Kommentar zum Brief des Prälaten vom 17. Mai 2010:

  

Der Brief des Prälaten hat wenig bis nichts mit der gelebten Wirklichkeit im Opus Dei zu tun, er ist ein manipulatives Meisterwerk. Den Leser kann die innige Naivität eines bedingungslos hingebungsvollen Katholizismus verzaubern, falls er für diese Wellenlänge empfänglich ist; die Mitglieder haben den “römischen Jargon” längst verinnerlicht, und nur ihre völlige Isolierung, die bis zur Zensur der Tageszeitung und der Fernsehnachrichten reicht, lässt sie noch “gespannt” auf diese Art von  “Neuigkeiten” warten.

1. Zahllose Euphemismen (Geliebteste; frohe Verpflichtung; der Kongress wird “gefeiert”) begleiten einen Zweckoptimismus: Wir analysierten den “Fortschritt der apostolischen Arbeit” seit dem letzten Kongress (Kap. 2), Gott hat die Arbeit gesegnet, sie hat sich “in den Ländern, wo wir schon seit einiger Zeit arbeiteten, vervielfacht” (3). Normalität und Kontinuität werden suggeriert: der VIII. Ordentliche Generalkongress, der getreu den Statuten (2) abgehalten wurde – Statuten, die das gewöhnliche Mitglied niemals zu Gesicht bekommt; Echevarría  schreibt den “Brief im Zimmer des Vaters”; nach oben hin sollen wir vertrauen, von uns selbst aber gar nichts erwarten: “Wir sollten sprachlos sein angesichts der Wunder, die der Herr in den Seelen wirkt”, denn wir sind “armselige Instrumente” (1). 

2. Der “heilige Josemaría” wird gezählte 27 Mal beschworen und zitiert, einmal die Allerheiligste Dreifaltigkeit erwähnt, einmal Maria, Don Alvaro sechsmal, Johannes Paul II. dreimal. Es sind ausschließlich Bibelzitate verwendet, die notorisch von Escrivá gebraucht worden waren. Zitate von Escrivá sind , zum Unterschied von den Bibelzitaten, fett und kursiv gedruckt: Ich denke an das Werk und bin “weg. Die Bitte, Escrivá nicht nur zu zitieren, sondern auch seine Bedeutung als Theologe hervorzuheben (13), soll wahrscheinlich helfen, die größenwahnsinnigen Ambitionen, diesen Priester irgendwann von einem gefälligeren Papst zum "Kirchenlehrer" erheben zu lassen, plausibler zu machen; im Moment bleibt unwiderlegt, dass E. seine Studien - vor allem die theologischen! - dreizehn Jahre lang verschlampt hat und sich dann von Amadeo Fuenmayor eine Dissertation zusammenstellen ließ, mit deren Hilfe er sich seine beiden Doktorate erschlichen hat. Und dass er sich für ein paar theologische Standardwerke ein Bücherbord am Klo anbringen ließ, zeigt weniger seinen Eifer, die Zeit auszunützen, sondern was er von der Gottesgelahrtheit insgesamt hielt.

3. Das Problem, das das Werk mittlerweile mit dem Hl. Stuhl wegen seiner Vermischung der spirituellen und der hierarchischen Leitung hat, ist diskret umschrieben: “freiwillige Fügsamkeit in der persönlichen und kollektiven geistlichen Leitung” (Nr. 2). 

4. Die Verantwortung jedes einzelnen, die, angesichts des Aderlasses unter den Mitgliedern, beschworen wird, wird merkwürderweise, bei aller Abscheu vor der Loge, mit dem Bild der Weltbrüderkette vor Augen gestellt (Nr. 5).  

5. Wenn ständig gelogen wird, hat auch der Chef damit ein Problem, aufrichtig zu bleiben: Es gibt zwar offiziell keine Minderjährigen im Werk, aber man kann sie "einladen, wenn sie es selbst wollen, und, wenn sie minderjährig sind, auch mit der Einverständnis ihrer Eltern, ihr Studium in anderen Ländern zu beginnen" (Nr. 5). Als "unmittelbares Ziel" der Arbeit von "St. Rafael", des Bemühens um Jugendliche, wird scheinheilig die christliche Bildung dargestellt, damit sich "Burschen und Mädchen [sobald großjährig?] mit völliger Verfügbarkeit den Aufgaben des Werkes" widmen können (Nr. 19); wehe dem Jugendclub, in dem die anvertrauten Schützlinge "christlich gebildet werden" und ihren Weg in der Kirche finden, ohne ihr Taschengeld (und dann die Erbschaft ihrer Eltern) dem Opus Dei zu überlassen. Verzweifelt wiederholt der Prälat auch noch einmal die Lüge, Johannes Paul II. habe die Personalprälatur Opus Dei als einen Teil der Hierarchie bezeichnet. Treuherzig führt er S. 11, Anm. 6 als Beleg an: Vgl. Johannes Paul II. Gespräch mit den Teilnehmer einer theologischen Studientagung über die Lehren des Seligen Josemaría Escrivá de Balaguer, 14-X-1993; Discurso en la audiencia concedida a los participantes en el congreso sobre la Novo Milennio ineunte, 17-III-2001. Wer den Text nachprüft, findet aber lediglich die Bemerkung des Heiligen Vaters, das Opus Dei sei organisch strukturiert, es habe eine hierarchische Struktur, nicht, es sei Teil der Hierarchie der Kirche. Wer sich allerdings, wie Echevarría, mit 23 Jahren seine theologische Dissertation herrichten ließ, obwohl er damals kaum Zeit hatte, selbst auf die Uni zu gehen, hat da eben seine Verständnisschwierigkeiten. –

6. Noch einmal spricht der Bischof mit gespaltener Zunge – die gut getane Hauswirtschaft sei so wichtig für die Familie, für die Gesellschaft, heißt es (Nr. 16); aber in allererster Linie und überhaupt nur geht es darum, Berufungen von Auxiliarinnen zu bekommen (Nr. 17), eine Aufgabe, die alle unterstützen müssen. Escríva, der es nicht verwinden konnte, dass sein Vater wirtschaftlich scheiterte, hatte sich die Hausangestellten in Uniform als Inbegriff bourgeoisen Wohllebens eingebildet, und jetzt wird dieser Anachronismus, zum Leid zahlloser Mädchen aus prekären Verhältnissen, die sich einfangen ließen, bis ins 21. Jahrhundert prolongiert.

7. Der Mangel an kostenlos verfügbaren dienstbaren Geistern ist für die Monsignori und Abbati in der Zentralleitung des Werkes, die am Beginn des 21. Jahrhunderts die gewöhnlichen Christen inmitten der Welt repräsentieren, aber nur das am deutlichsten sichtbare Zeichen, dass der Nachwuchs fehlt; mit den "Frontschweinen", die am Samstagnachmittag beim Sport und bei "Bildungswochenenden" Unmündige für die Sekte einfangen müssen, statt für ihr Studium zu lernen und die Eltern zu besuchen, haben sie ohnedies kaum Kontakt. Die Strategie ist nicht neu, sondern nur eine stärkere Dosis des bereits bestens Bekannten: Die keuschen Eltern im Werk kriegen vom Prälaten ins Ohr (warum eigentlich? vgl. Nr. 20) geflüstert, dass die Kinder, die sie gezeugt haben (der Papa mit geschlossenen Augen, die Mama mit geschlossenem Mund) und die an den verkniffenen, "aufopferungsvollen" Gesichtern ihrer Mamas (der Herr des Hauses muss ja sehr viel Geld verdienen oder ist als "Gruppenbeauftragter" abwesend) wohl schon mit der Muttermilch eingeflößt bekommen, dass der Zölibat vermutlich das geringere Übel ist, ins Werk gehören - aber bitte bereits mit der gehörigen Angst vor dem eigenen Körper, damit sich die TutorINNen im Jugendclub dann leichter tun. Das Pyramidenspiel fordert unerbittlich neues Kinderblut...

8. In diesem Zusammenhang muss man auch die Aufforderung sehen, die Eltern stärker in die Organisation der Gymnasien und Jugendclubs einzubinden. Damit ist jedenfalls keinesfalls gemeint, dass sie sich inhaltlich einbringen; denn gerade die altersbedingte Ablösung vom Elternhaus lässt die "Berufungsfalle" zuschnappen: Mama und Papa sollen gar nicht so genau wissen, was das Opus mit ihren Kindern vorhat. Sie sollen sich aber, und das wird explizit  ausgedrückt, gleich nach dem Kapitel über das gesellschaftlich-politische Engagement der Katholiken, für die Beibehaltung einer "differenzierten Erziehung" einsetzen. Was ist damit gemeint? Das Opus Dei hat, vor allem in den spanischsprachigen Ländern, alles auf eine Karte gesetzt und Geld, Energie und das Engagement seiner Mitglieder in den Aufbau von Privatgymnasien gesteckt, um introvertierte "Apostel" auf schüchterne Kinder loszulassen. Vor allem im sozialistisch regierten Spanien wird aber im Moment heftig diskutiert, öffentliche Gelder nur noch jenen Erziehungsinstituten zukommen zu lassen, in denen koedukativ unterrichtet wird. Das würde für das Opus bedeuten, dass es sich nun entweder Geld entgehen lassen muss, oder aber, dass es seine Spiritualität tatsächlich "inmitten der Welt" erprobt. Der Dreizehnjährige, der ständig mit Mädchen beisammen ist und lernt, zu flirten und sich mit einem gewissen Selbstbewusstsein in der Peer Group zu behaupten, wird sich vermutlich nicht so leicht vom larmoyanten Sirenengesang seines frustrierten "Tutors" zu Hingabe und Entsagung drängen lassen. Aber was noch schlimmer ist - was ist mit all den NumerarierINNen, die bisher in der strengen Abschirmung einer Klausur gelebt haben und jetzt mit charmanten ArbeitskollegINNen des anderen Geschlechts zusammenarbeiten sollen...? Wenn da nicht der eine oder andere "gewöhnliche Christ" auf den Geschmack kommt? 

9. Auffällig ist das Drängen, das den Mitgliedern und Freunden abgezockte Schwarzgeld in Immobilien anzulegen: Jede Region soll ihre Einkehrhäuser haben, auch das "Heilige Land". Es ist das ewige Kennzeichen untergehender Imperien: Wo Lebenskraft und Menschen fehlen, müssen Mauern her.

10. Von der Begegnung mit Gott in der Arbeit ist nirgendwo die Rede; was zählt, ist nicht der Wert, den eine Tätigkeit in sich hat, sondern die (unmittelbare) Wirkung. Aufgepasst, ihr Studenten, und alle, die ihr vom Werk seid und die "Normen von immer" Studium, Arbeit und Ordnung lebt - ein Leserbrief, eine "mit heiliger Unverschämtheit" vorgebrachte Wortmeldung zugunsten des Apostolats ist wichtiger als die Lektüre eines "umfangreichen wissenschaftlichen Werks" (Nr. 22).

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