Oráculo: Die 50 Gründungsbriefe des José María Escrivá
28. Juli 2006
Anmerkung des Übersetzers: Die Briefe Escrivás, ursprünglich in spanischer Sprache geschrieben, sind in das Lateinische übertragen; die Originale wurden dann rückübersetzt, um den Text würdiger erscheinen zu lassen. Allerdings steht auch die Behauptung im Raum, Alvaro del Portillo habe in den sechziger Jahren die „Gründungsbriefe“ aktualisiert, um Aspekte der Heiligung der Arbeit „nachzutragen“, die vorher noch kein primäres Anliegen gewesen waren. Peter Berglar hatte Zugang zu einigen Briefen und zitiert aus ihnen, v. a. 85–93; ihm folgt die vorliegende Auflistung. Bezeichnenderweise fehlen die „Bibliographischen Hinweise“, in denen Berglar die von ihm benutzten Briefe auflistet, in der spanischen Übersetzung seiner Biographie. Zahlreiche Briefe sind, ebenso wie die Statuten und viele interne Schriften, unter http://www.opuslibros.org verfügbar; ediert wurden sie allerdings nicht, und das Werk macht sie auch den Mitgliedern nicht zugänglich.
1. In anderen Schriften habe die geheimen Dokumente des Opus Dei im Zusammenhang mit dem Corpus seiner internen Dokumente vorzustellen versucht, mit den besonderen Publikationen der Prälatur, die nur intern gelesen und verwendet werden und die das Werk für seine pastorale, asketische, leitungs- und seine Bildungsarbeit benützt. Ich habe auch noch eine andere Schrift redigiert, um den Inhalt der Instruktionen des Gründers des Opus Dei zu präsentieren, da sie besonderer wichtig sind, um die besondere Dynamik in diesen anderen Dokumenten zu verstehen.. Und in einem anderen Beitrag versuchte ich ebenfalls die Grenze zwischen den echten Schriften des Gründers und dem abzustecken, was nur als Pseudoschrift Escrivás zu werten ist.
Im Zusammenhang sollen diese Studien nach und nach die Quellenlage darstellen, die man kennen muss, um über die Lebenswirklichkeit des Opus Dei reflektieren zu können, ohne sich durch den „akanonischen Normativismus“ verwirren zu lassen, der die Institution charakterisiert. Würde man also über diese Texte verfügen, könnte jeder Einzelne die persönlichen Erfahrungen an den hier dargebotenen Theorien messen, die sie verursachen, erklären, manchmal auch rechtfertigen, wie Isa Nath in ihren jüngsten Schriften darstellt.
So kam ich auf den Gedanken, die Briefe des José María Escrivá genauer unter die Lupe zu nehmen. Sie sind eine weiteres Gründungselement im strikten Sinn, aber sie sind für fast alle Menschen tabu, die mit dem Opus Dei in einer näheren Beziehung stehen, denn auch wenn die Dokumente Jahrzehnte alt sein mögen, werden sie von den Autoritäten der Prälatur unter Verschluss gehalten.
Mit Gottes Hilfe hoffe ich dieses „künstliche Mysterium“ zu demontieren, soweit das möglich ist. Und zu diesem Zweck dient nichts besser als präzise, belegte, wahrhaftige Information. Ich ersuche um Verständnis, wenn ich dazusagen muss, dass diese Aufgabe nicht mit einem „teuflischen Wirken“ zu tun hat, denn wenn der Böse durch etwas charakterisiert werden kann, so ist es seine Eigenschaft, Vater der Lüge zu sein, nicht des Lichts oder der Transparenz. Es ist eine Nachsicht gegenüber dem Betrug, mit halben Wörtern und Halbwahrheiten, mit denen sie ihre Schwindeleien decken, die immer dann ausgeheckt werden, wenn man mit der dogmatischen, störrischen, blinden, aber niemals intelligenten Torheit der Dummen rechnet, die sich für weise und sehr schlau halten.
Heute beschränke ich mich darauf, ein erstes Verzeichnis der Briefe José María Escrivás vorzulegen, die man als Gründungsbriefe bezeichnen könnte, sei es aufgrund ihrer Themen oder ihrer Materie oder wegen der Umstände ihrer Redaktion. Durch diese Beschreibung lässt sich das Thema eingrenzen, und man kann diese Briefe von den tausenden Briefen unterscheiden, die privaten Charakter tragen. Wir wollen also nicht ausschließen, dass dieses Verzeichnis einmal geändert oder ergänzt werden könnte; diese erste Auswahl von 50 Briefen wollen nicht mehr darstellen als eine erste Annäherung an das Thema, aber sie gewähren einen aussagekräftigen Blick auf den Zusammenhang. Es ist ein erster Schritt, um das „Mysterium“ seines Zaubers zu entkleiden und seine Aura einer Gnosis zu zerstören.
Wenn jemand meint, das wäre zu wenig, so möchte ich anmerken, dass es bis jetzt noch keine Publikation gibt, die etwas Derartiges unternommen hätte.
2. Diese Unterdrückung der Quellen lässt die Katze im Sack. Durch diese Maßnahme bleibt die Geschichte der Gründung ebenso wie die Biografie des Gründers im Dunkeln und deckt die Manipulationen, die an der Geschichte vorgenommen wurden. Das erschient mir insofern plausibel, wenn man daran denkt, welches Interesse die Institution daran haben muss, kommenden Generationen eine Geschichte als „historische Wahrheit“ zu verkaufen, die aber die Dinge nur zu zeigt, wie man sie gerne gehabt hätte. Man hofft, dass dadurch alles undiskutiert bleibt, was sich als ungenau oder falsch erweisen könnte.
Hier geschieht das Gleiche wie bei dem berühmten Thema der Personalprälaturen“: Es besteht großes Interesse, dass alle, drinnen wie draußen, in eine bestimmte Richtung denken, die Daten in eine Richtung interpretieren, auch wenn „wir nicht so weitermachen können, wie wir es bisher gemacht haben“. Diese ganz schlimmen Gewohnheiten der Institution passen zu Handlungsweisen von Escrivá selbst, der es anscheinend zugelassen oder sogar gefördert hat, dass er wegen seiner charismatischen Mission mit einer Aura umgeben wird, und der dann bestimmte Haltungen und Verhaltensweisen der anderen ihm gegenüber eingefordert hat, und er maßte sich ebenso an, die Zukunft zu kennen, wie er sich die Vollmacht herausnahm zu bestimmen, wie die Vergangenheit erzählt werden dürfe.
Freilich, die Technologien unserer heutigen offenen „Informationsgesellschaft“ haben die Planungen des Gründers durchkreuzt, die Geschichte nach seinen Wünschen neu zu schreiben. Deshalb treten die Manipulation täglich deutlicher ans Licht, vor allem, wenn man mit Ruhe, ohne Vorurteile, die zahlreichen Beiträge liest, die hier geboten werden. Es ist nicht schwer, der Ansicht von David Clark beizupflichten (Recovery from Cults: Help for Victims of Psychological and Spiritual Abuse, 1993), dass die Institution Opus Dei eher der Dynamik einer Sekte als der der Kirche entspricht. In seinem neuen Buch über das Opus Dei spielt John L. Allen spielt auf diesen Gesichtspunkt an.
Und angesichts dieses Panoramas zeigte sich, dass der ungehinderte Zugang zu den Quellen über die Gründung doppelt notwendig ist, weil der eifrige Forschung angesichts der Aufgabe, jetzt die niemals erzählte Geschichte zu erzählen, vor einer Mauer steht, und weil es gilt, endlich viele kontaminierte Darstellungen richtigzustellen. Dieser Vorgang entspricht dem, was die Philologie als originale Korruption bezeichnet, verderbte Handschriften von Anfang an. Das Material ist reichlich vorhanden, aber der Zugang ist schwierig bis unmöglich; das macht die Aufgabe nicht einfach. Und deshalb stützt das Fehlen wissenschaftlicher Studien und einer unabhängigen Kritik die Intoxikation.
3. Um die Vertrautheit mit der Liste der Briefe zu erleichtern, habe ich sie in fünf Gruppen eingeteilt, die mit den Lebensdekaden Escrivás übereinstimmen, und ich habe sie nach ihrem Entstehungsdatum durchnummeriert.
Der Leser wird sich über die lateinischen Namen in einem Großteil dieser Dokumentation wundern: Sie verdanken sich der Tatsache, dass einige, nicht alle dieser Briefe aus dem Spanischen ins Lateinische übersetzt worden waren, und indem man das päpstliche Lehramt imitierte, wurden sie nach ihren lateinischen Anfangssätzen benannt, so wie es eine sehr alte römische Tradition ist. Ist das nur eine weitere Exzentrizität Escrivás und der „unvergängliche Charakter“, den er seinen eigenen Schriften verleiht? Es ist hier nicht der Ort dies zu erörtern, aber dieses Detail verrät bereits, welche Mentalität hier herrscht.
Ich gehe nun dazu über, die Dokumente gruppenweise aufzulisten.
a) Aus den dreißiger Jahren: 1. Singuli dies (24. 3. 1930); 2. Videns eos (24. 3. 1931); 3. Res omnes (9. 1. 1932); 4. Vos autem (16. 7. 1933); 5. Circular (9. 1. 1939); 6. Circular (24. 3. 1939); 7. 18. 5. 1939; 8. Euntes ergo (2. 10. 1939).
b) 1940-1949: 9. Sincerus est (11. 3. 1940); 10. Quem per annos (24. 10. 1942); 11. Legitima hominum (31. 5. 1943); 12. Opus nostrum (14. 2. 1944); 13. Sacerdotes iam (2. 2. 1945); 14. Divinus Magister (6 . 5. 1945); 15. Nunquam antehac (30. 4. 1946); 16. 29. 12. 1947 = 14. 2. 1966; 17. Meum gaudium (15. 10. 1948); 18. 18. 3. 1948; 19. 8. 12. 1949.
c) 1950-1959: 20. Bene nostis (14. 2. 1950); 21. 7. 10. 1950; 22. 14. 11. 1950; 23. Hac nostra aetate (9. 1. 1951); 24. 14. 9. 1951; 25. 24. 12. 1951; 26. 12. 12. 1952; 27. Mirabilis omnino (15. 8. 1953); 28. 19. 3. 1954; 29. Sicut antea (31. 5. 1954); 30. Divinus Seminator (28. 3. 1955); 31. Ad serviendam (8. 8. 1956); 32. 9. 1. 1957; 33. Multum usum (29. 9. 1957);
34. Non ignoratis (2. 10. 1958); 35. Dei amore (9. 1. 1959).
d) 1960-1969: 36. Dei voluntas (16. 6. 1960); 37. Gratias Deo (25. 1. 1961); 38. 25. 5. 1962; 39. 2. 10. 1963; 40. In Opere Dei (14. 2. 1964); 41. 15. 8. 1964; 42. Sicut antea (31. 5. 1965); 43. Verba Domini (29. 7. 1965); 44. Argentum electum (24. 10. 1965); — 14. 2. 1966 (d. i. die Neufassung von Nr. 16); 45. Fortes in fide (19. 3. 1967).
e) 1970-1975. 46. 10. 6. 1971; 47. 28. 3. 1973 („Erster Glockenschlag“); 48. 17. 6. 1973 („Zweiter Glockenschlag“); 49. 14. 2. 1974 („Dritter Glockenschlag“); 50. 28. 1. 1975
„Glockenschläge“, Campanadas, nannte Escrivá drei Briefe aus seinen letzten Lebensjahren, in denen er vor der Zersetzung von Lehre und Moral durch den Zeitgeist warnte.
4. Soweit die Liste. Es wäre pure Angeberei, über jeden einzelnen der Briefe Kommentare abgeben zu wollen, denn wir haben nicht einmal genug Spielraum für kurze Anmerkungen. Wenn diese Briefe einmal ediert werden sollen, kann man auch in die Tiefe gehen, ihren Inhalt ausloten und Schlussfolgerungen ziehen. Wir haben hier beispielsweise den Brief Non ignoratis von 1958 zur Gänze, allerdings im Zusammenhang mit andren Dokumenten, die es gestatten, seine zentralen Aussagen zu beurteilen. Man braucht nur dieses Konvolut durchzugehen, um einen Eindruck davon zu haben, welche Fülle an Erkenntnis die Publikation des ganzen Corpus mit sich brächte. Wir werden uns darum bemühen.
Indessen hebe ich besonders den Brief Fortes in fide von 1967 hervor, einen ausführlichen Kommentar des Gründers zum Credo, der deshalb ein Dokument von strikt doktrinellem Charakter ist, das kurz nach dem Abschluss des Zweiten Vatikanischen Konzils redigiert wurde. Dieses Dokument ist deshalb von einzigartigem Interesse, um die „theologische Mentalität“ Escrivás und seine Perspektive vom apostolischen Glaubensbekenntnis zu verstehen.
Und das ist ein Aspekt, den man besonders würdigen muss, denn nach der Heiligsprechung fehlte es nicht an Stimmen – der Beginn einer neuen Strategie?! – die seine Ernennung zum Kirchenlehrer vorschlugen. Fortes in fide wurde den Gläubigen des Werks Ende der sechziger Jahre du Anfang der siebziger Jahre empfohlen, wurde aber sehr rasch aus dem internen Gebrauch zurückgezogen, ohne dass jemals ein Grund dafür angegeben worden wäre. Und so geschah es mit fast allen Briefen des Gründers; deshalb sind sie fast allen Gläubigen des Opus Dei praktisch unbekannt.
Die Briefe, denen ich die Nummern 47, 48, 49 zugeteilt habe — zwei von 1973, einer von 1974 — denn sogar im internen Jargon des Opus Dei bezeichnet an sie als die drei Glockenschläge, die der Gründer während der Krise nach den Zweiten Vatikanischen Konzil an seine Leute richtete. In ihnen kann an deutlich sehen, welche Auffassung der Gründer von seinem eignen Charisma in der Endphase seines irdischen Lebens hatte, ebenso seine Perspektive vom historischen Moment der Kirche, den er durchlebte. Zwei von ihnen, der Brief vom 28. März 1973 und der Brief vom 14. Februar 1974, stehen üblicherweise den Gläubigen in den „Direktionskästen“ der Zentren zur Verfügung – eine löbliche Ausnahme.
5. Der substanzielle Inhalt einzelner Briefe lässt sich durch anstrengende Rekonstruktionsarbeit an den zitierten Fragmenten nachvollziehen, die in den Bänden der 2. Auflage der Meditaciones, der „Betrachtungen“, Rom 1987, 1989-1991) zitiert sind, aber auch in anderen internen Schriften der Prälatur, beispielsweise in der Reihe Cuadernos.
Wenn wir also beispielsweise mit dem ersten Brief aus dieser Serie beginnen, Singuli dies vom 24. März 1930, würde die provisorische Rekonstruktion folgendes Bild ergeben: 1: V.198. 4: I.447, V.199. 5: III.553, III.557. 6: I.446. 8: III.505, III.557. 9: IV.339. 10: III.338. 11: IV.653, IV.503, IV.653, VI.170. 12: I.563, I.683. 13: I.683, III.657. 15: III.342, I.462. 17: IV.629. 18: I.440, III.664. 19: I.562, I.562, III.372, IV.334, IV.259, IV.513. 20: IV.469, I.522, III.504, III.753. 21: IV.469, IV.224, I.146. 22: I.114, III.662, III.410, III.477, VI.406. 23: III.669.
Es ist eine unverständliche Zusammenstellung von Zahlen, die sich aber leicht erklären lassen: Sie zeigen die Fundstellen der Fragmente nach der internen Zählung, die nach einem Doppelpunkt ausgeworden wird, Band und Seite von Meditaciones sind kenntlich gemacht. Ich habe zumindest eine erste Skizze von Singuli dies vorgelegt, wobei Anfang und Ende des jeweiligen Zitats durch eckige Klammern markiert sind [...], während runde Klammern (...) auf Textauslassungen im Zitat hinweisen, wie sie in den jeweiligen internen Publikationen des Opus Dei ausgewiesen sind
Es ist offenkundig, dass diese Art der Rekonstruktion nur einen provisorischen Einblick gestattet, der vom Kontrast und dem Vergleich mit den Originalen abhängt: Sie können Fehler in der Anordnung der Paragrafen enthalten, aber auch Verwechslungen zwischen Textcorpus und Fußnoten, die einige Briefe im Original aufweisen. Freilich reichen diese integrierten Lektüren aus – seien sie nun vollständig oder nicht – um einen neuen Eindruck von der Lehre des José María Escrivá und dem Kern seines Geistes zu erhalten.
Die Zusammenschau sollte einen Text liefern, den man gerne liest, und er würde durch seine wörtliche Wiedergabe frischer und offener wirken als die Fragmente, die uns die „praktische Indoktrination“ der internen Schriften sehen lässt, denn darin dienen die bruchstückhaften Zitate nur einer rigiden Exegese. Aber diese neue Perspektive scheint sehr nützlich zu sein, wenn man die Dauerhaftigkeit des Charismas hinterfragen will, das Escrivá mitgeteilt hat, und wie hinfällig seine Gründung ist, da sie an selektive Entscheidungen geknüpft war, die eng mit der Mentalität, der Bildung, den Vorlieben, Capricen oder dem Geschmack des Gründers verbunden ist. In diesen Fällen wäre es nicht legitim, von Escrivá als divina ductus inspiratione zu sprechen — so lautet der Ausdruck in der Konstitution Ut sit; diese Aspekte wurden manipuliert und dienten der Mythisierung der Person.