Orange : Gespräche mit einem Numerarier

28. September 2016

„80 % gehen“

Vor einigen Monaten traf ich aufgrund der Zufälle, die das Leben so spielt, einen alten Numerarierfreund, einen der wenigen, zu denen ich noch Kontakt habe und den sich seit vielen Jahren nicht mehr gesehen habe. Die Chemie hat zwischen uns immer gestimmt, wir teilten miteinander ein ausgiebiges Frühstück, bei dem wir uns herzlich über Erinnerungen und aktuelle Themen austauschten. Aus Anlass dieser Begegnung und weil wir in verschiedenen Städten zuhause sind, beschlossen wir über Mails unseren Kontakt aufrecht zu erhalten, und so geschah es auch. In unseren Mails reden wir über Gott und die Welt, und ein Teil dessen, worüber er schreibt, hat mir sehr geholfen zu verstehen, wie man im Werk über Opuslibros denkt...

 

Er ist sehr respektvoll und hat mich nicht mit Fragen nach meinem Ausstieg aus dem Werk belästigt, über das hinaus, was ich ihm erzählt habe, und er ist intelligent genug, um mir nicht damit auf die Nerven zu gehen. Ich meinerseits habe niemals versucht, ihn wegen seines Bleibens im Werk zu beeinflussen, obwohl ich mich manchmal gefragt habe, wie ein Mensch mit einer solchen Persönlichkeit und einem solchen intellektuellen Niveau das aushalten kann, wo er doch Standpunkte einnimmt, die der Rechtgläubigkeit im Opus diametral entgegenstehen und die mich sehr erstaunt haben. In jedem Fall blieb er im Werk. Ich habe ihn niemals gedrängt zu gehen oder zu bleiben, aus Respekt vor der Freiheit der Gewissen. Er ist einer der wenigen Personen im Werk mit Augenmaß und ohne Fanatismus.

Er liest seit vielen Jahren regelmäßig opuslibros, und zwar länger als ich, so wie viele Numerarier, mit denen er gut kann, wie er mir sagte. Vor einiger Zeit hatte ich die Kühnheit um Erlaubnis zu bitten, auf Opuslibros zu einigen Themen des Werkes zu schreiben. Zu meiner Überraschung gab er mir nicht nur die erbetene Erlaubnis dazu, sondern die Idee erschien ihm großartig. Und… voila! Ich gebe euch hier einige seiner Sätze wörtlich wieder:

Über die Borniertheit der Leiter: „Du kannst dir nicht vorstellen, bis zu welchem Grad das Werk die freie Meinung unterdrückt, denn die Leiter sind abgeschottet: Es ist nicht nur ein Vergehen gegen die Einheit zu sagen, was man denkt, sondern sogar zu denken, und man muss eigenständiges Denken mit einer Ohrfeige wegscheuchen; der Mangel an Einheit scheint die schlimmste aller Sünden zu sein. Der Hochmut der Direktoren wird mit der Zeit verschwinden. Die älteren sind jedenfalls noch ganz fanatisch, fundamentalistisch und voll Hass gegen alles, was nicht das Werk und der gelebte Geist des Werkes ist, wie sie sagen, ohne Gefühle, ohne ihn wahrhaft christliches Gewissen und ohne Nächstenliebe. Sie lügen die unverschämt ins Gesicht, und wenn du zu ihnen irgendetwas über die tatsächliche Lage des Werkes sagst, werden sie dich gnadenlos mobben, damit du weißt, dass du über deine schöne Mutter nur Gutes sagen darfst. Die Leiter, die jetzt ernannt werden, sind eine eigene Geschichte; sie haben keinen kritischen Geist, weder im Guten noch im Bösen, sie sind höchst fügsam, haben kaum Charakter, keine Kriterien, einen sehr eingeschränkten menschlichen Wert und keinerlei berufliche Qualifikation. Leute, die niemanden mitreißen, weil sie nichts taugen.

Über opuslibros: „Man leugnet das Problem. Wenn man das Problem nicht sieht, existiert es nicht. Opuslibros lügt, denn das sind Leute mit Ressentiments (so ihre Worte). Ich habe einige Male darüber gesprochen, dass ich Opuslibros gelesen habe, und sie wurden sehr nervös, und wahrscheinlich werde ich deshalb im Moment von Seiten der Leiter ziemlich beiseite geschoben. Auf dieser Seite werden meistens treffende Wahrheiten ausgesprochen, die bewirken, dass viele Leute gehen oder auf das Werk und auf die Direktoren wütend werden. Außerdem hilft man hier denen, die gehen wollen, und zeigt ihnen, dass das Leben, das sie dann erwartet, nicht der Bitterkeit des Rizinusöls entspricht, wie man ihnen weismachen will. Der Schaden, den es dem Werk zufügt, ist offenkundig, er ist groß, sehr groß... aber ich denke, dass dieser Schaden in gewisser Weise eine Wiedergutmachung für den Missbrauch bedeutet, den das Werk betreibt, indem es ihnen nichts mehr durchgehen lässt und über es aufklärt: Das ist gut so. Für mich war es sehr wichtig zu sehen, dass ich nicht allein war, dass mir dasselbe geschehen war wie andren, dass ich nicht mit dem einen oder anderen Leiter Pech gehabt hatte, sondern dass es ich um eine verwerfliche Praxis handelt, um Missbräuche, die von oben abgesegnet und sogar gefördert werden; das zu verstehen hat meine Haltung zum Werk verändert, und meine Abhängigkeit von den Leitern ist jetzt nur mehr sehr relativ, tatsächlich können sie mir jetzt nicht mehr so schaden wir vorher”.

Über die Menschen im Werk, die gehen oder bleiben: „Es geht nicht nur darum, dass 80% gehen, sondern dass mindestens die Hälfte derer, die bleiben, unter Depressionen und Angstneurosen leiden, es kommt zu einigen Selbstmorden, Burnouts, etc. Die meisten anderen schlucken Beruhigungs- oder Schlaftabletten. Das ist keine Übertreibung. Drinnen durchzuhalten hat eine enorme mentale Abnützung zur Folge, und zweifellos tendieren die Leiter dazu, das Problem wegzuleugnen. Wie kann man vom gaudium cum pace sprechen oder vom Glück, vom Werk zu sein, wenn die Statistik der Leute, die weggehen oder derer, die psychische Probleme haben, vernichtend ist? Ich beziehe mich dabei auf die Numerarier und Assoziierten, denn die Supernumerarier sind wieder etwas anderes.

Mehr über die Leiter: „Man leugnet die Gegenwart und feiert das, was es nicht mehr gibt. Wir danken Gott für die unermesslichen Früchte, die das Werk bringt, und wie gut die Dinge im Opus Dei laufen; die Direktoren von der Delegation kommen zu einer Tertulia und erzählen dir, dass alles phänomenal läuft, und sie erzählen dir hübsche Geschichten über die Arbeit... während die Wirklichkeit, die alle sehen, „des Kaisers neue Kleider“ sind“.

Über die Instrumentalisierung der Freundschaft: „Es läuft wie vorher, aber mit merkwürdigen Charakteristiken. Die wahre Freundschaft verschwindet, wenn sie zum Objekt des Apostolates wird. Ich habe Freunde, treffe mich mit ihnen, aber die sind nicht meine Schüler, und ich gebe den Leitern keine Rechenschaft darüber, was ich mit ihnen apostolisch unternehme; ich bin stolz darauf, dass ich Brüder und dass ich Freunde habe (die echten, nicht die vom Werk) mir denen ich eine gute Freundschaft pflege. Das halte ich für sehr wichtig, um mein inneres Gleichgewicht zu bewahren. Die Mehrzahl der Personen vom Werk, vor allem die Leiter, haben keine Freunde. Ich sehe sie nicht, und sie haben niemanden, der am Sonntag mit ihnen ausgeht; es ist krank”.

Über die Möglichkeit, innerhalb des Werkes eine Wendung zum Besseren zu schaffen: „Ich denke, das wird nicht möglich sein, dass sie alle Vorsichtsmaßnahmen getroffen hätten, damit so etwas nicht passieren kann. Wenn es jemanden gibt, der das Charisma besitzt, das Werk zu reformieren und die Menschen darin mitzureißen, dann hätte er etwas Neues zu gründen und die Leute müssten sich ändern, aber eine Erneuerung scheint mir unmöglich, auch deshalb, weil die Leiter fanatisch oder dumm sind, und niemand ein heißes Eisen angreift; wer sich bewegt, hat verloren. Wenn jemand etwas anders machen möchte, wird er sich ganz schnell auf der Straße wiederfinden”.

Über die wenigen Berufungen: „Ich glaube, dass Gott von den Missbräuchen im Werk bereits die Schnauze voll hat und keine Berufungen mehr schenkt. Es sind immer viele gegangen, aber es gab Berufungen, jetzt nicht mehr. Innerhalb der nächsten 20 Jahre wird man die äußersten Maßnahmen ergreifen müssen, will man vermeiden, dass das Werk verschwindet. Es werden weniger Numerarier übrig bleiben, und auch bei den Numerariepriestern wird es eng. Man wird Lösungen finden müssen. Es wird nicht reichen, das Problem zu ignorieren. Ich glaube an Gott. Der Papst müsste selbst intervenieren und einen Apostolischen Administrator für das Werk bestimmen, der die Missbräuche abstellt und die nötigen Reformen durchführt. Es gibt viele Menschen guten Willens im Werk, die Gott nicht verlassen wird. Die Anzeige, die wir erstattet haben, wird in diesem Sinn hilfreich sein. Ich sehe das so, dass eine Änderung von innen vollkommen aussichtlos sein dürfte, und dass man als einzige Lösung eine Intervention des Heiligen Stuhls abwarten muss“.

Mehr über Meinungsfreiheit: „Selbstverständlich kannst du im Werk keine eigene Meinung haben oder auch nur im geringsten abweichen; du kannst deine Überlegungen in der Aussprache vorbringen, und dort wird es vermutlich eine Person geben, die alles über sich ergehen lassen wird, und deine Gedanken werden bei dem einen Ohr hinein- und bei dem andern hinausgehen, und das wird alles zu nichts dienen. Sage deine Überlegungen aber keinem von der Delegation, denn  dann bist du gebrandmarkt, und sie werden ihre Maßnahmen treffen. Es wäre ein großer Fehler, das, was man hier lesen kann, dem Vater in einem persönlichen Brief zu schreiben, zusammen mit einem Vorschlag: Das hätte sofort überzogene Repressalien zur Folge. Ich bin überzeugt davon, dass eine der Ursache für die hohe Zahl von Mitgliedern, die einen Psychiater brauchen, die Unvereinbarkeit zwischen dem ist, was sie denken und sehen, und dem was sie sagen und nach außen vertreten müssen. Da hat ein Leiter darüber philosophiert, dass das Werk eine „desorganisierte Organisation“ ist, während wir allen in diesem höchst strukturierten, durchorganisierten und durchkontrollierten Milieu ersticken, und man benützt (abgesehen von den üblichen Überwachungsmaßnahmen) die Kontrolle über die Gewissen”.

Des Kaisers neue Kleider: „Die Direktoren sehen die aktuelle Lage im Werk, weil wir sie alle sehen, und sie kennen mehr Fakten. Sie unternehmen aber nichts, denn sie wagen nicht zu sagen, dass der Kaiser nackt ist, deshalb rühren sie sich nicht. Sie haben eine bequeme Position, und vielleicht denken sie, wenn etwas gemacht werden solle, werden sie es von oben erfahren”.

Das Opus Dei ist todkrank: „Das Opus Dei ist bereits auf den Tod verwundet. Der Stachel sitzt sehr tief und betrifft vor allem die Rückgänge bei Numerarierin und Assoziierten. Eine Erneuerung müsste vom Heiligen Stuhl ausgehen, die aber von vielen Betrügereien, massiver Gegenpropaganda und Kommentaren blockiert wäre, die alle machen würden: Ich erinnere dich zum Beispiel an die Kampagne, Briefe zu sammeln, die die Heiligsprechung Josemarías erbitten sollten und die wie eine weltweite spontane Initiative des gläubigen Volkes aussahen. Ein anderes Beispiel war trotz des Eingreifens des Heiligen Stuhls und des Briefs des Prälaten über die geistliche Leitung die Tatsache, dass einige die Praktiken nicht geändert haben; Vor relativ kurzer Zeit habe ich erfahren, dass der Leiter eines Zentrums von St. Gabriel einen Numerarier bei einer Sitzung des Örtlichen Rates aufforderte, über die Aussprachen der Supernumerarier mit ihm Bericht zu erstatten, und der Numerarier erklärte, er denke aus diesem und jenem Grund nicht daran das zu tun; der Leiter geriet aus der Fassung, aber er musste es hinunterschlucken; das Endergebnis war, dass sie den Numerarier nur mehr dazu einsetzten, mit einigen älteren Supernumerariern die Aussprache zu machen, die  im Kopf nicht mehr ganz richtig waren und die offenbar nicht mehr zählten. Es gäbe darüber viel zu sagen. Aber natürlich vertraue ich auf Gott und glaube, dass er einschreiten wird, und das tut er bereits, wenn auch sehr langsam”.

Mehr über Direktoren: „Die Qualität der Leiter in den Örtlichen Räten ist dramatisch abgesunken, schlimmer als du dir vorstellen kannst. Du kannst dir nicht vorstellen, was es bedeutet einen Leiter zu haben, der unter vielen Mühen über Jahre hinweg eine Drückebergerkarriere aufgebaut hat, oder der so blauäugige Kommentare über die Weltlage abgibt, dass man annehmen muss, er habe die Zeitung vielleicht ja gelesen, aber gewiss nicht verstanden, oder der so unreif ist, dass jede Meinung über etwas, was auch nur irgendwie über den Horizont des Werks hinausgeht (wo sich alles nach bewährten Kriterien ausrichtet) kindisch und wertlos erscheint, oder sie sind so ungebildet, dass man nicht einmal fünf Minuten mit ihnen reden kann, weil sie nichts zu sagen haben und auch den Überzeugtesten langweilen, oder tausend andere Dinge! Natürlich gibt es einige exzellente Köpfe und gute Menschen hier, aber auch einige, die im Werk Karriere machen und vorwärts kommen wollen. Seit etwa 20 Jahren beobachte ich die Invasion der Unfähigen in die Leitungspositionen der Zentren, und ich vermute, dass diejenigen, die sie dazu ernannt haben, deshalb kein Problem damit hatten, weil sie fügsam waren und nicht nachdachten, aber heute gibt es andere Probleme; du kannst dir nicht vorstellen, was es bedeutet, mit so einem Trottel die Aussprache zu machen. Man schickt weiterhin Leute an das Collegium Romanum, wenn auch weniger als früher, in etwa die Hälfte; da nicht mehr so viele junge Numerarier verfügbar sind, schicken sie ältere, und viele davon sind unbrauchbar, sie kommen in die örtlichen Räte und werden geweiht, aber sie taugen nichts. Es ist ein Teufelskreis, der nach innen wirkt”.

Einfluss von Opuslibros auf das Opus Dei: „Damit man abschätzen kann, wie Opuslibros auf das Werk einwirkt, muss man drinnen sein und Opuslibros lesen. Für mich ist das offenkundig. Die Änderungen in der Handhabung der geistlichen Leitung, die zwar geschehen sind, aber in völlig unzureichendem, Maße, die Informationen über Gewissens­angelegenheiten, Besuche bei der leiblichen Familie, die Publikation der Statuten in der Muttersprache, der monatlichen Briefe des Prälaten und Informationen über das Werk (und auch wenn diese Information nicht keinen hohen Realitätswert sein dürfte, zumindest gibt es eine Präsenz im Internet), die Anmeldung der Auxiliarinnen bei der Sozialversicherung, Krankenversicherung für die Priester, einen  besseren Kontakt mit den Eltern der Frischgepfiffenen... Das ist mir in der Eile aufgestoßen, aber ich bin mir sicher, dass es da noch mehr Dinge gibt. Für mich als langjährigen Leser von Opuslibros ist es evident, dass sich der Einfluss von Opuslibros auf das Werk bedeutend und wohltätig auswirkt; viele Missbräuche wurden eingestellt oder zumindest gemildert”.

Geld, Geld, Geld: „bei diesem Thema wäre es hervorragend, wenn Opuslibros das Werk dazu zwingen könnte, seine ganze Vorgangsweise gegenüber dem Geld zu ändern, bei der Abgabe des ganzes Gehalts, beim Ausgabezettel: Das ist ein Missbrauch, der weit über das hinausgeht, was die Statuten verlangen, ohne Wissen des Heiligen Stuhls... und der Numerarier weiß auch nicht, dass es keinen Grund dafür gibt, warum er das tun sollte. Die Armut ist eine Sache, und die Manipulation, die man im Werk betreibt, um den Numerariern die Geldtasche zu leeren, ist eine andere; vielleicht steckt ja dahinter die Absicht, sie leichter unter Kontrolle zu halten. Wenn das eine korrekte Vorgangsweise ist, so soll es der Heilige Stuhl wissen, und es soll auch in den Statuten so vermerkt sein; wenn es nicht korrekt ist, so mögen die Numerarier und  Assoziierten wissen, dass sie keinerlei Verpflichtung haben; was im Moment geschieht, ist ein gewaltiger Missbrauch”.

Die herrschende Kaste: „Ich denke, dass die herrschende Kaste (wie du sie nennst) sehr fanatisiert ist und deshalb nichts ändern will. Es ist auch möglich, dass sie Angst bekommen, wenn da irgendwer irgendetwas ändern will: Sie kosten ihre Spesen aus und überlassen gerne anderen die Entscheidungen”.

Ich hoffe, dass euch einige der Ansichten meines Freundes interessiert haben. Einen herzlichen Gruß an alle.

Orange