DIE LEITUNG IM OPUS DEI
Lucas, 15. Januar 2010
ZUSAMMENFASSUNG: I. Eine widersprüchliche Realität. II. De facto laikal, de jure klerikal. III. Eine mehrheitlich von Laien geleitete Gemeinschaft. IV. Ein desakralisiertes Priestertum. V. Geistliche Leitung durch Laiendirektoren als Teil der Leitung im Werk. VI. Fehlende Autonomie der mittleren Leitungsebene. VII. Der Zusammenhang hinter diesen Widersprüchen. VIII. Schlussfolgerung: Absolutistisches Konzept der Leitung durch den Prälaten.
I. Eine widersprüchliche Realität
Das Opus Dei ist eine kaleidoskopartige Wirklichkeit, mit vielen Gesichtern. Das ist der Grund, warum die Aufklärung dieses Durcheinanders so schwierig ist und es notwendig macht, sich ernsthaft damit zu beschäftigen.
Die vielen Facetten, die diese Institution aufweist, lassen sich auf drei oder vier grundsätzliche Besonderheiten reduzieren: sein äußeres oder soziales Image; das Bild, das es den Autoritäten der Kirche bietet, die Wirklichkeit für seine Mitglieder und die wirklichen, komplexen Motive derer, die es leiten und die auf der Praxis seines Gründers beruhen. Das heißt, das Opus Dei weist keine nach allen Seiten einheitliche Natur auf, es ist ein strukturell inkohärentes Phänomen, mit einer extremen Begabung zur Mimikry, je nach Umständen und Interessen der Institution. In ihr gilt nicht die Logik der Wahrheit, sondern der Angemessenheit.
Die Folge davon ist, dass die kirchliche Autorität und die eigenen Mitglieder ständig betrogen werden. Und die Unstimmigkeiten sind so groß, dass es nicht übertrieben erscheint, das Prinzip des Widerspruchs als Methode der Annäherung an die wahre Identität dieser Organisation anzuwenden, denn die gelebte Wirklichkeit im Werk ist gewöhnlich das Gegenteil dessen, was sein Gründer vorgab.
Alle diese Unstimmigkeiten können in jedem Aspekt des Phänomens Opus Dei wahrgenommen werden, das man zu objektivieren beabsichtigt, seien es ein Geist, seine Geschichte, seine juridische Definition oder die Art seiner Leitung. In den folgenden Abschnitten werde ich mich auf die Leitung des Opus Dei konzentrieren, um die Unstimmigkeiten aufzuzeigen, über die ich gerade gesprochen habe.
II. De facto laikal, de jure klerikal
Das Opus Dei präsentiert sich nach außen, gegenüber der Gesellschaft und allen Personen, die mit der Institution in Kontakt treten, als laikales Phänomen, das von den Instituten des geweihten Lebens vollkommen verschieden ist, obwohl seine Numerarier-Mitglieder in Wahrheit in Gemeinschaft und in strenger Observanz leben, wie die Ordensleute. Aber die Mitglieder selbst sind sich dieser Wirklichkeit nicht bewusst, denn man präsentiert sie ihnen als Ausdruck von Laikalität. Deshalb schlägt sich die laikale Mentalität der Mitglieder – vor allem bei den Zölibatären – ständig mir ihrer typisch klösterlichen Lebensform; das führt zu nicht wenigen subjektiven Problemen, die sich häufig auch in psychosomatischen Störungen auswirken.
In diesem Kontext der laikalen Mentalität versteht man die Lehre des Gründers hinsichtlich der Leitung der Institution. Tatsächlich versichert der Gründer: „Das Werk ist de facto in hervorragender Weise laikal, auch wenn es de jure klerikal sein mag, denn der Generalpräsident und die regionalen Consiliarien [nunmehr: der Prälat und die Regionalvikare] müssen immer Priester sein, weil die Priestergesellschaft vom Heiligen Kreuz sie vollständig belebt (Decretum laudis, 1947) und weil alle Numerarier-Mitglieder, auch wenn nur wenige die heiligen Weihen empfangen, sich auf das Priestertum vorbereiten, da sie bereits alle priesterlichen Tugenden leben und – auf Universitätsniveau – alle Studien absolvieren, die für die Priester vorgeschrieben sind“ (Brief Ad serviendum, 8-VIII-1956, Nr.7). Wie man bemerkt, weist Escrivá selbst auf den Widerspruch zwischen Recht und Wirklichkeit hin, einen Widerspruch, den es im Opus Dei immer gegeben hat und der beständig gegenwärtig ist und der das Bild des Priesters verfälscht. Und das kann auch nicht anders sein, denn die Konzeption, die Escrivá vom Werk hat, ist schon in sich mit dem sakramentalen und rechtlichen Konzept der Kirche unvereinbar.
Dieses Konzept ist, ihm zufolge, in der Kirche etwas völlig Neues, eine authentische Lösung in juridischer und theologischer Hinsicht: „Es gibt keine zwei Klassen von Mitgliedern im Werk: Alle [Priester und Laien] bilden wir eine einzige Klasse. Es ist das erste Mal in der Geschichte der Kirche, dass dies geschieht. Und das ist eines der wunderbaren Phänomene, die unser besonderes Recht aus unserem Leben geschöpft hat. Das Opus Dei hat in der Kirche Gottes schon viele juridische und theologische Probleme aufgeworfen und gelöst — ich sage das mit Demut, denn die Demut ist die Wahrheit —, die einfach scheinen, sobald sie gelöst sind: unter uns gibt es nicht mehr als eine Klasse, auch wenn sie von Klerikern und Laien gebildet wird [...] Zuhause sind wir alle gleich” (Brief Ad serviendum, Nr. 5. Hervorhebungen vom Verfasser).
Ohne Zweifel dachte der Gründer, als er das sagte. an die religiösen Orden, in denen diejenigen Mitglieder, die nicht die Weihe empfangen haben, als zweite Kategorie und den Priestern untergeordnet gelten. Aber eine solche Unterscheidung in Übereinkunft und Lebensform rechtfertigt weder das Faktum noch setzt es außer Kraft, dass die Kirche als Institution kraft des Sakraments der Priesterweihe hierarchisch strukturiert ist und dass sie selbst in sich eine funktionale Ungleichheit haben muss, die an die Aufgabe gebunden ist, das Volk Gottes zu lenken, und sie ist an Christus, das Haupt der Kirche gebunden, der diese Leitung an die Priesterweihe geknüpft hat. Das heißt, Laien und Personen, die nicht in sacris ordiniert sind, können kraft göttlicher Anordnung die Kirche nicht leiten. Es ist beispielsweise undenkbar, dass eine Pfarre oder Diözese von Laien geleitet wird (vgl. Instruktion der 8 vatikanischen Dikasterien über einige Fragen zur Mitarbeit der Laien am Weiheamt der Priester, 13.VIII.1997).
Eine andere Sache ist die Leitung einer Gläubigenvereinigung oder irgendeiner Einheit, die nicht zur hierarchischen Struktur der Kirche gehört. Aber gerade das nimmt ja das Opus Dei für sich in Anspruch. Von daher rührt der Widerspruch zwischen dem, was es ist – eine Organisation, die in besonderer Weise laikal geprägt und der Leitung von Laien majorisiert wird – und dem, was es von sich behauptet zu sein: eine hierarchische Institution.
III. Eine mehrheitlich von Laien geleitete Gemeinschaft
Wenn wir die Form der Leitung im Werk im Konkreten betrachten, bemerken wir den Widerspruch zwischen den Behauptungen des Gründers über den laikalen Charakter des Opus Dei und über seine Weise, das Priestertum innerhalb der Institution zu verstehen, auf der einen Seite, und auf der anderen Seite die kanonische Verfassung des Werkes als Personalprälatur bzw. davor als Säkularinstitut mit dem Namen „Priestergesellschaft vom Heiligen Kreuz und Opus Dei [1], also beide Male klerikale Rechtsformen. Denn, wie der Gründer meint, sie sind nicht zum Priester geweiht, um zu kommandieren. Im Generalrat gibt es gewöhnlich nur vier Priester; alle übrigen, den Zahl nach unvergleichlich mehr, sind Laien. In den Regionalkommissionen, los sind die einzigen Priester unter den Direktoren der Consiliarius und der Priestersekretär; alle anderen sind ebenfalls Laien. Die örtlichen Räte werden immer von Laien gebildet. Man kann also mit Sicherheit sagen, dass die Laien die überwältigende Mehrheit in den Leitungsgremien des Werkes bilden (Brief Ad serviendum, Nr. 7). Wie kann man unter solchen Prämissen den Anspruch erheben, Teil der hierarchischen Struktur der Kirche zu sein?
Diese Leitungsorgane, auf die sich der Gründer bezieht und die in der Mehrheit von Laien gebildet werden, haben beratenden Charakter: In ihnen fallen die Entscheidungen durch Abstimmung. Das heißt, sowohl der Prälat wie auch seine Vikare haben eine Stimme in den entsprechenden Gremien, wenn auch eine qualifizierte. Das Gleiche geschieht bei der Leitung der weiblichen Abteilung, in der die Frauen die Mehrzahl der Stimmen haben. Das ist aber ganz offenbar unvereinbar mit der Leitungsgewalt der Kirche, die immer an das Weihesakrament gebunden ist, da die Leitungsgremien des Opus Dei kollegialen Charakter haben, mit beratender Stimme, wie wir gesagt haben und wie es in den Statuten der Prälatur festgeschrieben ist: „Die Leitung jeder einzelnen Region ist einem Vikar übertragen, der Regionalvikar oder Konsiliarius genannt wird und den der Prälat mit beratender Stimme seines Rates ernennt; den Konsiliarius unterstützt ein Rat, der Regionalkommission genannt wird und der aus bis zu zwölf Mitgliedern besteht, die aus den Gläubigen der Prälatur zu bestimmen sind, von denen in Nr. 13 die Rede ist und die ebenso vom Prälaten nach Anhörung seines Rates ernannt werden. Ihre Übereinstimmung ist in den Fällen erforderlich, von denen in Nr. 157 § 1 und 159 die Rede ist.“ (Nr. 151. § 1).
IV. Ein desakralisiertes Priestertum
Dieser „Konzeption“ vom Laienstand in der Kirche und speziell im Werk liegt ein Irrtum hinsichtlich der theologischen Natur des Priestertums zugrunde, wie man folgendem Satz Escrivás entnehmen kann: „Für uns ist das Priestertum ein Begleitumstand, ein Akzidens, denn die Berufung ist für Priester und Laien dieselbe” (s. Meditaciones, Bd. V, S.479, und die Monatsschrift Crónica, 1969, S. 498). Das heißt, Escrivá hält die Berufung zum Werk, die für alle gleich ist, für entscheidend, die priesterliche Berufung hält er aber für einen Nebenumstand, für den einzelnen wie für das Opus Dei. Und damit sagt er zugleich, dass Priester sein im Werk keine spezifische göttliche Berufung erfordert; es genügt, vom Prälat ausgewählt worden zu sein, um das Sakrament zu empfangen. „Berufung“ und „Sakrament“ sind also getrennt.
Anders gesagt, die „priesterliche Berufung“ verwandelt sich in einen Verwaltungsakt, um einem Bedürfnis der Institution abzuhelfen. Dem Gründer zufolge wäre es also eine passive Berufung. Deshalb pflegt man auch zu sagen, in der Prälatur Opus Dei sei die Priesterweihe lediglich ein „Wechsel in der beruflichen Widmung“, oder, wie es der Gründer noch ausgedrückt hat, das Priestertum der Numerarier oder Assoziierten, die geweiht werden, ist nur eine andere Form ihren Geschwistern zu dienen.
Diese eigenartige Auffassung vom Priestertum, die der kirchlichen Praxis fremd ist, gehört fundamental zum Opus Dei, wie man aus den eigenen Worten Escrivás in einem Treffen am 14. Februar 1955 ermessen kann: „In keiner Weise ist der Priester mehr Opus Dei als der Laie. Er ist wie die anderen, denn wir bilden eine einzige Klasse von Mitgliedern. Es hieß, eine Form der Kirche zu zerbrechen, denn üblicherweise waren die Kleriker eine Art Aristokratie. Zuhause ist das nicht so. Es war nicht einfach. Man musste einen Grund dafür angeben, damit sie es zuließen: dass alle Mitglieder des Werkes eine priesterliche Seele haben und dass die Numerarier schon grundsätzlich für das Priestertum disponiert sind“. Dieses Argument befremdet, denn es lässt die essentielle, nicht nur graduelle Unterscheidung zwischen dem allgemeinen Priestertum aufgrund der Taufe und dem Amtspriestertum aufgrund der Weihe außer Acht (vgl. Katechismus der Katholischen Kirche, 1547).
In einem anderen Treffen, am 15. Januar 1959, fügte der Gründer hinzu: „Auf unserem spezifischen Weg ist das Priestertum sozusagen wie ein Akzidens. Der Vater beruft den oder jenen dazu, und alle haben die volle Freiheit, der Weihe zuzustimmen oder nicht […] Aber für uns, ich wiederhole es, ist das Priestertum ein Begleitumstand, der nichts an unserer Berufung ändert. Freilich ist es sehr notwendig, denn würde man an die sakramentale Mauer gelangen, wenn es keine Priester des Opus Dei gäben, die entweder keine Spiritualität haben oder eine andere. Uns das wäre ein Desaster.“ (Hervorhebung vom Verf.). Auf diese Weise erfordert die Berufung zum Priestertum keinen göttlichen Ruf, der vom Betroffenen vernommen wird, sondern sie verwandelt sich in eine simple Aufforderung durch die Vorgesetzten, diesen Dienst auszuüben, denn für Escrivá besteht der hauptsächliche Sinn darin, dass keine Priester dem Opus Dei fremden Priester in die interne Organisation des Werkes eingreifen und die Kontrolle über seine Mitglieder erschweren.
Deshalb hält Escrivá den Ausdruck aufrecht, dass das Priestertum im Werk nur eine „passive Berufung“ sei. So kann man es beispielsweise in seinem Brief Sacerdos iam vom 2. Februar 1945 finden, in dem er die Gläubigen des Werkes zu Gebet ermuntert, „dass sich niemand zuhause auf irgendeine Wiese zum Priestertum gedrängt fühlt […] damit die Priester in völliger Freiheit die heiligen Weihen empfangen, auch wenn die Berufung eine passive ist” (Nr. 22. Hervorhebung vom Verf.). Und er ging so weit in seinem Wunsch, dass niemand die Priesterweihe aus persönlicher Disposition anstreben solle, sondern dass sie einer Notwendigkeit der Institution folgen müsse, dass er niemanden als Numerarier oder Assoziierten ins Opus Dei aufnahm, der eine Neigung zum Priestertum erkennen ließ.
Der Gründer behauptete, dass er ohne Zweifel eine „laikale Institution“ entworfen habe, die der „laikalen Spiritualität“ ihres Charismas diene, mit einer Leitung, die ebenfalls überwiegend aus Laien besteht. Die Betonung des laikalen Charakters seiner Spiritualität war effektiv von einem sehr strengen internen Regiment begleitet, die dazu tendierte, die Priester den Laien unterzuordnen, mit dem Argument, dass sie die gleiche Berufung hätten und dass die priesterliche Berufung nur eine Begleiterscheinung sei, die die Berufung zum Werk nicht ändere: „Obwohl die Berufung für alle dieselbe ist, verpflichtet sich der Priester — ich wiederhole es — seinen Brüdern zu dienen […] indem er weiß, dass er in unserem Zuhause — denn so ist es — nur einer von vielen ist“ (Brief Ad serviendum, Nr. 6). Sind also alle „Priester“ oder sind alle „Laien“, oder beides gleichzeitig?” Die Unterordnung der Priester unter die Laien ist eine bloße Folge, wenn man die Berufung zum Opus Dei für wichtiger hält als die priesterliche Berufung, und das bedeutet dasselbe zu sagen wie das Opus Dei sei wichtiger als die sakramentale Struktur der Kirche.
V. Geistliche Leitung durch Laiendirektoren als Teil der Leitung im Werk
Aufgrund der an den Heiligen Stuhl gerichteten Anzeige über die illegale Praxis des Opus Dei hinsichtlich der persönlichen geistlichen Leitung, die wie eine Leitungsfunktion verstanden wird und deshalb den Direktoren der Institution übertragen ist [1], hat der Prälat angesichts der Vorwürfe behauptet, dass diejenigen Direktoren, die Mitglieder der Örtlichen Räte sind, der niedrigsten Organe der Leitung, diejenigen sind, die die geistliche Leitung wahrnehmen und dass man sie nicht als Hierarchie des Opus Dei betrachten könne. Nichts ist weiter entfernt von der Wirklichkeit. Denn diese Antwort, mit der man der rechtlichen Schwierigkeit begegnen möchte, ist nichts als eine Ausflucht, um die Wirklichkeit im Werk seit der Gründung zu verschleiern, dass sowohl die Informationen [über Gewissensangelegenheiten der Mitglieder] als auch die Leitungsentscheidungen über die persönliche geistliche Leitung laufen: eine Vorgangsweise, die von der Kirche verworfen wurde und illegal ist.
So bekräftigt es ein internes Leitungsdokument: „Im Opus Dei kommt die geistliche Leitung in erster Linie den örtlichen Direktoren zu, Laien, mit denen auch die Priester ihr brüderliches Gespräch [=die Aussprache] halten. Die Priester wissen, dass sie im Sinne eines wirksamen Beitrags zur geistlichen Leitung der Gläubigen der Prälatur für gewöhnlich den Hinweisen zustimmen sollen, die die anderen in der Aussprache empfangen haben: Nur eine vollkommene Übereinstimmung zwischen den beiden Ratschlägen garantiert die angemessene geistliche Leitung für die Menschen des Werkes” (Vademecum der Priester S.41). Das bedeutet, die geistliche Leitung wurde in ein Leitungsinstrument verwandelt, und zwar bis zu dem Grad, dass sich die Priester des Opus Dei völlig den Anordnung der Direktorinnen und Direktoren, welche Laien sind, fügen müssen. Das ist die andere „Neuerung“, die der Gründer in die Kirchengeschichte eingebracht hat und die, seiner Meinung nach, viele juridische und theologische Probleme gelöst hat.
Diese Deformation zeigt sich etwa auch in der Tatsachen, dass sich die Direktoren der Delegationen, der Kommissionen und der Assessurias immer das Recht angemaßt haben, Auskunft über Gewissensangelegenheiten der Mitglieder zu verlangen, eine Vorgangsweise, die das Kirchenrecht kirchlichen Vorgesetzten aller Art strikt verbietet. Aber im Werk, wo man die persönliche geistliche Leitung als Teil der hierarchischen Leitung betrachtet, scheint die Aufforderung als normal empfunden zu werden, seine Seele „dem Opus Dei“, vertreten durch die höheren Direktoren, zu öffnen, die ihrerseits den Prälaten repräsentieren. Das wird seit dem Anfang so gelebt: „Wer auch immer eure Aussprache hört, es ist der Vater (der Gründer oder sein Nachfolger), der sie entgegennimmt”. Am Beginn des Werkes war es der Gründer selbst, der die vertraulichen Mitteilungen in der Aussprache entgegennahm, aber er musste sie an die Direktoren delegieren, als die Zahl der Mitglieder zunahm.
Andererseits ist es üblich zu betonen, dass die Leitungsfunktion der örtlichen Räte sich auch darin zeigt, dass sie die Entscheidungen der Superioren durchführen, welche sie detailliert über das innere und äußere Leben der Mitglieder informieren, die zum Zentrum gehören. Außerdem treffen sie Entscheidungen, die die Autonomie dieser Mitglieder tagtäglich schwer beeinträchtigen.
Das heißt aber, die erwähnten Funktionen, die den Direktorinnen und Direktoren übertragen sind, erlauben es keineswegs zu behaupten, wie es der Prälat jetzt vorgibt, um seinen Widerstand gegen Auflagen von Seiten des Vatikans zu rechtfertigen, dass diese keine Leitungsfunktionen hätten. Im Gegenteil, in ihnen treffen die Agenden der persönlichen geistlichen leitung und der örtlichen Leitung zusammen und vermischen sich zu ein und derselben Funktion, in unentwirrbarer Einheit. Das bezeugen auch die Statuten, Nr. 161: „§ 1. In den einzelnen Regionen können nach der Vorschrift Nr. 177 Zentren errichtet werden. § 2. Die örtliche Leitung wird von einem Direktor und einem eigenen Rat gebildet. Die Ämter werden auf drei Jahre vom Konsiliarius nach Anhörung seines Rates übertragen.“
Im Übrigen bezieht sich der Gehorsam, der den Direktoren des Zentrums geschuldet wird, ebenso auf das Forum internum des Gewissens wie auf das Externum, und zwar bis zu einem solchen Grad, dass man sich bis hin zu kleinsten Details mit dem Gehorsam identifiziert, um den Willen Gottes zu erfüllen. Wenn das keine Leitung ist…!
Aber man muss beharrlich darauf hinweisen, dass die Leitung des Opus Dei über seine Mitglieder auf dem Forum des Gewissens basiert, das heißt ausgehend von den Informationen, die sie in der persönlichen geistlichen Leitung bekommt. Und sie geschieht auch im Forum des Gewissens selbst, denn die Direktiven der Oberen werden im brüderlichen Gespräch, der Aussprache, und als Ausdruck des Willens Gottes erteilt. Anders kann das auch gar nicht sein, wenn nämlich Leitung und persönliche geistliche Leitung in Personalunion ausgeübt werden, und sie verstehen sich auch nicht als Dienst an den Personen, sondern als Aufgabe der Institution. Die Folgen dieser institutionalisierten Leitung der Gewissen sind leicht auszumalen: Aufgrund der vertraulichen Mitteilungen in der Aussprache werden NumerarierINNEN in eine andere Stadt oder ein anderes Land geschickt; es gibt Auswirkungen auf die berufliche Arbeit, vor allem wenn sie in einer Institution des Werkes ausgeübt wird; kanonische Strafen werden verhängt aufgrund dessen, was jemand in der „strikt vertraulichen“ Aussprache gesagt hat. Das Opus Dei übt so absolute Macht und Kontrolle über seine Mitglieder aus.
VI. Fehlende Autonomie der mittleren Leitungsebene
Nach dem, was wir bis jetzt gesehen haben, hat Escrivá eine Leitungsstruktur entworfen, die in der Mehrzahl aus Laien zusammengesetzt ist, die kirchlich wenig gebildet sind und kaum Kontakte zu einem kirchlichen Umfeld haben und die sich infolgedessen leicht den Hinweisungen des Prälaten fügen und die sich in der Praxis auch darauf beschränken, die Anweisungen der Leitung auszuführen. Deshalb haben auch die Priester keine Leitungsfunktionen, mit ganz wenigen Ausnahmen: jenen, die unumgänglich notwendig sind, um den Anschein eines dem Kirchenrecht entsprechenden klerikalen Instituts Genüge zu tun; und auch diesen wird die Autonomie vorenthalten, die einem Vikar zusteht.
Man braucht sich nur anzusehen, wie die Auswahl und Ernennung der regionalen Direktoren und Direktorinnen im Opus Dei ansehen, um zu erkennen, dass die Vikare keinerlei Autonomie besitzen. Die Mitglieder der Delegationen und der regionalen Kommissionen und Assessurias werden von der obersten Leitungsebene ausgewählt. Das heißt, der Vikar wählt sich niemals seinen Rat aus, sondern er wird ihm beigegeben, und er hat nur eine Stimme unter vielen. Deshalb haben die Vikare in ihrem Amtsbereich nur eine äußerst eingeschränkte Kompetenz, das heißt, seine Macht reduziert sich darauf, die Hinweise von oben zu exekutieren. Jeder Vikar wird von seinen jeweiligen Räten nicht nur unterstützt, sondern kontrolliert und überwacht. Das bewirkt, dass das Leitungsschema wie eine Pyramide aufgebaut ist. Tatsächlich reduziert sich die Leitung der Prälatur auf ihren verschiedenen Ebenen darauf, Informationen vom Prälaten zu erhalten und seine Anweisungen auszuführen. Deshalb ist die Autonomie der persönlichen Leitung auf allen Ebenen sehr gering.
Diese ganze Vorgangsweise, dass eine Personalprälatur von Laien geleitet ist und die Priester entweder gar keine Leitungsfunktion ausüben oder darin stark eingeschränkt sind, hat eine „akanonische“, dem Kirchenrecht nicht entsprechende Leitungsstruktur, die die Form der Personalprälatur pervertiert und vorsätzlich die universal gültigen Normen der Kirchenleitung übergeht, der diese Prälatur nach den päpstlichen Verfügungen seit ihrer Errichtung unterworfen ist. Denn die Personalprälaturen sind nach dem Verständnis des Zweien Vatikanums und des neuen Kodex klerikale Strukturen, Organisationsformen des Klerus, die aus Priester und Diakonen des Weltklerus besteht und deren Leitung einem Prälaten als einem Ordinarius proprius anvertraut ist.
VII. Der Zusammenhang hinter diesen Widersprüchen
Alle diese Charakteristiken der Leitung des Opus Dei, die auf den ersten Blick in sich selbst widersprüchlich anmuten mögen und auf den zweiten Blick zeigen, dass sie mit der kirchlichen Verfasstheit als Personalprälatur inkompatibel sind, enthüllen in sich eine Kohärenz, die sich aus der absolutistischen Mentalität José María Escrivás erklärt. Das heißt, wenn jemand danach fragt, warum eine seiner Natur nach klerikale kirchliche Institution eine laikale Leitungsorganisation aufweist, findet er die einzig mögliche Erklärung in der subjektiven Motivation des Gründer. Dabei handelt es sich aber um keine „theologische Konzeption“ Escrivás, auch wenn er vorgegeben hat, eine Erklärung in diesem Sinn zu liefern, auch um kein besonderes „Charisma“, sondern um eine praktische Zweckmäßigkeit.
Escrivá ließ sich gewöhnlich nicht von Ideen oder Prinzipien leiten, sondern von praktischen, subjektiven Motiven, die er, kommunikativ wie er war, in überhöhter Form öffentlich zu erklären liebte. So bezeichnete sich Escrivá immer als antiklerikal, vielleicht deshalb, weil er gar keine Berufung zum Priestertum hatte, sondern weil ihm die finanzielle Notlage seiner Eltern nahelegte, in Seminar einzutreten, um nebenher die zivile Karriere eines Rechtsanwalts anzusteuern, und als er sich dann doch für das Priestertum entscheiden hatte, musste er sich in aller Eile weihen lassen, um seiner Familie nach dem Tod seines Vaters eine Existenzgrundlage liefern zu können. Die Art und Weise, wie er das Priestertum innerhalb des Opus Dei darstellt, hat ebenfalls nichts mit Berufung zu tun, sondern dient den Zwecken der Institution, und man wird aus Gehorsam Priester, aufgrund einer Entscheidung der Leitung. Diese Entscheidung wird frei getroffen, aber sie folgt nicht einer Initiative der Person, die ein Ruf Gottes erreicht hat, sondern der Organisation.
Escrivá hat sich aus den angeführten Gründen niemals so in das Priestertum integriert, wie das gewöhnlich in der Kirche gelebt wird. Da er andere Lebensprojekte aufrecht erhielt, hat er es nicht ertragen, als ersten Dienst in das verlorene Nest Perdiguera als Aushilfspfarrer geschicktzu werden, und bereits nach eineinhalb Monaten verließ er seine Pfarrstelle und lebte außerhalb der kirchlichen Normalität, ohne Amt und geregeltes Einkommen, bis er bei den Einkehrtagen, die vom 30. September bis zum 5. Oktober 1928 für Priester in Madrid abgehalten wurde, verstand, dass er seine ganz besondere Auffassung von Priestertum ausleben könne wenn er eine Institution gründet.
VIII. Schlussfolgerung: Absolutistisches Konzept der Leitung durch den Prälaten
Letztendlich schuf sich Escrivá eine Organisation, die „wie ein Heer in Schlachtbereitschaft“ ganz seinem Willen unterworfen war. Und um seine absolute persönliche Gewalt auch dann bewahren zu können, wenn es ans Delegieren ging, wandte er sich an Menschen, die theologisch wenig gebildet waren, an Laien, die kein klares Urteilsvermögen aufwiesen, und damit die Kontrolle wechselseitig funktioniert, schuf er die kollegiale Leitung. So erteilt in Wahrheit niemand, der dem „Vater“ untergeordnet ist, irgendeinen Auftrag, und alle sind wachsam, weil, sie von der übergeordneten Ebene abhängen.
Der Gründer wollte alles in einer, in seiner Hand behalten – deshalb die angebliche juridische Einheit der Institution, auf die der Gründer so großen Wert legte, und deshalb der eklatante Bruch zwischen der Wirklichkeit und der kanonischen Gestalt. Für den Gründer war die Rechtsfigur eine bloße Draperie, die es ihm gestattete, zu tun was ihm einfiel, ohne sich von der kirchlichen Hierarchie dreinreden lassen zu müssen, auch wenn diese Rechtsfigur nicht zur Wirklichkeit seiner Gründung passte.
Man weiß, dass sich Escrivá drei Mal beim Heiligen Stuhl um die Ernennung zum Bischof bemüht hat. Dass diese Ansuchen zurückgewiesen wurden, hat verschiedene Ursachen, unter anderem hat das mit seiner pathologischen Persönlichkeit zu tun. Aber mit der kanonischen Form der Prälatur konnte dieser Ehrgeiz befriedigt werden, den er immer schon hatte.
Escrivá verstand seine Leitungsgewalt immer als absolute Souveränität. Die Leitungsgewalt des Prälaten wird im Opus Dei absolut ausgeübt, de facto hat all das mit Kollegialität nichts zu tun. Es mag auch sein, dass alle Theorien des Gründers ohnehin nur darauf hinauslaufen, dass er in Wahrheit immer machte was er wollte. Für die Fragen der normalen Geschäftsführung folgte er der etablierten Vorgangsweise: Beratung durch das entsprechende Gremium. Aber bei außergewöhnlichen oder heiklen Materien werden alle Regeln außer Acht gelassen, der Prälat entscheidet und fragt um Rat wen er will, und die Entscheidungen werden unter möglichst großer Geheimhaltung getroffen. Es ist klar, dass diese Entscheidungen nicht die Gremien passieren und dass diese auch nicht darüber Bescheid wissen. Vielmehr trifft der Prälat gelegentlich seine Entscheidungen, nachdem er Personen seines Vertrauens hinzugezogen hat, die in gar keinem Gremium sitzen.
Das war beispielsweise bei der Vorgangsweise der Fall, die angesichts der Zurechtweisung durch den Heiligen Stuhl gewählt wurde, weil sich die Prälatur schwere Verfehlungen hinsichtlich des Forum Internum der Gewissen hat zuschulden kommen lassen: Die Delegationen und Kommissionen blieben in Unkenntnis über diesen Ordnungsruf des Vatikan, vermutlich auch der Generalrat. Alles wurde in einem kleinen Personenkreis durchgesprochen, ohne den ordentlichen Weg zu beschreiten. Für die Umsetzung wurde dann allerdings wieder der Amtsweg gewählt, aber es wurde keinerlei Hintergrundinformationen weitergegeben, und ebenso wenig wurde mitgeteilt, wie man unter den neuen Rahmenbedingungen den Geist des Werkes leben solle, die ja in klarem Widerspruch zur früher gelebten Praxis stehen.
Es kann auch sein, dass die Leitung im Opus Dei niemals selbst an diese Theorien von Kollegialität, Laikalität etc. geglaubt hat, sondern dass der Prälat seinen absolutistischen Kurs ohne Rücksicht auf das geltende Kirchenrecht gezogen hat, wobei er sich nur dem toten, „heiligen“ Gründer verantwortlich fühlte. Und das ist die letzte Wahrheit des Opus Dei: ein herrschender Fanatismus, den der Gründer gestiftet und Msgr. del Portillo zugelassen und bestärkt hat, sekundiert vom jetzigen Prälaten.
Lucas
[1] „Als seelsorglicher Ratschlag wird empfohlen, dass die Beichten der Frauen der Prälatur, und zwar aller, besonders kurz sein sollen, da ein Gutteil ihrer geistlichen Leitung kollektiv erfolgt — sie wird durch die Mittel der kollektiven geistlichen Leitung erteilt —, und die persönliche geistliche Leitung kommt in erster Linie den Direktorinnen zu. Wenn es deshalb jemand für angebracht halten sollte, bestimmte Themen ausführlicher zu behandeln, rät der Priester für gewöhnlich dieser Person, dafür die Aussprache zu nutzen“ (Vademécum für Priester 1987, S.57. Hervorhebung vom Verf.).