S. 8.

[3] “Análisis de Coyuntura Político-Eclesial”, C.A.S., Santiago, julio/agosto1988, S. 2.

[4] R. Arteagabeitia, In: Zeitschr. APSI, Nr. 386, Mai/Juni 1991, S. 18.

[5] In den ersten sechs Monaten nach dem Staatsstreich vom 11. 9. 1973 gab es Attentate auf Bischöfe, Priester, Ordensleute, Seminaristen, Laien… etc., ganz zu schweigen von den Zerstörungen, Überwachungen und Angriffen auf Kirchen, Kapellen und andere kirchliche Gebäude. Im Detail finden sich alle diese Morde und Anschläge in dem Buch „Persecución a la iglesia en Chile" aufgelistet, einem Martyrologium für die Jahre 1973-1986, von Jaime Escobar M. im Verlag Terranova, Santiago, S. 67-95 und Anhang Nr. 2.

[6] J. Alganaraz (Rom), J. L. Guillén (Madrid), Revista Cambio 16, Nr. 1060, S. 15.

[7] L’épiscopat chilien en crise ( „Der Episkopat von Chile in der Krise“),  Jaime Escobar M., Échanges, Lyon, Nr. 227/228, Nov/Dez 1988, S. 8-14.

[8] Yvon le Vaillant, In: El estrecho umbral de Juan Pablo II („Der engste Umkreis von Johannes Paul II.“), H. Herrmann, S. 82.

 

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