Pinsapo:So kam ich zum Werk
(6. Februar 2013)
Nachdem ich aus einer „Super“-Familie komme und in ein Gymnasium des Werks ging und außerdem meine älteren Geschwister alle brav seit ihrem neunten Lebensjahr im Jugendclub eingeschrieben waren, angezogen von den attraktiven Freizeitangeboten, der Scalectrix-Bahn, Sport, Filme, opulente Feste und Ausflüge, mit dazwischen eingeschobenen Gebeten und Gesprächen, und da ist es dann ganz natürlich, dass du irgendwann mit 13 Jahren im „Kreis“ sitzt und dich auf einer schiefen Ebene unmerklich bergauf führen lässt. Jedes Schuljahr bekommst du einen neuen Monitor im Club, es gibt feine Pläne fürs Wochenende und für die Ferien, und so geht das dahin bis zum Abi…
Alles, was da auf mich zukam, kam mir wie eine ganz natürliche Entwicklung vor, mit allen Errungenschaften, die dazugehören, denn du konntest mit den Jungen von Opus und den Studenten aus dem Heim Fußball spielen, konntest wie verrückt im Studierzimmer rauchen und dich manchmal in den Speisesaal stehlen, um dich an den Resten vom Kaffeetrinken zu bedienen. In der Oberstufe war der Kreis von St. Raphael obligatorisch, die Betrachtungen an den Samstagnachmittagen, die tägliche Studierzeit am Nachmittag nach einer Weile des Gebets am Nachmittag in der Kapelle, und am Sonntag Ausflüge. Für die Selbstbestätigung eines Jugendlichen tut sich da ein weites Betätigungsfeld auf, denn man ist abseits von der elterlichen Aufsicht und nicht unter der Fuchtel des Gymnasiums, und wenn du dort auf eine Art und Weise behandelt wirst, wie es dir deinem Alter nach gar nicht zusteht, in einer Atmosphäre der Unabhängigkeit, in der du als Vierzehnjähriger mit Anzug und Krawatte herumhängst, während deine Alterskollegen mit Jeans herumlaufen, du sitzt in einem großen Salon und rauchst, was du zuhause nicht darfst, und am Wochenende kannst du ohne deine Eltern Ausflüge machen, du wirst gelegentlich in einen Speisesaal eingeladen, in dem dich uniformierte Damen mit Servierbrett bedienen, und zu Weihnachten bekommst du Geschenke – wo muss ich unterschreiben (ohne das Kleingedruckte gelesen zu haben)?
Den Kreis hielt normalerweise mein Professor aus dem Gymnasium des Werkes, der mich in Religion, Latein, Physik und Chemie unterrichtete; er war auch in Personalunion mein Tutor und mein geistlicher Leiter, mit dem ich meinen Lebensplan und meine Berufung besprach. Da mehrere meiner älteren Geschwister vom Werk waren, wusste ich schon, welches Spiel mir bevorstand, als ich vierzehneinhalb Jahre war und mein Zuständiger „wie zufällig“ auf mich zukam und mir, als mein geistlicher Leiter (nämlich der Laie) mitteilte, dass meine Berufung eine beschlossenen Sache wäre und dass es nur noch darum ginge, um den Brief zu schreiben, damit ich „mein Leben Gott hingebe“. Wie kannst du dem nein sagen, der dir das Leben gab und dir die Seele eingehaucht hat?
Tatsächlich hatte ich einen recht lockeren Lebensplan, und es war mir sehr lästig, jeden Tag zu beten und andere Frömmigkeitsübungen zu verrichten, aber als der bewusste Tag kam, wurde ich in das Zimmer des Leiters gerufen und stellte mich dumm. Ich sollte einen Brief schreiben. Was für einen Brief? Angesichts dieser unvermuteten Frage war er einen Augenblick lang verblüfft: Aber hat dir Pepe nicht gesagt, dass wir heute miteinander reden? Schweigen. Nicht ja, nicht nein. Es geht um den Brief wegen des Beitritts. Ich konnte nicht fassen, dass das wirklich so schnell ging: Meine Eltern waren Supis, ich ging in ein Gymnasium des Werks, war von klein auf ein Junge vom Club gewesen, auf alle Ausflüge mitgefahren, der Leiter des Kreises nahm meine Fortschritte war, und ich ging regelmäßig ins Priesterzimmer beichten. Freilich, meine älteren Geschwister waren schon beigetreten und es war klar wie dicke Tinte, dass ich die Berufung hatte. Wozu also Zeit verlieren, wo doch ohnehin alles so offensichtlich war… Der Direktor war äußerst feinfühlig; auch wenn ich erst 14 war, man musste sicherstellen, dass ich das selber wollte, dass ich „freiwillig“ beitrat (der vom Kreis hatte mir gesagt, ich müsste).
Als ich sah, in welche Richtung das hier lief, aber nicht zugeben wollte, dass das mit meinem Innenleben ein Schwindel war, und weil ich immer gern mitgemacht hatte und gern im Studierzimmer rauchte, musste ich wohl tapfer sein und das tun, was meine Geschwister getan hatten. Jetzt gab es keinen Zweifel mehr, jetzt war nicht die Zeit, sich in Details zu verheddern, ob mit dieser oder jener menschlichen oder christlichen Tugend alles klappte. In Wahrheit war ich immer sehr bemüht, mit nicht in die Karten schauen zu lassen, und während der Jahre im Werk hat mir das sehr geholfen.
Laut Wörterbuch ist „offenkundig“ etwas, was ganz klar und nicht schwer zu verstehen ist. Für mich war da gar nichts klar, es ging mit nur fürchterlich auf den Geist, ständig wieder davon zu hören, dass es knausrig und undankbar sei, sich Gott gegenüber zu verweigern, und nach zwei oder drei Anläufen, nachdem ich den Leiter anrennen ließ, sagte ich, um nicht noch mehr Zeit damit zu verlieren, ja, ich wolle mein Leben Gott im Werk hingeben, und das bedeutet für das ganze Leben. Ich schrieb den Brief, und er sagte mir, dass mir die kleinen Detail in den Vorträgen des Anfangsunterrichts erklärt würden. Denn wie der Gründer gesagt hat, wenn wir von Anfang an gewusst hätten, was mit dem Pfeifen auf uns zukommt, wären wir vor Schreck gestorben. Es wird beklagt, dass manche, die hier schreiben, sich von ihrer Schuld abputzen, indem sie die Institution attackieren, in der sie mitgekämpft hatten, dabei aber die Kollateralschäden an Dritten übersehen, an denen nämlich, die sie „proselytistisch betreut“ haben, auch wenn es aus blindem Eifer gewesen sein mag, dass sie halbe Kinder aus Fanatismus in den Abgrund gestoßen haben. Im Unterschied zu meinen Geschwistern habe ich mich niemals mit dem Proselytismus anfreunden können. Sie haben das Werk relativ bald wieder verlassen und die unauslöschliche Lichtspur einiger Numerarier hinterlassen, von denen einige heute Priester sind. Ich hatte nie meine Freude daran, meine Freunde dazu zu drängen, meiner „heiligen Hermandad“ beizutreten, vor allem aufgrund eines altruistischen Verständnisses von Freundschaft, und weil ich den Umgang mit Menschen mit unterschiedlichen ideologischen Auffassungen, mit einem anderem kulturellen Hintergrund und mit anderen politischen Optionen immer als etwas Bereicherndes erfahren habe.
Mitte der achtziger Jahre war es normal, dass es in den acht Zentren für Jüngere in dieser Delegation jeweils 15 bis 18 Numerarier gab, aber nachher kam eine Periode völliger Unfruchtbarkeit, denn meine Freunde vom Jugendclub schauten nur gelegentlich vorbei, im Sommer oder wenn es einen Ausflug gab, und ganz selten bei einer Betrachtung oder einem Kreis von St. Raphael. Ich persönlich wollte ja Apostolat machen, aber ich wollte niemanden überrumpeln oder überzeugen, sondern nur darüber reden, was es heißt, ein „Freund Gottes“ zu sein, und in dieser Jahren habe ich keinen meiner wirklichen Freunde angesprochen, ob sie vom Werk sein wollen. Ich lud sie zu Einkehrtagen, zu Betrachtungen, zu Fahrten nach Torreciudad ein, und die Folge war, dass sie sich vor mir zurückzogen. Was ist im Lauf der Zeit aus diesen meinen Freunden geworden? Einer wurde Priester in einer Diözese, zwei wurden Supernumerarier (solche aus der zweiten Generationen), eine hat Kinder in einem Gymnasium des Werks, und der fünfte hat als besten Freund einen Universitätsprofessor, der Numerarier ist. Sie folgten ihrem Weg auf normale weise und in ihrem Tempo, sie machten ihre Erfahrungen in der Jugend, absolvierten eine glänzende Karriere, brachten die nötigen Stadien der Reifung hinter sich und folgten ihrer natürlichen Berufung, ohne gewaltsam lebenswichtige Etappen zu überspringen. In den 15 Jahren, in denen ich vom Werk war, betete ich für sie , ich schrieb ihnen zu Weihnachten und im Sommer, ich begleitete sie in schlimmen Momenten über hunderte von Kilometern hinweg. Das passte allerdings nicht zu dem Apostolat, wie sie es verstanden; mir kam ihr Proselytismus unnatürlich und gewaltsam vor, und wenn ich später in einem „Örtlichen Rat“ saß, löste ich die Berufungskrise nur bei denen aus, die das wirklich selbst mit allen Kräften wollten, nachdem ich ihnen auseinandergesetzt hatte, welche Opfer in ihrem Leben der Zölibat abverlangen würde, und weil ihre Eltern vom Werk waren.
Den ersten Jahreskurs hatten wir in Pozoalbero, in Dreibettzimmern mit Klo am Gang. Dorthin fuhren wir damals immer zu Ostern auf Konvivenz und auf Besinnungstage. Es gab verschiedene Sorten von Tertulias (Beisammensein), aber am eindrucksvollsten waren die lustigen, wenn uns Wendo über die Neuzugänge im Gymnasium Guadaira erzählte; Paco Pepe erzählte uns Vergnügliches aus Cádiz; G. Amores machte seine Witze über „Burto“, den spanischen Olympiasieger, der seine Goldmedaille im Schwimmen nicht seinen Armen und Beinen, sondern seinen riesigen Ohren zu verdanken hätte. Entzückend waren die gelegentlichen musikalischen Tertulias, wenn die Leute aus Sevilla Gitarre spielten, und dann gaben es immer kleine Sketches oder Imitationen.
Das waren wunderbare Momente, Oasen in der Wüste der „begleiteten Einsamkeit“ des Adscrito, der von seinen Kameraden absticht, weil er sich im Zentrum einsperrt, der die Straßenseite wechselt, wenn er alte Freunde sieht, die ein Mädchen dabei haben, damit er sie nicht beachten muss, und der so zum komischen Vogel wird, der im Gymnasium als „Opusino” verschrien ist, immer im Verdacht, dass er die guten Noten nicht deshalb hat, weil er lernt, sondern weil er ständig in den Club läuft, indem die Professoren wohnen.
Sobald man einmal gepfiffen hat, hören sie völlig auf dich freundlich zu behandeln, du bist „die rote Laterne“, musst dich hinten anstellen, jetzt gehörst du ganz normal dazu und wirst nicht mehr umworben. Der Typ, der deine Aussprache hört, wechselt immer wieder, anstelle der bewunderten Monitoren aus dem Jugendclub hast du völlig verständnislose Numerarier, die dir sagen, wo es langgeht, und da ist es dann auch schwer, jede Woche das Herz zu öffnen und die Dinge so zu sagen, dass beim anderen nicht gleich die Alarmglocken läuten. Mit dem Leiter des Kreises hast du noch gern gesprochen, bei dem konntest du dich ausweinen in den vier Jahren als Adscrito, du so konnten sie jeden Widerstand bei dir abfedern. Ich hätte mir damals eine Stütze gewünscht, so wie es in dem bekannten Lied heißt:
Ich möchte dir Worte schenken,
dich auffangen, wenn du fällst,
dich beim Gehen an der Hand nehmen,
dir das und jenes sagen,
dein Mantel sein, wenn du frierst,
die Schulter sein, an der du dich ausweinen kannst.
Mein Leben gehört dir
für den Moment, in dem ich dich lächeln sehe
für dich verkaufe ich meine Seele,
im Tausch für die Zeit, die du brauchst, um glücklich zu sein.
Ich will dein Flügel sein und dein Himmel,
dein Segel und dein Meer,
der Himmel und die Füße, die du brauchst, um zu gehen...
Pinsapo