Bild: Salvador Dalí, “Erscheinung des Antlitzes der Aphrodite”
INHALT:
1. Ein unerklärtes Phänomen.
2. Die zufriedenstellende Erklärung.
3. Grundlagen der Diagnose.
4. Die Beschreibung der narzisstischen Störung des José María Escriba:
a) Grandiose Selbsteinschätzung.
b) Sorge um Erfolgsfantasien.
c) Glaube an die eigene Einzigartigkeit.
d) Einforderung exzessiver Bewunderung.
e) Irrationale Angeberei.
f) Ausbeutung sozialer Beziehungen.
g) Fehlen von Empathie.
h) Besondere Tendenz zum Neid.
i) Arroganz.
5. Zusammenspiel mit anderen psychischen Störungen.
6. Schlussfolgerungen.
Nicht wir sind der Mittelpunkt unserer Predigt, sondern Christus, der Herr! Wir sind nur eure Diener, und das aus Liebe zu Jesus. (II Kor 4, 5)
Ein anderer Artikel (Markus Tank: Das Opus Dei - ein völliger Betrug? 4.5.2007) hat meine Fassungslosigkeit angesichts der Versicherung gezeigt, dass das Opus Dei übernatürlichen Ursprungs sei. Dieses Misstrauen basiert darauf, dass ich keine echte, authentische und tragfähige Spiritualität im “Werk” sehe, und ich erkenne in der Praxis der Organisation nicht die Art, die zu den Werken Gottes passt, nämlich die, die Gott handeln lässt und es erlaubt Ihn in eigenständiger Freiheit zu hören, in Demut und Liebe. Und das ist kein unbedeutender Aspekt.
Ganz im Gegenteil, was ich beobachte, ist systematische Lüge und Betrug, das Fehlen von Transparenz und eine starke Tendenz zur Herrschaft über Personen, indem die intimsten Freiheiten planmäßig mit Füßen getreten werden, eine utilitaristische und augendienerische Beziehung zur kirchlichen Autorität und von Anfang an das Fehlen eines klar definierten “Geistes”, denn dieser hat sich je nach Zeitumständen, Momenten und Gewohnheiten nach und nach verändert.
Alle diese Gründe, und einige andere, die man noch hinzufügen könnte, lassen in mir den Verdacht aufkommen, dass das Phänomen “Opus Dei” eine bloße menschliche Erfindung mit eigenartiger Motivation ist, die man schwer auf Gott zurückführen kann, sobald man den ersten Eindruck hinter sich gelassen hat, den man bekommen sollte; in diesem “Werk” sieht man nicht die wahren Zeichen Gottes.
Nun gut, auch wenn es so sein könnte, soll man nicht von vornherein ihren Verkündern den guten Willen absprechen, aber auch keine Impulse in den Ursprüngen seiner Gründung, die von oben inspiriert sind und die mehr oder weniger gut vermittelt wurden.
1. EIN UNAUFGEKLÄRTES PHÄNOMEN
Ich weiß nicht, ob sich alle bewusst sind, bis zu welchem Punkt diese Internetseite (www.opuslibros.org ) in den letzten Jahren dazu beigetragen hat, Klarheit über den das Lehrgebäude zu schaffen, das sich das Opus Dei nicht ohne Stolz errichtet hat, und an seinen Grundfesten zu rütteln, wie bei dem Riesen mit den tönernen Füßen, von dem das Buch Daniel spricht.
Schon seit Jahren haben zahlreiche Mitarbeiter dieser Seite versucht, eine logische Erklärung dafür zu finden, was das Opus Dei ist und was in ihm vor sich geht, denn wir fühlen uns von der Wirklichkeit dieser Institution existenziell betroffen, die unsere Lebensgeschichten bestimmt hat. Jeder einzelne hat, wie es normal ist, seine besondere intellektuelle Laufbahn hinter sich, und wir sind früher oder später zu unseren eigenen Schlüssen gekommen. An dieser Stelle möchte ich besonders EBE erwähnen, denn mit seiner dankenswerten Hellsichtigkeit kann er als Pionier in diesen Bestrebungen gelten.
Von meiner Seite aus bekenne ich, dass ich vom kognitiven Gesichtspunkt aus Fortschritte erzielen konnte mittels einer kritischen Reflexion über offenkundige Realitäten und verborgene Fakten. Deshalb musste ich mein übertriebenes Vertrauen in die Institution Opus Dei überwinden, das in der erhaltenen dogmatischen oder fanatischen Bildung seinen Ursprung hat, um zu einer Sicht der Dinge zu gelangen, die mehr dem Glauben entspricht: eine Arbeit, die natürlich keinen polemischen Charakter hatte, sondern ganz im Gegenteil, eine kritische Aktivität des Intellekts bedeutete.
Auf jeden Fall ist es sicher, dass ich den Dingen nicht ganz auf dem Grund kommen und kohärent erklärten konnte, was vom phänomenologischen Gesichtspunkt her so schwierig erscheint. Aber schließlich glaube ich eine befriedigende Antwort gefunden zu haben, das soll heißen, ich glaube, dass ich damit den Kern gezeigt habe, der alles erklärt, was bisher im Opus Dei geschehen ist und was noch weiterhin geschieht
2. EINE HINREICHENDE ERKLÄRUNG
Die beständigenUngereimtheiten, die wir in dieser Institution, in ihren Worten und Werken entdecken, die theologische Oberflächlichkeit in ihrer Erklärungsweise, die flagranten Widersprüche, wenn nicht die Abweichung in der Rechtgläubigkeit stellen nicht, wie es bei etwas vereinfachter Sicht scheinen könnte, ein doktrinelles oder historisch-kulturelles Problem Spaniens dar, in dem diese Gründung entstanden ist, sondern alles das erklärt sich einzig aus der Mentalität und der persönlichen Bildung Escrivás, und diese Erklärung ist zur selben Zeit einfach und beklemmend.
Um das zu erklären, was mit dem Opus Dei geschieht, reichen absolut keine historischen, theologischen oder kanonischen Erklärungen. Es existiert meiner Auffassung nach eine einzige zufrieden stellende Erklärung: die "pathologische” Persönlichkeit des Gründers oder, anders ausgedrückt, die Pathologien seiner Persönlichkeit. Man kann mit ziemlicher Sicherheit feststellen, dass das Opus Dei das Geschöpf seines Gründer und Ausdruck seiner Persönlichkeit ist: das Opus Dei ist mehr opus Iosephmariae als opus Dei. Wenn wir es unter diesem Gesichtspunkt betrachten, werden die Ungereimtheiten seiner realen Erscheinung plötzlich verständlich, und die Teile des Puzzles passen perfekt zusammen.
Aber sehen wir uns einmal die Gründe an, die mich zu einer solchen Schlussfolgerung und zu einem so destruktiven Ansatz gebracht haben und die ich zunächst einmal rein gefühlsmäßig nicht akzeptieren wollte. Erst nachdem ich die Persönlichkeit des Gründers mit den medizinischen Kriterien und Symptomatik verglichen habe, die üblicherweise in der klinischen Diagnostik angewendet werden, erschien mir die mögliche Diagnose offenkundig. Ich werde diese Analysen der Reihe nach vorlegen, und jeder möge daraus seine Schlussfolgerungen ziehen.
Aufgrund des Umfangs des Themas werden die Leser verzeihen, wenn ich etwas ausführlicher werde, wo es mit angebracht erscheint; sie werden Zeit haben, mich in dem Rhythmus zu lesen, wie es ihnen passt.
3. GRUNDLAGEN DER DIAGNOSE
Wohl ist es wahr, dass einige Hypothesen über mutmaßliche psychische Pathologien des Opus Dei vorgelegt wurden, von der berühmten Hemiplegie (eine Form der Epilepsie; die Epilepsie geht gewöhnlich mit einer psychiatrischen Symptomatik einher) bis zu Depressionen, wenn man über die sogenannte bipolare Störung hinweggeht. Auch die Diabetes geht mit psychologischen Beeinträchtigungen einher, aber ohne die Intensität, die sich bei Escrivá feststellen lässt. Ich werde nun beschreiben, was mir zu der Gesamtheit der beobachteten Realität am stimmigsten zu passen scheint, eine narzisstische Persönlichkeitsstörung.
Bevor ich auf die Materie näher eingehe, muss ich einige allgemeine Vorbehalte machen, die eine gerechte Einordnung dessen, was ich nachher sagen werde, erleichtert. Man muss sich gegenwärtig halten, dass der Gründers eine religiös-charismatische Rolle spielt, dass seine ganze Persönlichkeit um diese Ideale kreist, und dass andererseits sein Denken durch die soziokulturelle Umwelt des Spaniens determiniert ist, in dem er geboren und in dem er zum Priester ausgebildet wurde, und dass er schließlich ab den fünfziger Jahren seinen Nutzen aus den neuen Strömungen in den Lehre über die Laien zog, die er in Rom kennen lernte, um seine Einzigartigkeit erneut zu betonen.
Diese Störung der Persönlichkeit ist generell mit einem Leben vereinbar, das in der sozialen Interaktion bis zu einem gewissen Grad normal verläuft, auch wenn die anderen sehr darunter leiden; in jedem Fall kann man nicht unterschätzen, dass der Ausdruck seiner Persönlichkeit, sowohl in der Leitung des Opus Dei wie in seinem öffentlichen Image, sehr stark von seinen engsten Mitarbeiter kontrolliert wurde, von Alvaro del Portillo vor allem.
Um die typischen Charakteristiken des Narzissten zu beschreiben, werde ich mich des DSM-IV bedienen: Manual diagnóstico und estadístico de los trastornos mentales (“Diagnostisch-statitisches Handbuch mentaler Störungen”), der American Psychiatric Association, die gewöhnlich von Fachleuten in dieser Materie benützt wird. Um außerdem die Begriffe hinsichtlich der Symptomatik auf eine breitere Basis zu stellen, werde ich die Kriterien von Theodore Millon anwenden, der weltweit als einer der größten Experten hinsichtlich von Persönlichkeitsstörungen gilt und auch Mitarbeiter bei DSM-IV auf diesem spezifischen Gebiet ist.
Nicht nur die neun diagnostischen Kriterien, die ich in Kursivschrift setze, sondern alle Feststellungen über den Narzissmus, auch wenn sie nicht wörtlich und in Anführungszeichen gesetzt sind, verdanken sich diesen Quellen und sind nicht vom Unterzeichneten erfunden.
4. BESCHREIBUNG DER NARZISSTISCHEN STÖRUNG JOSÉ MARÍA ESCRIBAS
DSM-IV definiert die narzisstisch Persönlichkeitsstörung als ein allgemeines Muster der Großartigkeit (in der Fantasie oder im Verhalten), die Notwendigkeit, sich bewundern zu lassen und ein Fehlen von Empathie, die am Beginn des Erwachsenenalters ihren Anfang nehmen und die sich in unterschiedlichen Zusammenhängen in den folgenden fünf (oder mehr) Kennzeichen äußern:
a) Grandiose Auffassung der eigenen Wichtigkeit
Der Narziss: 1. hat eine grandiose Auffassung der eigenen Wichtigkeit: so übertreibt er etwa die Erfolge und Fähigkeiten, hofft als überlegen anerkannt zu werden, allerdings ohne tatsächlich entsprechende Erfolge zu erbringen.
Diese erste Charakteristik, die den Kernbereich des Narzissten trifft, passt meiner Ansicht nach perfekt in das Profil des Gründers des Opus Dei. Wie entsteht diese Auffassung der eigenen Wichtigkeit und Größe? Schon von klein auf ist er von seiner Mutter als von Gott “auserwählt” betrachtet worden, dann versicherte er, dass er auf wunderbare Weise von einer tödlichen Krankheit geheilt wurde, als ihm der Arzt kaum noch ein paar Stunden zu leben gab — Welche Pläne wird Gott mit diesem Kind haben, da er es in der Welt gelassen hat?, sagte seine Mutter. Seine Eltern unternahmen eine Wallfahrt nach Torreciudad, um für das Wunder zu danken, dass auf Fürsprache der heiligen Jungfrau bewirkt worden war.
Alles in seiner Existenz trägt charakteristische Merkmale, die über das Gewöhnliche hinausgehen und ihn “außerordentlich” machen. Seine göttliche Auserwählung, um das Opus Dei zu gründen — das dem Empfinden Escrivás nach das Größte ist, das in der Geschichte der Kirche je geschehen ist — führt in die kleine Gruppe der ganz Großen der Menschheit ein: So hat er sich immer selbst eingeschätzt. In seinem Leben wiederholen sich die großen Taten und Wunder, die in einer bestimmten Literatur des Siglo de Oro in Heiligenbiografien auftauchen, die er in seiner Jugend sicher gelesen hat. Es scheint, als ob diese Lektüre seine Mentalität disponiert hätte. Er zitierte einige Zeugnisse, die zeigten, bis zu welchen Grad er sich für etwas Besonderes hielt, aber in Maßstäben, die mir pathologisch erscheinen.
“Von den Anfängen an forderte Escrivá, dass unter den Anhängern des Opus Dei ein wahrhaft idolatrischer Kult um seine Person getrieben wird”, heißt es in der “Unterstützungserklärung für Maria Angustias Moreno” (Text einer Unterstützungserklärung für die Autorin von „Opus Dei – Anmerkung zu einer Geschichte“, die nach der Veröffentlichung dieses Buches in Spanien Ziel einer diffamierenden Kampagne durch Priester des Werkes wurde; unterzeichnet haben diese Solidaritätsadresse Ana Maria Calzada Jiménez, Nuria Passola Palmada, M. Luisa Pericot Raurich, Montserrat Codina Francisco, M. Rosa Garrido Adán, Enrique Sopena, Pilar Navarro Rubio, Begoña Escoriaza, M. Jesús Hereza, Alberto Moncada, Isabel de Armas Serra, Soledad Sáez de Tejada, Concha Fagoaga, M. Luisa Vidal, Paloma Saavedra, Eloisa Porras García, Lola Heredia Herrera, Cristina Alcántara Martínez, Mercedes Alegre Villegas, Sol Castillo Jiménez, Rosa Quintana Zaragoza, Nati Paño Asuero und M. Teresa Vázquez Parladé. Der Text ist zugänglich unter http://www.opuslibros.org/prensa/carta_apoyo.htm.), die in der Zeitschrift “El Diario de Barcelona“ im Jänner 1977 erschien und auch in dem Band „Escrivá de Balaguer ¿Mito o Santo?“ („E. d. B. – Mythos oder Heiliger?“), Madrid 1992, S. 267-68 abgedruckt wurde. “Aber es handelte sich nicht, wie Jesús Infante versichert („El santo Fundador del Opus Dei“ („Der heilige Gründer des Opus Dei“), Barcelona 2002, Kap. 9 (http://www.opuslibros.org/libros/Santo_fundador/capitulo_9.htm), um die besonnene menschliche Bewunderung, die dem Gründer eines Ordens oder einer religiösen Kongregation zusteht, sondern sie ein regelrechter idolatrischer Kult war, als wäre das Opus Dei eine Sekte, die die Anbetung ihres Gründers als eines Idols betrieb. Es handelte sich um einen Kult, der in seinen Ausmaßen durchaus mit dem der faschistischen Regimes im Europa der dreißiger Jahre vergleichbar ist. Diese heidnische Verehrung des Gründers breitete sich innerhalb des Opus Dei aus und erreichte Aspekte, die für eine Organisation, die sich selbst katholisch nennt, im höchsten Maß tadelnswert erscheint, in der alles um die Gestalt Escrivás kreiste, den man „per antonomasian“ auch den „Vater“ und „Gründer“ nennen konnte.
Diese Sätze aus dem erwähnten Buch von Jesús Infante beschreiben vollkommen den zentralen Aspekt des ersten narzisstischen Symptoms Escrivás. Er hatte seine Nachahmer leicht davon überzeugt, dass er ein lebender „Heiliger“ sei und dass Gott ihn als Werkzeug für die Rettung der Welt auserwählt hatte, „obwohl er ein großer Sünder war“, wie er zu sagen pflegte. Merkwürdigerweise lernten in Kinder in den kommunistisch beherrschten Staaten, in denen die Sowjets das Erlernen der russischen Sprache durchsetzten, in den Schule, dass sie Stalin immer als unseren Vater Stalin ansprechen sollten.
Escrivá hatte das Selbstbewusstsein eines charismatischen Führers und einer gleichsam messianischen Gestalt. In diesem Sinn mutet die Anmaßung ein wenig seltsam an, dass er eine Gründung geschaffen habe, die die der Kirche nachahmt: Er spricht von den erstem Zwölf, vom Verräter oder den Verrätern, er nennt Alvaro saxum — den Felsen — und er sagt und schreibt, dass nicht ein Mensch sich das Opus Dei ausgedacht habe etc. Die Existenz von angeblich übernatürlichen Außergewöhnlichkeiten, die aufgrund des „Gründungsgeistes“ nicht dokumentiert werden, umgeben ihn mit einer Aura, die niemals aufgehellt wurde und die auch ein Zeichen dafür sind, wie die Wirklichkeit anders aufgefasst wurde, verändert von diesem Gedanken an Großartigkeit: Sotto voce sprach er von Marien- und Engelserscheinungen, der Geschichte vom „räudigen Esel“ , von der Rose von Rialp, eigenartigen Todesfällen von Menschen, die sich ihm in den Weg stellten, als eines Strafgerichtes Gottes, häufige „göttliche Einsprechungen“ etc. Wer wollte ihm da widersprechen?
Dass er sich selbst als taubes und nutzloses Werkzeug empfand, kann als Ausdruck falscher Demut verstanden werden, geistliches Rotwelsch — oder vielleicht als Ausdruck dafür, wie in manchen Augenblicken seine Unsicherheit und innere Leere hervortraten. Wie man später sehen wird, ist das durchaus mit einer solchen Störung und einer grandiosen Auffassung der eigenen Wichtigkeit vereinbar.
Zu all dem Gesagten passt die Gesamtheit von wohlbekannten Fakten, deren Folge, leidenschaftslos betrachtet, ziemlich eigenartig bei einer normalen Person wirkt, und wir würden es natürlich nicht bei einem priesterlichen Gründer sagen, der sich für einen Heiligen ausgibt. Ich beziehe mich auf die Frage, die schon lange abgeschlossen ist und die sich auf seine so weltlichen und eitlen Namenswechsel bezieht, den Adelstitel, die Konstruktion einer falschen Familiengeschichte, die es gestattet, vornehme Gebäude zu errichten oder zu rekonstruieren, wie das Haus seiner Familie in Barbastro, und angebliche Familiennamen zu erforschen, bis sie sich im Dunkel der Geschichte verlieren, man gestaltet Wappen und stellt sie weit und breit auf, man malt Portraits von den Mitgliedern seiner Familie (wenn die Familie nennenswert gewesen wäre, hätte es Gemälde von ihren Vornamen gegeben), und man hängt sie in allen wichtigen Zentren auf, man schreibt, kauft und verwahrt Bücher über seine Abstammung — schon zu Lebzeiten und persönlich von ihm selbst überwacht — über Orte und Dinge, die mit seiner Person zusammenhängen, man hebt alte Soutanen und Pyjamas auf, gezogene Zähne und abgeschnittene Haare, wenn er beim Friseur war, als zukünftige Reliquien. Mehr noch: Er suchte um die Genehmigung von Auszeichnungen an, er umgab sich mit schreiendem Prunk, der völlig unangebracht für die Zeit und die eigenen Umstände war, er baute vornehme Gebäude und schmückte sie mit teuren, protzigen Möbeln, Plafond und Wände nach Art von Palästen mit Fresken bemalt, Kapellen mit einem solchen Luxus, dass es ein Skandal für jeden Betrachter ist, und er arbeitete auch ausführlich an dem Raum, in dem seine „heiligen Reste“ bis ans Ende der Geschichte verehrt werden sollten. Das ist doch ein Heiliger, der es vermag, seine Heiligkeit und seine zukünftige Verehrung vorauszusehen!
Auf derselben Linie wie die „Reliquien zu Lebzeiten“ liegen die Übertragung der Kapelle von Samaniego nach Torreciudad im Jahr 1940 und die Reproduktion des Altarbilds der Kirche von San Cosme de Burgos um es in Rom aufzuhängen. Auch die Rekonstruktion des Taufsteins in der Kathedrale von Barbastro, wo er sein erstes Sakrament empfing, ebenso wie der Erwerb der Reste der Schiffes J. J. Sister, “Zeugin” eines weiteren göttlichen Eingreifens wie beim heiligen Paulus oder dem Propheten Jona, oder sogar die „Anekdote“, dass er vorschlug, seinen Vater im Familienmausoleum von Miguel Fisac in Daimiel zu begraben, denn er ertrug es nicht, dass sein Vater nur ein bescheidenes Grab hatte. Alles das erscheint als Symptome einer großartigen Selbstüberschätzung. In dieser Reihe kann man auch die Errichtung des Heiligtums von Torreciudad nennen, oder die Projekte von zwei oder drei weiteren marianischen Heiligtümern, obwohl die Verehrung für die Gottesmutter nur das halbe Motiv für die Errichtung ist und man dies und die Einrichtung für die Verehrung der Großartigkeit des Lebens und der Wunder des Heiligen nutzt.
All das erscheint mir höchst eigenartig bei einer spirituellen Persönlichkeit; es erscheint mir vielmehr als die Lebensbeschreibung eines Narzissten mit einen „Heiligkeitswahn“. Man lese noch einmal das Zitat des heiligen Paulus, der diesen Eifer anführt, und der Kontrast springt ins Auge: Kann sich jemand den Völkerapostel vorstellen, wie er die Welt bekehrt und zugleich von solchen Dingen abhängig ist? Oder, wenn man an andere Persönlichkeiten denkt, die uns zeitlich näher liegen, kann jemand an der Heiligkeit von Mutter Teresa von Kalkutta oder von Pío de Pietrelcina zweifeln? Kann man sich vorstellen, dass diese Heiligen von solchen Dingen fasziniert sind?
Thedore Millon sagt von den Narzissten: “Es gefällt ihnen, dass andere ihren Taten einen übertriebenen Wert beimessen, und sie erregen sich, wenn sie nicht das Lob bekommen, das sie zu verdienen glauben”. Vielleicht pflegten sich deshalb ein Neffe Escrivás, Carlos Albás Domínguez, und andere Familienmitglieder über diesen Eifer ihres berühmten Verwandten nach Auszeichnung lustig zu machen, indem sie humoristisch anmerkten: „Marqués de Peralta, so eine hochgestochene Scheiße!“ (Vgl. C. Albás, „Declaraciones“ in der Tageszeitung “El País“, 11. Juli 1991).
Ich zitiere einen anderen Abschnitt von Jesús Infante: “Schon seit den ersten Nachkriegsjahren in Spanien, als das Opus Dei sehr wenig Geld hatte und man sich genötigt sah, beim Essen der Numerarier zu sparen, verlangte Escrivá zu seiner Verfügung einen luxuriösen Wagen, um damit in Madrid herumzufahren, „genau so groß oder größer wie die der Minister“ (vgl. Luis Carandell: „La otra cara del Beato Escrivá“- „Das andere Gesicht des Seligen Escrivá“ in der Zeitschrift „Cambio 16“ vom 16. März 1992). Escrivá rechtfertigte diese größenwahnsinnigen Eitelkeiten damit, dass er ein hervorragendes Auftreten und das Erscheinungsbild einer wichtigen Person haben müsse, denn so werde man auch seinem Werk Respekt entgegenbringen. So konnte er etwa nicht in ein einfaches Hotel gehen, sondern immer nur in ein luxuriöses, und er konnte keine billigen Manschettenknöpfe tragen, sondern goldene. Und immer wenn er Aufsehen erregte, spielte er die übernatürliche Karte aus, denn sonst wäre es nicht nach seinem Geschmack gegangen, und er beruhigte sein Gewissen damit, dass er es zum Besten des Werkes tat”. Als weiteren Beleg für dieses erste Symptom müsste man schließlich auch alles das einschließen, was sich auf die überbordende Darstellung der „Übernatürlichkeit“ des Opus Dei und das Faktum, dass sich Escrivá selbst seinen Untergebenen immer als einziger Vermittler eines ganz bestimmten göttlichen Willens präsentierte. So vermischten sich in der „abgöttischen Verehrung“ für den Gründer sein Totalitarismus und ein vorgebliches Charisma, das sich letztendlich in dem Leitsatz zusammenfassen lässt, dass jemand, der Gott liebt, stante pede das erfüllen müsse was der Gründer vorschrieb, und so unterwarf er alles im Opus Dei seinem letzten und einzigen Kriterium.
b) Sorge um Erfolgsfantasien
Der Narzisst: 2. ist mit fantastischen Vorstellungen grenzenlosen Erfolges beschäftigt, von imaginärer Macht, Glanz, Schönheit oder Liebe
Schon sehr früh handelte Escrivá mit der Sicherheit, dass er für eine Mission von universalem Ausmaß auserwählt worden sei. Seine Pläne waren in diesem Sinn immer grandios. Er fand sich nicht mit dem ab, was Gott durch seine Anregung bewirken könnte, sondern er pflegte Gott das Tempo vorzugeben und voranzugehen. Seine Erfolgsfantasien sind tatsächlich unbegrenzt. Es genügt, sich an einige seiner Maximen zu erinnern: „die Welt umdrehen wie eine Socke“, oder über das Reich Christi: „Und ich sah Christus triumphieren…“, oder über den Einfluss in der Welt: „Du allein kannst es nicht, aber mit zusammen doch!“, als er durch die Innenstadt Londons ging, oder als Er ihn dazu aufforderte, in den Nervenzentren der Welt zu arbeiten, die Welt mit bedrucktem Papier zu überschwemmen etc. ad infinitum.
Er hat Fantasien von Großartigkeit, und zwar auch in allem, was das übernatürliche Leben und die Liebe zu Gott betrifft, weshalb man ihn in seiner Zeit als Seminarist, neben anderen Ironien, als „Rosa mystica“ – „geheimnisvolle Rose“ bezeichnete. In dem gleichen Zusammenhang lassen sich die übertriebenen körperlichen Bußübungen in den dreißiger Jahren und sein Eifer verstehen, die großen Heiligen der Geschichte nachzuahmen, denn er wollte mit seiner Sendung nicht dahinter zurückbleiben. Allerdings geht er in allen diese Fragen nicht über eine oberflächliche und rein äußerliche Nachahmung dessen hinaus, was diese Heiligen taten, ihr tiefer liegendes spirituelles Verhalten erfasste er nicht.
Die sichtbare Entwicklung des geistlichen Lebens des Gründers geht nicht über die Ebene „heroischen“ menschlichen Handelns hinaus, einer unternehmerischen Tätigkeit, die innerhalb der Kirche eine Bewegung von durchorganisierten Personen geschaffen hat, wie „ein Heer in Schlachtbereitschaft“, gleich dem, was die großen politischen Diktatoren in ihren jeweiligen Ländern um die Mitte des vorigen Jahrhunderts oder diverse sektiererische Gruppen geschaffen haben.
Und da wir von Fantasien sprechen, erscheint es mit passend, in diesem Abschnitt alles das anzuführen, was sich auf den kognitiven Aspekt des Narzissmus bezieht und was, am Beispiel Escrivás, seine ideologischen Konstrukte ebenso wie seine Art, die Institution zu leiten, erklärt. Ich gebe hier einige Beschreibungen aus dem bereits zitierten Werk von T. Millon wieder (S. 369-372):
Der kognitive Aspekt der Narzissten ist sehr interessant, denn sie spielen mit der Realität, indem sie sie verändern und die Fakten mit der Absicht neu zusammensetzen mit der Absicht, ihren Glauben zu stärken, um das Bild einer beständigen Aufwärtsentwicklung zu bieten. Die Narzissen schreiben Fabeln über sich selbst und frisieren die Geschichte, um die Geschehnisse aufzubauschen. Sie erinnern sich an die Vergangenheit so, wie sie gern hätten, dass sie gewesen sei. Mit Nachdruck und Akzent-Setzung stellen sie klar, was an der Geschichte bedeutsam war, und immer mit Blickrichtung auf die aktuelle Situation. Die Rekonstruktion der Vergangenheit bietet die Grundlage für ihre aktuellen Fantasien. Die Vergangenheit wird instrumentalisiert, damit sie sich selber herausstellen können, im Gegensatz zu den Depressiven, die sie für ihre Selbstkritik verwenden. Die Fantasíe beschränkt sich nicht auf die Zukunft, sondern erstreckt sich auch auf die Vergangenheit und schafft sie neu.
Gelegentlich vermischen sie Träume von Allmacht und Züge von Paranoia, das heißt, dieser ganze Wahn erhält eine in sich geschlossene Konstruktion, dem die einen Platz in der Wirklichkeit zuweisen.
Diese Personen haben eine so lebhafte Fantasie, dass die Zukunft keinen Raum für Zufälle mehr bietet.
Die Fantasie drückt sich mit enormer Intensität aus, und zwar dermaßen, dass sie mit der Realität in Widerstreit gerät. Man erlaubt sich Freiheiten gegenüber den Fakten und gewöhnt sich daran zu lügen, um die eigenen Illusionen aufrechterhalten zu können. Sie betrügen sich selbst und bemühen sich, plausible Gründe auszuarbeiten.
Sie wenden Mechanismen der Rationalisierung und der kognitiven Regulierung in der Art an, dass sie in größerem Ausmaß als normal subjektive Darstellungen durch illusionäre und abweichende Erinnerungen über tatsächlich geschehene Ereignisse zusammenstellen. Antriebe und Konflikte, die ihnen nicht genehm sind, werden rasch umgeformt, so weit es eben notwendig ist.
Die eigene Macht und Ehre bieten ein Schauspiel, das sich in der Fantasie immer wieder in Szene setzen muss. Der Narzisst spielt und applaudiert zur gleichen Zeit, er weist Züge eines Komödianten auf, und zwar in der Weise, dass in die Handlung nicht langeilt, so oft er sie auch wiederholt. Die Fantasie verhilft dazu, dass er sich an der Darbietung seiner selbst ergötzt.
Man weiß andererseits sehr gut, dass die Verbindung zwischen dem Narzissmus und dem Machtmissbrauch, den megalomane und charismatische Gestalten in ihren Organisationen ausüben (Sankowsky, 1995), die Wirklichkeit neu definieren mit dem Ziel, ihre Gefolgsleute bei der Stange zu halten und ihren besonderen Status beizubehalten.
Daher begründen die Narzissten, vom kognitiven Standpunkt aus, die Wirklichkeit in Träumereien und in der Fantasie. Ihre Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sind werden im Dienste ihres Ruhmes von diesen Fantasien neu gefärbt.
Ich wollte diese Sätze nicht kommentieren, denn sie erscheinen mir aussagekräftig genug. Es ist möglich, dass einige, nachdem sie das gelesen haben, nachgedacht und gesagt haben: "Tatsächlich, das erklärt praktisch alles”. Eine wichtige Sache, die sich erst kürzlich auf dieser Internetseite mit ausreichenden Belegen gezeigt hat, ist die historische Manipulation des „Geistes“ und eben der „Geschichte“ des Opus Dei. Und hier kann man auch die Erklärung finden, warum die Gründungsbriefe mit falschem Datum geschrieben wurden, damit sie die Geschichte von der Gegenwart her neu schreiben, ohne die Realität zu beachten: denn die Fantasie beschränkt sich nicht auf die Zukunft, sondern erstreckt sich auch auf die Vergangenheit und schafft sie neu.
Und hier kann man die Erklärung dafür finden, dass falsch datierte Gründungsbriefe geschrieben werden, dass die Geschichte nachträglich umgefälscht wird, ohne auf die Wirklichkeit Rücksicht zu nehmen: denn die Phantasie beschränkt sich nicht auf die Zukunft, sondern auch auf die Vergangenheit, die sie rationalisiert und rekonstruiert. Und dasselbe lässt sich über die angeblichen „übernatürlichen Phänomene“ sagen, die im Leben des Gründers geschehen seien, denn die Vergangenheit wird zur Eigenwerbung instrumentalisiert, sodass die Narzissten vom kognitiven Standpunkt aus die Realität durch Wunschbilder und Phantasien ersetzen. Ihre Vergangenheit, ihre Gegenwart und ihre Zukunft sind im Dienst ihres Ruhms neu schattiert.
Wie zu beweisen ist, wurde praktisch das ganze Leben des Gründers im Interesse seines Ruhms manipuliert: die Familiengeschichte, seine Namen und Herkunft (einschließlich des Adelstitels), Werdegang und akademische Titel, spezifische Muster der Spiritualität, die völlig neu seien und zu denen er von Gott inspiriert wurde am 2 Oktober 1928, seine Gründungsschriften, die Geschichte der Institution, seine Charakterzüge und persönlichen Tugenden, nun er verstand es, sich noch zu Lebzeiten mit einem Heiligenschein zu umgeben. Und seither hat man sogar die zeitgenössische Kirchengeschichte im Dienst der Institution umgedeutet, und Ähnliches geschah mit der Rechtsfigur der Prälatur.
Es sind also nicht kleine Details, die manipuliert wurden; ein ganzer „Mythos“ wurde erschaffen, der nichts mit der Realität zu tun hat. Man hat Escrivá beispielsweise als einen großen Juristen und Theologen hingestellt, einen Pionier des Ökumenismus, einen Schöpfer tiefer Spiritualität, der es verdient hätte Kirchenlehrer zu sein, etc. Was kann man mehr wollen? Aber dieser Mythos war beständigen Umformungen unterworfen, je nachdem, was zu einem späteren Zeitpunkt gerade opportun schien. Und zu diesem Zweck schreckte man auch nicht davor zurück, sich historische Dokumente aus privaten und kirchlichen Archiven anzueignen und zu vernichten, wenn sie der „offiziellen Wahrheit“ der Institution widersprachen. Das bedeutet, der Narzissmus des Gründers wuchert als „Treue“ bei der Pflege seines Images noch bei den Nachfolgern fort.
Aus all diesen Gründen wird es nicht erstaunen, wenn wir vermuten, dass auch die „übernatürlichen“ Wahrnehmungen des Gründers falsche und deformierte Wahrnehmungen gewesen sein dürften, von den Fußspuren im Schnee – vgl. den Kommentar Gervasios [die „Unbeschuhten Karmeliten“ gehen gar nicht barfuß, sondern in Sandalen ohne Socken], die Rose von Rialp, die inneren Stimmen oder die göttlichen Interventionen. Fraglos sind das Phantasien und Übertreibungen im Dienst seines Ruhmes. Auch die Gewissheit über die zukünftige Entwicklung der Institution, die der Gründer seinen ersten Jüngern einimpfte, scheinen sich mehr aufgrund menschlichen Unternehmergeists verwirklicht zu haben – so geschah es ja im vergangenen Jahrhundert ja mit mehrere pseudoreligiösen, sektiererischen Gruppen, die eine beachtliche Verbreitung erfahren konnten – als durch eine spontane übernatürliche Spiritualität.
All das lässt sich mit der kognitiven Physiognomie des Narzissten erklären, denn diese Personen haben eine derart lebhafte Phantasie, dass die Zukunft keinen Raum mehr für Unwägbarkeiten hat. Escrivá kombiniert Allmachtsphantasien und paranoide Verhaltensmuster. Das heißt, der Größenwahn erhält ein zusammenhängendes logisches Konzept, das für die Wirklichkeit gehalten wird.
So bestimmt das zweite Kriterium von DSM-IV vollkommen den kognitiven Aspekt der Phantasien Escrivá, und es wirft Licht auf seine Vorgehensweise.
c) Er hält sich für etwas Besonderes und Einzigartiges
Der Narzisst: 3. Hält sich für „besonders“ und „einzigartig“, kann sich nur mit Personen von hohem Rang abgeben oder von ihnen verstanden werden.
Jener Satz ist wohlbekannt, den Escrivá über sich selbst zu seinen Kindern gesprochen hat: In eurem Leben werdet ihr viele Päpste kennenlernen, Hunderte Kardinäle, Tausende Bischöfe. Aber Gründer des Opus Dei gibt es nur einen. Ihr werdet Gott dafür Rechenschaft ablegen müssen, dass ihr mich gekannt habt. Hier sieht man schon, dass die Persönlichkeit, um die Worte Millons zu gebrauchen, sich für „einzigartig und besonders hält. Sie verhält sich voll Egozentrismus und hält sich für den Mittelpunkt der Welt“.
Die finanziellen Schwierigkeiten seiner Familie und der Tod seiner Schwestern werden als Vorbereitung des göttlichen Werkzeugs gedeutet. Nicht selten aber hat der Gründer auf die Weltgeschichte und die der Kirche verweisen, die nur „sein“ Opus Dei vorbereitet haben, denn bis zum II. Vatikanischen Konzil hin hatte alles nur den Zweck, seine Gründung vorzubereiten. Alles kreist nur um ihn und fand seine letzte Erklärung in der göttlichen Bestimmung des Opus Dei und seiner Person.
Er verwendete auch manchmal Ausdrücke, die an die Häresie grenzen und nicht mehr nur rhetorisch aufzufassen sind: Meine Kinder, wenn ihr nicht durch meinen Kopf geht, wenn ihr nicht durch mein Herz geht, habt ihr euch im Weg geirrt, und ihr habt Christus nicht in euch. Das zeigt, bis zu welchem Grad er sich für einzigartig und für das Zentrum des Universums er sich hielt. Und deshalb glaubte er, dass jeder, der einer anderen Meinung war als er, seiner Berufung untreu war und einen sehr schlechten Geist hatte.
Laut Millon flüchtet „der Narzisst davor, wie die anderen zu sein, er unterscheidet sich ständig von dem, was die anderen machen“. Es gibt viele Verhaltensweisen Escrivás, die diese Eigenschaft bestätigen; beispielsweise hielt er es nicht aus, mit jemandem verglichen zu werden, er wollte keine geistige Einflüsse von anderswo zulassen und sich an nichts anpassen; sogar im Hinblick auf die kanonische Zuordnung sagte er: Wir sind einzigartig, und deshalb mengen wir uns nicht unter die anderen.
Folgen wir den Ausführungen Millons: „Sie halten ihre Ideen für revolutionär, im Sinn von originell und wichtig“. Man denke, wie Escrivá von seinem Charisma gesprochen hat: Seit den ersten Christen habe es nichts Vergleichbares gegeben – alt wie das Evangelium, und wie das Evangelium neu, sagte er – und er duldete nicht, dass man einen Bezug zu anderen Formen der Spiritualität herstellte, die es in der Kirche seit den ersten Anfängen gegeben hatte. Das ist höchst paradox, denn eine leidenschaftslos unternommen historische Studien würde er geben, wie viele religiöse Familien Escrivá in dem einen oder anderen Aspekt plump kopiert hatte. Aber wie sagt Millon, die Narzissten „werten den Beitrag anderer zu ihren Erfolgen ab”. Vor kurzem hat hier jemand über die völlig überzogene Reaktion Escrivá auf eine unschuldige Frage eines seiner Söhne nach dem Pater Poveda berichtet: Ohne es zu wissen, hatte der junge Numerarier den Finger auf eine Wunde des Narzissten gelegt.
Die Reaktionen, die Escrivá in seiner Zeit als Seminarist auf seine Haltung extremer Feinsinnigkeit und Köperpflege erfuhr, womit er sich auf einen Hinweis auf seine familiäre Herkunft abgrenzen wollte, eine Haltung, während nicht alle aus einem niedrigen Milieu stammten – sein Kollege Manuel Mindán Manero schreibt, dass es „viele Seminaristen aus einer besseren Familie“ gab, als es bei ihm der Fall war – das sind Fakten, die einen angeberischen, auf sich selbst und seine Dinge zentrierten Menschen verraten. oder der durch die Schwierigkeiten seiner Kindheit traumatisiert ist, die er kompensieren möchte.
Und außerdem ist die extreme Einfachheit seiner spirituellen und theologischen Überlegungen höchst auffällig. Für ihn war das Wirken Gottes klar und nachvollziehbar. Er wollte in seinem Leben kein Mysterium zulassen; alles war auf wundersame Weise klar, weil es sein Geist geklärt hatte – als ob Gott in Escrivás Händen wäre, statt umgekehrt.
Mir scheint jedenfalls, dass sich auch dieses dritte Phänomen problemlos in der Persönlichkeit des José María Escrivá nachweisen lässt.
d) Er fordert eine exzessive Bewunderung seiner Person
Der Narzisst: 4. Er fordert eine exzessive Bewunderung.
Millon sagt, dass sich die Narzissten „mit Personen umgeben, die sie bedingungslos bewundern“. Andere Personen ertragen sie nicht in ihrem Umfeld – man denke unter diesem Aspekt einmal an Alvaro Portillo oder Javier Echevarría. Dieser letzte kannte alle Fakten und Daten der Biographie Escrivás auswendig, und er war wirklich sein Abgott. In seinem Verhalten kopiert er lediglich, was unser Doktor schreibt:
Der Zusammenfall des Idealbilds mit dem Selbstbild erklärt das Gefühl von Größe, das die Narzissten aufweisen; sie fühlen, dass die anderen sie verehren müssten, und maßen sich Rechte über sie an. Das andere Ideal ist eine Person, die sie bewundert, sogar verehrt, die Seele und Körper dafür opfert, dass sich der Narzisst weiterhin für den Mittelpunkt des Weltalls halten kann. Und wenn das eigene Ideal auf das der anderen trifft, dann muss die Umgebung des Narzissten auch vollkommen sein. Die Unvollkommenheiten der anderen passen nicht zu dem Bild, das die Narzissten von sich selbst haben, und sie führen dazu, dass sie andere verachten und lächerlich machen (Theodore Millon, Trastornos de la personalidad en la vida moderna. Barcelona 2006, S. 362).
Ohne diesen pathologischen Charakterzug, sich nur mit bedingungslosen Bewunderern zu umgeben, würde man nicht verstehen, wie sich da Opus Dei entwickelt hat: als eine Form kollektiven Irrsinns. Die engsten Mitarbeiter wurden aufgrund ihrer Anhänglichkeit ausgewählt, weil sie bedingungslos an den Gründer glaubten. Ein anderer, unabhängiger Personentyp wäre für so viel Betrug und Manipulation nicht zur Verfügung gestanden; das erklärt, warum Escrivá die gestandenen Persönlichkeiten in andere Länder schickte, um dort die Arbeit zu beginnen, und del Portillo an seiner Seite behielt. Der Narzisst duldet in seiner Umgebung niemanden, der ihm widerspricht und der „seine“ Wahrheit in Zweifel zieht; er eliminiert sie sofort, wie er das auf unerbittliche Weise mit Maria del Carmen Tapia getan hat; da die Selbstachtung des Narzissten gering ist, braucht er im Grunde dringend Aufmerksamkeit und Bewunderung.
Die Narzissten sind gierig nach Lob; sie entwickeln unglaublichen Charme und hoffen, dass ihre Auftritte immer mit einem Hauch von Angeberei inszeniert werden. So schlug, auf die Initiative von Escrivá selbst und als Reaktion auf die erste Bischofsweihe eines Numerariers, Alvaro Portillo dem Generalkongress vor, den Männern wie den Frauen, dass man den Vater in Zukunft so grüßen solle: ein Knie am Boden, und mit einem Handkuss. Es durfte nicht weniger sein als bei anderen Hierarchen, seine hervorragende Rolle musste herausgestellt werden. Der Vorschlag wurde einstimmig und mit einem großen Applaus angenommen. Und da im Opus Dei alle Söhne des Vaters sind, wurde angeordnet, dass die Bischöfe ihre Distinktionen wegließen (Ring, Brustkreuz etc.), wenn sie in ein Zentrum des Werks kamen; zweifellos, um nicht besser dazustehen als der Gründer.
Andererseits darf man auch nicht die Vorliebe Escrivás für Ehren sowie Adels- und akademische Titel für gering halten, die Symbole für Prestige oder Auszeichnungen, die Änderung seines Vor- und Familiennamens, um sich den Anschein adeliger Abkunft zu verleihen. Sogar sein Doktorat aus Theologie kam auf betrügerische Weise zustande, aber er konnte ja nicht hinter den anderen zurückstehen und musste sein Image pflegen. Wie Vadovía hier geschrieben hat (6.XII.2006), erfüllte ihn „ein unstillbarer Durst nach Bewunderung und Verehrung, der es ihm verunmöglichte aufrichtig zu reflektieren. Er flüchtete in sein eigenes Bild von Größe, und das erlaubte ihm, sein angeschlagenes Selbstkonzept aufzurichten und mit sich selbst besser zurechtzukommen“.
Erinnern wir uns an einige Ausdrücke Millons über die Narzissten, die hier sehr passend sind: „Der implizite Zweck des Umgangs mit anderen ist es, ihnen die eigene Größe (Name, Adelstitel, Heiligkeit etc.) vorzuführen, um derentwegen sie anerkannt und bewundert werden wollen“. Und an einer anderen Stelle fügt er hinzu: „Sie machen große Anstrengungen, um ihr öffentliches Image zu verbessern. Sie wenden exzessiv viel Geld auf, um Respekt einzuflößen, ihr Image zu wahren und Bewunderung zu wecken“. Der Grund für all das ist es, dass sie es nicht ertragen, wenn sie den Eindruck vermitteln, dass sie auch nur die geringste Unvollkommenheit aufweisen. Im Falle Escrivá war die subjektive Lösung, Gott dazwischenzuschalten und seinen Handlungen angeblich übernatürliche Motive zu geben, um vor den anderen seine Launen und seine willkürliche Vorgangsweise zu rechtfertigen. Die Verteidigung des Opus Dei und der Wille Gottes waren immer seine Ausreden. Deshalb sind diese Ausdrücke auch in den Bildungsmitteln des Werks allgegenwärtig und bilden eine Konstante in der Leitung des Opus Dei.
Es gibt viele weitere Belege im Leben Escrivá, die man anführen könnte, um dieses unstillbare Verlangen nach Bewunderung zu belegen, das den Narzissten eigen ist, aber mir scheint, mit dem bereits Gesagten und mit dem, was allen ja bestens bekannt ist, soll es genügend. Folgen wir also dem Raster, nachdem wir bei Escrivá bereits vier Symptome nachgewiesen haben.
e) Irrationale Angeberei
Der Narzisst: 5. Er gibt ziemlich an, z. B. mit unrealistischen Erwartungen, dass er eine besondere Gunst erwartet oder dass sich seine Hoffnungen von selbst erfüllen werden.
Der Narzisst fühlt die große Notwendigkeit, Bewunderung zu wecken. Er benimmt sich so, als hätte er Sonderrechte über die anderen, das heißt, er hat exzessive und irrationale Erwartungen., Begünstigungen oder eine besondere Behandlung zu erhalten. Er hofft auf eine gute Betreuung und wird wütend, wenn das nicht der Fall ist. Den anderen muss klar sein, dass der Narzisst eine Ausnahmeerscheinung ist; normale Höflichkeitsformen sind ihm gegenüber schon so etwas wie eine Beleidigung, denn er ist eine singuläre Erscheinung und will auch so behandelt werden.
Während seines ganzen langen Aufenthalts in Rom ging Escrivá niemals zu Begegnungen, bei denen nicht von vornherein klar war, dass er die Hauptperson sein würde. Deshalb ging er kaum irgendwohin. Niemals ging er zu einem Begräbnis eines Kardinals oder irgendeiner anderen Persönlichkeit, sei es der Kirche oder einer anderen. Er empfing nur zuhause, pflegte man im Opus Dei zu argumentieren; so berichtet es María Angustias Moreno in El Opus Dei. “Entresijos de un proceso” (Madrid 1993) S. 63.
Aber eines Abends Ende der vierziger Jahre lud der damalige spanische Botschafter beim Vatikan, der Christdemokrat Ruiz Giménez, Escrivá zu einem Empfang in die Spanische Botschaft ein; so erzählt Antonio Pérez. Bei der Begegnung begrüßte er ihn mit einem einfachen „Wie geht es Ihnen, Vater Escrivá?” Der Gründer des Werks drehte sich unvermittelt um und ging. Dann erklärte sein Stellvertreter, Alvaro Portillo, dass das nicht die Art war, wie man mit ihm umgehen durfte: Der Botschafter Ruiz Giménez hätte entweder Vater oder Monsignore Escrivá sagen können, aber nicht „Vater Escrivá”: vgl. Antonio Pérez Tenessa, Testimonio, in: Alberto Moncada Historia oral del Opus Dei (Barcelona 1987), S. 63.
„Ihm gefielen teure Gegenstände, teure Restaurants und alles Gediegene“, bekannte eine der Numerarierinnen, die er zu seinen Diensten hatte. Er kaprizierte sich auf die teuersten Dinge, die er auf seinen Reisen sah, und die Mitglieder des Opus Dei hatten keine andere Wahl als sie ihm zu schenken. Vor allem hatte er eine Schwäche für Reposteros, sehr dekorative rechteckige Banner mit Wappen, die er in allen Vestibülen und Gängen der Zentren und Häuser des Opus Dei anbringen ließ. Rosario Badules erzählt (vgl. ihr Zeugnis in dem Buch Escrivá de Balaguer ¿Mito o Santo? S. 25), dass er bei einer Gelegenheit in Sevilla war und im Speisesaal des Studentenheims der Männer aß. Weil der Speisesaal sehr groß war, wurde er durch zwei Wandschirme abgetrennt, die einer adeligen andalusischen Familie gehörten. Als Escrivá die Wandschirme sah, hörte die Numerarierin, die in der Küche sein essen zu bereitete, wie er sagte: —Diese Wandschirme sind für Rom. Da die Besitzer sie nicht herschenken konnten, weil sie zum unveräußerlichen Erbe der Familie gehörten, spedneten sie viel Geld, sodass zumindest gleichwertige angeschafft werden konnten.
Etwas Ähnliches geschah in Madrid mit einem historischen Gobelin. Er gefiel ihm auch sehr – so erzählte Rosario Badules— und sagte dann den Mitgliedern des Opus Dei, dass sie darum bitten sollten. Er konnte es nicht bekommen, weil er zum unveräußerlichen Fideikommiss einer Familie gehörte. Sie waren also bei einem Antiquar und kauften einen ähnlichen Gobelin – der in den sechziger Jahren eine Million Pesetas kostete. Als er nach Rom kam, ließ er den Gobelin aufhängen, rief einige Mitglieder des Opus Dei und sagte ihnen: — Sehr, meine Söhne – das sind die Geschenke, die mir meine Töchter machen. Lernt daraus." Geschenke oder Eigengeschenke? Verteidigung eines „göttlichen Geistes“ oder pathologische Kapricen eines Verrückten? Der Leser möge selbst urteilen; es wird ihm nicht schwerfallen.
Einmal ließ er eine silberne Terrine, wunderbare italienische Juweliersarbeit, kaufen und sagte: „Das ist für den Fall, dass die Kardinäle kommen, damit ihnen der Mund offen stehenbleibt und sie sagen; Aaaah!“ Ein anderes Mal wollte er eine Sammlung alter Goldmünzen aus der Zeit Karls III. die so genannten Peluconas, und er bekam sie auch, wie immer, dank der reichen Supernumerarierinnen des Opus Dei. Das Gleiche war mit einer Sammlung alter Fächer, die er für eine Vitrine im Zentralhaus in Rom haben wollte. Ein anderes Mal, als er Juwelen haben wollte, bekam er einen sehr großen Smaragd „damit er unter der Schale eines Kelchs verborgen ist und nur Gott ihn sieht“, obwohl er dann in der Sakristei mit indirektem Licht angestrahlt wurde, damit jeder ihn sehen konnte. Diesen gewaltigen Smaragd verschaffte ihm der Priester Manuel Botas in einem südamerikanischen Land, der zu einer Dame ging, um sie um einen großen Gefallen für das Werk zu bitten, „im Namen Gottes“. Diese Frau sagte zu, wenn es in ihrer Hand wäre, und der Kleriker meinte: „Es ist genau in Ihrer Hand, worum ich Sie bitte“. Solche Handlungen hatten nur einen Zweck, den Gründer glücklich zu machen mit Dingen, die ihm gefielen, um, wie er sagte, „dem Herrn diese kleinen Aufmerksamkeiten zu erweisen“. Aber ist das wirklich die reife Frömmigkeit eines Christen, der mit seinem Leben für die evangelische Armut Zeugnis ablegt? Oder werden wir hier Zeugen der Eigenarten eines sentimentalen Narren, der seine Frömmelei zeigt und auf pathologische Art und Weise sein Innenleben nach außen stülpt?
Wegen seines zarten Gesundheitszustandes hatte der Gründer eine ganz besondere Diät und aß fast immer „allein“, das heißt, zusammen mit seinem Stellvertreter Alvaro Portillo, und auch mit Javier Echevarría, und eine treue Dienerin bediente ihn beim Essen. Diente diese Isolierung nicht vielmehr dazu, seine Erhabenheit auszudrücken? Sicher ist, dass ihm über Jahre hinweg immer dieselbe Auxiliarin das Zimmer reinigte, der Tisch wurde ihm immer von demselben Fräulein gedeckt, mit Häubchen, weißer Schürze und schwarzer Uniform, einer anderen Auxiliarin. Und nach dem Zeugnis von María Angustias Moreno waren um Escrivá noch zwei weitere Numerarierinnen, durch ihre Universitätsstudien hinreichend qualifiziert, um seine Mahlzeiten auszuwählen und zu überwachen, für seine Wäsche und die Sauberkeit seiner Zimmer zu achten und ihm die Paramente in der Kapelle vorzubereiten.
Diese beiden besonders sorgfältig ausgewählten Numerarierinnen bereiteten ihm mit großer Sorgfalt das Essen und begleiteten ihn auch auf Reisen, sie deckten ihm den Tisch mit Dosen von französischen Pasteten und Blumen sowie anderen erlesenen Lebensmitteln, nach dem Zeugnis von Rosario Badules (s. o., S. 26). Während alle anderen Mitglieder des Opus Dei aufgefordert wurden, ohne Widerstreben das zu essen, was man uns hinstellte, ohne Ausnahme, reiste der Gründer immer in Begleitung einiger Numerarierinnen, die damit beschäftigt waren, ihm ein Essen nach seinem Geschmack zuzubereiten. Wenn das nicht in seinem Sinn geschah, gab es oftmals gewalttätige Ausbrüche, wie bei einem seiner Besuche im Studentenheim La Estila (Santiago de Compostela), wo er höchst ungnädig wegen winziger Details war, z. B. wegen der Sorte Brot, die man ihm gereicht hatte, und er zeigte deutlich seine Verärgerung, denn noch dazu gab es damals aufgrund einer Panne kein Wasser im Studentenheim.
Ich denke, dass es angebracht ist zu wissen, dass die Institution ihren Gründer ständig so behandelt hat, und dass es mit seinen Nachfolgern nunmehr nicht anders gehandhabt wird: Auch sie reisen mit einem speziellen Team, wenn sie in ein Zentrum außerhalb Roms essen gehen. Häufig wird bei diesen Reisen eine Numerarierin, die vor Ort lebt und eine ausgezeichnete Köchin ist, einige Monate im Voraus (!) avisiert, welche Menüs vorzubereiten sind und auch, wie diese ästhetisch zu präsentieren sind. Das Projekt wird im Regionalen und Zentralen Assessorat überprüft, und die Vorschläge gehen hin und her, so oft es nötig ist, oft auch ein dutzendmal. Wie muss ein gewöhnlicher Christ von dieser Lebensweise denken? Sie passt vielleicht zu einem despotischen „Marquis“ aus anderen Jahrhunderten, aber sie ist kein Modell der Heiligkeit für ordinary people, normale, einfache Menschen, die die Armut ohne Aufheben leben. Oder soll man die überfeinerten Bequemlichkeiten des gehobenen Bürgertums als „göttlich“ verstehen – auch das ist nicht frei von Standesdünkel – mit der Ausrede, dass wir säkular sind? Diese institutionellen Verhaltensweisen, die Escrivá selbst aufgebracht hat, sind auch Ausdruck einer Wertschätzung und eines fanatischen Umgangs mit dem Chef, als ob er ein Halbgott wäre.
Aber bleiben wir bei den Beispielen. Wenn in Rom ein Kardinal zum Essen eingeladen war, mussten die Auxiliarinnen zuerst Escrivá servieren, oder zumindest zu zweit gleichzeitig ihm und dem Kardinal. Zum Schein aß er wenig, aber er verlangte, dass der Tisch perfekt gedeckt war und dass tadellos serviert wurde. Er stellte auch höchste Anforderungen an die kulinarische Qualität, und einmal ließ er sich eine Tortilla insgesamt siebenmal zubereiten, bevor sie nach seinem Geschmack war (vgl. die Zeitschrift Cambio 16, vom 16. März 1992, und das Buch Escrivá de Balaguer ¿Mito o Santo?, S. 255). Das passt perfekt zum Verhaltensmuster von Narzissten: Diese pflegen wütend zu werden, wenn die Dinge nicht sofort verfügbar und nach ihrem Geschmack sind, denn ihre Pathologie macht sie unduldsam.
Luis Carandell berichtet von einem signifikanten Ereignis. In Lissabon hatte er einmal große Lust, eine Languste zu essen. Merkwürdigerweise fanden seine Jünger an diesem Tag keine auf dem Markt. Der Gründer erregte sich so sehr, dass er keinen Bissen zu sich nahm, und er regte sich darüber auf, dass seine Begleiter dennoch zu essen wagten. Er erzählt auch, dass ihm die Mitglieder des Opus Dei am 6. Januar in den Roscón, den traditionellen Dreikönigskuchen, statt der sonst üblichen Glücksbringer Goldmünzen steckten, Peluconas, weil sie wussten, dass es ihm eine enorme Befriedigung verschaffte, wenn er sie fand (vgl. La otra cara del Beato Escrivá, in Cambio 16, 16. März 1992).
Ich möchte den Leser nicht ermüden. Aber ich möchte ein letztes Zeugnis anführen; das von Blanca Ortíz de las Heras. Sie sagt: „Wenn der Vater nach Spanien kam, war die Verschwendung unglaublich; wenn es um ihn ging, schaute man nicht auf das Geld, denn Vater gibt es nur einen, sagte man. Ich kenne eine Person, die drauf und dran war das Werk zu verlassen, als sie auf einer seiner Reisen drei Tage lang einen Hecht für ihn suchte. Eines Tages sagte der Vater: Wenn ihr schlau wärt, würdet ihr mir den teuren Wein in ein Wasserglas geben, damit ich es nicht merke“. Aber diese Numerarierin fügt hinzu: „Ich habe die teuerste Dinge in Madrid gekauft, um sie nach Rom, zu schicken, Früchte außerhalb der Saison, süße Mandeln, die es nur in einem bestimmten Geschäft zu kaufen gibt All das wurde nach Rom geschickt, damit es der Vater in den Tertulias hergibt. Ein anderes Mal hatten seine Neffen Erstkommunion in Molinoviejo. Dort verwandelte sich alles in einen Blumengarten; und sie kamen nicht einmal aus Segovia, das in der Nähe ist, sondern von Burguiñón, dem teuersten Geschäft Madrids. Und in der Speisekammer gab es alle Arten von Süßigkeiten, damit sich die Neffen nehmen konnten, worauf sie Lust hatten” (vgl. das zitierte Buch Escrivá de Balaguer Mito o Santo?, S. 255).
Man braucht also nichts hinzuzufügen; das „fünfte Symptom“ Escrivás kann als abgearbeitet gelten.
f) Ausbeutung anderer
Der Narzisst: 6. Er beutet andere aus, z.B. bedient er sich ihrer, um seine eigenen Ziele zu erreichen.
Solchen Menschen sind die Rechte und das Wohlergehen ihrer Umgebung egal. Für sie besteht der Rest der Menschheit lediglich aus Arbeitsbienen, die zu arbeiten und sich von ihnen herumkommandieren zu lassen haben, aber niemals eigene Ideen haben dürfen, und schon gar nicht ein eigenes Leben planen dürfen, das auf die Wünsche und Pläne der Narzissten nicht eingeht. So erwarten sie von ihren Untergeben eine hingebungsvolle Widmung an ihre Aufgaben, zusätzliche Dienste, wenn es nötig ist, eine heroische Ausführung, sie selbst aber fühlen sich in keiner Weise für ihre Mitarbeiter verantwortlich. Außerdem werden sie wütend, wenn sie nicht augenblicklich das bekommen, was sie verlangen. Bei den Narzissten ist die Ausbeutung der anderen kein Ausdruck besonderer Bosheit; sie behandeln sie so, weil sie das Gefühl haben, diese müssten für sie da sein.
Mir scheint, dass der gewöhnliche Umgang des Gründers des Opus Dei mit seinen Untergebenen – Kindern? – und mit den anderen nichts damit zu tun hatte, dass sie ihre spezifischen Fähigkeiten entfalten könnten, dass es um ihr Wohl oder ihre Bildung ging; wichtig war nur, was der Organisation dienen konnte. Ihre totalitaristische Mentalität brachte sie dazu, bis in die intimsten Bereiche der Persönlichkeit und des Gewissens einzudringen. Es gab praktisch keinen Bereich freier Autonomie, und man nannte das „Ganzhingabe“. Es war aber keine Hingabe an Gott, sondern an das Unternehmen Escrivás: Er war berufen zu entscheiden, was wichtig war, und sobald sie Weichen gestellt waren, mussten sich die Untergebenen zu ihrer Verwirklichung aufopfern.
Einzig wichtig für den Narzissten ist, was ihn betrifft. Die Erfolge und Projekte der anderen sind irrelevant, außer wenn sie seinem eigenen Ehrgeiz dienen. Das er klärt die Art seiner Reaktion, wenn seine Jünger politische Ämter erhielten oder politische Triumphe feierten. Zu dieser mangelnden Kooperationsbereitschaft passt, was einer seiner Kameraden aus dem Seminar, Mindán, erzählt: „Er machte nicht bei „Unserem Apostolat“ mit, das wir zur Betreuung der Presse eingerichtet hatten, und auch an keiner Nachtwache, die die beiden Seminare gemeinsam abhielten, und er nahm auch nicht an der Katechese teil, die wir am Sonntagmorgen abhielten, und er gehörte auch nicht zu der von Seminaristen gebildeten „Asociación Misional“, die ihre Wurzeln in Madrid hatte“ etc. Er hatte keinen akademischen Grad, weder aus Philosophie, noch aus Theologie oder Kanonischem Recht an der Päpstlichen Universität erworben, allerdings machte er in den letzten Jahren einige Prüfungen an der Juristischen Fakultät, wenn auch nicht alle“.
Die anderen freilich müssen immer seine Launen berücksichtigen. Für die Mitglieder des Opus Dei war die Hingabe an Escrivá bedingungslos; keinerlei Einwand wurde akzeptiert, auch nicht die geingste Abweichung wurde toleriert: Alle Männer und Frauen im Werk wurden wie eine Miliz oder ein perfektes paramilitärisches Korps angesehen, wie J. M. Castillo in seinem Beitrag La anulación del discernimiento [Die Ausschaltung des Verstandes] berichtet, der in dem bereits erwähnten Band über den Mythos Escrivá abgedruckt ist (S. 136). Er war besessen von der absoluten Macht und der Abwesenheit von Kritik in seiner Organisation, sodass kein Anhauch von Kritik oder Kontrolle seine Anordnungen stören konnte, auch wenn das manchmal klüger gewesen wäre.
Die Narzissten sind auch Personen, die auf ihr Interesse fokussiert sind und der Wahrheit gegenüber indifferent sind, häufig genug opportunistisch, und die die anderen für den eignen Vorteil ausbeuten. Im Fall Escrivás zeigt sich das sogar in seiner Beziehung zu Gott, die in mancher Hinsicht nach merkantilistischen Parametern abzulaufen schien, das heißt, eine Heiligkeit und ein inneres Leben, das nicht als Geschenk aufgefasst wurde, sondern in die sich materialistische Interessen mischten und von Gegenleistungen die Rede war, dass er sogar den Namen Gottes auf den Lippen führte, wenn er etwas erreichen wollte oder wenn es mit seinem Denken übereinstimmte. Es hatte den Anschein, als ob er einen Gott zur Verfügung hatte, der ihm bei seinen Phantastereien behilflich war.
Die Narzissten neigen dazu zu denken, dass ihnen alle Arten von Privilegien und außerordentlichen Hilfsmitteln zustehen, und genauso verhält es sich in der Biographie Escrivá: Er verlangte ständig Privilegien und Ausnahmen, auch wenn das oft verschleiert wurde. Einen normalen priesterlichen Dienst in seiner Diözese hielt er nicht aus, also suchte er eine Ausrede, um nach Madrid zu übersiedeln. Hier verbrachte er viele Jahre, um sich zu inkardinieren, und er hatte auch keine diözesane seelsorgliche Aufgabe, sondern er jobbte auf eigene Faust. Und dann begann er mit seiner Gründung, und plötzlich wurde alles an ihm zur Besonderheit. Seine Beziehungen zum Vatikan bestehen aus der dauernden Bitte um Privilegien und der Suche nach einer speziellen kanonischen Stellung, die ihm seine Unabhängigkeit von den anderen garantieren sollte. Mit der Ausrede, dass Gott es so wolle, glaubte er das Recht zu haben zu verlangen, dass niemand ihn kontrollieren solle. Deshalb suchte er immer und um jeden Preis ein juristisches Statut mit der größtmöglichen Unabhängigkeit, indem er buchstäblich den Heiligen Stuhl betrog, indem er alles, was die innere Disziplin seiner Institution betrifft, hinter dessen Rücken regelte.
Und wir könnten noch fortfahren; aber das bereits Gesagte reicht aus, das „sechste Symptom“ der Narzissten, von DSM-IV, in der Persönlichkeit Escrivás nachzuweisen; wir hätten also schon genug, um der medizinischen Diagnostik Gültigkeit zuzuschreiben.
g) Fehlen von Empathie
Der Narzisst: 7. Fehlen von Empathie: Unfähigkeit, die Gefühle und Bedürfnisse anderer wahrzunehmen und zu verstehen.
Die Narzissten sind unfähig, sich den anderen mit Empathie zuzuwenden, eine Liebesbeziehung zu entwickeln; das heißt, sie können nicht spüren und verstehen, was andere Menschen erfahren. Deshalb zeigen sie eine gewisse Unbeteiligtheit und Langeweile, die sofort verschwinden, wenn sie in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rücken.
Im Falle Escrivás war eine seiner Reaktionen bekannt geworden, in einer der vielen Tertulias, die er in Südamerika hielt – angesichts der Verzweiflung einer Mutter, die ihre drei Söhne verloren zu haben glaubte, weil sie Mitglieder des Opus Dei geworden waren. Der angehende Heilige antwortete ihr: Ich spreche nicht mit Gluckhennen. Es bleibt merkwürdig, dass diese Passage, von Kameras aufgezeichnet und eine Zeitlang hergezeigt, jetzt aus den Kurzfilmen verschwunden ist, die in den Zentren gezeigt werden.
Einem Narzisst fällt es sehr schwer, uneigennützige Beziehungen aufzubauen, echte Freundschaften mit andern Personen, denn er richtet sich nach dem Prinzip der Nützlichkeit: Die „Freundschaft“ verschwindet, wenn der andere aufhört nützlich zu sein. Im Opus Dei zeigt sich das am Umgang mit jenen, die das Werk verlassen; auch in diesem Punkt werden die Unarten des Gründers exakt nachgeahmt.
Die Narzissten knüpfen gewöhnlich erfolgreich Kontakte, aber sie scheitern in ihren Freundschaften – sie haben keine echten Freunde. Sie haben lediglich loyale Bewunderer, und das suchen sie auch: einen Kreis von Bewunderern, die sie anbeten. Die Familie hat nur die Bedeutung, die ihre Mitglieder für den Narzissten haben können; die Beziehungen zu den anderen hat immer einen bestimmten Zweck; und sie sind so egoistisch, dass sie diesen Missbrauch nicht einmal bemerken. Die Beziehungen von und mit Escrivá hatten diese Charakteristiken – sie spielten sich niemals im Bereich menschlicher Freundschaften ab, auf Augenhöhe, denn er musste immer im Mittelpunkt stehen, den Vorrang haben und bewundert werden. Auch deshalb war er zu einem tiefen Verständnis der Personen und Situationen unfähig, oder er zog daraus nur eine persönliche Erfahrung, die ihm als Anhaltspunkt diente.
Der Narzisst spricht nur von sich selbst. Er zeigt sich ungeduldig und geringschätzig, wenn andere von ihrem Leben und ihren Gefühlen erzählen. Wenn ein anderer das Wort ergreift, wird er ihn sogleich unterbrechen, um wieder die Kontrolle über das Gespräch zu bekommen, weil ihn nicht interessiert, was in den anderen vorgeht, und er gönnt ihnen nicht viel Zeit, über sich zu sprechen. Tatsächlich ist verblüffend wie deutlich hierin die narzisstischen Verhaltensweisen Escrivás zutage treten; er sieht immer nur sich, stellt sich in das Zentrum der Aufmerksamkeit, präsentiert sich als Gegenstand der Bewunderung, spricht ständig über sich und stellt sich den anderen als Beispiel vor, das es im geistlichen Leben nachzuahmen gilt, im Umgang mit der Jungfrau Maria, in der Abtötung, im Leid, in der Art, das Gebet zu machen – denn alles an ihm war beispielhaft, seit seiner Kindheit, in seiner Liebe zum Papst – auch wenn er von niemandem gut sprach, mit dem er zu tun hatte, etc. Der Gründer sagte, dass er nicht gerne über sich selbst spreche, aber er tat nichts anderes. In den Tertulias hörte er nicht auf über sich zu sprechen. Seine Predigten uns Schriften beziehen sich stets auf seine Person; alles dreht sich um den „Heiligen“, also ihn selbst, auch wenn er sich manchmal statt als Heiligen als Sünder bezeichnet. Alles, was ihn betrifft, bekommt ein transzendentes, historisches Relief und wird zum Beispiel für die anderen. Nichts ist privat an ihm, alles ist Mittel der göttlichen Rettung für viele. Das ist ganz deutlich pathologisch. Seine Einschätzung als Mittler ist nicht die der Heiligen, deren Demut sie dazu bringt, beiseite zu treten, damit nur Gott in Erscheinung tritt. Auch wenn er beständig wiederholte, meine Aufgabe ist es mich zu verbergen und zu verschwinden, damit einzig Jesus ans Licht trete, so war die Wirklichkeit genau umgekehrt, und er setzte sich immer in den Mittelpunkt - und seine Nachfolger wiederholten das bis zum Überdruss, denn die Persönlichkeit Escrivá hat sich eine fanatische Verehrung in seiner Organisation geschaffen, die immer nur um ihn kreist, als ob es sich um einen Gott handle, denn im Opus Dei spricht man mehr vom Gründer und vom Werk als von Gott.
Die Jünger – denn seine loyalen Gefolgsleute sind keine Mitglieder, sie sind Jünger – müssen außergewöhnliche Fähigkeiten haben, aber sie dürfen niemals mit dem Narzissten in Konkurrenz treten; ihr Abglanz darf nur Widerschein des Lichts des Meisters sein – man braucht hier nur an die Gestalt Alvaro del Portillos zu denken, um sich dies zu vergegenwärtigen.
Die Narzissten rufen Bewunderung und Loyalität hervor, und ihre ängstlichen Jünger machen den Führer noch größer, sie verwandeln ihn in ein Ideal, ein vollkommenes Wesen; aber sie versteigen sich nicht dazu, eigene Ideen zu haben, sondern verstärken die ihres Führers. Originalität wird mit Geringschätzung aufgenommen, denn sie würde bedeuten, dass die „prophetische“ Vision des Meisters unvollständig war. Unter diesen Prämissen verstand es Escrivá, sich mit einem harten Kern bedingungsloser Bewunderer zu umgeben, die ihn mit einem absoluten Glauben an seine Person deckten und seine Exzentrizität beschönigten. Ohne sie hätte er gar nichts tun können, und deshalb sind sie mitverantwortlich für den Mythos, der um seine Person entstanden ist.
Meiner Auffassung nach ist die Unfähigkeit zur Freundschaft und zur wahren Sorge um die anderen en ganz besonderes Charakteristikum des Gründers des Opus Dei, das sich in seinem Leitungsstil niederschlägt, aber auch in seinen Normen und internen Regelungen. Wir haben also keine Schwierigkeit, auch das siebente Kriterium der DSM-IV-Diagnose auch bei Escrivá festzustellen
h) eine ausgeprägte Neigung zum Neid.
Der Narzisst: 8. Häufig beneidet er die anderen oder glaubt, dass die anderen ihn beneiden.
Die Narzissten kompensieren die „Wunden“, die sie im zarten Alter erlitten haben, und suchen deshalb ständig nach einem Status, nach Anerkennung und Prestige. Sie sind sehr sensibel, was die Reaktionen der anderen betrifft. Wenn sie ein kritisches Urteil wahrnehmen, fühlen sie sich angesichts der geringsten Missbilligung zurückgesetzt. Bemerkenswerterweise berichtet einer der ersten Jünger Escrivás (vgl. die Tageszeitung El País, 28. Juli 1991) , dass dieser einer „schrecklichen Komplex“ gehabte habe seit der Zeit, als sein Vater mit seinem Kleidergeschäft Schiffbruch erlitt und Barbastro verlassen musste. „Er litt sehr darunter – sagte er – wenn er sich vor Personen der Aristokratie vorstellen und richtigstellen musste, dass sein Familienname nicht Escrivá de Romaní, sondern Escrivá y Albás war. Er bewunderte die Marquisen und war von diesem Problem so eingenommen, dass er keine Ruhe gab, bis er den Titel eines Marqués de Peralta trug”.
Die Narzissten zeigen sich sehr ungnädig, wenn man ihre Unvollkommenheiten aufdeckt. Sie zeigen sich sehr sensibel und erlauben es niemandem sie zu kritisieren. Deshalb entwickeln sie Verteidigungsstrategien, sie unterdrücken jede kritische Information, auch wenn sie gut gemeint ist, und in seiner Hypersensibilität pflegte Escrivá Verschwörungstheorien gegen sein Werk, das der Teufel zerstören wollte, der sich in die Kirche eingeschlichen hatte und besonders durch einige Personen der Kurie während des Pontifikats Pauls VI. wirkte. Andererseits machte er die „makellose Einheit“ mit den Oberen zur obersten Regel, und dementsprechend galt jede Abweichung als die größte denkbare Sünde im Opus Dei, die mit dem sofortigen Ausschluss bestraft wurde.
Außerdem nützen die Narzissten Rationalisierungen, um eine alternative Wirklichkeit zu konstruieren, die auf realen Fakten beruht, aber ihre Bedeutung verändert, mit der Absicht, Fehler und Ausbeutung anderer zu entschuldigen. Ein neues Szenario wird erschaffen, das die Wirklichkeit ersetzt. Bei Escrivá waren es notorische Fehler, die sich in Tugenden verwandelten; sein schlechter Charakter hieß „Starkmut“, um die Pläne Gottes durchzuführen und das Werk voranzubringen, die Kapricen und die Intoleranz nannte er „Eifer“, um die Vollkommenheit der kleinen Dinge und die Liebe zu Gott, die Unterdrückung der Meinungsfreiheit nannte er „Dienst an der Einheit mit Gott“, und wenn er jemanden grundlos schlecht behandelt hatte, suchte man nach einer Ausrede, um das Opfer zu disqualifizieren. Aber lesen wir wörtlich, was Millon schreibt:
Dieser massive Einsatz von Rationalisierungen gibt uns einen Begriff, wie der Geist des Narzissen verfasst ist. Der erste Eindruck ist der eines intelligenten, soliden, geordneten Menschen mit Hintergrund. Freilich bringt er nur wenige Ideen vor, die nicht dem Zweck dienen, die Bewunderung seiner Zuhörerschaft zu wecken. Wenn verdächtige Indizien zutage treten, konzipieren die Narzissten eine subtile Abfolge von Ereignissen, durch die sie sich und die anderen davon überzeugen, dass sie immer nur im Recht gewesen sind, dass sie alles schon vorab so geplant hatten und dass alles Teil eines großartigen Plans ist. Die innere Welt des Narzissten weist keine solide ideologische Basis auf, sie bildet sich aus wechselnden Konstruktionen mit irgendeiner zeitlich begrenzten Absicht oder einer Notwendigkeit. Seine Argumente müssen nicht absolut verteidigt werden, da sie sich nach einem neuen Vorschlag durchaus wieder anders präsentieren können. Seine Interpretation der Welt basiert mehr auf Zweckmäßigkeit als auf Prinzipien, so kann man sie leichter variieren, je nachdem, wie sie die eigenen egozentrischen Absichten besser stützen können, und sie spiegeln die Existenz eines allgegenwärtigen Über-Ich wider. Für die Mehrzahl der Narzissten sind Moralität und Werte nichts anderes als eine weitere Einschränkung seines grenzenlosen Verlangens nach Allmacht (Theodore Millon, Trastornos de la personalidad en la vida moderna. Barcelona 2006, S.359-360).
Es ist klar, dass die Werte des Narzissten oberflächlich und wechselhaft sind; seine Vorstellung von Ethik und Moral sind brüchig, denn er missachtet das Gesetz, wenn es ihn stört. Und tatsächlich hat sich Escrivá in seinen Handlungen niemals bedingungslos tieferen Werten verbunden gefühlt, sondern er handelte aus einem ausgeprägten Utilitarismus, an dem keine Spur von Menschlichkeit war. Gesetze konnte man umgehen, wenn der Zweck die Mittel heiligte, oder wenn sie seine Willkür einschränkten; das gilt auch für die kanonischen Gesetze.
Ein normales Gewissen würde davor zurückscheuen, solche Wertungen vorzunehmen, aber die Narzissten fühlen sich dazu berechtigt. Sie sind es, die die moralischen Werte verkörpern, aber mit einem übertriebenen Überlegenheitsgefühl, und das führt sie dazu diejenigen zu verachten, die unfähig sind, moralisch „rein“ zu sein. Diese Charakteristiken treffen auf Escrivá zu, wenn wir einerseits seinen sexuellen Puritanismus betrachten, und andererseits seine Zungenfertigkeit, wenn er erbarmungslos viele andere Priester oder Laien heruntermachte. Heftig ist, wasMiguel Fisác als Zeitzeuge berichtet: „Ich habe ihn niemals über irgendjemanden Gutes sagen hören, außer über Alvaro Portillo”.
Für viele Spezialisten ist die narzisstische Persönlichkeit grundsätzlich eine defensive Konstruktion der Subjektivität. Dieser Aspekt passt zu der Beurteilung Escrivás, die Estruch in Santos und pillos vornimmt: „Wenn wir den Charakter dieser Person aufgrund seiner zahlreichen Namensänderungen beurteilen müssten, würden wir sicher einen Fall finden, der der Psychoanalyse wert ist, mit einer Reihe von Symptomen, die man als Zeichen der Instabilität werten müsste, oder dass er seine eigene Herkunft nicht akzeptiert, oder dass die Identität seiner Persönlichkeit labil ist und ihre Aufrechterhaltung prekär“.
Und je zerbrechlicher dieses grandiose Ego ist, desto sensibler sind die Narzissten, und mit umso größerer Leichtigkeit tritt ihr verbaler Zorn zutage. Dieser Zorn, eine verborgene Aggressivität, lauert immer im Unbewussten und kann sofort hervorbrechen, wenn ihn jemand missachtet oder, schlimmer noch, kritisiert. Es gibt zahllose Zeugnisse von Personen, die über diese Verhaltensweise bei Escrivá berichten, auch wenn einige sie als „Tugend“ maskiert haben.
Antonio Pérez erzählt, dass Escrivá glaubte, dass er als Gründer des Opus Dei für seine Söhn eine größere Bedeutung haben müsse als Bischöfe und Kardinäle, ja sogar Päpste. Deshalb entwarf er eine eigenartige Bestimmung: Wenn es kirchliche Persönlichkeiten in Werk gibt, so sind diese Personen mit ihrer Ernennung zu Bischöfen oder ihre Berufung zu anderen kirchlichen Aufträge von der Zugehörigkeit und den Verpflichtungen ihren Institutionen gegenüber befreit. Im Opus Dei bestimmte hingegen Escrivá, dass die Unterordnung unter den Vater gewahrt bleiben muss, auch in symbolischen Akten des Respekts. Antonio Pérez erinnert sich, dass einmal Lucho Sánchez Moreno nach Rom gekommen war, ein peruanischer Numerarier, der im Generalsekretariat gearbeitet hatte und dann zum Bischof ernannt worden war; als er ihn sah, ging er hin, begrüßte ihn und küsste ihm den Bischofsring. Dem Vater gefiel das gar nicht, denn „zuhause küsst man nur dem Vater die Hand“. Kommentare erübrigen sich.
Es ist bezeichnend, dass Escrivá in seiner Umgebung keine hervorragenden Leute duldete, die es aufgrund ihrer Kompetenz mit seinem Prestige aufnehmen konnten, schon gar nicht wenn sie anders dachten oder in legitimer Autonomie handelten. Wenn sie sich ihm nicht vollständig unterwarfen, wurden sie marginalisiert; das war der Fall bei Ramón Paniker, Carmen Tapia, Antonio Pérez selbst und vielen anderen. So findet sich also auch das „achte Symptom“ im Handeln Escrivás, wenn er es auch sorgsam damit maskieren wollte, dass er nur seine Pflicht erfüllte, um das empfangene Charisma zu verteidigen.
i) Arroganz
Der Narzisst: 9. Er weist eine stolze, arrogante Haltung oder Verhaltensweisen auf.
Das äußere Verhalten eines Narzissten pflegt also arrogant, geringschätzig und überheblich zu sein. Sie werden wütend gegen diejenigen, die ihnen widersprechen und durch die sie sich gekränkt fühlen. Oft zeigen sich unangemessene Wutausbrüche und öffentlich erteilte schlimme Zurechtweisungen, wenn man nicht sofort macht, was er sagt, oder seine Anweisungen genauestens erfüllt. Manchmal geschieht das auch aus nichtigen Anlässen. Im Fall Escrivás gibt es zahlreiche solcher Gehaben, z. B. Scherze, wenn jemand abgereist war, ohne seinen Reisesegen zu erbitten. Und wie jeder Despot, der einen Oberbefehl ausübt, litt auch Escrivá an ungelegenen Anfällen von schlechter Laune und von Ärger, die er nicht verheimlichte.
Miguel Fisac erzählt, dass es in den Anfangsjahren des Werkes „kein wichtiges Fest des Opus gab, das er nicht verdarb, sei es Weihnachten oder ein anderes. Er wurde plötzlich wütend, wir wussten nicht warum, und er ging in sein Zimmer und ließ uns verstört zurück. Das war bei ihm üblich. Wir wussten nie, warum er so reagierte, er gab uns nie eine Erklärung“. Manchmal war es eine Frucht, die ihm nicht schmeckte, oder die Tagesmahlzeit war nicht in seinem Sinn gekocht. Laut María del Carmen Tapia war einer der heiklen Punkte für seine Wutanfälle die Küche, auch wenn er sich über andere Dinge verletzend äußern konnte, z. B. über die Dekoration.
Bei einer bemerkenswerten Gelegenheit, die Luis Carandell in seiner Biographie über Escrivá erzählt (Madrid 1992), weihte der Gründer des Opus Dei ein Zentrum der Weiblichen Abteilung ein, das als Hauswirtschaftsschule dienen sollte, und sagte: „Monsignore ist ein sehr anspruchsvoller Mann in Fragen des Geschmacks der Dekoration, und wenn er in ein Zimmer tritt und beispielsweise ein schief aufgehängtes Bild sieht, bringt ihn sein Ordnungssinn dazu vom Sessel aufzustehen, auf dem er sitzt, und persönlich das Bild in die richtige Position zu bringen“. An dem Tag gefiel ihm die Dekoration des Lokals nicht, an dessen Eröffnung er teilnehmen sollte, und er geriet in schlechte Laune. Je mehr sie ihn zu beruhigten versuchten und ihm versicherten, seine Töchter würden die gewünschten Änderungen durchführen, umso nervöser wurde er, und es kam der Moment, an dem er an eine Tür trat und sagte: „Diese Zierleiste ist eine Schweinerei“, und er ergriff ein Ende der Zierleiste, zog daran und riss sie aus. Dann machte er dasselbe mit den anderen Zierleisten derselben Tür und der Fenster in der Nähe. Die Töchter des Monsignore traten in Aktion, und bei der Kratt der Nachahmung, die der Vater im Werk auslöste, fühlten sie sich gedrängt, den Vandalenakt mitzumachen, den der Monsignore hier begann. Die Szene war apokalyptisch, denn – so wird berichtet – die 20 oder 25 Personen, die in diesem Raum anwesend waren, machten sich daran, das Zerstörungswerk zu beenden, das der begonnen hatte, der alles im Opus Dei begonnen hatte” (S. 153-154). Der Erfolg sprach für sich. Aber das war kein Einzelfall: Etwas Ähnliches ereignete sich in La Estila, als er Lampen aus der Wand riss, die die Form von Fackeln hatten, die den Gang erhellten, weil sie ihm nicht gefielen.
Man darf nicht vergessen, es ein spezifisches Symptom der Narzissten ist, sich großartig vorzukommen, und deshalb brauchen sie die Aufmerksamkeit, einerseits in Form von Bewunderung, andererseits führt sie dieses Bedürfnis zu einem exzentrischen Verhalten. Auf dieser Linie liegt auch seine Entscheidung, nicht an den Priesterweihen der Mitglieder des Opus Dei teilzunehmen, denn dort würde Escrivá nicht im Mittelpunkt stehen und nicht einmal die Liturgie leiten.
Die Narzissten wollen um jeden Preis Recht behalten. Sie sind ehrgeizig, aber unfähig zur Selbstkritik, um ihre Begrenzungen zu erkennen. Sie ertragen nicht die geringste Unvollkommenheit, weil sie in ihnen ein Gefühl der Leere und herber Selbstkritik erzeugen. Es ist eine komplizierte Innenwelt, voller uneingestandener Motive. Es wurde schon gesagt, dass die Narzissten gegenüber angeblichen Beleidigungen allergisch reagieren; da sie sich einerseits als etwas Besonderes fühlen und andererseits von tiefen Minderwertigkeitsgefühlen gequält werden, sind sie gegen Ungerechtigkeiten und Beleidigungen doppelt sensibel. Und da sie sich für etwas Besonderes halten, verdienen sie Privilegien und besondere Rücksichten, die sie außerhalb jeder Regel stellen. Diese Personen setzen sich über alles hinweg und fühlen nicht die Notwendigkeit, sich mit den anderen auszutauschen: Sie setzen deren Verdienste und Beiträge herab, weil sie ihnen von ihrem Ruhm etwas wegnehmen.
Das heißt, ihre Tendenz, die eigene Überlegenheit zu unterstreichen und sie zu demonstrieren, ist konstant im Vordergrund. Um seinen Sonderstatus zu wahren, muss er diejenigen unterwerfen und strafen, die seinen Status nicht anerkennen. Das könnte bei Carmen Tapia der Fall gewesen sein, die er degradierte und abstrafte, weil sie es gewagt hatte, sich in ihrem Leitungsamt in Venezuela über einige Hinweise des Gründer hinwegzusetzen, die sie in diesen Ländern für nicht praktikabel hielt, und der Gründer handelte immer so: Auch wer sehr positiv und mit Respekt, aus durchaus gerechtfertigten Gründen, fundierte Kritik an der Sichtweise Escrivás übte, wurde gnadenlos von seinem Posten entfernt.
Freilich, die Narzissten sind ebenso wie die Komödianten entzückend und genießen es immer, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen. Der Narzisst freut sich, wenn er sein Herrschaftsgebiet überblickt und den anderen – den Normalsterblichen – Gnade und Geschenke erteilt: die Golddukaten, die seine Majestät in die Menge wirft. Deshalb sind elitäre Narzissten arrogant und energisch und fügen sich nur schwer in eine untergeordnete Stellung. Sie sind überheblich uns halten sich für Halbgötter, und häufig strafen sie die anderen mit Verachtung. Und natürlich wird der Narzisst wütend, wenn es jemand bezweifelt, dass er e etwas ganz Besonderes ist.
So lässt sich auch dieses „neunte Symptom“ auf Verhalten und Persönlichkeit Escrivás anwenden. Und so finden sich nicht ein, zwei oder drei, sondern alle typischen pathologischen in der Vorgangsweise dieser einzigartigen Persönlichkeit, ohne dass man nach den nackten Gegebenheiten lange hätte suchen müssen.
5. DIE KOMPATIBILITÄT MIT ANDEREN PSYCHISCHEN STÖRUNGEN
Der Narzissmus tritt nicht zwingend mit anderen psychischen Störungen gekoppelt auf, aber diese anderen Störungen sind dann von der Pathologie der Persönlichkeit mitgeprägt Deshalb sehen einige Autoren einen Zusammenhang zwischen dem Narzissmus und einer bipolaren Störung, aber das ist keine allgemein anerkannte Lehrmeinung. In diesen Fällen zeigt sich die narzisstische Symptomatologie in der manischen Phase, weil die Perioden der Euphorie mit der Hypomanie einhergehen können. Die Verletzbarkeit seiner Selbstachtung macht ihn sehr sensibel gegenüber Kritik oder Frustrationen, die ihn in die Depression oder Dysthymie führten, und so konnte er depressive Phasen durchleben, wenn er sich mit persönlichen Unzulänglichkeiten konfrontiert sah.
Das geschah dem Gründer des Opus Dei zweifellos aus Anlass des Konzils und der harten Kritiken, die in einigen synodalen Zirkeln am Opus Dei geübt wurden, aber auch wegen der Schwierigkeiten, die juristische Lösung, die er ersehnte, während des Pontifikats Pauls VI. zu erlangen. Auch wenn es in den offiziellen „Biographien“ nicht erwähnt wird: Der Papst drohte ihm damit, falls er nicht Ruhe gäbe und immer neue juristische Änderungen erbat, würde er ihm auch den Status eines Säkularinstituts und seine Privilegien wegnehmen. Diese „Widrigkeiten“ führten ihn mit Sicherheit zu einer persönlichen Krise und zu Depressionen, weshalb der Numerarier und Psychiater Juan Manuel Verdaguer nach Rom übersiedeln musste. Es ist wohlbekannt, dass Escrivá ganze Tertulias hindurch wortlos und traurig dasaß, seinen Kopf an die Holzverkleidung der Säule im Wohnzimmer gelehnt. Das bewirkte eine angespannte Stimmung im Collegium Romanum, denn solche Szenen wiederholten sich immer wieder; Minuten vergingen, ohne dass jemand etwas sagte, bis Alvaro den Gründer wegführte.
Für die Narzissten sind Großartigkeit und Depression zwei Seiten derselben Medaille. Grundsätzlich haben sie einen Minderwertigkeitskomplex und eine labile Persönlichkeit (man denke an das Kartenhaus in seiner Kindheit), und zugleich grandiose Vorstellungen von der eigenen Bedeutung. Ihr euphorischer, optimistischer Mut kann mit wiederholter Niedergeschlagenheit einhergehen, mit Gefühlen der Nutzlosigkeit, Reizbarkeit und des Jähzorns. Manchmal, wenn sich Escrivá gekränkt oder missachtet fühlte, wenn er nicht bekam, was er wollte, sperrte er sich ohne Vorwarnung in seinem Zimmer ein und erlaubte über Stunden niemandem einzutreten, auch wenn Javier Echevarría an der Tür ihn dringend darum bat; dann kommentierte er zu ihm: Mein Sohn, wenn du mich wirklich liebtest, hättest du die Türe aufgebrochen. Ich denke, das sind Verhaltensweisen einer sehr unreifen Persönlichkeit, wenn wir die medizinischen Pathologien einmal beiseite lassen.
Als Konsequenz dieses Minderwertigkeitskomplexes und des Gefühls der eigenen Gebrechlichkeit sind die Narzissten anfällig dafür, schizophrene Urteile über sie selbst abzugeben; sie schwanken zwischen einem extreme guten und einem extrem bösen Bild von sich selbst. Verschiedene wichtige Ereignisse seines Lebens lassen sich aus dieser Perspektive verstehen. Auf der bekannten „Flucht über due Pyrenäen“ klagte sich der Gründer wegen seines Egoismus und seiner Verantwortungslosigkeit an, mitten im Bürgerkrieg aus Madrid zu fliehen und hier seine Mutter und seine Geschwister in einer schwierigen finanziellen Situation zurückzulassen. Deshalb weinte er in dieser Nacht. Die Rose von Rialp war ein subjektiver Trost, indem er einen normalen Fund sublimierte. Das Gleiche lässt sich über die beiden Gelegenheiten sagen, in denen er Zweifel zuließ, ob seine Gründung des Opus Dei gerechtfertigt war, ob es nicht der Wille Gottes war, sondern nur seine Einbildung, die mit Gott nichts zu tun hatte.
Über den Grad der Verblendung oder der Deformation der Wirklichkeit kommen wir zu den „spirituellen“ Themen. Man braucht nur an Luther zu denken, für den jede Diskussion oder Zweifel am göttlichen Charakter seines „Turmerlebnisses“ vom Bösen kann. Diese Art, sich im Inneren Frieden zu verschaffen, ist in jedem Fall sehr seltsam. Im Fall Escrivás: Herr, wenn Du nicht das Opus Dei geschaffen hast, um der Kirche zu dienen, zerstöre es sofort, war sein Gebet. Aber eine Bitte dieser Art kann keinerlei Sicherheit bieten. Die Sicherheit kommt dann, wenn man die Fakten objektiv untersucht und sich der Entscheidung der kirchlichen Autorität unterwirft, ohne Heimlichkeiten und Manipulationen. Das war aber anscheinend nicht die Vorgangsweise Escrivás (übrigens auch nicht die Luthers).
Den Besuch Escrivás in der Kapelle "Unserer Lieben Frau vom Loskauf der Gefangenen" in Barcelona 1946 lässt sich auch im Hinblick auf die Selbstzweifel und Unsicherheiten in Bezug auf seine Pläne verstehen. Tief aus einem Inneren stieg immer wieder der Gedanke auf, dass er viele Menschen betrogen habe, weil alles in Zusammenhang mit seiner Gründung falsch sei, oder zumindest nicht so, wie er es darstellte, nicht „göttlich“, wie er vorgab.
Als mögliche Erklärung für den Narzissmus in bestimmten Fällen setzen Psychologen auf die Überbewertung des Kindes durch seine Eltern, die den zukünftigen Narzissten als „seine Majestät, das Baby“ behandelt hätten. Escrivás Mutter scheint eine kalte und anspruchsvolle Frau gewesen zu sein, vom Perfektionismus beherrscht, voller gesellschaftlicher Allüren. der wirtschaftliche Zusammenbruch des Vaters, zusammen mit den gesellschaftlichen Rückwirkungen im familiären Umfeld, wie die erzwungene Übersiedlung nach Logroño unter peinlichen Umständen waren ein harter Schlag für die Persönlichkeit des Kindes Josemaría und verursachte eine Wunde, deren Narbe für immer blieb. Deshalb suchte er um jeden Preis den Triumph und die Wiederherstellung der Ehre seiner Familie.
Es steht fest, dass Escrivá auch seine Geschwister in diesem Sinn manipulieren wollte, indem er für Santiago einen anderen Adelstitel wollte – nicht den des Marquis de Peralta, den überließ er ihm nach einigen Jahren – und er wollte ihn mit einer Frau von Stand verheiraten. Keiner seiner beiden Ansprüche erfüllte sich. Er wollte Carmen mit einem Aristokraten verheiraten, und niemals erlaubte er ihr, ein Leben auf ihre Art zu führen; sie durfte nicht einmal, wie sie wollte, in Spanien sterben. Ihre Gruft war schon in der Krypta von Maria vom Frieden in Rom, als Teil einer „Familiengeschichte“ – die konstruiert war, um in der Zukunft erzählt zu werden – über die Gründung des Opus Dei.
6. SCHLUSSFOLGERUNGEN
ich weiß nicht, ob wir im Lauf der Zeit noch wirkliche Fakten über die reale Gestalt des Gründers des Opus Dei erhalten werden, über seine Persönlichkeit und eine wirkliche Geschichte. In keiner seiner Hagiographien gibt es eine profunde Studie über seine Persönlichkeit. Bis jetzt haben seine beiden Nachfolger diese Themen mit Beschlag belegt, denn sie haben mit Escrivá zusammengelebt und nehmen dieses Faktum als Legitimation, um einen Mythos zu schaffen und aufrechtzuerhalten. Sie haben die Geschichte erzählt, die ihnen passte, nicht die historische Wahrheit, und sie entschuldigten sich mit angeblich „übernatürlichen“ Gründen, um hier etwas zu verschweigen und dort etwas zu vertuschen, zu verändern und umzudeuten. Sie haben Escrivá sogar vor den Augen seiner Jünger abgeschirmt. Aber er schaffte es, dass Alvaro Portillo und Javier Echevarría den Selbstbetrug des Narzissten über seine übernatürlichen Erfahrungen glaubten, auch wenn sie dann mit den Eigenarten seiner Persönlichkeit und seinen beständigen Extravaganzen konfrontiert waren.
Was die Innenwelt und die Subjektivität des Gründers betrifft, so denke ich, dass man aus den erwähnt und bekannten Daten ableiten kann, dass es nicht seine Absicht war, Menschen in wesentlichen Dingen zu betrügen, sondern dass ihn seine verwirrte Persönlichkeit trieb. Dennoch habe ich den Eindruck, dass es sehr wohl Gelegenheiten gab, bei denen er sich dessen bewusst war, dass er die Wahrheit manipulierte, um seine Zwecke zu erreichen. Und trotz allem denke ich dass dies mit einer aufrichtigen Suche nach Gott vereinbar sein kann, da niemand das Recht hat, über sein Gewissen und seine echte oder eingebildete Heiligkeit zu urteilen.
Heute kann ich nicht mehr sagen, das Opus Dei, so wie wir es kennen, sei von Gott inspiriert, denn ihm fehlen die entscheidenden Merkmale eines Werkes Gottes. Ich habe kein Problem damit zuzugeben, dass der Großteil der hervorragenden Mitglieder des Opus Dei, die vom Köder des Göttlichen verführt worden waren, mit Aufrichtigkeit gehandelt haben, sie haben ihr Leben für die anderen hingegeben mit dem Charisma, sich inmitten der Dinge der Welt zu heiligen. Von daher kamen die guten Früchte in der ganzen Welt, denn das „gute Opus Dei“ haben Menschen guten Willens vollbracht, und sogar trotz Escriváa, so wie er wirklich war.
Im Lauf der Zeit wird die Lüge zutage treten, die Montage der Wahrheit sich auflösen, die nahezu alles vergiftet hat, auch wenn sich die Nachfolger Escrivás heftig sträuben, der Wahrheit ins Auge zu sehen. Deshalb fördern sie um jeden Preis den Mythos und den Fanatismus, indem sie lähmende Kontrollen durchführen und auf der internen Beförderungsliste ihrer „Hierarchie“ nur jene fügsamen Kreaturen zum Zug kommen lassen, die ihr Gewissen an der Garderobe abgeben. Diese Vorgangsweise hat fast alles korrumpiert; es gibt kaum einen seelsorglichen Bereich, der nicht verseucht ist, keine übernatürlich reine Luft, kein „internes“ Familientreffen, das nicht von Künstlichkeit geprägt wäre. Ein religiöses Werk, in dem nicht der Hauch Gottes weht, sondern in dem eine menschliche Idee unternehmerisch ausgebeutet wird, hässlich und verlogen, eine Organisation von fanatischen Sektierern, und sie wird es bleiben, solange nicht die Wahrheit siegt.
Meiner Ansicht nach sind jene kirchlichen Institutionen verdächtig, die ihren Gründer mehr verehren als Gott und die mehr nach der Einheit der Untergebenen mit ihren Vorgesetzten und der Institution streben als an der mit Gott und seiner Kirche. Es ist typisch für sektiererische Gruppen, an deren Spitze „Erleuchtete“ stehen, die eine fanatische Anhänglichkeit fordern und das freie Wirken des Heiligen Geistes und die freie Entsprechung jeder Person diesem göttlichen Handeln gegenüber nicht zulassen. Solche Institutionen sind bestenfalls „rein menschliche“ Unternehmungen; sie mögen eine große Expansion erreichen, wie es bei fast allen Sekten der Fall ist, aber ihnen fehlt der kirchliche Charakter: Was man von jeder katholischen Institution verlangen kann, ist, dass sie Gott wirken lässt, ohne ihn zu stören oder zu ersetzen, denn Sein Reich ist kein Menschenwerk.
In Fällen wie dem des Gründers des Opus Dei kann man sich nur zwischen zwei Extrempositionen bewegen: Entweder man lehnt ihn völlig ab, oder man akzeptiert bedingungslos seine großartige charismatische Gestalt, die mit außerordentlichen göttlichen Talenten begabt war. Ein Mittelweg ist nicht denkbar. Deshalb muss sich jeder immer die Frage stellen: Und wenn vielleicht alles nicht wahr ist, was der Gründer sagt und was seine engsten Mitarbeiter bezeugen?
Angesichts solcher Evidenz entscheide ich mich eher meiner Vernunft zu folgen als dem Glauben an die Person Escrivás oder seines Mitarbeiters Alvaro del Portillo. Man möge daran denken, dass sich Escrivá nicht nur mindestens fünf Items desl DSM-IV zuschreiben lassen — was vom Standpunkt des Psychiaters ausreichen würde, um ihm die Diagnose des Narzissten zuzusprechen — sondern meiner Auffassung nach alle typischen Symptome, von denen es nicht weniger als neun gibt. Andererseits widerstrebt es mir, den „göttlichen Unsinn“ anzunehmen, dass Gott ihn auserwählt habe, um „sein Werk” zu verwirklichen, da bei seiner pathologischen Persönlichkeit das erste, was er tun würde, wäre, alles zu verzerren und Gott von der Mitte zu entfernen, die Ihm zusteht. Dann, abgesehen von allen Überlegungen, ist es eine Tatsache, dass sich das Opus Dei ja offenkundig nicht den Weg der Wahrheit geht, sondern den des Fanatismus und des Integrismus, und man bemerkt hier keine aufrichtige Suche nach der Wahrheit und eine feste Anhänglichkeit an sie, sondern die Veteidigung der Gestalt ihres charsimatischen Gründers um jeden Preis, bis zu Extremen, die selbstverständlich nichts mehr mit dem zu tun haben, was die Kirche im Sinn hat. Deshalb ist diese beharrliche Abschottung gegenüber der Realität kein gutes Zeichen.
Es genügte bereits, über die Charakteristiken des Narzissten nachzudenken, und ich war über die Übereinstimmung mit den Wesenszügen Escrivás überrascht. Andere haben schon vor mir versucht, den roten Faden in der Interpretation seiner Taten zu finden. Vielleicht hätte der Gründer von sich aus fast nichts vollbringen können, denn seine Persönlichkeit, die so befremdlich war, bedeutete eine wesentliche Schwierigkeit. Aber er konnte mit besonderen Bewunderern rechnen, wie Alvaro del Portillo, die seine Schwächen milderten und ergänzten und die zu einer perfekten Symbiose mit ihm kamen. Hier liegt ein Schlüssel für seinen Erfolg, wenn man das so nennen kann. Ein anderer könnte in dem besonderen Zusammentreffen fördernder Umstände liegen, die seine Ideen ganz außerordentlich begünstigten, vor allem das soziokulturelle Umfeld der spanischen Nachkriegsjahre. Aber das sind andere Themen. Heute beschränke ich mich auf die Analyse der Persönlichkeit Escrivás, ausgehend von äußeren Anzeichen, die für uns feststehen, obwohl mir die Schwierigkeit des Unternehmens bewusst ist. Und schließlich habe ich keine bessere Erklärung gefunden, um das zu verstehen, was das Opus Dei heute ist und was in ihm geschieht, als diese Vision des Gründers in seinem ausgeprägten Krankheitsbild.
Es würde mir genügen, den eifrigen Lesern dieser Seite, die hier ja auch versuchen besser zu verstehen, was in ihrem Leben geschehen ist, etwas Licht gebracht zu haben. Ohne diesen Schluss in eine Predigt zu verwandeln, die “eine Lust zu halten und zu hören ist”, wie es Cervantes in seiner Ironie formuliert, sage ich euch, dass ihr euch nicht betrogen vorzukommen braucht, denn nicht, was für Gott und aus Liebe getan worden ist, geht verloren. Ganz im Gegenteil, die vielen oder wenigen Jahre, die ihr damit verbracht habt, zu dieser besonderen Form “kollektiven Irrsinns” beizutragen, die das Opus Dei ist, können sich in eine Läuterung verwandeln, bis hin zum inneren Wachstum eines reifen und festen spirituellen Lebens, einer echten Begegnung mit Gott.
Marcus Tank