Hormiguita: Die geistliche Lesung im Opus Dei (I)
(22. 10. 2010)
Eine sehr reiche Frau bedient Arme. Sie teilt mit eigenen Händen Brot an die Bedürftigen aus. Der Heilige Vater nannte sie „eine heiligmäßige Frau inmitten der Welt“. Diese Frau war die heilige Elisabeth von Ungarn; ihr widmete der Papst seine Ansprache bei der Generalaudienz am 22. Oktober vor tausenden Pilgern auf dem Petersplatz.
Das Opus Dei wird aus diesen Beispielen niemals eine Lehre ziehen – auch wenn es der Papst predigt – denn es folgt dem Hinweis, dass die Heiligen „keine unmittelbaren Vorbilder sind“ – so steht es, glaube ich, in den Instruktionen von St. Michael. So schottet man sich gegen äußere Einflüsse ab. Wenn diese Heiligen „keine unmittelbaren Vorbilder sind“, die die Kirche als Vorbilder verehrt, dann verfehlt sich das Opus gegen die Einheit der Kirche. In der Praxis zeigt sich das ganz deutlich. Ein Beispiel, wie das im Werk gelebt wird, ist, dass nicht einmal die Mitglieder des Opus Dei Zugang zu den 27 Briefen haben, die der Pfarrer von Ars geschrieben hat. Dieser Heilige wird im Katechismus des Werkes als einer der Fürsprecher genannt. Hat vielleicht jemand seine Schriften als geistliche Lektüre gelesen? In dem internen Gebetbuch Betrachtungen (Meditaciones) findet sich zum Festtag des Pfarrers von Ars (4. August) kein einziges Zitat von ihm selbst. Das zeigt, dass man auch in Rom entweder nichts von ihm gelesen hat oder ihn nicht zitieren will. Man will ihn nicht einmal ins betrachtende Gebet nehmen. [Anm. des Übersetzers: Ich erinnere mich an süffisante Bemerkungen aus dem Mund von Msgr. Ernst Burkhart über diesen Heiligen – er sei zwar Fürsprecher und auch heilig, könne aber, in seiner Einfalt und seinen Eigenheiten, kein Vorbild sein – einem Priester des Werkes müsste man eine Zurechtweisung erteilen, wenn er so wie jener nach Knoblauch stinken würde, und der Heilige habe manchmal, aufgrund seiner Hämorrhoiden, nach vielen Stunden im Beichtstuhl eine Spur von der Kirche in die Sakristei hinterlassen.]
Es ist schade, dass die Mitglieder des Opus Dei, wie Sarnoso angemerkt hat, kaum Möglichkeit haben ihre geistliche Lesung mit den Schriften anderer Heiliger zu machen; unterdessen käuen sie ergeben die Werke von Jesus Urteaga, Federico Suarez und Salvador Canals [Priester des OD] wieder , und als Aperitif und Nachtisch Crónica und Noticias [die internen Zeitschriften für die NumerarierINNEN].
(II)
Ich hege die ganz persönliche Ansicht, dass ein Mitglied des Opus Dei, das seine geistliche Lesung mit anderen Heiligen und geistlichen Autoren macht, damit den ersten Schritt setzt, um die Vereinigung zu verlassen. Schlimm ist es etwa, dass Thomas a Kempis, der Verfasser der Nachfolge Christi, des meistgelesenen christlichen Buches nach der Bibel, auf der Liste der geistlichen Lektüre fehlt – das OD kennt ihn nicht.
Das OD beschneidet in vielen Fällen das geistliche Wachstum seiner Mitglieder, indem es den Zugang zu wertvoller geistlicher Literatur beschränkt. Er reicht, wenn diese Werke nicht zur Verfügung stehen und man den Mitgliedern stattdessen Eigenbau anbietet. Für das OD sind die übrigen Heiligen „keine unmittelbaren Vorbilder“. Wozu sie also lesen?
Sarnoso (22. 9. 2010) fasst die Situation wie folgt zusammen: „Ich kannte nur den hl. Josemaría, die hl. Theresia von Avila, die hl. Theresia von Lisieux, die hl. Micaella del Valle und den Papst Johannes Paul II.; der Rest waren Priester des Werkes, von Don Alvaro bis zum letzten Consiliarius von Bolivien, allenfalls „Der Mann von Villa Tevere”. Ich habe nie das Buch eines anderen Heiligen gelesen, keine andere Spiritualität als die von Salvador Canals.“
Meine persönliche Erfahrung war, dass ich den hl. Bonaventura ohne Erlaubnis gelesen habe, und dieser franziskanische Mystiker verhalf mir zu der inneren Festigkeit, die mich gehen ließ. Ich erinnere mich noch an den Satz, der bei gezündet hat: „Tranquilus Deus tranquilians omnia“ („Gott ist der Friede, und er gibt den Frieden allem, was sein ist“). Ich begann darüber nachzudenken, dass das Opus Dei nicht von Gott kommen könne, wenn mich das Leben im Werk keinen Frieden finden ließ. (Drinnen traktieren sie dich damit, dass das Werk von Gott kommt). Mein inneres Leben bekam Festigkeit, als ich erfuhr, dass dieser weise franziskanische Mystiker erläuterte, wie der wahre Friede in Gott aussah. Ich habe niemals wieder daran glauben können, dass das OD etwas Göttliches ist.
Ein Beispiel, wie die Lektüre anderer Heiliger die Seele weit machen kann.
Denken wir uns ein Mitglied des OD, wir nennen ihn Julien, der Geld für das Werk gesammelt hat. Er entscheidet sich, Ambrosius zu lesen, den Kirchenvater und Kirchenlehrer, der über die Witwe im Evangelium folgenden Kommentar schreibt:
Im Lukasevangelium lehrt der Herr, wie man den Armen gegenüber barmherzig und großzügig sein soll, ohne dass dabei der Gedanke an die eigene Armut eine Rolle spielt. Denn Großherzigkeit bemisst sich nicht nach der Größe des eigenen Vermögens, sondern nach der Bereitschaft zu opfern. Deshalb gibt das Wort des Herrn der Witwe den Vorzug vor allen andern. Von ihr ist gesagt: „Diese Witwe hat mehr gegeben als alle anderen“. Im moralischen Sinn lehrt der Herr, man solle sich, bloß weil man sich der eigenen Armut schämt, nicht davon abhalten lassen Gutes zu tun; auch hätten die Reichen keinen Grund groß zu tun, weil sie scheinbar reichlicher geben als die Armen.
Eine kleine Münze, die man spendet, obwohl man wenig hat, ist mehr wert als ein Haufen Geld, wenn man aus dem Vollen schöpfen kann. Das Augenmerk ruht nicht auf dem, was gegeben wird, sondern auf dem, was übrig bleibt. Niemand hat mehr gegeben als die Witwe, die nichts für sich behalten hat...
Wenn diese Frau zwei Münzen in den Opferstock wirft, so darf man den tieferen Sinn dahinter nicht vergessen. Sicherlich ist die Frau von einer menschlichen Größe, die es verdient, vom Urteil Gottes allen anderen vorgezogen zu werden. Ist es nicht sie, die in ihrem Glauben aus beiden Testamenten schöpfte, um den Menschen zu helfen?
Niemand hat doch mehr getan und niemands Gabe ist an Größe ihrer Gabe gleichgekommen, da sie den Glauben mit der Barmherzigkeit vereint hat. Auch du, wer immer du bist..., wirf, ohne zu zögern, zwei Münzen in den Opferstock, die beladen sind mit Glaube und Barmherzigkeit.
In all seinen Jahren im Opus Dei hat Julien niemals etwas Vergleichbares gelesen; außerdem kam es von einer autorisierten Quelle, vom hl. Ambrosius. Er fühlt sich ermutigt, über Google die Bedeutung des hl. Ambrosius für die Kirche nachzufragen. „Es ist eine sehr gute Quelle“, sagt er zu sich.
Nach der Lektüre dieses Textes kann sich Julien fragen, ob die Armut, wie sie das OD lehrt, die wahre evangelische Armut ist. Und obwohl er diese Frage nicht ausspricht, bleibt doch ein Zweifel in ihm zurück.
Am selben Tag verkündet der Direktor im Kurzen Kreis, dass man für dieses oder jenes apostolische Werk Geld sammeln müsse. Julien beteiligt sich eifrig. Nach einigen Tagen bekommt Julien – er ist Sekretär seines Zentrums – mit, wie die Einnahmen an eine Stiftung überwiesen werden; die Armen bekommen nichts. NICHTS. Unser Freund Julien fragt sich innerlich, ob er die Tugend der Armut lebt, ob er nicht nur ein Steuereintreiber ist. Julien ist aufrichtig zu sich selbst. Und er weiß nicht, was er tun soll.
Am Nachmittag muss er immer wieder an das Wort "Armut" denken, und am Abend, als die Verwaltung in perfekter Uniform das Abendessen serviert, überkommen Julien erste Zweifel: Lebt er die Armut so, wie Jesus es will? Unruhig geht er zu Bett..
Und zum ersten Mal in seinem Leben betet er nicht zu Escrivá. Er fragt den heiligen Ambrosius: Was soll ich tun?
Hormiguita