Kapitel 1: Die TURBOHEILIGKEIT DES GRÜNDERS

 

HEILIG ZU SEIN bedeutet laut der Katholischen Kirche vollkommen und frei von jeder Schuld zu sein, wenn auch die Hauptsache darin besteht, dass die Kirche eine Person offiziell für heilig erklären muss, denn dann ist sie allgemein zu verehren. Und in dieser sehr irdischen Absicht sucht es nach wie vor einen Nachfolger für Johannes Paul II.an der Spitze der Kirche, der seinen Absichten und Wünschen entgegenkommt.

Da das Jahr 2002 den hundersten Geburtstag des Gründers des Opus Dei bringt, bemühte sich die ultrakatholische Organisation mit Hochdruck um die öffentliche Anerkennung des Gründers, die seine angebliche Heiligkeit in Turboheiligkeit verwandeln sollte. Das Bosseln an seinem Prestige war von Anfang an eine der Hauptbeschäftigngen des  Opus Dei. Da alle seine Mitglieder die Heiligkeit anstreben müssen, hat das Opus Dei die Absicht, Heilige in Serie zu produzieren, da „Weltkrisen Krisen der Heiligen sind“, wie der Gründer schon in der Maxime 301 seines Büchleins „Der Weg“ formuliert hatte. Seit seinen Anfängen hat das Opus Dei seinen Mitgliedern diese Verpflichtung auferlegt und fährt fort Heilige zu produzieren, wie sie es erfolgreich bei seinem Gründer getan hat.

Die ersten Versuche gab es mit Isidoro Zorzano Ledesma, Industrieingenieur und Kollege des Gründers bei der Reifeprüfung in Logroño und erster Administrator des Werkes Gottes während des Spanischen  Bürgerkriegs. In den vierziger Jahren fanden sie keinen heiligeren und heroischeren Menschen als das verborgene Leben und die dürftigen Tugenden des Ingenieurs Zorzano. Nach seinem Tod 1943 verwandelte sich sein Fall in ein Vorbild der Heiligkeit, denn so entschied es der Gründer persönlich. Zorzano wurde als das Muster eines heiligen Ingenieurs präsentiert und nach seinem Tod gefördert. Deshalb hat man Reliquien aus seinen Bettlaken gemacht, die mit religiöser Ehrfurcht aufbewahrt und unter den Mitstreitern in kleinen Fetzen verteilt wurden, als sie zur Ausbreitung des Opus Dei ins Ausland gingen, um neue Felder des Apostolats zu eröffnen. Sein Seligsprechungsprozess begann 1948 und blieb wegen seiner dürftigen Bedeutung liegen, so wie viele tausend andere Fälle, die im Vatikan eingereicht wurden.

Ohne sich entmutigen zu lassen, setzte das Opus Dei seine kanonisierende Tätigkeit bei anderen Kandidaten fort und landete bei einem Mädchen, Montserrat Grases, und unter den jungen Männern bei Miguel Díaz del Corral, beide „im Ruf der Heiligkeit gestorben“, und sie wurden den jugendlichen Anhängen in der weiblichen bzw. männlichen Abteilung des Opus Dei empfohlen. Aber alle diese Fälle mussten freilich zurückstehen angesichts der Möglichkeit einer beschleunigten Kanonisierung des verstorbenen Gründers des Opus Dei, indem man die günstige politische Großwetterlage seit 1978 nach der Wahl des polnischen Kardinals Karol Wojtyla zum Papst nützte, der sich den Namen Johannes Paul II. gab. Für eine neue, ultra-katholische Organisation wie das Opus Dei die Heiligkeitdes Gründers sollte die Authentizität des Charismas garantieren und dadurch vor allem zeigen, dass das Werk von Gott vorherbestimmt war.

So war es nicht  schwer, nach seinem Tod 1975 zu erkennen, was das Opus Dei im Hinblick auf seinen Gründer vorhatte: ihn zur Ehre der Altäre erheben, und zwar möglichst rasch. Da bis zur rechtmäßigen Eröffnung eines Prozesses fünf Jahre verstreichen müssen, eröffnete das Opus Dei nach 1975 einige „historische Büros, um die Daten zu sammeln, über die die Mitglieder und Sympathisanten über den Gründer verfügten, sogar die nichtigsten Anekdoten, und all das wurd zusammengetragen, bereinigt und wurde dann zum „Registro Histórico“, dem historischen Register des Gründers, das am Sitz des  Opus Dei in Rom verblieb.

Man unternahm anderderseits auch eine gewaltige Zusammenstellung aller Schriften, die dem Gründer zugerechnet waren, und und die sogenanten „Unveröffentlichten Schriften“ des Gründers kamen auf die fabelhafte Menge von 62 Bänden. An dieser Arbeiten vor Prozessbeginn beteiligten sich hunderte Numerarierinnen und  Numerarier, die all das sammelten und „umschrieben“, was intern in die Büros gekommen war, sie „bereinigten“ sie von zweifelhaften oder unvorteilhaften Details.

Bei einer so übereilten Privat-Kanonisierung schob das Opus Dei auf allen Ebenen nach. Die Turbo­­heiligkeitdes Gründers wurde mit höchster Eile ungesetzt, auch aus dem unaus­ge­sprochenen Grund, dass das Opus Dei Angst davor hatte, die ihm innewohnende Dekadenz könnte ans Tageslicht treten und der Glanz des Gründers verblassen.

Die Kampagne zu Beförderung der Heiligkeit des Gründers war von der Veröffentlichung einiger „autorisierter“ Biografien begleitet, die vor allem wegen iher idolatrischen Verehrung des Gründers kritisiert wurden. Diese Publikationen boten ein unvergleichliches Beispiel des literarischen Subgenus der Hagiografie innerhalb der Katholischen Kirche. Eine ehemalige Numerarierin des Opus Dei hat mit Bezug auf die Hagiografen des Gründers gemeint, dass sie „auf ihre Art vergrößern, regeln und interpretieren (...) Sie nehmen nach Lust und Laune und stellen um, wie es ihnen passt“.

Die formelle Eröffnung des Seligsprechungsprozesses für Escrivá erfolgte am 19. Februar 1981, fünf Jahre und einige Monate nach dem Tod des Gründers des Opus Dei, damit war die minimal vom gültigen Kirchenrecht geforderte Zeitspanne eingehalten. Ein offiziell Heiligkeitsprechungs­prozess, der von der Kirche in Rom eingeleitet wird, besteht aus zwei unterschiedlichen Phasen. Zuerst wird die mögliche Seligsprechung  untersucht, und zu diesem Zeitpunkt hat der Kandidat das Recht, den Titel „Diener Gottes“ zu führen, und dann die Kanonisierung, bei der er offiziell zum Heiligen erklärt wird.

Der Seligsprechungsprozess oder die erste Phase der Turboheiligkeit Escrivás erfolgte parallel zur Gewährung des juristischen Statuts der Personalprälatur für das Opus Dei. Der Akt wurde unmittelbar nach der Eröffnung des Prozesses durch den Vatikan nach  Madrid geschickt, und als Hauptgrund wurde angegeben, dass er zwar in Rom, gestorben sei, aber die meiste Zeit in Spanien gelebt habe.

Die Reform des Codex Juris Canonici war den Beschleunigungsplänen des Opus Dei hinsichtlich der sofortigen Heiligsprechung seines Gründers förderlich. Canon 2.050 besagte, dass der „Ruf der Heiligkeit“ spontan sein muss und nicht durch menschliche Kunst oder Sorgfalt gefördert werden darf, dass man sich dabei auf  „würdige und ernsthafte Personen“ berufen müsse, aber diese Bedingungen kamen im neuen Codex nicht mehr vor. Papst Johannes Paul II. legte seine Absichten in der Einleitung zum Anhang I der reformierten Codex Jurios Canonici über die Heiligsprechungsprozesse dar. Laut dem polnischen Papst habe man es „nach jüngsten Erfahrungen für günstig erachtet diese Prozessform zu revidieren, um die Normen zu vereinfachen, wobei selbstverständlich die Sorgfalt der Forschung gewahrt werden muss.“

Die Lektüre der 20.000 Blätter, die das Opus Dei für die erste Phase der Heiligsprechung zusammengetragen hat, wirkt erbaulich. Sogar die wirtschaftliche Gebarung des Opus Dei hat nach den Angaben des voluminösen Akts einen übernatürlichen Ursprung. So empfing Escrivá beispielsweise eine „Erleuchtung“ vom Himmel über die juristische und finanzielle Struktur der apostolischen Aktivität des Werkes, als er einmal während der Zweiten Republik von einer Katechese bei Armen zurückkehrte. Die göttliche Erleuchtung ereignete sich ausgerechnet in dem Madrider Stadtviertel La Bombilla („Glühbirne“), und hier, an einem so passenden Ort, „sah“ der Gründer des Opus Dei zum ersten Mal „die Notwendgkeit, Gesellschaften zu schaffen, die den Besitztitel der Immobilien trugen, deren Fruchtgenuss dem Opus Dei zufloss, und die sie wirtschaftlich betrieben“. Wie man beobachten kann, fand die Leitung des Opus Dei sogar für Scheinfirmen und Finanzgeschäfte durch Strohmänner eine göttliche Erklärung, auch wenn in der Fantasie des Gründers „die Glühbirne“ nur seine eigene Lichtquelle bezeichnete.

In die Materie der Heiligkeit schlossen die Leiter des Opus Dei dem Akt an den Vatikan wohlweislich nicht eine Reihe wunderbarer Ereignisse aus der letzten Lebenszeit Escrivás bei. Die wundersamen Vorgänge geschahen in Spanien Ende der sechziger Jahre und bestanden in Marienerscheinungen in dem Ort El Palmar de Troya bei Utrera in der Provinz Sevilla.

Als 1968 vier Mädchen namens Josefa, Ana, Rafaela und Ana María zuhause erzählten, sie hätten eine Frau über einigen Mastixsträuchern in der Finca La Alcaparrosa bei El Palmar de Troya gesehen, verbreitet sich rasch der Ruf, ein Wunder sei geschehen die Jungfrau Maria sei, im Habit einer Karmeliterin, erschienen. Die offizielle Kirche nahm eine skeptische Haltung ein, aber die Seher wurden immer zahlreicher und Escrivá, den jedes übernatürliche Phänomen faszinierte und mit dem Wunsch, vielleicht eine neue marianische Bewegung für sich zu vereinnahmen, interessierte er sich besonders für diese Erscheinungen. Es gab Mitglieder des Opus Dei, die diskret Kontakt zu einigen Sehern aufnahmen.

Die Botschaften der Jungfrau Maria, die angeblich erschien, bezogen sich, ganz auf der ideologischen Linie Escrivás, auf Katastrohen, die da kommen sollten. Die Seherin María Luisa Vila zeigte sich stigmatisiert an beiden Händen, und Escrivá führte eine lange Unterredung mit ihr, nachdem er sie vorher in die nahe Stadt Jerez de la Frontera, Provinz Cádiz, bestellt hatte, wo das Opus Dei das Studentenheim und Einkehrhaus Pozoalbero für die Einwohner dieser Gegend unterhält.

Später, 1976, exkommunizierte Paul VI. den „Papst Clemens“ und vier Bischöfe der Kongregation, die in El Palmar de Troya gegründet worden war, nachdem sie sich bereits als einzig wahre, katholische, apostolische und palmarische Kirche bezeichnet hatten. Bei seinen ungewohnten Kanonisierungen  figurieren als Heilige die Diktatoren  Adolf Hitler, Benito Mussolini und der General Franco, der Admiral Carrero Blanco und der Gründer der spanischen Falange, José Antonio Primo de Rivera.

Da sich Escrivá zu Lebzeiten besonder für Seher und die Erscheinungen der kleinen Kirche von Palmar de Troya interessiert hatte, dankte sie es ihm, indem sie ihn am 24. September 1978 heiligsprach und so den Heiligsprechungsprozess noch überholte, den das Opus Dei bei der Kirche von Rom einreichen wollte. Zusammen mit „Msgr. José María Escrivá de Balaguer“ wurden noch eine Italienerin, eine Deutsche, sieben Engländer, vier Spanier, unter ihnen der Unternehmer José Calvo Sotelo, Politiker und „Protomärtyrer“ der militärischen Erhebung Francos im Juli 1936, und zwei Personen aus Quebec heiliggesprochen.

Das „Sechzehnte Dokument Seiner Heiligkeit, des Papstes Gregor VII.“, besser bekannt als der „Papst Clemens“, verkündet feierlich: „Wir schmücken heute die Heilige Kirche Gottes, indem wir zur Ehre der Altäre erheben“, „nach vorhergehender historischer Untersuchung“ und „mit der Autorität, mit der Wir ausgestattet sind“ den „Hl. José María Escrivá de Balaguer“, denn „in diesen Zeiten der Finsternis ist es notwendig, die bedeutenden Gestalten der Kirche kennenzulernen: Nun, auf diese Weise werdet ihr wundervolle Beispiele finden, um gegen die Feinde der Kirche zu kämpfen“ und „wenn Gott uns weiterhin stärkt, werden wir mit dem Flammenschwert gegen alle verfluchten Verräter kämpfen.“ Die kleine Kirche von Palmar de Troya hat die Katholische Kirche von Rom im Bereich der Turboheiligkeit noch überholt.

Der Seligsprechungsprozess Escrivá, der 1981 begann, bot verschiedene wunde Punkte und allerlei Regelwidrigkeiten. Die Turboheiligkeit Escrivás litt an einem Mangel an Transparenz, der seinem Leben als Kleriker der Kirche entsprach. Die Intervention einer ultrakonservativer Kirchenfürsten aus dem Vatikan sowie großer Unterstützer des Opus Dei entschieden den Prozess. In seiner Eigenschaft als Präfekt der Kongregation für die Heiligsprechungsprozesse sandte Kardinal Pietro Palazzini am 10. Februar 1984 einen Brief an das kirchliche Tribunal, das den Prozess in Madrid betrieb, in der er den Ausschluss ungünstiger Zeugnisse deckte. Palazzini betand auf dem Kriterium, „niemand könne der Wahrheit dienen, der nicht zögere, den Glauben zu beleidigen“, und dieses Tribunal fühlte sich dadurch bestärkt, ehemalige Mitglieder des Opus Dei auszuschließen, die Escrivá jahrelang gekannt und mit ihm zusammengearbeitet hatten.

Palazzini war während des Pontifikats Paul VI. in dem Scherbengericht verblieben und wegen seiner zweifelhaften Aktivitäten als Zeuge von den italienischen Behörden einvernommen worden, nachdem er angeblich Kontakte zu Roberto Calvi unterhalten hatte, dem Präsidenten des Banco Ambrosiano, der durch Selbstmord geendet hatte. Andererseits war der Kardinal ein persönlicher Freund Escrivás gewesen. Eine „schöne und aufrichtige“ Freundschaft hielt Escrivá für „eine der „feinsten und angenehmsten Gaben des Herrn“, laut Seite 1.080 der offiziellen Biografie des Gründers, die sich unter den Akten des Prozesses findet, der im Vatikan bereits eingeleitet war.

Nachdem das Problem der unbequemen Zeugen rasch gelöst war, reduzierte sich die einzige bedeutende Debatte in der Kongregation für die Heiligsprechungsprozesse auf die Frage, ob die Stellungnahme von Álvaro Portillo anzunehmen sei, da er für 31 Jahre einer seiner treuesten Gefolgsleute, der Bodyguard und Beichtvater Escrivás war. Das Tribunal, da aus neun Mitgliedern bestand, neigte mehrheitlich dazu dies anzuerkennen; zwei  Mitglieder hatten sich allerdings dagegen ausgesprochen; bei den normalen Heiligsprechungsprozessen, die die Kongregation für die Heiligsprechungsprozesse durchführt, genügt eine Gegenstimme im Tribunal, den Prozess infrage zu stellen, sodass er neu aufgerollt werden muss. Eine der Richter, der Italiener Luigi de Magistris, bestand darauf, sein Unbehagen zu protokollieren („profondo disagio“ ist der Ausdruck im Italienisch des Dokuments, weil das Zeugnis Álvaro Portillos angenommen worden war, dass laut diesem italienischen  Richter „annulliert werden müsste“. Die andere negative Wortmeldung stammte vom einzigen spanischen Richter, Justo Fernández, der anmerkte, dass es überhaupt keine Zeugen der Gegenseite gab und dass üblicherweise bei Seligsprechungen die Mehrheit des Tribunals derselben Nationalität wie der Kandidat angehört hätte.

Beim dem Turboprozess der Seligsprechung traten auch noch andre Regelwidrigkeiten auf. So hatten Mitglieder des Opus Dei Bischöfe und Priester aufgefordert, dem Papst Briefe zur Unterstützung des Prozesses zu schicken, und das bedeutete eine klare Verletzung des Erfordernisses, dass diese Briefe lt. Canon 2.077 des Codex Iuris Canonici spontan geschrieben werden müssen. Von den 6000 im Vatikan eingegangenen Briefen waren 2000 von Bischöfen, während der erwähnte Canon festsetzt, dass die Bischöfe in diesem Fall den Seligen persönlich gekannt haben müssen, während Escrivá zu seinen Lebzeiten nur mit 128 Bischöfen persönlich bekannt war. Allerdings lässt es eine Erklärung der Ritenkongregation aus dem Jahr 1935 offen, ob diese Kenntnis sich auch auf den „Ruf der Heiligkeit des Kandidaten“ und nicht nur auf ihn selbst beziehen kann, ein legales Schlupfloch, das vom Opus Dei bis zum Überdruss und völlig jenseits aller Grenzen des Gerechten, Wahrhaften oder Sinnvollen ausgereizt wurde.

Eine weitere Regelwidrigkeit liegt bei den Zeugenaussagen und den 2.101 zusammengetragenen Seiten der Prozessakten; 839 gehören zu Erklärungen von Álvaro Portillo und Javier Echevarría, den beiden engsten Mitarbeitern Escrivás und Nachfolgern des Gründers an der Spitze des Opus Dei. Am auffälligsten war aber zweifellos die unbewiesene Behauptung, das Wirken Escrivás hätte keine bestimmte politische oder wirtschaftliche Absicht gehabt. Um diese Behauptungen aufrechterhalten zu können, wurden kaum Dokumente vorgelegt, die die engen Beziehungen des Opus Dei und seines Gründers mit der Diktatur Francos zeigen. Ebensowenig wurden die engen persönlichen Beziehungen des Gründers des OD mit General Franco erwähnt: Er unterhielt mit ihm Korrespondenz, besuchte ihn zu wiederholten Malen im Palast El Pardo und predigte sogar der Familie Franco Exerzitien.

Giancarlo Rocca, Pauliner, einer der seltenen kompetenten Analysten über das Opus Dei, meinte, dass die „exzessive Geschwindigkeit des Prozesses niemandem genützt hat und die Legitimität des Urteils in Frage stellt. Der größte Teil der kirchlichen und zivilen Archive sind, was die Lebenszeit Escrivás betrifft, noch geschlossen. Was geschieht, wenn hier plötzlich kompromittierende Dokumente über ihn auftauchen?“

Dann geschah, unter anderem, etwas Unerhörtes, was bis dahin noch nie bei Seligsprechungs­prozessen der Kirche vorgekommen war. Auf direkte Intervention von Johannes Paul II. übernahm der Vatikan zur Gänze die Stellungnahme des Opus Dei, und weit davon entfernt, den Irregularitäten nachzugehen, wurden alle Fakten als korrekt und wie selbst geprüfte angenommen, sowohl in der Einleitungsphase des Prozesses wie bei der Würdigung der heroischen Tugenden oder der Anerkennung des Wunders.

Da die Huldigung durch die Turboheiligkeitdes Gründers allgemein wurde, rechnete man auch mit der Untertstützung durch die oberste Instanz des Vatikans, und in der Dokumentation des Prozesses begannen Schmeicheleien vorzukommen, die für das Opus Dei sehr angenehm waren. Es wird beispielsweise folgende Schlussfolgerung  des Promotors des Glaubens bei der Prüfung der heroischen Tugenden Escrivás zitiert: „Ich erwäge im Licht der Zeugnisse des Prozesses, dass der solideste Beweis für die Authentizität des hohen Grades an mystischem Leben, das der Diener Gottes erreichte, vor allem aus seinem beständigen Bemühen um die Identifikation mit dem göttlichen Willen herrührt und aus jener Demut, die (...), nach fünfzig Jahren intensiv gelebten Priestertums, sich selbst wie ein stammelndes Kind erachtete“.

Bei der Seligsprechung Escrivás ist das entscheidende Wort Beschleunigung. Alles ging früher und schneller als bei den übrigen Kandidaten und bei anderen Seligsprechungsprozessen. Die heroischen Tugenden oder die Sorte Wunder waren weniger wichtig. Das entscheidende Wort war eine Beschleunigung, die sich so in die erste Turboheiligkeit der Römisch-Katholischen Kirche verwandelte. Abgesehen von der Turboheiligkeit des Gründers setze das Werk die gleichen intensiven Bemühungen darin, sich in die erste Superdiözese der Welt zu verwandeln, als man gleichzeitig mit der blitzschnellen Seligsprechung Escrivá das juristische Statut einer Personalprälatur beantragte, was aufgrund der gleichen Wellenlänge und der Sympathie, die Papst Johannes Paul II.seit langem für das Opus Dei empfand, erfolgversprechend war.

Was das Wunder betrifft, das das Opus Dei für die Seligsprechung vorlegte und das angeblich von Escrivá 1976 gewirkt worden war, so wurde es vor der Diözesanen Kurie in Madrid 1982 verhandelt. Eine alte Nonne, Karmeliterin von der Nächstenliebe, wies anscheinend  Tumore in verschiedenen Teilen ihres Körpers auf, und ein Numerarierpriester des Opus Dei, der als Beichtvater des Konvents fungierte, versicherte, dass diese Geschwulst über Nacht verschwunden sei.

Die Nonne gehörte zu einem der 92 Karmeliterkonventen, die sich geweigert hatten, die Regel nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil zu modernisieren, und um die geistliche Betreuung des Konvents kümmerten sich Numerarierpriester des Opus Dei. Das Wunder, das Escrivá zugeschrieben wurde, könnte für spektakulär gelten, wenn etwa die Nonne dank ihm vom sicheren Tod gerettet worden wäre. Allerdings hat nicht sie, sondern ihre entferntere Familie, die Navarro Rubio, die eng mit dem OD verbunden ist, sie dem verstorbenen Escrivá anempfohlen. Laut Zeugnissen aus ihrer Umgebung hat sie niemals daran gedacht, um ihre Heilung zu beten. Mehr noch, die Heilung war so geheim, dass die Oberin des Konvents erst Jahre später aus der Zeitung von dem angeblichen Wunder erfahren hatte. Die Nonne starb mit 82 Jahren an einer Krankheit, die laut den Aufzeichnungen, die das Opus Dei beisteuerte, nichts mit der zu tun hatte, von der sie „wunderbarerweise“ dank des angeblichen Eingreifens Escrivás geheilt worden war, der distrophischen Kalkablagerung und dem Magengeschwür.

Im Juni 1976 war Schwester Concepción Boullón Rubio, die Protagonistin des angeblichen Wunders, 76 Jahre alt. Der Arzt, der sie betreute, erklärte bei seinem Termin, dass keinerlei Untersuchung vorgenommen worden sei, um die Diagnostik über den schlechten Allgemeinzustand der Kranken zu vervollständigen. Dann  kam die angebliche Heilung, und wie eine andere Nonne erzählt,  die sie betreute, Maria del Pinar Prieto, dass bei einem weiteren Besuch beim Arzt einige Tage später nur mehr ein kleiner Rest der Geschwulst gefunden wurde, die sie am Bein gehabt hatte. Der Arzt entschied sich dann ein Stück des Gewebes zu untersuchen, das er dem betroffenen Teil entnommen hatte, und das Ergebnis zeigte eine distrophische Kalkeinlagerung auf einer vorangegangenen Entzündung. Die Analyse mit dem Mikroskop zeigte, dass es kein Tumor war, sondern eine Kalkeinlagerung im Unterhaut-Bindegewebe, während der Tumor eine anomale Zellwucherung ist, die sich biologisch verhält und mehr oder weniger aggressiv ist. Die Kalkablagerung von Schwester Concepción Boullón hatte nichts von gefährlichen Tumoren an sich, auch wenn man bei ungenauem Hinsehen eine Art Beule wahrnimmt, und es gibt Ärzte, die sie mit einem Tumor verwechseln.

Da die Ergebnisse zu unklar waren, um als wissenschaftliche Stütze einer angeblichen wunderbaren Heilung zu dienen, schalteten sich als medizinische Experten des Opus Dei von der Universitätsklinik von Navarra ein, und sie wagten es nicht sich festzulegen, ihre Antworten waren ausweichend; allerdings gab es auch medizinische Experten, die sich klar dagegen aussprachen und andeuteten, dass es  sich nicht um einen Tumor handelte, sondern um eine Kalkablagerung. Der Professor für Anatomische Pathologie und Aktivist des Opus Dei, Jesús Vázquez, hatte ernsthafte Zweifel in dieser Hinsicht, denn eine distrophische Kalkablagerung kann nicht als Grundlage für eine wunderbare Heilung dienen. Sogar der Dekan der Medizinischen Fakultät der Universität des Opus Dei in Navarra, Eduardo Ortiz Landázuri, Professor für Pathologie und Klinische Medizin, einer der Ärzte des Spanischen Königshauses,  sah sich verpflichtet, die Aufmerksamkeit der Experten auf eine andere Erkrankung zu lenken. Während die mehr als zweifelhaften Tumore der Nonne nicht weiterhalfen, fand sich ein Magengeschwür, das den klinischen Befund verschlechterte, denn man behauptete, dass die beiden Erkrankungen, die voneinander unabhängig wären, in kurzer Zeit zu einem fatalen Ende führen würden.

Trotz allem fand der Akt mit der angeblichen Heilung seinen Weg nach Rom und gelangte in die Hände von Raffaello Cortesini, Arzt und Mitglied des Opus Dei, Präsident des Instituts für die Universitäre Zusammenarbeit und Chef des Vatikanischen Büros für die Heilungsprozesse, eine Körperschaft, die darüber zu befinden hat, ob eine Heilung wunderbar ist oder nicht. Hier wurden das wissenschaftliche Können, die begründeten Zweifel und die beruflichen Skrupel mit einem Federstrich ausgeräumt. Der Präsident der medizinischen Konsultation, die immer seine Expertise abgibt, bestätigte in Rom, dass die Kalkablagerungen der spanischen Karmeliternonne ein Wunder gewesen seien, obwohl die Mitglieder des Opus Dei wussten, dass dies den gesamten Heiligsprechungsprozess Escrivás ungültig machen konnte.

So erreichte es das Opus Dei, dass Escrivá seliggesprochen wurde, und in Erwartung der erhofften Heiligsprechung gab man seinem Bild bereits eine Aureole. Allerdings versicherten Experten im Kirchenrecht, dass Escrivá, auch wenn hier die Katholische Kirche nichts zurücknehmen kann, nach solchen Übergriffen und Regelwidrigkeiten niemals hätte heiliggesprochen werden dürfen. Aber die Turboheiligkeit und der Kult mit dem Gründer rechneten mit ausreichender Unterstützung im Vatikan, um den seligen Escrivá auch noch auf die Altäre zu erheben.

Im Mai 1992 rechnete man vor der Seligsprechungszeremonie Escrivás auf dem Petersplatz in Rom von Seiten des Opus Dei mit einer Zahl von 200.000 Personen aus der ganzen Welt. So übertriebene Voraussagen lassen sich aufdröseln; es waren neben 15.000 Italienern 185.000 Pilger, davon 70.000 Spanier, 23.000 Lateinamerikaner und 5.000 Mexikaner. Sie versicherten auch, dass sie mit 5.000 Asiaten und Afrikanern und 2.000 Nordamerikanern, Ziffern, die vollkommen übertrieben sind, wenn man sie neben die 120.000 Personen stellt, die das eigene Pressebüro des Opus Dei später als Teilnehmer an der Zeremonie nannte. Das einzige nachprüfbare Faktum ist allerdings, dass 26.000 Stühle auf dem Petersplatz für die Mitglieder und Sympathisanten des Opus Dei aufgestellt worden waren. und einige handverlesene geladene Gäste. Anwesende Zeugen stellten fest, dass die Masse der Teilnehmer nicht bis zu den Kolonnaden Berninis reichte  und dass sich unter den gewöhnlichen Teilnehmern auch der italienische Politiker Giulio Andreotti mit Begleitung eingefunden hatte. Er sollte später wegen seiner engen Kontakte zur sizilianischen Mafia vor Gericht gestellt werden.

Während offizielle Quellen des Opus Dei die wahren Zahlen aufbauschten und versicherten, dass 21 Mitglieder des spanischen Königshauses bei der Seligsprechungszeremonie Escrivás in Rom anwesend gewesen seien, befand sich der spanische König ausgerechnet an diesem Tag in dem valencianischen Dorf Villarreal, um mit dem fortschrittlichen Kardinal Vicente Enrique und Tarancón den vierhundertsten Jahrestag des heiligen Pascual Bailón zu feiern, eines Heiligen, dessen Beziehungen zur Spanischen Krone sich sehr passend an diesem Tag feiern ließen.

Der Botschafter Spaniens beim Heiligen Stuhl, Jesús Ezquerra, versuchte seinerseits vergeblich, die Nachricht, die Nachricht richtigstellen, die der Vatikanische Pressesaal, der unter der Leitung des Numerariers des Opus Dei Joaquín Navarro Valls stand, richtigzustellen, laut der sich in der „offiziellen spanischen Delegation“, die an der Heiligsprechung teilgenommen hätte, auch „21 Mitglieder des Königshauses“ befunden hätten. Der spanische Botschafter rief diesen Numerarier des Opus Dei an, dass er die irrtümlich veröffentliche Zahl korrigieren solle, denn kein einziges Mitglied des spanischen Königshauses war bei der Seligsprechung Escrivás anwesend, es waren lediglich im eigenen Namens sechs aktive bzw. ehemalige Angestellte des Königshauses anwesend. Den „Irrtum“, den der Vatikanische Pressesaal verbreitet hatte, wollte das Opus Dei niemals richtigstellen oder ein Dementi veröffentlichen.

„Die Christen sind gerufen, an einer neuen Evangelisierung teilzunehmen, die die Familien prägt, das berufliche Umfeld, die Zentren der Bildung und der Arbeit, die Mittel der Kommunikation, das öffentliche und private Leben, mit den Werten des Evangeliums, die ein Quelle von Frieden und Brüderlichkeit sind“, sagte der Papst in seiner Ansprache am Montag, den 18. Mai 1992 in der Audienz, die er, und das gab es im Vatikan noch nie, auf dem Petersplatz in Rom den Anhängern des Gründers des Opus Dei gewährte, der schon am Vorjahr seliggesprochen worden war. Zehntausende Personen, einige sprachen auch von hunderttausend, sangen „Happy birthday“ für Johannes Paul II., der seinen 72. Geburtstag feierte. Der Papst stellte Escrivá als christliches Vorbild für die moderne Welt dar, und das Opus Dei als Angelpunkt der Neuevangelisierung der Katholischen Kirche in der zeitgenössischen Welt.

Den Akt der Seligsprechung am Vortag teilten sie mit der bescheidenen Sudanesierin Josefina Bakhita, und sie zeigten mit ihren zehntausenden Teilnehmern  die Fähigkeit des Opus Dei, Massen zu mobilisieren, ein Ziel, das sich der selige Escrivá nicht hätte träumen lassen, als er seine Gründung 1935 als elitäre Geheimgesellschaft startete, oder vielleicht nur insgeheim, denn die Massenaufmärsche zur Verherrlichung eines Führers waren in den besten Zeiten des Faschismus häufig.

In den Fragen der Heiligkeit versuchte das Opus Dei den Fall seines Gründers mit einer enormen Geschwindigkeit abzuwickeln. Die Seligsprechung war freilich des Anfang für das „happy end“ der Heiligsprechung Escrivás und für das Opus Dei sollte es noch dauern, bis sie ihn auf die Altäre stelle konnten. Das bürokratische Fegefeuer Escrivá versprach lange zu dauern, denn jeder Weg zur Heiligkeit ist voller Hindernisse, und der Preis für eine solche Übereilung wie in einem Turboprozess ist üblicherweise die extreme, kluge Langsamkeit der Kirche, zumindest bis dato war es so.

Nachdem der Gründer offiziell vom Vatikan im Mai 1992 seliggesprochen war, und als man dringend ein neues Wunder für die Heiligsprechung benötigte, führte die leitungsebene des Opus Dei den Weg der Turboheiligkeit weiter, indem es eine neue Kampagne unter den Mitgliedern des Werks eröffnete und schnell mehr als zwanzig wunderbare Heiligen fand, in so verschiedenen Ländern wie den Philippinen, Puerto Rico und Spanien. Dennoch  war klar, dass für die Turboheiligkeit des Gründers die Wunder aus Spanien von höchstem Interesse waren, da sie leichter vom Opus Dei direkt kontrolliert werden konnten.

Ein  besonders interessanter Fall bezieht sich auf die Heilung eines sechsjährigen Kindes im selben Mai 1992, einen Tag nachdem die Mutter Escrivá angerufen hatte, nachdem sie im Fernsehen die Zeremonie der Seligsprechung des Gründers gesehen hatte. Unter den Informationen, die der Akt über das Wunder des Kindes, eines hohen Verwaltungsjuristen aus Kantabrien, liefert, sticht der des Chefs der Kinder-Nephrologie der Klinik heraus, wo es behandelt wurde, der meinte, dass es sich um kein Wunder handle und der die Heilung einer gelungenen medikamentösen Behandlung zuschrieb. Der Kleine litt unter hohem Blutdruck aufgrund einer Stenose in der rechten Nierenarterie und am 17. Mai 1992, dem Vorabend des angeblichen Wunders, zeigte das Kind bereits eine bedeutende Besserung, „mehr als die Mutter gesagt hat“, schrieb der Spezialist. Das war aber kein Hindernis für das Opus Dei, denn gegenüber dieser Expertise mobilisierten sie andere Ärzte, unter ihnen Dr. Jesús Bustamante vom Hospital Clínico Universitario in Valladolid, der eine anderslautende Information beifügte, die die Möglichkeit eines Wunders offenließ: „Die medizinische Literatur besagt, dass eine widersprüchliche Erklärung die Türen zum Außerordentlichen und zum Wunder offenlässt: „Die medizinische Literatur besagt, dass wenn es keine Operation gibt und gegeben hat, die Krankheit irreversibel ist. Das Geschehene ist vom wissenschaftlichen Standpunkt aus unerklärbar“.

Damit es keine solchen Vorbehalte und Misslichkeiten wie im Fall des Kindes aus Kantabrien gäbe und der bürokratische Ablauf im Vatikan zugunsten der Turboheiligkeit Escrivás nicht gestört werde, wurde das zweite Wunder in Spanien sorgfältig bis in die winzigsten Details vom Opus Dei vorbereitet. Der Protagonist für dieses angebliche Wunder war ein Chirurg aus Estremadura, Manuel Nevado Rey, eine wichtige Persönlichkeit im Dorf Almendralejo, denn neben der Medizin und der Chirurgie widmete er sich der Landwirtschaft, nachdem er seinen ererbten Landbesitz vergrößert hatte, indem er ein Landgut mit dem Namen „La Portuguesa“ mit ca. 1.000 Hektar an der Grenze zu Portugal erworben hatte. Auch zusammen mit seiner Schwester, einer Mecedarier-Nonne, nahm er aktiv an der Umwandlung des Spitals in ein Hospiz teil, und als er 1986 als medizinischer Leiter des Casa-Hospital de la Misericordia in den Ruhestand ging, wurde er Mitarbeiter des Opus Dei. Der Fall war in jeder Hinsicht gut ausgewählt, denn wenn es sich bei der wunderbaren Heilung, auf die sich die Seligsprechung stützte, nicht um einen Laien, sondern um eine Nonne ging, so war die Wunderheilung von Manuel Nevado Rey, da er Laie war, sein Fall keine religiöse Dimension aufwies, und es wurde mitgeteilt, dass er kein Mitglied des Opus Dei sei. Da er nur Mitarbeiter des Werkes Gottes, meinten ehemalige Mitglieder des Opus Dei aus Estremadura, dass seine Erklärungen über die Zugehörigkeit oder Nicht-Zugehörigkeit zum Opus Dei keine Lüge waren, sondern nur eine Mentalreservation.

Die Anfänge der schweren Dermatitis, einer starken Reizung der Hände des Chirurgen, die die Grundlage für das Wunder bildeten, zeigten sich zu Beginn der sechziger Jahre. Es war damals, als er sich die Krankheit zuzog, und er arbeitete sowohl als Arzt wie auch als Chirurg an der Residencia Sanitaria de Badajoz. Als Unfallchirurg war er ständig Röntgenstrahlen ausgesetzt, und oft war nicht die Zeit, die Hände mit Bleihandschuhen zu schützen. Die Radiodermitis ließ ihn sofort den Haarflaum auf den Händen ausgehen, und es zeigten sich rosige Zonen mit Juckreiz.“

Die Krankengeschichte der Dermatitis, die während 40 Berufsjahren durch Röntgenstrahlen entstanden waren, und die Anlagerungen in den verwandelten sich in eine schauerliche Story, die dank von Zeugnissen aus dem Opus Dei gut belegt waren. Erzählungen und Aufzeichnungen verschleiern das, was wirklich geschah, denn sie verleihen der Sache Nachdruck und Ansehnlichkeit. So waren schließlich Dr. Nevados Finger gefühllos geworden, die ihn 1992 gezwungen hätten den Operationstisch als Chirurg zu verlassen und als Arzt weiterzuarbeiten, wäre nicht in diesem Jahr das Wunder geschehen.  Außerdem litt Nevado nach der Aussage eines anderen Arztes des Opus Dei, der an die Wunder Escrivás bedingungslos glaubte, an einer schweren chronischen Radiodermitis im dritten Stadium, das durch die neoplastische Transformation der Läsionen gekennzeichnet ist. Das Leiden sei in ein „irreversibles Stadium“ getreten und befand sich in einer „hoffnungslosen Diagnose“; das konnte so weit gehen, dass eine „Amputation der Hände notwendig werden könnte“.

Für die Schar der Jünger Escrivás war die Dermatitis von Manuel Nevado Rey eine „degenerative Erkrankung“, die sogar dazu geführt hat, dass er seinen Beruf nicht mehr ausüben konnte, und als das Wunder eintrat „verschwanden die Läsionen, und die Hände erhielten wieder ein normales Aussehen, sie waren vollkommen geheilt“, und das erlaubte ihm mit seinen 69 Jahren als Arzt weiterzuarbeiten: Manuel Nevado Rey arbeitete neben seiner Privatpraxis weiterhin als Chirurg in Zafra.

Was die „schwere chronische Radiodermitis“ betrifft, so halten Dermatologen in einigen Fällen eine Spontanheilung ganz ohne Wunder tatsächlich für möglich, und als Manuel Nevado Rey weiterarbeitete, obwohl er offiziell pensioniert war, meinte ein Mediziner-Kollege etwas realistischer, er hätte sich das ganze Problem von Anfang an ersparen können, wenn er Handschuhe gegen die Röntgenstrahlen getragen hätte.

Das Opus Dei hatte den Mechanismus der Turboheiligkeit angeworfen, und der Akt über das Wunder und die „sehr schwere Erkrankung“, unter der der Chirurg litt, nahm seinen lauf, als der Postulator des Heiligsprechungsprozesses Escrivás, ein Mitglied des Opus Dei die Erzdiözese Mérida-Badajoz um die Eröffnung des Prozesses wegen eines mutmaßlich übernatürlichen Ereignisses in Estremadura. Man schuf dann ein Tribunal, das aus einem Promotor des Glaubens, dem Postulator und einem bestellten Richterbestand, die die medizinischen Gutachten analysieren sollten, einschließlich eines radiologischen. Das abschließende Gutachten war für die These eines möglichen Wunders günstig und wurde als „wissenschaftlich unerklärlich“ von Spanien an die Kongregation für die Heiligsprechungen nach Rom geschickt. Auch hier sparc sich die ärztliche Kommission für ein Wunder aus und meinte, dass die Heilung des Chirurgen aus Estremadura „sehr schnell, vollständig, nachhaltig und wissenschaftlich unerklärlich“ gewesen sei. Von den Ärzten ging der Akt an die Theologenkommission, die das Außerordentliche des Falles feststellten, der sich außerhalb der Naturgesetze ereignet habe, und so blieb nur noch übrig, ihn der Kommission der Kardinäle und Bischöfe und dann dem Papst vorzulegen, der Escrivá und seine tiefe Sehnsucht nicht verhehlte, ihn zu den Altären erhoben zu sehen. Die jüngst proklamierten 505 Heiligen und Seligen, die Mehrzahl von ihnen „Märtyrer“ des Spanischen Bürgerkriegs, sind nur ein Hinweis für die freundliche Grundstimmung des Vatikans. Die Turboheiligkeit Escrivás sollte nicht schwer zu erreiche sein, denn es gab bereits Briefe von 2.000 Bischöfen, die erklärten, sie hätten vom „Ruf der Heiligkeit“ des Gründers des Opus Dei Kenntnis. Für die zukünftige Turboheiligkeit in der Katholischen Kirche wird es ausreichen, einen entsprechend starken Einfluss auszuüben, so wie dies das Opus Dei im Vatikan vorgezeigt hat.

Im Hinblick auf die Umstände des Wunders reicht es darauf hinzuweisen, dass dem Chirurgen aus Almendralejo im Jahr 1992, sechs Monate nach der Proklamierung Escrivás zum Seligen, ein Gebetsbildchen des frischgebackenen Seligen und Gründers des Opus Dei geschenkt wurde. „Ich wandte mich an einen Freund, um ihm zu schildern, was mir geschehen war“, berichtet der Chirurg aus Estremadura in den Prozessakten der Turboheiligkeit des Gründers. „Er bot mir ein Gebetsbildchen von Josemaría Escrivá de Balaguer und riet mir, um seine Fürsprache zu bitten.“ Das heißt, mit nur einer kleinen Anrufung gelangte Josemaría Escrivá, der Gründer des Opus Dei, in den Himmel und bat Gott um die Heilung der Dermatitis, an der er seit Beginn der sechziger Jahre litt, von den Anfängen seiner Karriere bis zu diesem Zeitpunkt, mindestens dreißig Jahre lang.

Nevado bekannte, dass er in diesem Moment Escrivá um einen Gunsterweise und eine Hilfe gebeten hatte, und einige Tage später fuhr ich zu einem Kongress nach Wien“. Im Zusammenhang mit der Reise wurden die Behauptungen von Manuel Nevado Rey, nicht dem Opus Dei anzugehören, von ehemaligen Mitgliedern dementiert, die davon erzählten, dass er auf der Reise zu einem Ärztekongress in Österreich „gut instruiert“ wurde, nachdem er die Zentren und Kirchen des Opus Dei in Wien besucht hatte. In seiner Version der Reise nach Österreich bekennt Nevado Rey, dass es ihn hier sehr beeindruckte, dass er „in allen Kirchen, die ich besuchte“, Gebetsbildchen des Gründers des Opus Dei vorfand. Das trieb mich mit noch stärkerem Eifer um seine Fürsprache zu bitten“.

Da er vollkommen entschlossen war, das Opus Dei zu unterstützen, sprach Nevado über das Wunder nur zu Priestern des Werks und Personen, die ihm verbunden waren. Wochen nach der Reise nach Österreich ließ der Chirurg aus Estremadura andere Personen wissen, dass seine Hände wunderbarerweise auf Fürsprache des seligen Gründers Escrivá geheilt worden seien.

Heutzutage ist der Vorgang bei Selig- und Heiligsprechungsprozessen schneller, weil der berühmte „advocatus diaboli“ abgeschafft wurde, der mögliche Fehler entdecken soll, dafür gibt es nunmehr den „Promotor des Glaubens“, der sich im 21. Jahrhundert mehr um geistliche Gaben und um das Zeugnis für heroische Tugenden kümmert. Das hat es möglich gemacht, dass sich der Gründer des Opus Dei in einen Pionier der katholischen Turboheiligkeit auf Erden verwandelt hat.

Die Turboheiligkeit Escrivás hat zur Folge, dass er ehr als ein Vierteljahrhundert nach seinem Tod weiterhin Richtschnur für alles ist, was man im Opus Dei  tut und sagt. Er selbst hat geglaubt, dass er ein Auserwählter Gottes sei und unwiderruflich dazu bestimmt sei heilig zu sein, bis hin zur missbräuchlichen Verwendung „übernatürlicher Waffen“, um sein Projekt durchzuziehen. Für das Opus Dei gibt es im Katholizismus keine unterschiedlichen Wege zur Heiligkeit, sondern nur den Weg des Werks, den Escrivá in seinem Leben gebahnt hatte, der offiziell zum Seligen erklärt wurde und schließlich die Turboheiligkeit erlangt hat. Wie erklärte es einer seiner Jünger im  Jahr 1992 auf Televisión Española im Programm „Línea 900“: „Wir alle wussten, dass unser Vater heilig war, die Seligsprechung hat nur den Zweck, dass es die anderen erfahren“. Für die Mitglieder des Opus Dei ist es klar, dass Escrivá ein heiliges Leben geführt hat und dass das Opus Dei der einzige Zweck seines Wandels auf Erden war.

Nun ist es Usus, dass die Katholische Kirche ihre Seligen nach einem erwiesenen Wunder bestätigt und sie nach einem zweiten Wunder zur Heiligkeit erhebt. Auch wenn das Opus Dei mehr als 20 Wunder dokumentiert hat, die angeblich auf die Fürsprache Escrivás gewirkt worden sind, hatte die Spitze des Opus Dei Angst, dass die Heiligsprechung Jahrhunderte auf sich warten lassen würde, wen sie nicht unter dem Pontifikat Johannes Pauls II. stattfinden konnte. Deshalb hat das Opus Dei die neue Form der Turboheiligkeit eingeführt, die mit dem einfachen Kalkül wirbt, die Heiligkeit einer Person sei umso größer, je kürzer der Prozess dauere. Dann, mit der deklarierten Turboheiligkeit des Gründers, war es das Ziel der Mitglieder des Opus Dei, der Söhne und Töchter Escrivás, das Beiwort „heilig“ so geläufig zu verwenden wie die ersten Christen und wie Escrivá bereits in der Maxime 469 seines Büchleins „Der Weg“ empfohlen hatte: „Grüßt alle Heiligen. Alle Heiligen grüßen euch. An alle Heiligen, die in Ephesus leben. An alle Heiligen Jesu Christi in Philippi." - Ist dieses Wort "Heilige", mit dem die ersten Christen sich bezeichneten, nicht ergreifend? So du mit deinen Brüdern.“

Eine Nonne, Schwester Concepción Boullón, half erfolgreich über die erste Etappe, und der schwache Fall von Manuel Nevado, der Chirurg aus Estremadura, der weiterhin öffentlich erklärt, „ich gehöre nicht dem Opus Dei“, versuchte die zweite Phase in der Turboheiligkeit des Gründers des Opus Dei ohne größere Schwierigkeiten zum Abschluss zu bringen.

Escrivá sagte häufig, dass „die Nonnen dumm sind“ und empfahl den Frauen im Opus Dei: „Meine Töchter, seid nicht solche Dummköpfe wie die Nonnen. Und er fügte hinzu, dass die einzige Nonne, die er je besucht habe, Schwester Lucía von Portugal gewesen sei, „nicht weil sie die Jungfrau gesehen hat, sondern weil sie uns sehr liebt“, und er fügte hinzu, dass Schwester Lucía „ein wenig dümmlich, aber eine gute Frau“ sei“.

Die Bande der Freundschaft zwischen Escrivá und Schwester Lucía von Fatima gehen bis in die vierziger Jahre zurück und von da an besuchte der Gründer des Opus Dei offen regelmäßig Schwester Lucía, eine der Seher von Fatima, in einem Konvent in Túy in der Provinz Pontevedra, wo sie sich nach der Profess als Dorotheerin befand. Fray José López Ortiz, im Opus Dei freundschaftlich „Onkel José“ genannt, war zum Bischof von Túy ernannt worden und rief Escrivá, der umgehend kam, da er bestrebt war, das Werk Gottes nach Portugal, der Schwester-Diktatur Spaniens, auszubreiten. Nach einem ersten Kontakt gab es eine zweite Begegnung mit Schwester Lucía, bei dem die Seherin von Fatima darauf bestand, dass das Opus Dei nach Portugal kommen müsse. „Ich sagte ihr, dass wir keinen Pass hätten, so erzählte Escrivá, aber sie antwortete: Ich werde das gleich regeln. Sie rief in Lissabon an und ließ uns ein Dokument zur Grenze bringen.“ Seit damals bleibt eins der drei Seherkinder von Fatima, eine Nonne die sich in einen Konvent zurückgezogen hatte, mit der Geschichte und der ersten internationalen Ausbreitung des Opus Dei verbunden. Später wurde das Heiligtum von Fatima einer der bevorzugten Marienwallfahrtsorte des Gründers des Opus Dei. Hier konnte man ihn sehen, wie er barfuß ging und einen Rosenkranz mit Medaillen herunterbetete, wie er selbst zugab: „Ich komme oft nach Portugal, ohne dass mich jemand sieht, um Fatima zu besuchen...“

Beim Prozess der Seligsprechung des Gründers des Opus Dei, hatte das fragwürdige Wunder einer Nonne in einem Prozess voller Fehler und Anomalien sicher nur eine relative Bedeutung; denn vorher waren für die Seligsprechung zwei sichere Wunder notwendig, und weitere zwei für die Heiligsprechung. Nunmehr genügt eines für jede Phase, und in einem Fall hat Papst Wojtyla vom übernatürlichen Faktum dispensiert.  Deshalb kam der Akt des Chirurgen aus Estremadura bis in den Vatikan.

Für die Katholische Kirche ist nach dem ersten Schritt, der Seligsprechung, sicher, dass der Kandidat für die Heiligkeit gerettet und nicht in der Hölle ist, auch wenn er im Fegefeuer sein könnte. Beim zweiten Schritt, der feierlichen Heiligsprechung, versichert der Papst mit Unfehlbarkeit, dass diese Person bereits die Herrlichkeit im Himmel genießt. Es gibt kaum Hinweise darüber, wo genau der Gründer des Opus Dei sich aufhält, ob er im Fegefeuer oder vielleicht sogar in der Hölle ist. Die Vermutung, die die portugiesische Nonne, José María Escrivás Freundin, angedeutet hat, eine der Seherinnen des Wunders von Fatima, lässt uns darüber im Zweifel, wenn Schwester Lucia in einem bestimmten Moment zum Gründer des Opus Dei gesagt hat: „Don José María, Ihr mit dem Euren und ich mit dem meinen, wir können noch in die Hölle kommen.“

Das ist die vollständige Biografie eines Mannes, der behauptet hat, sich sein ganzes Leben lang wie ein Heiliger verhalten zu haben. Wenn die Römisch-Katholische Kirche eine der wichtigsten Organisationen der Welt darstellt und in ihr die internationale Pressure Group Opus Dei einen starken fundamentalistischen Kern repräsentiert, der die Politik des Vatikans beeinflussen kann, weil sie von Johannes Paul II., dem Oberhaupt der Kirche, ermutigt und protegiert wird. Dennoch sind auch die Einflussmöglichkeiten begrenzt, wie man während der Pontifikate von Johannes XXIII. und Paul VI. sehen konnte; und auch während des  Pontifikats von Johannes Paul II. musste das Opus Dei seine Interventionsmöglichkeiten in der Politik und in Angelegenheiten des Vatikans mit anderen katholischen Organisationen und Bewegungen teilen. Als Beispiel für den begrenzten Einfluss des Opus Dei lässt sich erwähnen, was 1992 geschah, als Johannes Paul II., abgeschreckt durch den Skandal, den die umstrittene Seligsprechung Escrivás hervorrief, dem Druck der Jesuiten und der deutschen Bischöfe nachgab, die das Opus Dei kritisierten, deshalb sagte er in einem Moment der Schwäche zum damaligen Präsidenten Álvaro Portillo, es werde der nächste Papst sein, der den Gründer des Werkes Gottes heiligsprechen würde.

In einem Kunstführer von 1829 mit dem Namen „Promenade dans Rome“ schreibt der französische Schriftsteller Henri Beyle, beser behkannt als Stendhal, über seine Spaziergänge in Rom.  Zur Basilika San Clemente merkt er an: ... Tatsächlich besitzen wir nicht die leisteste Vorstellung davon, wie das Christentum der ersten Jahrhunderte ausgesehen haben mag. Ausgehend von jenem genialen Menschen, der sich nur mit Moses vergleichen lässt, Paulus, bis zu Leo XII., der „glücklich regierte“, wie man in Rom sagt, gleicht die christliche Religion den großen Flüssen, die alle Hindernisse, denen sie in ihrm Lauf begegnen, überwinden und ihren Lauf alle zei bis drei Jahrhunderte ändern.“  Die Sache stand zur Entscheidung an, denn wieder einmal war die  Kirche daran, ihren Lauf während der Pontifikate von Johannes XXIII. und Paul VI, zu ändern, aber nach dem Tod des Nachfolgers Pauls VI., der gleich auf seine Wahl folgte, Johannes Paul I.m der nur 33 Tage Papst war, deutete sich bereits an, dass die Wahl seines Nachfolgers im Herbst 1978 von den konservativsten Kardinälen des Konklaves im Vatikan entscheiden werden würde. Die Wahl polarisierte sich zwischen Kardinal Giuseppe Siri, dem Erzbischof von Genua, dem Kandidaten des konservativen Flügels, und dem Kardinal Giovanni Benelli, Erzbischof von Florenz, der Kandidaten der Erneuerer. Auf halbem Weg zwischen Genua und Florenz gab es einige italienische Kandidaten, dazu den einen oder anderen Außenseiter, unter ihnen der polnische Kardinal Karol Wojtyla, Erzbischof von Krakau, der zum Papst gewählt worden war und eine Art weiterer Kompromiss wie der ephemere Johannes Paul I. war, weshalb er auch den Namen Johannes Paul II. annahm.

Am Zentralsitz des Opus Dei haben in der Krypta, wo die sterblichen Reste Escrivás ruhen, einige Kardinäle und Kirchenmänner vor den beiden Konklaven von 1978 gebetet. Auch wenn er den Gründer des Opus Dei zu Lebzeiten nicht kennengelernt hatte, so erfuhr man doch, dass Kardinal Albino Luciani vor seiner Wahl zum Papst Johannes Paul I. vor dem Grab Escrivás gebetet habe, und er hatte einige Tage davor einen lobenden Artikel über den Gründer des Opus Dei geschrieben. Am Vorabend des Konklaves, das ihn zum Nachfolger des Papst es Johannes Paul I. wählen sollte, besuchte der Kardinal und Erzbischof von Krakau, Karol Wojtyla, ebenfalls  den römischen Sitz des Opus Dei, um am Grab Escrivás zu beten.

Der polnische Kardinal Karol Wojtyla war schon vor seiner Wahl zum Papst o Opus „behandelt“ worden. Die „Behandlung“ ist die Art, wie das Opus Dei mit bestimmten Kirchenmännern verfährt [oder ganz allgemein mit Personen, für die es sich interessiert], um sie „umzudrehen“. Von den ersten Kontakten an, die auf den Beginn der siebziger Jahre zurückgehen, war Karol Wojtyla vom Opus Dei begeistert. So verhielt es sich auch mit anderen osteuropäischen Bischöfen, die nach Rom kamen und von der intensiven, ausgebreiteten Tätigkeit des Opus Dei bezaubert waren, die vor allem auf der Kühnheit und der Unverschämtheit basierte. Wojtyla bekam vor seiner Wahl zum Papst die uneingeschränkte Unterstützung des Opus Dei. So erhielt er beispielsweise ein Päckchen mit Exemplaren des „Wegs“ in polnischer Übersetzung geschenkt, eine Sammlung von Videos über die Katechese Escrivás in Amerika, die ihm dann als Papst als Inspiration für seine Reise diente. In Rom besuchte er mehrmals den Zentralsitz des Opus Dei, und man bemühte sich in besonderer Weise um ihn; in der Sprache des Werkes: Man „behandelte“ ihn über mehrere Jahre hinweg. Sich Wojtyla zu verpflichten war wichtig, vor allem als er zum Papst gewählt war, denn der neue Papst wagte dem Opus Dei nichts abzuschlagen.

Diese Beziehungen gehen auf den April 1972 zurück, als die Zeitschrift des Opus Dei, „Studi Cattolici“, Karol Wojtyla Aufmerksamkeit schenkte und ein erstes Interview mit ihm veröffentlichte. Zwei Jahre später, im Oktober 1974, war Wojtyla zu einer Konferenz ins Centro Romano de Encuentros Sacerdotales (CRIS) eingeladen, einer Residenz des Opus Dei speziell für Priester, wo er auch später während seiner Aufenthalte in der Ewigen Stadt Gast war. Laut Zeugen, die ihn  in Rom kannten, zeigte Wojtyla ein enormes Unteresse daran, die Gesamtlage der Katholischen Kirche kennenzulernen, die er als katastrophal einschätzte, und er begann das bedeutende Spionagenetz der Mitglieder des Werks zu nutzen, das sich über die katholische Welt erstreckte und dessen neuralgisches Zentrum der römische Sitz des Opus Dei war. Die Mentalität Wojtylas unterschied sich nicht von der irgendeines Priesters oder altgedienten Mitglieds des Opus Dei. Sein Denken entsprach der internen Logik eines Fundamentalisten mit einem mittelalterlichen Menschenbild und mit seinen Auffassungen über die Sexualität, die Ehe und die Kirche, deren grundsätzliche Prinzipien Hierarchie und Unterordnung seien.

Die intellektuelle Komplizität Wojtylas mit den Leitern des Opus Dei verstärkte sich, als man über die Vergangenheit sprach, die Jahre des Zweiten Weltkriegs, als Wojtyla in das Seminar in Krakau eintrat und seine kirchlichen Studien heimlich begann. Dieser Teil seiner Biografie wurde in den „Tertulias“ ausgebeutet, die er vor 1975 mit Escrivá und Portillo am Zentralsitz des Opus Dei hielt. Escrivá, der Gründer des OD, bestand dann darauf, ihm einige Vorfälle zu erzählen, wie die dramatische Verfolgung des Klerus, wie er in den ersten Zeiten des Opus Dei während des Spanischen Bürgerkriegs geschah, was dem polnischen Kirchenfürsten mächtig imponierte.

Mit der Wahl des polnischen Papstes gab es eine tiefe Befriedigung im Opus Dei, denn das war der Gipfelpunkt eines langen Prozesses, bei dem das Werk sich abgemüht hatte, Einfluss zu gewinnen und die ganze Kraft seiner Organisation  dafür eingesetzt hatte. Seine Leiter waren überglücklich über das Ergebnis, nachdem sie sich abgemüht hatten, wie sie die Macht im Vatikan erlangen könnten. Kaum war 1978 die Nachricht von der Wahl des neuen Papstes in Rom bekannt geworden, da veröffentlichte der Nachfolger des Gründers an der Spitze des Opus Dei, Álvaro Portillo, ein Pressekommuniqué, in dem er dem Heiligen Geist für die gute Nachricht dankte und an die alten Bande der Freundschaft und der Solidarität erinnerte, die den neuen Papst mit dem Werk Gottes und mit ihm selbst verbanden.

Karol Wojtyla, der Papst aus Osteuropa, der vom Werk Gottes entzückt war, zeigte das schon an den ersten Tagen seines Pontifikats. Das Opus Dei sollte von ihm schließlich ein maßgeschneidertes juristisches Statut erhalten, das außerdem gut zu dem mittelalterlichen Pontifikat Karol Wojtylas passte, an der Schnittstelle des 2. und dem Beginn des 3. Jahrtausends, am Ende des 20. und am Beginn des 21. Jahrhundert. Während einer Audienz von Johannes Paul II. in der Anfangszeit seines Pontifikats, am 21 Dezember 1978, sagte der Generalobere der Salesianer zum Papst , dass es nicht übertreiben sei, von 100.000 aktiven Mitgliedern der salesianischen Familie zu sprechen. „Also, rief Wojtyla aus, seid ihr mächtiger als das Opus Dei, das nur 70.000 hat!“ „Heiligkeit, erwiderte der Salesianer, wie sind nicht mächtig, sondern demütig und unermüdliche Arbeiter.“ „Nein, nein!, erwiderte lebhaft Johannes Paul II., um daran zu erinnern, dass die Macht notwendigerweise ein Gut sei, wie schon der hl. Thomas von Aquin gelehrt habe.“

Modern in seinen Formen, aber fundamentalistisch in einen theologischen und moralischen Konzepten, spiegelte das Opus Dei die Ansichten des Papstes wider, und es entsprach seinen Wünschen nach Erneuerung und Revision innerhalb der Katholischen Kirche. Aber was sich der polnische Papst nicht vorstellen konnte, war, dass sich der Ehrgeiz des Opus Dei darauf richtete, die Katholische Kirche zu übernehmen. Es ist also, wie Javier Pérez Pellón bemerkte, das erste Ziel des Opus, die Kirche zu erobern und sie von innen her zu steuern. Ein anderer Experte in Vatikanfragen, Gianni Baget Bozzo, merkte an, dass es die Katholische Kirche sei, auf die das Opus Dei seine Organisation und seine Struktur ausrichtet und die es unter seinen Einfluss bringen will, ein gewaltiger parasitärer Organismus, der sich wie ein netz um die Katholische Kirche legt und durch alle Poren eindringen möchte.

Unter solchen Vorzeichen hatte Papst Johannes Paul II. nicht die Kraft, sich dem OD und der forcierten Heiligkeit zu widersetzen, besser gesagt, der Turboheiligkeit des Gründers. Johannes Paul II. approbierte anstandslos am 20. Dezember 2001 das Dekret, das Escrivá in einen Heiligen verwandelte. Man erzählt sich im Vatikan, dass Papst Johannes Paul II. bereits soweit Hilfe benötigte, dass man ihm die Hand führen musste, um das Dekret zu unterschreiben, so krank war der polnische Papst bereits. Die Heiligsprechung von Josemaría Escrivá war allerdings von einem Konsistorium abhängig, das die päpstliche Entscheidung bestätigte, und außerdem war ein Termin für die feierliche Zeremonie zu finden. Die Leiter des Opus Dei zogen einen größeren zeitlichen Abstand zum hundertsten Geburtstag [9. Januar] vor, ebenso sollte man dem Todestag Escrivás am 26. Juni ausweichen.

Zur Turboheiligkeit des Gründers bleibt schließlich anzumerken, dass Escrivá 17 Jahre nach seinem Tod seliggesprochen, und zehn  weitere Jahre später zu einem Heiligen der Altäre erhoben wurde; in den Mehrzahl der bisherigen Prozesse hatte man damit etwa 50 Jahre gewartet. Zusammen mit der Turboheiligkeit Escrivás approbierte Papst Johannes Paul II. elf Dekrete, um drei neue Heilige und acht Selige zu küren, unter ihnen der Indio Juan Diego, dem Unsere Liebe Frau von Guadalupe erschienen sein soll, und der Franziskanerpater Pio, der vor allem in Italien sehr verehrt wird. Der Prozess der Turboheiligkeit Escrivás erntete seinerseits abschätzige Kommentare von hohen Würdenträgern des Vatikans; einer von ihnen meinte. „El Opus vence pero no convence“ – das OD siegt, aber es überzeugt nicht.

Das Datum 30. Juli 2002 wurde vom Vatikan für die Zeremonie in  Mexiko fixiert, bei der der Indio Juan Diego heiliggesprochen wurde, und der 31. Juli in Guatemala für Pedro de Betancur, der der erste guatemaltekische Heilige sein sollte. Der Papst begab sich nach Mexiko und Guatemala und war bei beiden Zeremonien anwesend. Schließlich kanonisierte er am 6. Oktober in Rom Msgr. Josemaria Escrivá, den Gründer des Opus Dei.

Die verführerische Hagiografie des Gründers des Opus Dei hat sich schließlich durchgesetzt, und Verführung meint hier, die attraktivsten Aspekte einer Persönlichkeit zu präsentieren, während man viele andere verbirgt, unter ihnen besonders abstoßende. Die historischen Fakten stehen jedenfalls über legistischen Tricks, vor allem wenn es sich um eine so zweifelhafte Heiligkeit handelt. Dass sie den Gründer des Opus Dei als Heiligen proklamiert, ist ein guter Beweis dafür, dass die Katholische Kirche jede Art von Legende lieber sieht als die historische Wahrheit.

Der krasse Fehler des Opus Dei bestand darin, dass es nicht die Geduld hatte zuzuwarten, welches Urteil die Geschichte über ihren Gründer fällen würde; es forcierte gewaltsam seine Turboheiligkeit, und wie die Leser dieser Biografien abschätzen können, wird dies auf die Dauer negative Folgen ebenso für das Opus Dei wie für die Katholische Kirche nach sich ziehen.