Götterdämmerung in Köln I

 

Als das Opus Dei nach Deutschland kam, entdeckte es sehr schnell seine Liebe zum alten Kurfürstentum Köln – denn das Erzbistum ist eine der reichsten Diözesen der Welt, und in München saßen die Jesuiten, die alten Widersacher „von immer“, fest im Sattel. Mit Kardinal Höffner hatten sie sich angefreundet, Meisner stand von Anfang an auf ihrer Seite, und Wölki verdankt den Dunkelmännern sogar sein geschenktes Doktorat.

 

Nun wird es eng; nicht nur für den heillos überforderten, vom Papst merk­würdiger­weise wieder von der Leine gelassenen Oberhirten, sondern auch für die spanische Mafia, die sich jedenfalls bis jetzt viel auf ihre Keuschheit zugute gehalten hat. Eine merkwürdige Geschichte berichtet jedenfalls in diesem Zusammenhang die F.A.Z vom 10. Februar 2022. Unter dem Titel „Wer sind die vier „Freunde“ von Benedikt XVI.?“ berichtet der Journalist Daniel Deckers von einer unheiligen Allianz, dem Rentner im Papstkostüm argumentativ zu Hilfe zu eilen. Um den Ruf des abgetretenen Pontifex zu retten - dessen Bruder Georg jedenfalls selbst bis über beide Ohren in der Verantwortung für die Missbrauchsfälle unter den Regensburger Domspatzen steckt – meldeten sich vier ehrenwerte Männer zu Wort, um den Expapst zu decken. Dabei verwickelten sie sich jedocch in Widersprüche.

Vier „Freunde“ Benedikts versuchen, die Verantwortung für die Unwahrheit in dessen Stellungnahme zum Münchner Missbrauchsgutachten auf sich zu nehmen. Und verstricken sich dabei in weitere Widersprüche.

 

Für einen bald 95 Jahre alten Mann hat der vormalige Papst Benedikt XVI. ein beneidenswertes Gedächtnis. „Zur Vermeidung von Missverständnissen möchte ich klarstellen, dass meine Erinnerung an Jahrzehnte zurückliegende Sachverhalte auch heute sehr gut ist“, schrieb der Kardinal, der von 1977 bis 1982 Erzbischof von München und Freising war, unter dem Datum des 14. Dezember 2021 an die Münchner Kanzlei „Westphal (richtig: Westpfahl), Spilker, Wastl“ (WSW). Wenn er daher von etwas keine Kenntnis habe, dann sei dies so zu verstehen, „dass ich mangels Erinnerung der Überzeugung bin, der Person nicht begegnet bzw. den Sachverhalt bzw. das Dokument nicht gekannt zu haben“.

Gegenüber den Juristen, die im Auftrag des Erzbistums München und Freising einen Bericht über den Umgang mit Missbrauchsfällen seit 1945 anfertigen sollten, war sich Ratzinger in seiner mehr als achtzig Seiten umfassenden Stellungnahme sogar mehrmals sicher, dass er an einer Sitzung am 15. Januar 1980 nicht teilgenommen habe. Damals hatte sich der Ordinariatsrat genannte Kreis seiner engsten Mitarbeiter mit der Bitte befasst, den jungen Priester Peter H. aus dem Bistum Essen zwecks ärztlicher psychotherapeutischer Behandlung für einige Zeit in München aufzunehmen.

 

Diese Zustimmung zu dieser Übernahme sollte Folgen zeitigen, da H. sich in seinem Heimatbistum Essen schon an zwei Einsatzstellen an männlichen Heranwachsenden vergangen hatte und seine Pädophilie im Erzbistum München über mehr als zwei Jahrzehnte hinweg immer wieder ausleben sollte. Hatte Ratzinger davon womöglich niemals etwas mitgekommen, ja war er mit dieser Personalie niemals befasst gewesen?

 

Der Artikel  der FAZ stellt fest: Dass Ratzinger an dieser Sitzung nicht teilgenommen haben wollte, hätten die Gutachter nicht erst durch ihn erfahren. Schon Anfang November war sich Ratzingers Nach-Nachfolger Reinhard Kardinal Marx in einem Schreiben an die Kanzlei sicher, dass jener damals nicht anwesend gewesen sei. Diese Einlassung war überraschend, da nicht einmal die Pressestelle des Erzbistums München und Freising im Jahr 2010 die Anwesenheit des nunmehrigen Papstes Benedikt XVI. bestritten hatte. Aus dem Mund von Lorenz Wolf, dem obersten Münchner Kirchenrichter, fand sich diese Version auch in der internationalen Presse, etwa der „New York Times“. Sechs Jahre später ging Wolf noch weiter. In einem Strafdekret gegen H. schrieb er, Ratzinger und der Ordinariatsrat seien 1980 „in Kenntnis der Sachlage“ zur Aufnahme des Priesters bereit gewesen.

 

Die Stellungnahme,die Marx im November den Gutachtern schrieb, war identisch mit  der, die Benedikt fünf Wochen später präsentierte – und die mittlerweile ganz offiziell nicht mehr wahr ist. Weil in dem Protokoll jener Januar-Sitzung Äußerungen festgehalten wurden, die nur Ratzinger getätigt haben konnte, entlarvte die F.A.Z. die Behauptung, der Kardinal sei nicht anwesend gewesen, als Lüge. Am Dienstag nun ließ der vormalige Papst in einem in alle Weltsprachen übersetzten Brief wissen, bei der Falschaussage handele es sich um ein „Versehen“. Dieses sei aber nicht ihm unterlaufen, sondern einem „kleinen Kreis von Freunden“ (Ratzinger), die „selbstlos“ seine Stellungnahme verfasst hätten.

 

Dieservon der F.A.Z aufgedeckten Lüge  stellten die  Herren  einen „Faktencheck“ entgegen. Einem namens Dr. Korta sei ein „unbemerkter Arbeitsfehler“ unterlaufen. Irrtümlich habe er festgehalten, Ratzinger sei bei jener Sitzung abwesend gewesen. Dies sei aber keinem der drei anderen „Berater“ aufgefallen – auch nicht Benedikt selbst. Benedikt  wurde  jedenfalls  nicht befragt,  ob er denn tatsächlich bei dieser Sitzung gefehlt  habe.

 

Das ist nicht die einzige Ungereimtheit bei dem Versuch, den ehemaligen Papst reinzuwaschen. Denn Korta kennt den Fall Peter H. genau. Als Ordinariatsrat hatte er von 2010 bis 2012 im Auftrag von Reinhard Kardinal Marx als kirchlicher Voruntersuchungsführer im Fall H. agiert. Und nun soll der Kirchenjurist jene falsche Tatsachenbehauptung in die Stellungnahme eingeführt haben, von der die Verteidigungsstrategie Ratzingers im Fall H. ihren Ausgang nahm?

 

Neben Korta fungierten  als  Entlastungszeugen auch ein in Rom lehrender Kirchenrechtler aus den Reihen des Opus Dei namens Stefan Mückl, der emeritierte Münchner Kirchenrechtsprofessor Helmuth Pree, und ein Partner der auf Äußerungsrecht spezialisierten Kölner Anwaltskanzlei Höcker namens Carsten Brennecke, der angeblich für jenes Gutachten verantwortlich war,  , das Kardinal Woelki anstelle des „rechtswidrigen“ (Brennecke) WSW-Gutachtens über Missbrauch im Erzbistum Köln bei der Strafrechtskanzlei Gercke Wollschläger in Köln bestellt hatte.

 

Gercke ließ sich daraufhin von Korta und Pree kirchenrechtlich beraten. Von Köln war es offenbar kein weiter Weg bis nach Rom. Der Kreis schließt sich aber erst mit der Freundschaft zwischen dem Opus-Dei-Mann Mückl und Ratzimger. Denn in dem Gercke-Gutachten wird der Fall eines Geistlichen geschildert, der 2003 als Angehöriger eines Ordens in den Verdacht sexueller Übergriffe geraten und nach der Einstellung staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen in ein anderes Bistum abgezogen worden sei.  Nun war dieser Mann nicht Mitglied eines Ordens, sondern ein Priester des Opus Dei. Und  an den Missbrauchsskandal anzustreifen,  war wohl das letzte, was das Opus,  stets auf seine  makellose  Fassade bedacht,  brauchen konnte.