E.B.E. : Die Netze des Opus Dei

 

31. Dezember 2003


Da das Opus Dei – nach den Worten seines Gründers – ein Boot ist, das zum Fischfang ausfährt, braucht es notwendigerweise Netze. Netze, um die Fische einzufangen.

Die Netze dienen nicht zum Fischen, sondern auch, um die „Eingefangenen“ zurückzuhalten.

Es ist interessant zu sehen, wie der Gründer alles „vorhergesehen“ hat – oder zumindest vieles. Es war eine Charakteristik von ihm, von der sich mehr als einer blenden ließ.

Ich sah im Gründer, am Anfang zumindest, einen großen Vorläufer; zum Beispiel für das Zweite Vatikanische Konzil. Dann erst verstand ich, dass er ein Vorläufer in einem ganz anderen Sinn war, der für mein Leben und das vieler anderer höchst bedeutsam werden sollte.

 „Ihr habt vor euch bereits einen ausgetretenen Weg, den ihr ihn nicht mehr verfehlen könnt. Mit dem, was wir auf dem Gebiet der Theologie vollbracht haben – es ist eine neue Theologie, meine Geliebten, und zwar eine gute! – und auf dem juristischen Gebiet; und wir haben das dank der Gnade des Herrn und seiner Mutter, mit der Voraussicht unseres Vaters und Herrn, des hl. Josef, und mit der Hilfe der heiligen Schutzengel, damit ihr nicht mehr fehlgehen könnt – außer wenn ihr Schurken seid  (De nuestro Padre, Tertulia, 19-III-1975).

Die Bildung, die wir empfangen haben, war in vielen Aspekten ein Vorgriff des Gründers; er zeigte uns einen Weg und nahm unsere Reaktionen und unsere Überlegungen vorweg. Es zeigte uns den Weg - ins Netz.

Der Gründer hat sein Netz ausgelegt, und viele von uns ließen sich fangen, ohne es zu merken (das macht ein Netz ja erst effektiv). Wir merken auch nicht, wohin wir da geraten  waren. Wenn wir erst einmal in der Falle waren, musste man das Netz zur Kennntis nehmen, wie es war. Das Netz war mit Ideen getarnt, denn die „Menschen muss man – wie die Fische – beim Kopf packen“. Ein komplexes Netz.

Konkret hat der Gründer viele Dinge gesagt, um sie vorab zu disqualifizieren oder abzuwerten. Manche Gedanken lehnten wir reflexartig ab, weil wir schon vorher vom Gründer geimpft waren. Das Netz der Ideen leitete uns auf einem schon gebahnten Weg, auf dem schon an alles gedacht worden war. Andere Male hatten die Behauptungen des Gründers den Charakter eines Glaubenssatzes. Häufig waren die Ausdrücke „man muss“, „immer“, „nie“; oft bestätigte er etwas, indem er es leugnete. Andererseits behauptete der Gründer viele Dinge, die sich in Wirklichkeit nie erfüllten. Der Satz, der das noch am besten ausdrückt, ist der berühmte „conceder sin ceder con ánimo de recuperar“, „zuzugeben ohne nachzugeben und mit der Absicht, das verlorene Terrain wiederzugewinnen“. Es ging dabei nicht nur um eine juristische Frage; diese Haltung war allgegenwärtig. Er gewährte den Mitgliedern viele Rechte, die er unablässig wieder abschaffte, indem er an ihrer Stelle Pflichten formulierte. Wenn wir von Netzen sprechen, können wir genauso gut von Ködern und Angelhaken sprechen. Und was ist mit den Lockvögeln?

Ich denke, es ist eine wenig geglückte Phrase, die auf den juridischen Weg angewendet wurde, denn sie zeigt das betrügerische Spiel mit dem Heiligen Stuhl, bei dem das Werk schließlich die Partie gewonnen hat. Es handelt sich um den Ausdruck „bereit, mit Worten nachzugeben,vor allem wenn im gleichen Dokument auf präzise Weise die wahre Substanz unseres Weges bezeugt wird“ (De nuestro Padre, Brief, 14-II-1944, Nr. 11) – und solche Dinge geschehen in vielen Aspekten des Werkes, nicht nur im juristischen Umfeld, wo in Worten nachgegeben wurde („ihr seid sehr frei“, beispielsweise); im Einzelfall blieb es dann bei der kurzen Leine.

Das Problem solcher Sätze oder Texte ist nicht so sehr ihre Interpretation im Einzelnen (da wäre noch etwas zu rechtfertigen), sondern ihr Zusammenwirken mit vielen anderen, die Ähnliches aussagen, Das „Netz“ verknüpft diese Fragen zu einem Geflecht, einem Netz, in dem Denken und Gewissen hängenbleiben.

Das Problem liegt nicht in dem einen Satz, sondern in vielen Sätzen zusammengenommen, und dann ist die Rechtfertigung einer isolierten Bemerkung wertlos. Die Ausnahme ist immer etwas Singuläres und kann niemals als Regel gelten.  Ebenso kann ein isolierter Satz nicht ein ganzes Lehrgebäude retten: „Das Leben der Mitglieder des Opus Dei bedeutet aufgrund einer göttlichen Berufung Apostolat (…) Von daher rührt auch ihre Bemühung, jede Art von Intoleranz, Zwang und Gewalt im Umgang mit anderen Menschen zum Verschwinden zu bringen“ (De nuestro Padre, Brief. 31-V-1954, Nr. 19). Wenn man diesen Hinweis ernst nimmt, dürfte es im Werk weder Zwang noch Intoleranz geben. Das Opus Dei müsste etwas Wunderbares sein. Ist es denn nicht so?

Entscheidend ist nicht so sehr die theoretische Auslegung dessen, was uns diese Texte zu lesen geben, sondern die seinerzeitige Wirkung, die sie auf uns Mitglieder hatte und auf die, die heute folgen. Ein braver Verteidiger des Werkes könnte allen Worten des Gründers einen „heiligen Sinn“ unterlegen, aber er kann die historischen Wirkungen nicht mehr rückgängig machen, die sie auslösten. Aus eben diesem Grund zeigt sich an der Wirkung, die so auch gewollt war, wie diese Texte gemeint waren, und sie haben auch kein „Ablaufdatum“, lassen sich nicht auf ihren historischen Kontext einschränken; und sie so nachträglichumzulügen bedeutet eine Verhöhnung der Opfer. Abgesehen davon werden diese Texte im Werk ständig und regelmäßig wiederholt; sie sind nicht von gestern, sondern Teil des „Geistes des Werkes“.

Die Diskretion, um die wir gebeten wurden, könnte den Sinn gehabt haben, dass wir „draußen“, außerhalb des Kontexts, nicht über gewisse Dinge sprechen. Nur wer schon überzeugt – „gefischt“ – war – konnte die einzig mögliche, unzweideutige Interpretation anmnehmen, die man diesem Texten im Werk gab. Man tauschte die Goldfischkugel gegen das Meer; die „von draußen“ würden nie „verstehen“, was wir machen, es würde ein „Schaden“ entstehen, an ihnen – und auch am Goldfischglas. Daher kommt die Diskretion, etwa mit den Eltern – erzählt ihnen nichts! Was klar war: „Draußen“ wird „darüber“ nicht gesprochen. Nach außen hin wird alles abgestritten, nach innen herrscht vollkommene Aufrichtigkeit. Eine Spätfolge ist es, wenn viele, die das Werk verlassen haben, nicht „darüber“ reden wollen. Das Verbot steht ihnen noch so plastisch vor Augen, als ob sie noch drinnen wären. Opuslibros bedeutet deshalb auch einen Triumph der wiedergewonnenen Gewissensfreiheit.

Die Stärke der „Netze“ des Opus Dei hängt zum großen Teil von der Fähigkeit zu leugnen ab.  Dass sie alles abstreiten können, macht das Netz so fest und widerstandsfähig, wenn sie es über den Meeresgrund schleifen.

Das Opus Dei ist ein Meister im Neinsagen: Sie entfernen Fotos aus internen Publikationen, Seiten und Namen von Personen werden getilgt, offenkundige Widersprüche werden gedeckt, man präsentiert sich selbst als Opfer ständiger Angriffe, wappnet sich gegen den Schmerz oder persönliche Gefühle, hält jeden Gedanken an Selbstkritik für abwegig und posaunt ständig den eigenen göttlichen Charakter hinaus. Deshalb ist es ein Kampf gegen Windmühlen, das Opus Dei auf seine Fehler aufmerksam machen zu wollen – dafür haben sie kein Organ. Diese Texte wollen es weniger „dem Opus Dei zeigen“, wie sehr es nämlich daneben steht, sie wollen eher den Opfern bei der Rekonstruktion ihres Lebens helfen. Anstatt sich um den Kadaver des Werkes zu balgen, ist es besser endgültig abzuschließen und das eigene Leben aufzubauen.

Man könnte viele Seiten über die „Netze“ schreiben; es ist ein ergiebiges und komplexes Thema. Hier nur eine Probe dazu.

Einige Beispiele für das erste Netz, mit dem wir gefischt wurden  („vorgreifliche Behauptungen“) – das Undenkbare stellte sich schließlich als wahr heraus.

- „Wir sind Leute von der Straße“ (De nuestro Padre. Brief. 19-III-1954, Nr. 27); „eins unterscheidet uns von den anderen – dass wir uns in nichts von ihnen unterscheiden“ (De nuestro Padre, Brief, 24-III-1930. Nr. 8). „Wir sind keine Treibhauspfanzen“ (De nuestro Padre, Betrachtung „Der Likör der Weisheit“, Juni1972). Deshalb erschien es undenkbar, dass die Lebensform eines durchschnitlichen Numerariers überbehütet sei und mit der normalen Wirklichkeit nichts zu tun haben könnte. Deshalb behauptete der Gründer von vornherein, dass das Leben eines Numerriers nichts mit einer Klausur zu tun habe.

- „Wir sind keine geschlossene Anstalt, in der alle dasselbe denken müssen und in Reih und Glied marschieren, sondern eine besondere göttliche Organsiation [in der] sich die Kräfte der Person jedes einzenen vevielfachen“ (De nuestro Padre, Instruktion, 8.XII-1941, Anmerkung 12). Es wäre deshalb undenkbar gewesen, im Werk eine geschlossene Anstalt zu sehen, die etwa der persönlichen Entwicklung abträglich sein sollte. Es schien unmöglich, dass das Werk meine Freiheit, meine Lebensform einschränken könnte. Deshalb glaubte ich mit all meinen Kräften daran, unter einem freien, offenen Himmel zu leben, auch wenn ich immer nur meine ganz persönliche Truman Show mitspielte.

- „Eben weil die Mitglieder des Opus Dei gewöhnlich von niemandem überwacht werden, arbeiten sie mit mehr Eifer und Genauigkeit im Gehorsam““ (De nuestro Padre, Instruktion vom Mai 1935, 14-IX-1950, Nr. 61). Am Anfang dachte ich, dass ich wirklich frei war. Im Lauf der Zeit wurde klar, dass man bereits „an alles gedacht“ war, und wenn irgendetwas im Werk im Überfluss vorhanden war, so war es die Kontrolle. Aber da der Gründer diesen Einwand schon ganz zu Beginn vorweggenommen hatte, brauchte ich Jahre herauszufinden, dass das alles nicht stimmte und nur dazu gedient hatte uns zu ködern.

- „Ich habe euch zahllose Male gesagt, dass niemand seine Persönlichkeit verliert, wenn er zum Werk kommt; die Vielfalt, der gesunde Pluralismus, ist Zeichen eines guten Geistes. Handelt also auf eigene Faust; niemand wird euch daran hindern“ (De nuestro Padre, Betrachtung „Der Likör der Weisheit“, Juni1972). Es war für mich undenkbar, was sich dann als offenkundig herausstellte: Die Direktoren beschnitten die Unterschiede und achteten auf ein einheitliches Auftreten. Vielleicht ist das ja ein Teil der „mütterlichen Fürsorge“, die das Werk uns gegenüber ausübte.

- „Vor bereits sehr vielen Jahren, nämlich 1931, habe ich euch geschreiben: Unsere Verschiedenheit ist für das Werk kein Problem, im Gegenteil: Es ist ein Zeichen guten Geistes, eines sauberen Gemeinschaftsgeistes, des Respekts gegenüber der legitimen Freiheit jedes einzelnen (…). Das Opus Dei hatte niemals, noch hat es, noch wird es jemals eine eigene Meinung in zeitlichen, politischen etc. Fragen haben, und auch nicht in kulturellen oder theologischen. Die Mitglieder können ihre Vorlieben und Neigungen aufrechterhalten und werden das auch tun, sofern sie mit dem katholischen Glauben vereinbar sind“ (De nuestro Padre, Brief. 24-X-1965, Nr. 53). Deshalb durfte man hoffen, dass das Opus Dei großen Respekt vor der persönlichen Freiheit fördern und verlangen würde. Es hat lange Zeit gedauert, bis ich mir Rechenschaft darüber abgelegt hatte und „sehen konnte“, dass Freiheit und Pluralismus nach außen hin gezeigt, aber nicht nach innen gelebt wurden. „Wir sind  sehr frei und haben das Recht zu denken und zu handeln wie wir Lust haben. Jeder einzelne macht im Zeitlichen, was er will, solange es mit dem katholischen Glauben im Einklang steht. Eine breite Palette an Meinungen ist verfügbar, und niemals wird jemand etwas gegen diese edle Freiheit sagen, und so haben wir es seit 1928 gelebt (…). Wir leben in einer Welt der Tyrannei, die ihren Totalitarismus mehr  oder weniger hinter einer Maske verbirgt, und diese wunderbare Freiheit, die wir haben, jeder einzelne von uns, und infolge davin die persönliche Verantwortung, will einigen nicht in den Kopf gehen“ (De nuestro Padre, Tertulia, 10.XI-1969).  Wenn man diese Worte hört, könnte man voraussetzen (das ist ein großer Fehler  - im Opus Dei „setzt“ man übrigens auch viel voraus, aber in einem anderen Sinn), dass es im Werk eine völlige Freiheit gäbe.

Allerdings war es nicht möglich, dieses „Recht“ mit so vielen Gehorsamspflichten in Einklang zu bringen und mit der Selbstverleugnung, die verlangt wurde. Im Zweifelsfall obsiegte immer der Gehorsam. Wie gaben nach in Dingen, wo wir das niemals hätten tun dürfen, ohne unserem Gewissen Gewalt anzutun.

Viele geistliche Begriffe werden im Werk als Materie des Gehorsams und der Leitung verstanden; dann kommt das Gleichnis von der Rebe und dem Weinstock zur Anwenung, oder der Verweis auf die Unterwerfung des Herzens unter den Willen Gottes, etc.

- „Ich habe es einige Male gesagt, dass das Werk wie eine desorganisierte Organisation ist, in der jede Region und jedes Zentrum mit voller Autonomie handelt“ (De nuestro Padre, Crónica VII-1966, S. 58), und das ließ mich damals irrtümlicherweise annehmen, dass die Entscheidungen in  meinem Zentrum vom Direktor ausgingen. Ich hätte niemals angenommen – zunächst einmal – dass sich die Delegationen in die Gebarung der Zentren einmischen könnten oder dass der örtliche Direktor nur jeweils genau das tun durfte, was ihm die Delegation gestattete. Dass ich draufkam, dass es diese Autonomie im  Werk gar nicht gab und dass es vollkommen vertikal organisiert war, verstand ich erst nach Jahren.

„Niemals habe ich Geheimnisse gehabt, ich habe keine und ich werde nie welche haben. Und auch das Werk hat keine“ (De nuestro Padre, Brief, 11-III-1940, Nr. 58). Es schien mir undenkbar, dass die Direktoren zu mir unaufrichtig wären oder dass sich das Werk vorbehielte Erklärungen zu geben, während es Befehle gab ohne Gründe zu nennen. Sie verboten und aber die Worte des Gründers wörtlich zu nehmen, was auch immer das war (außer denen, die in Buchform bereits auf dem Markt waren).

Wenn das Werk keine Geheimnisse hat – so lautet die kategorische Behauptung – dann wäre es ja kein Problem, die Texte des Gründers zitieren und offen darüber reden, was wir drinnen erlebt haben.

Merkwürdigerweise gibt es das stillschweigende Verbot über das Opus Dei zu sprechen, so als ob es sich um eine „Gewissensangelegenheit“ handelte, als ob die Zugehörigkeit zum Werk schon für sich genommen ein Dienstgeheimnis wäre, wie beim CIA; gleichzeitig gab man sich den Anschein, eine offene Organisation ohne Geheimnisse zu sein.

-„Ihr wisst nicht, dass wir viele Jahre der Verfolgung durchgemacht haben, auch von Seiten guter Menschen. Ihr wisst es nicht, weil der Vater verboten hat, dass über diese Dinge gesprochen oder geschrieben wird. Es war eine Verfolgung, wie sie Jesus durch die Priester und durch die Führer des Volkes erlitten hat: Verleumdungen, Lügen, Beleidigungen; in der Presse, in Gesprächen… Wir waren das Gespött der ganzenWelt. Alle glaubten ein Recht zu haben, auf uns herabzuspucken. Und wir waren glücklich in dieser Einsamkeit. Wir verstanden es mit Christus umzugeben, und wir fühlten Seine Begleitung. Wir schwiegen, lächelten und arbeiteten. Ich verteidigte mich nicht, bis ich einen Hinweis vom Heiligen Stuhl erhalten hatte“ (De nuestro Padre, Betrachtung, 29-III-1959). Deshalb war jede Kritik als „Widerspruch“, der uns heiligt, aufzufassen, aber es war niemals anzunehmen, dass eine Kritik auch einen berechtigten Grund haben könnte, denn das Werk war vollkommen. Der Gründer hat es schon vorweggenommen, dass Kritik kommen wird. Wenn wir schon von Anfang an den „Widerspruch der Guten“ erleiden mussten, was bleibt uns dann von den „Bösen“ zu erhoffen. Die Kritiken bestätigen nur die „Göttlichkeit“ des Werks. Ich war vollkommen überzeugt auf dem rechten Weg zu sein. opuslibros war damals „eine neue Verfolgung“ des Werkes, das sich immer nur als Opfer versteht. Ich musste erst eine schwere innere Krise durchmachen, bevor ich verstand, dass das Werk ein Zeichen des Widerspruchs ist – allerdings nicht genau im Sinn des Evangeliums, sondern weil es durch seinen Zynismus und seine verlogenen Selbstgefälligkeiten einen echten Skandal bedeutet, wenn es behauptet von Gott inspiriert worden zu sein. Erst spät habe gemerkt, wie die Hierarchie ihren Zynismus gegenüber der Arglosigkeit und dem guten Willen ihrer Mitglieder auslebt.

- „Wenn wir reden, kann nichts passieren“ (De nuestro Padre, Betrachtung „Der Likör der Weisheit“, Juni 1972). Deshalb kam es mir niemals in den Sinn, dass „etwas passieren könnte“ oder dass die Direktoren das Vertrauen, das in sie gesetzt wurden, missbrauchen könnten. Heute wissen wir, dass die Direktoren von jener Verpflichtung zur Aufrichtigkeit „nach unten“ ausgenommen sind, sie dürfen und sollen aber volle Aufrichtigkeit „nach oben“ verlangen.

- „Wir müssen die Dinge gesittet und ordentlich sagen, mit übernatürlicher Gesinnung, von Angesicht zu Angesicht, ohne uns hinter der Anonymität zu verstecken. Es ist eine Form menschlicher – und göttlicher – Loyalität, dass der Ankläger weiß, dass der der Angeklagte seinen Namen erfährt und dass die Anklage begründet werden muss: Wir verabscheuen Denuntiation und heimliche Verleumdung“ (De nuestro Padre, Brief, 29-IX-1957, Nr. 48). Ich hätte den Worten des Gründers gerne Glauben geschenkt. Wenn es etwas gibt, was so typisch für das Werk ist, so ist es die anonyme Leitung; niemals erfährt man, wer für die getroffenen Entscheidungen verantwortlich ist. Die Regionalkommission oder die Delegation sind abstrakte Wesen. Sie teilen Entscheidungen mit, aber sie nennen weder die Gründer noch wer diese Entscheidung getroffen hat. Sie geben allgemeine Erklärungen, die die wahren Gedanken, die dahinter stehen, verbergen sollen. Oft wurde ein Betroffener vom Werk angeklagt oder verurteilt, ohne eine Gelegenheit zur Verteidigung gehabt zu haben (und man erfährt alles erst, wenn es schon zu spät ist). Außerdem wirkt die brüderliche Zurechtweisung  in dieser hochgezüchteten Hierarchie unweigerlich wie ein System des Zwangs und der Denunziation. Es ist ein weiteres Paradoxon, dass wir zur brüderlichen Zurechtweisung verpflichtet waren, aber mit anderen Mitgliedern nicht über persönliche Themen sprechen durften. Die brüderliche Zurechtweisung dient nicht der Brüderlichkeit, sondern der Kontrolle.

Einige Beispiele für das zweite Netz, mit dem wir dann zurückgehalten wurden (destruktive Bemerkungen):

Am meisten wirkte die Tatsache traumatisierend, dass der Gründer uns die Überzeugung vermitteln wollte, dass Gedanken, die einander ausschließen, miteinander vereinbar seien, wie etwa die „völlige Freiheit“ und die Tatsache, dass wir uns seiner Autorität und seinen Hinweisen beugen, uns hingeben und auslöschen „mussten“. Das geht nur zusammen, wenn man das eigene  Gewissen vollkommen ausschaltet.

Aber dieses zweite Netz versteht man nur, wenn man das erste Netz in Betracht zieht, durch das erst einmal das Vertrauen gewonnen wurde. Jede Behauptung schließt sich an eine andere an und hat ihren Kontext – das Prioblem stellte sich erst, wenn man die widersprüchlichen Sätze einander gegenüberstellt.

Dieses zweite Netz wird oftmals von Negationen und Verboten gebildet. Die positiven Behauptungen des ersten Netzes  sind dazu da, die Fische anzulocken; die negativen Behauptungen des zweiten sollen sie daran hindern zu flüchten.

Vielleicht kommen aus diesem Netz die Albträume, von denen viele Ehemalige auch noch Jahre nach ihrem Ausstieg geplagt werden. Umgekehrt kommen die Träume, die die Vergangenheit im Werk idealisieren, vom ersten Netz – und von den eigenen, positiven Erfahrungen.

Ich denke, dass ein weiterer Grund, im Werk zu bleiben, der Wunsch war – und zwar sowohl bei mir wie bei anderen Personen aus meiner Umgebung – den Idealen (erstes Netz) treu zu bleiben, um ein Opus Dei abseits der hierarchischen Strukturen – denn sie sind ein ständiges Hindernis für alles – aufzubauen, um die Utopie eines Opus Dei anzustreben, das spontaner ist und auf abzielt, was das Beste für die Menschen ist. Dieser Grund war wichtig, weil er positiv besetzt war, ein Wunsch, keine Pflicht, die uns hielt drinnen zu bleiben. Aber der Druck von oben machte solche lebenskräftige Initiativen zunichte und erstickte solche „Wünsche“, bis die Krise eintrat. Die Beharrlichkeit ist oft nur ein Kampf, den man gegen die Wirklichkeit des Betrugs im Werk führt.

Nun die Beispiele.

- „Die Numerarier, Assoziierten und Supernumerarier haben keinen Grund vor sich herzuposaunen, dass sie vom Werk sind, und sie dürfen auch nicht unbedachterweise die Namen ihrer Brüder preisgeben. Diese Norm, die in besonderer Weise die neu beigetretenen vepflichtet, soll aber mit Natürlichkeit und Einfachheit gelebt werden“ („Betrachtungen“, Bd. V, S. 203). Deshalb habe ich es auch als „Frischgepfiffener“ als schwere Verpflichtung aufgefasst, meinen Eltern nichts von meiner Zugehörigkeit zum Opus Dei zu sagen, niemals dachte ich daran, dass vieleicht das  Gegenteil das Natürliche gewesen wäre.

- „Diejenigen, die höher stehen, sehen die Dinge besser (…) von oben sieht man alles, und sie können uns leiten (…) sie haben mehr Licht, es ist mehr Gnade Gottes bei denen, die leiten“ (De nuestro Padre, Anmerkungen, 1973. S. 861). Deshalb ist es das Beste, den Direktoren zu vertrauen.  Und ich musste mir ständig sagen, dass ich im Irrtum bin, wenn meine Auffassung nicht mit der der Direktoren oben übereinstimmte.

- „Im Opus Dei wird niemand gezwungen. Die Beharrlichkeit hängt von jedem einzelnen von uns ab“ (De nuestro Padre, Betrachtung, 4-III-1960). Und deshalb will es mir nicht in den Kopf, dass das Werk jemanden zu irgendetwas zwingen sollte; wenn irgendjemand sich gezwungen fühlen sollte, kommen der Reihe nach die üblichen Verdächtigen dran, aber niemals ist  das Werk schuld“.

- „im Werk wird niemandes Leben eingeschränkt“ (ich habe das genaue Zitat nicht, aber es ist ein verbreiteter Satz). Warum muss man so etwas abstreiten? Der Gründer beugt hier wieder einmal jeder kritischen Überlegung vor, und so ist jede spontane überlegung ausgeschlossen: „Fühle ich mich wirklich eingeschränkt, oder ist dieses Gefühl jene „Versuchung“, vor der mich der Gründer gewarnt hat? Es muss wohl mein Hochmut dahinterstecken…“

- wenn der Katechismus des Werkes sagt – ich kenne die neue Auflage allerdings nicht – „dass sich nur Geisteschwache genötigt fühlen können, wenn man sie der Berufungskrise aussetzt“ (so nahezu wörtlich), dann müsste ich den Gedanken rundweg zurückweisen, dass es im Werk überhaupt irgendeine Art von Nötigung bei der Verfolgung des Proselytismus geben könnte, und dieser Gedanke würde mir den Rücken stärken, in Zukunft jeden zu bedrängen, bei dem das die Direktoren für angebracht halten.

- im Werk „kann sich niemand allein fühlen“ bzw. „kann niemand die Bitternis der Gleich­gültigkeit fühlen“ (De nuestro Padre, Brief, 11-III-1940. Nr. 7). Dann muss ich zugeben, dass die Einsamkeit, die ich fühle, und die Zurücksetzung durch eben die Direktoren „meine Schuld sein müssen“ – oder ein Problem meiner Phantasie, oder es kommt daher, dass ich mir nicht helfen lasse (ich müsste also meine psychologischen Abwehrmechanismen weiter abbauen, um mir „helfen zu lassen“). Wenn es der Gründer gesagt hat, dann „fühlt sich niemand allein“. Es wäre undenkbar, ein Irrweg, wollte man beginnen in Zweifel zu ziehen, was der Gründer gesagt hat! Wenn man da einmal angefangen hat, gibt es kein Halten mehr. Besser, man streift nirgends an. Die Vollkommenheit lässt keinen Fehler zu, sonst wäre sie nicht mehr das, was sie zu sein vorgibt. Die Stärke des Opus Dei besteht in seiner Fähigkeit abzustreiten, die sie ununterbrochen ausüben muss, um in solchen Widersprüchen überhaupt bestehen zu können.

- „Niemals werde ich Beschämung über das empfinden, was mir ein Sohn von mir erzählen könnte, und das Gleiche ist es mit euren Brüdern. Man muss mit voller Aufrichtigkeit sprechen. Wenn ihr nicht sprecht, ist alles aus; es ist der Anfang vom  Ende. Wenn ihr aufrichtig seid, mag geschehen was geschieht, ihr werdet treu sein, und ihr werdet glücklich sein“ (De nuestro Padre, Beisammensein, 2-X-1969). Das soll wohl heißen, dass der, der treu ist, den völligen Rückhalt der Institution genießt. Es wird viel Zeit vergehen, bis man merkt, dass diese Versicherungmag geschehen was geschieht“ nicht aufrichtig gemeint ist, denn je nachdem, was passiert, bleibt man ein Gläubiger der Prälatur oder nicht. Die Botschaft enthält eine Drohung „es ist alles aus“) und eine Aufforderung zu vertrauen („ihr werdet glücklich sein“), die allerdings im Interesse der Organisation ist, die Informationen bekommen und Kontrolle über die Gewissen haben will. Aber hinter diesen Worten steht keine aufrichtig gemeinte Vereinbarung, und das ist das Skandalöse: Die Prälatur benützt diese aufrichtigen Worte des Betreffenden gegen ihn selbst, wenn sie es für notwendig hält.

- „Ich habe es oftmals gesagt, und ich wiederhole es jetzt, dass ich den nicht von Sünde freispreche- und manchmal kann es eine schwere Sünde sein, die in der Umgebung eines Bruders sind, der sich in traurigen Umständen befindet, und die ihm nicht die Mittel geben durchzuhalten“ (De nuestro Padre, Betrachtung, 28-II-1963), deshalb ist es undenkbar, dass sich das Werk nicht um seine Menschen kümmern könnte. Es werden Jahre vergehen, bis jemand daraufkommt – und man kann Theorien darüber entwickeln, ohne zu merken, dass die Schuld im System selbst liegt – dass alles nur auf das Wohl der Institution ausgelegt ist. In vielen Fällen hat der Mensch dann schon einen irreparablen gesundheitlichen Schaden davongetragen. Für das Werk aber richten sich die moralischen Grundsätze nach den Interessen der Leitung.

- „Die heilige Kirche, unsere Mutter – und zusammen mit der Kirche auch ich, euer Vater, der ich für euch Vater und Mutter zugleich sein muss, wir gewähren euch eine volle Freiheit, damit ihr (…) bei jedem beliebigen Priester beichten könnt, der dazu die Beichterlaubnis hat. Ich kann es freilich nicht unterlassen euch zu raten, dass es das Angebrachteste für eure Seelen sein wird, in voller Beachtung des Rechtes, das jeder von euch hat. Deshalb wiederhole ich noch einmal: Ihr müsst, weil ihr treue, sichere Schafe seid und immer so bleiben wollt, euch immer vom Guten Hirten pflegen lassen“ (De nuestro Padre, Brief, 26-III-1955. Nr. 22). „Wenn wir zu einer Person gehen, die unsere Wunde nur oberflächlich heilen könnte… so geschähe es deshalb, weil wir Feiglinge wären, weil wir keine guten Schafen wären, weil wir die Wahrheit verbergen (…) und einen Arzt aufsuchen, der uns zufällig begegnet, der uns nicht mehr als einige Sekunden widmen kann, der das Skalpell nicht ansetzen, unsere Wunde nicht reinigen kann, und wir würden auch dem Werk schaden. Wenn du so handeltest, hättest du einen schlechten Geist, du wärst ein Schuft. Du begingst damit keine Sünde, aber, wehe dir, du wärst in die Irre gegangen. Du hättest begonnen, der Stimme des schlechten Hirten zuzuhören, du möchtest dich nicht heilen lassen, nicht die Mittel einsetzen“ (De nuestro Padre, Betrachtung, 12-III-1961). Ich weiß also, dass ich ein Recht habe, aber zugleich die Pflicht, entgegen diesem Recht zu handeln, ein Widerspruch, der sich nur zugunsten der Pflicht auflösen kann, denn ich will ja treu und kein „Schuft“ sein. Jedesmal wenn ich mich „außerhalb“ an jemanden wende, werde ich das klare Bewusstsein haben „untreu“ zu sein. Ich wüürde nicht sündigen, aber ich würde etwas noch Schlimmeres tun: gegen das Wort des Gründers handeln  (schlimmer als sündigen?...). Ich habe ein Recht, aber ich setze mich dem Vorwurf  der Untreue aus, wenn ich es ausübe. Es ist ein Recht, das ich in Wirlichkeit gar nicht habe.

Was das Gewissen endgültig erledigt, ist der Widerspruch zwischen einigen schwammigen Freiheitsidealen und einigen kategorischen Grundsätzen oder Geboten, mit denen alle Versuche, die Freiheit zu verteidigen, applaniert werden. Diese Kollision von Ideal und Gebot zerstört die Psyche.

- „Die Vaterschaft ist das festeste Fundament der Einheit im Werk“ (Don Alvaro, in „Betrachtungen“, Bd. V, S. 139). Deshalb darf niemand es wagen die Person des Gründers oder irgendeine seiner kategorischen Behauptungen und Prophezeiungen in Zweifel zu ziehen. Wenn man diesen Satz ein paarmal liest, wird klar, dass nicht Gott die Einheit des Werkes verliehen hat, sondern Escrivá. Aber um zu dieser „häretischen“ Erkenntnis zu gelangen, muss man zuerst so gewichtige Sätze wie den folgenden bewältigen: „Der Geist der Gotteskindschaft ist für die Kinder Gottes im Opus Dei untrennbar mit der Kindschaft zum Vater verbunden, und deshalb gilt: „Wenn ihr nicht gute Kinde des Vaters seid, wenn wir nicht gute Kinder unseres Vaters waren, können wir nicht gute Kinder Gottes sein“ (Don Alvaro, Brief, Nr. 378). Die „Kindschaft“ im Werk ist ein sehr teurer Wegzoll, um zu Gott zu gelangen, und außerdem eine skandalöse Obszönität. Von da zur „Verehrung“ des Gründers (schon zu Lebzeiten und lange vor seiner Heiligsprechung) ist nur mehr ein Schritt. Und so hat die Gestalt des Gründers in seiner geistlichen Bedeutung den Papst ersetzt, den „Pontifex“, die Brücke zwischen Gott einem selbst ist plötzlich… Escriva, Don Alvaro, etc. Bei solchen internen Kriterien und Normen scheint die Frage des Evangeliums angebracht zu sein: Warum setzt ihr die Gebote Gottes um eurer Überlieferung willen außer Kraft? (Mt. XV, 3).

- „Du hast die Berufung und wirst sie immer haben, versicherte unser Vater, versicherte unser Vater bei einer bestimmten Gelegenheit zu einer seiner Töchter. Zweifle niemals an dieser Wahrheit, denn man erhält die Berufung einmal und man verliert sie nicht mehr; allenfalls wirft man sie aus dem Fenster. Wenn dir einmal eine Schwester von dir sagt, dass sie keine Berufung hat, dann erkläre es ihr so, und hindere sie daran, diesen barbarischen Schritt zu setzen“ (zit. von Don Alvaro, Brief, 19-III-1992). Deshalb fällt es mir sehr schwer zu denken, dass sich das Werk geirrt haben könnte und ich deshalb an meiner Berufung „zweifle“. Alle Gedanken über die Beharrlichkeit, die unbestritten bleiben muss, sind immer schuldhaft. Ich habe Jahre gebraucht, um eine solche Aussage aus dem Mund des Gründers in Zweifel zu ziehen, wenn ich mir dabei auch ein wenig schuldig vorkam.

Eine Charakteristik des Werks besteht darin, dass immer irgendeine Frage beantwortet wird, und zwar entweder durch eine Tautologie (Du hast Berufung, weil du berufen bist), oder durch die Berufung auf eine Autorität (Es ist so, weil es der Vater gesagt hat). Erklärungen gibt es prinzipiell nicht im Opus Dei; wer darum bittet, dem werden sie verweigert.

- „Verliere nicht das Vertrauen in die  Direktoren oder in die Direktorinnen. Denn sie werden niemals das Vertrauen in dich verlieren; gestatte nicht, dass du dich von Empfindlichkeit leiten lässt“ (Don Alvaro, Brief, 19-III-1992). Wie kann man so etwas für die Zukunft versprechen, was doch unmöglich ist? Aber der Gedanke, der dahinter steht, ist klar: Das Werk ist vollkommen, du bist unvollkommen, empfindlich.

- „Sei treu, und später wirst du die Vorsehung Gottes in dem erkennen, was dir widerstrebte“ (Don Alvaro, Brief, 19-III-1992), oder anders gesagt, wenn es ein Problem gibt, wird es immer an dir liegen, niemals am Werk. Im offiziellen Diskurs des Werkes sieht sich dieses gegen jeden Irrtum gefeit, es ist jeder Selbstkritik vollkommen unzugänglich. Und der Verweis auf „später“ ist ein Trick, die Beharrlichkeit zu „strecken“.

- „Handle nicht so, wie jemand, der nur zu gehorchen bereits ist, wenn er versteht, worum es geht; lehne dich nicht auf, wenndu die Antwort nicht verstehst, die du bekommen hast“ (Don Alvaro, Brief, 19-III-1992). „Meine Kinder: Seid ganz vereint mit dem Weinstock, an geschmiegt an unseren Weinstock, Jesus Christus, durch den Gehorsam gegenüber den Direktoren“ (De nuestro Padre, Betrachtung, 9-III-1962). Wie das mit einem „intelligenten Gehorsam zusammengehen soll, weiß ich nicht. „Der stärkste Befehl, den wir haben, ist ein „Bitte“. Mit Feinfühligkeit auftragen, indem man die Freiheit, die Intelligenz und den Willen dessen respektiert, der gehorcht. Sonst wäre es ein Kadavergehorsam, und wie ich schon gesagt habe, mit Kadavern will ich nichts zu tun haben. Wir sind lebende Wesen, Söhne Gottes: Und die Toten wollen wir pietätvoll beerdigen“ (De nuestro Padre, Crónica, VII-1966, S. 12). Das ist wirklich schizophren.

- „Das Herz und die Gefühle können uns helfen großzügig mit Gott zu sein, aber sie dürfen weder das einzige noch das stärkste Motiv für unsere Treue sein, sonst wäre das Sentimentalität (…) Es ist entscheidend, wie ich euch soeben ins Gedächtnis gerufen habe, das Herz der Erfüllung des Willens Gottes zu unterwerfen (…). Um zur wahren Treue zu gelangen, ist es entscheidend das Herz hinzugeben und auch den Kopf“ (Don Alvaro, Brief, 19-III-1992); „Das Herz reicht nicht aus, um Gott in seinem Werk zu folgen (...). Das Erste, was man hingeben muss, ist der Kopf“ (De nuestro Padre, Tertulia, 2-X-1972, zit. von Don Alvaro, Brief, 19-III-1992). Im Werk ist die Bekehrung des Kopfes das Wichtigste, dann erst kommt das Herz, das sich den neuen Gedanken fügt. Im Evangelium ist das umgekehrt, dort wird die Bekehrung des Herzens verlangt. Ich kann mir keine Bergpredigt ausmalen, in der es heißt: „Selig sind die, die ihr Herz dem Vertand unterwerfen“. Die Bekehrung des Kopfes hat mehr mit einer Gehirnwäsche zu tun.

Das Opus Dei hat mehr von Leidenschaft als von Verstand. Es ist ein Glaube (an den Gründer und an seine Institution), der sich im Lauf der Zeit mit dem Verstand schlägt (aber dieser „Glaube“ hat sich mittlerweile im Bewusstsein so breitgemacht, dass einen erst eine schwere Krise zum Verstand zurückführen kann. Deshalb ist die Bekehrung des Verstandes notwendig, um ihn auszuschalten, nicht, um ihn zu entwicklen. Viele hoffen, wählen den Glauben auf Kosten des Verstandes; es ist ein Schritt zurück.

- „Wenn ein Kind schon großjährig ist, haben die Eltern kein Recht mehr ihm irgendetwas vorzuschreiben; das Gegenteil wäre ein Missbrauch (…) Wir haben die Pflicht, für uns selbst zu entscheiden“ (De nuestro Padre, Tertulia, 19-XII-1967, in: Betrachtungen, Bd. VI, S. 54-55)  Ist es nicht eigentlich so, dass wir ein Recht dazu hätten? Der Gründer leidet unter der Obsession, Rechte abzuschaffen und Pflichten aufzuerlegen.

- „Wer zum Werk Gottes kommt, tut dies um  sich zu unterwerfen, um sich hinzuschenken, nicht, um seine persönlichen Kriterien durchzusetzen. Mit einem Wort: Er muss sich entscheiden heilig zu werden“ (De nuestro Padre, Instruktion, 1-IV-1934, Nr. 17). „Als der Herr sein Werk begann, hat er uns eine Askese und einen vollkommen säkularen Geist ge­geben sowie einige Mittel, die nicht wie eine Anpassung der Methoden der Ordensfamilien sind“ (De nuestro Padre, Betrachtungen, Bd. VI, S. 345). Wie das zusammenpasst, weiß ich nicht.

- „Wenn sich jemand nicht vollständig hingegeben hat, wird sein Verstand bei der ersten Schwierigkeit stolpern, und er wird Schwierigkeiten haben zu begreifen, was ein zehnjähriges Kind versteht, und er wird den Eindruck haben, dass man ihn nicht versteht. Kind, sprich, und du wirst sehen, wie sie dich verstehen. Es wird nur an dir liegen“ (De nuestro Padre, Crónica, 1972, S. 637.639). In keinem Fall hat man das geringste Recht sich unverstanden zu fühlen, es sei denn, man müsste akzeptieren, dass man „hochmütig“ ist. Und das ist eine Falle, denn es ist falsch. In der Art, wie das Werk seine Bildung erteilt, ist ein Irrtum ihrerseits ausgeschlossen. Der Verdacht fällt immer auf die Person, die Institution ist vollkommen. Ebenso lehrt man, dass das Werk Rechte hat, aber niemals ist von den Rechten der Mitglieder gegenüber dem Werk die Rede (ausgenommen das Recht auf Bildung, also die Indoktrination),

- „Mein Sohn, ich sage das nicht für jetzt… Ich sage dir das, falls du einmal den Eindruck haben solltest, dass dein Herz leer ist. Dann bitte ich dich um deine Treue; Treue, die sich in der Ausnützung der Zeit zeigen muss, in deinem Bemühen, die Phantasie zu beherrschen, den Stolz zu unterdrücken, in deinem Entschluss blind zu gehorchen, um nie das Gebiet zu verlassen, wo der Herr erwartet, dass du arbeitest“ (Betrachtung, 9-I-1956). In den Momenten der Krise wird es sehr schwer sein, keine Fragen zu stellen (bis die Krise endgültig geworden ist); gerade in den Augenblicken der äußersten Verwundbarkeit fordert man den blinden Gehorsam. Außerdem hat man panische Angst davor, dass jemandem freie Zeit bleibt; deshalb ist das Leben völlig ritualisiert, und das widerspricht einem Leben inmitten der Welt. Er gebraucht ja auch das Paradoxon „die Pflicht zur Erholung“; so ist auch die Erholung kein Recht mehr, sondern ein weiterer Punkt auf der langen Liste der Pflichten.

-„ Das Werk gibt euch eine wunderbare Lehre, sodass nur der, der die notwendige Bildung nicht bekommt, der das nicht will; die Mittel fehlen ihm nicht dazu. Kinder, im Opus Dei gibt es niemanden, der sich auf dummdreiste Art weigern würde die Bildungsmittel anzuwenden, aber es könnte geschehen, dass jemand aus Hochmut nicht versteht, wie gut ein  bestimmtes Kriterium für ihn ist. Wenn wir es zulassen, dass wir uns auf diese Weise verstricken, ist es leicht möglich, dass unser Verstand dort Grenzen sieht, wo man uns bittet Liebe hinein­zulegen. Aber mit ein wenig guten Willens und der Gnade Gottes, die uns nicht fehlt, wird der Verstand wieder klar sehen und alles ins Lot kommen. Und ihr werdet eine weitere Schlacht gewonnen haben“. (De nuestro Padre, Crónica, 1972, S. 634 ff.) Deshalb muss jede Bildung im Werk gut sein und die Probleme existieren immer nur in meinem eigenen Kopf, und das wird mich in jedem Fall dazu bringen, eine kritische Haltung unbedingt zu vermeiden, denn sonst wäre ich ja hochmütig. Mein Stolz ist der einzige Grund dafür, dass die empfangenen Kriterien meinem Verstand nicht schmecken. Und wenn mein Herz das Problem ist, muss ich es „ausreißen“. Mein Verstand wird wieder klar sehen, sobald ich meine Kritik aufgebe. Es will mir nicht in den Kopf, dass das Werk sich irren könnte- Es ist unfehlbar.

Also ist es logisch, dass so eine Lähmung des Gewissens beginnt, denn man lässt es nur in der Stickluft des Werkes atmen und sperrt ihm den Sauerstoff ab.

- „Mein Sohn, denke niemals an dich“ (Betrachtung „Zur Ehre Gottes leben, 21-XI-1954), und deshalb hielt ich es für eine gute Sache, mir mein Gewissen zu entfremden und nicht mehr an mich, sondern nur mehr an die Dinge des Werkes zu denken. Das Letzte, woran ich denke, bin ich selbst, denn der Gründer selbst hat mich darauf hingewiesen: „Wenn du in diesen Fehler verfällst, so wirst du es nicht glauben, wenn sie dir sagen, dass du hochmütig bist“ (Ebda.) An sich zu denken ist immer ein Fehler.

- „Wenn ihr im Gegensatz zu dem, der die besondere Gnade von Gott  hat euch zu raten, glaubt, dass ihr recht habt, so habt ihr keinesfalls recht.“ (De nuestro Padre, Nr. 72), oder, du hast nie recht und die Direktoren immer, denn es ist kompliziert wenn du glaubst dass du recht hast eben weil du glaubst dass du nicht recht hast… auf solche Weise wird dir der „Gehorsam“ enorm erleichtert. Niemals würde ich es wagen recht zu haben, denn gleich hätte ich unrecht… ich verzichte also von vornherein darauf, an mich zu denken und bin „auf dem rechten Weg“.

- „Es gibt Menschen, die bei jeder Gelegenheit alles in Frage stellen: ob die Vorgesetzten dieses befehlen können, ob sie jenes befehlen können, ob sie hier befehlen können, ob sie da befehlen können… Im Opus Dei wissen wir, dass man alles befehlen kann – mit dem größten Respekt vor der persönlichen Freiheit im politischen und beruflichen Bereich“ (De nuestro Padre, Betrachtung „Damit man sieht dass es Du bist“. l-IV-1962). Aber wir haben auch diese andere Version: „Ehre, Geld, berufliches Fortkommen, Fähigkeiten, Einflussmöglichkeiten in der Gesellschaft, Bande des Blutes, mit einem Wort: alles, was den Erfolg eines reifen Menschen zu begleiten pflegt, alles muss sich einem höheren Ziel  unterwerfen – ja, unterwerfen: der Ehre Gottes und der Rettung der Seelen“ (De nuestro Padre, Brief, 14-II-1974, Nr. 3). Und war allen klar, dass mit der Ehre Gottes das Opus Dei und mit der Rettung der Seelen der Proselytismus gemeint war.

Wenn du einen Vertrag mit einem bestimmten Datum unterschreibst und dieser Vertrag nachher anders ausgelegt wird, haben wir ein Problem. Wenn das Werk aus irgendeinem Grund befindet, dass sich der Beruf eines Mitglieds „in ein Hindernis“ verwandelt hat, verliert diese Arbeit sofort ihre Autonomie und rochiert in den Bereich „man kann alles befehlen“. Im Werk verlangt man eine „bedingungslose Hingabe“ (De nuestro Padre, Brief, 14-II-1974, Nr. 3). Wer Einwände vorzubringen hat, gilt als „wenig hingegeben“. Das Werk irrt sich niemals, das „rebellische“ Mitglied irrt sich.

-„In einem wohlverstandenen Sinn werdet ihr gewisse Rechte nicht in Anspruch nehmen, denn umgkehrt werdet ihr dafür eine größere Wirksamkeit bei der Arbeit eurer Heiligung erhalten“ (De nuestro Padre, Betrachtung, 12-III-1961), und daraus folgt, dass es meiner Heiligkeit abträglich ist, auf „gewissen Rechten“  zu bestehen, und an mich und meine Rechte zu denken ist nicht gut  („der, der wirklich demütig ist, fordert seine Rechte nicht ein“, Worte aus  „Betrachtungen“, Bd. IV, S. 57). Selbstverständlich gilt es aber unsere Rechte als Staatsbürger nach außen hin wahrzunehmen („wir müssen unsere Rechte einfordern, ohne zuzulassen, dass unsere Freiheit im persönlichen und zivilen Leben auch nur im geringsten eingeschränkt wird“ (Betrachtungen, Bd. V, S. 460), denn im Werk sind die Laien wie die Strohmänner einer klerikalen Ordnung. In der Innenansicht aber gilt es nur noch an die Pflichten zu denken, den „mir der Berufung haben sich die Rechte in die Pflicht zu einer vermehrten Großzügigkeit verwandelt, zu einer größeren Hingabe, in den endgültigen Verzicht auf das eigene Ich“ (Worte aus dem Buch „Betrachtungen“, Bd. IV, S. 583).

- „Diese Hingabe, dieses Einverständnis, diese Liebe müssen uns dazu führen, auf unsere Rechte zu vergessen, auf alles zu verzichten, was unser ist, auf alle unsere persönlichen Angelegenheiten“ (De nuestro Padre, Brief, 9-I-1932, Nr. 7), deshalb umfasst die Hingabe auch die Aufgabe meiner Rechte und meiner Freiheit, und zwar für immer („du hast deine Freiheit Christus hingegeben“. Betrachtung „Leben zur Ehre Gottes“), und man weiß, dass man so auch ganz frei ist („unsere Beharrlichkeit ist die Frucht unserer Freiheit!“ – ebda.). Paradoxerweise erinnere ich mich an die genau entgegengesetzte Lehre, die ich einmal in einer Betrachtung predigen hörte: „Was uns von den Ordensleuten unterscheidet, ist, dass wir unsere Freiheit nicht aufgeben! Also unterscheidet uns dann wohl gar nichts voneinander.

Dieser Verzicht auf alles, was uns gehört, ist das theoretische Fundament und schafft erst die Autorität, um das Gewissen jedes einzelnen Mitgliedes zu verletzen, sich ohne Respekt vor der Intimität in ein fremdes Leben einzumischen. Sich einem solchen Ansinnen zu widersetzen wäre ein Zeichen von „schlechtem Geist“. Es gibt kein „Recht“ auf Intimität, es gibt die „Pflicht“ aufrichtig zu sein (die Rechte haben sich in Pflichten verwandelt) und alle rechte der Peroönlichkeit an die Direktoren abzutreten, damit diese nach den Notwendigkeiten der Vereinigung über die Personen verfügen können. „Wir dürfen nicht vergessen, dass der Ort, an dem wir am wirkungsvollsten sind, derjenige ist, an den uns unsere Oberen Direktoren hingestellt haben: Das ist der Wille Gottes“ (De nuestro Padre, Instruktion, 31-V-1936. Nr. 10).

„Wenn es jemandem im Werk nicht gut geht oder er traurig ist, so geschieht es aus eigener Schuld: Denn die Mittel, um in laetitia zu dienen, stehen allen zur Verfügung“ (De nuestro Padre, Crónica, 1973. S. 644). Das ist eine Behauptung, die keinen Einspruch duldet. Sicher kann man über einen einmal mündlich gebrauchten Ausdruck, diskutieren, aber ebenso sicher ist, dass sich der Ausspruch in eine Lehre verwandelt hat, sobald er einmal schriftlich fixiert ist und ihn die Direktoren wie ein Dogma wiederholen.

Neunundneunzig Prozent der Konflikte, die uns beschäftigen bilden wir uns nur selber ein; es sind wie Kugeln, die wir vor und herschieben und größer werden lassen, Gründe ohne Grund, ein Betrug, um unsere Begehrlichkeit zu überdecken“ (De nuestro Padre, Noticias VIII-1966, S. 8) – und wenn das der Gründer so sagte, dann musste man alles zurückweisen, was wie ein „persönliches Problem“ aussah. Sich selbst verleugnen, dem Gründer zustimmen, nicht bedenken und nicht wahrnehmen, was einem widerfuhr. Ich meinerseits konnte nicht mehr unbefangen über meine Angelegenheiten nachdenken, da der Gründer ja schon alles gewusst hatte. „Und wisst ihr, was bei diesen Konflikten die häufigste Ursache ist? Der Mangel an Demut – der Hochmut. Sie mögen mich nicht, sie kümmern sich nicht um mich, sie beachten mein Talent nicht, sie merken nicht, was ich kann und was ich wert bin… Und dann habt ihr eine Seele, die in wunderbarem  Frieden leben könnte, in Ruhe und unermesslicher Freude, und die aus Stolz, weil sie glänzen will, die Aufmerksamkeit auf sich zieht, weil sie eine besondere Behandlung möchte, wirft sie die Gnade weg und macht sich unfruchtbar. Denn eine Seele, die auf diesen Wegen wandelt, wird, wenn sie nicht ihr Herz öffnet und sich demütigt, nicht nur leiden, sondern auch die anderen leiden lassen, und sie kann auf keine Weise vorankommen“ (De nuestro Padre, Betrachtung, 31-XII-1959). Mit „kanonischen Texten“ wie diesen brauchen die Direktoren keine andere Autorität um die abzuqualifizieren, die Zweifel hatten oder Fragen, wie man die Leute im Werk behandelt, um ein Beispiel zu nehmen. Diese Worte des Gründers nehmen nicht nur eine mögliche Kritik vorweg, sie sprechen auch  ein unumstößliches Urteil aus. So ist es, und aus. Wer nicht so denkt wie das Werk, der ist hochmütig. Diese Worte sind anmaßend, aggressiv. Sie zeigen, dass da einer gar nicht zuhören will, sondern lediglich verurteilen, und sie verurteilen von vorn herein, indem sie den Menschen demütigen. Diese Worte des Gründers sind wasserdicht, sie lassen keinen Spielraum. Gut, einen Spielraum von einem Prozent. Wie Paradox ist der Gegensatz, von einem, zu hundert…

- „Ich kann keine persönlichen Probleme haben, denn ich kann nicht an meine Angelegenheiten denken – ich habe keine Zeit“ (De nuestro Padre, Crónica VII.66, S. 10),  Worte,  die zeigen, wie die Menschlichkeit im Werk vernichtet wird. Es ist nicht möglich, ein „menschliches Wesen“ zu sein, man muss sich verleugnen und auslöschen, die eigenen persönlichen Probleme unterdrücken. Aber es ist nicht möglich „keine Probleme zu haben“; man kann sie nur verdrängen. Das Werk interessiert sich nicht für die persönlichen Belange des einzelnen. Wie das mit der Nächstenliebe und der Brüderlichkeit vereinbar ist, weiß ich nicht.

- „Ihr müsst euch ganz proselytistisch fühlen und jede Art von Furcht abstreifen. Ich müsst euch für denProselytismus umbringen, denn darin besteht unsere Wirksamkeit“ (De nuestro Padre, Crónica, 1971, S. 302). „Keiner meiner Söhne kann ruhig sein, wenn er nicht jedes Jahr vier oder fünf Berufungen bringt, die treu bleiben“ (De nuestro Padre; in: Betrachtungen, Bd. IV, S. 465). „Der Proselytismus ist der beste Beweis dafür, dass man die anderen Seelen liebt. Ich habe euch immer gesagt, dass jeder einzelne von euch, nachdem er die Dinge dem Herrn im Gebet vorgetragen hat – jedes Jahr zumindest zwei Berufungen hervorbringen muss, entsprchend dem göttlichen Gebot: compelle intrare [nötigt sie einzutreten] (Lk. IV, 23), das ist eine Einladung, eine Entscheidungshilfe, niemals, auch nicht von ferne, Zwang. Denn ein Hauptcharakteristikum unseres Geistes ist der Respekt vor der persönlichen Freiheit aller, das compelle intrare,  das ihr im Proselytismus  lebt, ist nicht wie ein Stoß  mit der Hand, sondern der Überfluss von Licht und guter Lehre; der geistliche Antrieb eures Gebets und eurer Arbeit, die das echte Zeugnis der Lehre ist, der Berg an Opfern, die ihr bringt, das Lächeln, das auf euer Gesicht steigt, weil ihr Kinder Gottes seid; die Kindschaft, die euch mit einem heiteren Glück erfüllt – auch wenn es in eurem Leben gelegentlich nicht an Widerspruch fehlen sollte – das ist es, was die anderen sehen und worum sie euch beneiden. Fügt zu alldem euren Charme und eure menschliche Sympathie, und ihr werdet erfasst haben, was dieses compelle intrare ausmacht“ (De nuestro Padre, Brief, 24-X-1942). Es ist schwer die Nötigung zu leugnen, wenn man konkrete Zahlen und Ziele vorgibt. Man könnte den Proselytismus auch als Ausfluss der Nächstenliebe verstehen; so allerdings, wie er gehandhabt wird, ist er nichts anderes als das  Marketing zur Akquise für Berufungen zum Opus Dei. Wenn jemand nicht die vorgegebenee „Quote“ erreicht hat, darf er nicht ruhen, und man muss alles geben, um das Ziel zu erreichen. Was bitte ist das, wenn nicht Zwang?

- „Man muss es verstehen sich aufzulösen, sich zu zerstören, auf sich selbst vergessen; man muss vor Gott ausbrennen, aus Liebe zu Gott und aus Liebe zu den Menschen, wie diese Kerzen, die sich vor dem Altar verzehren, die ausbrennen, bis nichts mehr vorhanden ist und sie sich von allem entäußert haben“ (De nuestro Padre, Betrachtung, 16-II-1964) So sind viele auf der Strecke geblieben: ausgebrannt, ohne materielle Mittel, krank. „Es verstehen sich aufzulösen“: Die Parole ist unverständlich und unentschuldbar. Das Werk fordert beständig die Selbstaufopferung, die Selbstzerstörung. „Sich im Dienst des Werkes zu verzehren“; und auch finanziell so viel nur immer geht hergeben.

Wir, die wir im Werk gelebt haben, wissen, dass dies nicht im entfernsten eine Metapher ist – es ist ein Gebot. Das Schlimmste von allem ist aber das Faktum, dass wir geglaubt haben, diese Selbstzerstörung wäre etwas Gutes, das in den Augen Gottes angenehm sei. Eine destruktivere Zwickmühle lässt sich kaum  finden. „Es gibt Momente, in denen die dreifache Begehrlichkeit, die Fleischeslust, die Augenlust und die Hoffahrt des Lebens (1 Joh. II, 16)  uns blenden, uns verdunkeln, uns dumm machen. Und dann erscheint uns alles schlecht, und die Freude, Ganzopfer zu sein, die wir bei so vielen Gelegenheiten gefühlt haben, uns auf dem Altar Gottes zu verbrennen, zu dem wir jeden Tag hingetreten sind zu Dem, Der unsere Jugend froh macht, diese Freude verschwindet“ (De nuestro Padre, Crónica, 1974, S. 914ff.).

„Ich weiß, dass ihr und ich sehen, dass es Dinge gibt, die wir ausreißem müssen, und wir werden sie ausreißen; dass es Dinge gibt, die wir verbrennen müssen, und wir werden sie verbrennen; dass es Dinge gibt, die wir hingeben müssen, und wir werden sie hingeben.“ (De nuestro Padre, Brief, 24-III-1931, Nr. 62) „Man muss zerstören, was schlecht in einem ist – so könnte man naiv argumentieren. Aber wer entscheidet, was schlecht ist? Die Direktoren… Und die Formel „sich zu zerstören“ geht aufs Ganze, hält sich nicht bei Details auf.

- Eine andere Art, Menschen  zurückzuhalten, war die Behauptung, dass es die Erlösung nur innerhalb des Werkes gäbe, denn der Rest sei bereits verfault, und wir hätten darüber hinaus die Pflicht, sie zu reinigen. „Als wir vom Boot und von den Netzen gesprochen haben, bezogen wir uns, ihr und ich, immer auf die Netze Christi, auf das Boot des Petrus und auf die Seelen. Deshalb spricht der Herr: Folgt mir nach, und ich werde euch zu Menschenfischern machen (Mt. IV, 19). Gut, ich kann es verstehen, wenn einige dieser Fische, einige dieser Menschen, die sehen, was hier auf der ganzen Welt und in der Kirche Gottes los ist, angesichts dieses Meeres, das von Unreinheit bedeckt zu sein scheint, und angesichts dieser Flüsse, die voll sind wie schmutzige Kanäle, wo sie weder Nahrung noch Sauerstoff finden: wenn diese Fische denken – und wir denken an einige Fische  ,die denken, weil sie eine Seele haben -, könnten sie zu dem Entschluss kommen; Es reicht, ich springe hier raus, und weg! Es zahlt sich nicht aus hier zu leben. Ich werde an die Küste gehen, ein paar Bissen nehmen und tief Luft holen .Basta! Nein, meine Kinder; wir müssen Ihm nachfolgen – inmitten dieser verfaulten Welt“ (De nuestro Padre, Crónica, 1973. S. 275 ff..). Wenn es auch undenkbar klingt, von „Unreinheit“ im Werk zu sprechen, scheute der Gründer nicht davor zurück, von Unreinheit innerhalb der Kirche zu sprechen (denn wenn es ihm passte, waren die Kirche und das Werk plötzlich zwei verschiedene Paar Schuhe). Dabei ist nicht ganz klar, was unter „drinnen“ und „draußen“ zu verstehen ist (Wenn das Meer die Welt ist und das Boot die Kirche, was ist dann das Ufer?). Aber wenn Unreinheit innerhalb der Kirche… nicht aber innerhalb des Boot, in dem ich mich befinde – welches fleckenlose Boot ist das dann genau? Das Opus Dei. „Ich liebe den Heiligen Vater aus ganzer Seele, den jetzigen und diejenigen, die danach kommen werden. Deshalb würde ich mir eher die Zunge ausreißen als ein einziges Wort der Kritik zu sprechen, ein Urteil aus Mangel an Liebe. Aber wir alle machen die Erfahrung, dass es man es sehen, fühlen, hören kann, dass es nach Fäulnis riecht, dass manche Dinge dem Gaumen widerstreben. Diese Elemente, die mit allen Sinnen zu fühlen, mit Händen zu greifen sind, die müssen wir allerdings beurteilen,vor allem ich, emine Töchter und Söhne, der ich den Auftrag habe meinen pusillus grex, meine kleine Herde zusammenzuhalten, bis zur Erlösung)“ (De nuestro Padre, Crónica, 1973. S. 275 ff.). Wenn man solche Texte gelesen hat, erscheint es nicht abwegig zu denken, dass man im Werk sagt „Wir lieben den Papst“, und zugleich, dass es einem weh tut das Übel in der Kirche zu sehen, die voller Fäulnis ist, und dass „wir für alles Gute danken“, das uns das Werk beschert hat, das sich makellos und ohne Fäulnis präsentiert. Vom Werk hat man immer nur gesagt, wie heilig und schön es ist. „Dass mir niemand aus dem Wasser springt. Wer das unternehmen würde, wäre ein Feigling, mit wenig Vertrauen in die göttliche Vorsehung. Man kann es verstehen, wenn das Lehrgebäude wankt, die Moral lax und zügellos wird und die Führung ihre Autorität verliert, mit einer schwammigen Gesetzgebung – man kann es verstehen, wenn unter diesen Umständen die Versuchung auftaucht, aus dem schmutzigen Wasser der Welt zu springen, um zum Gras am Ufer zu gelangen. Aber ihr wisst schon, was es ist, das Gott von uns verlangt.Wir müssen jeder einzelne ein Becken mit sauberem Wasser sein. Alle zusammen müssen wir dieses saubere Staubecken bilden, und jene Fische anziehen, die an unserer Seite arbeiten. Und wir müssen die Welt reinigen und die Seelen retten“ (De nuestro Padre, Crónica, 1973. S. 277). Sprach er vorher von dem, was in der ganzen Welt und innerhalb der Kirche Gottes geschieht, dem „Meer, das von Unreinheit bedeckt schient“,  so sprach der Gründer von einem „einzigen Meer“, dass die Welt und die Kirche umgibt. Dieses Meer nicht zu verlassen heißt, das Werk und seine Sendung nicht zu verlassen und das Meer (die Kirche und die Welt) zu reinigen. Hätten wir das von vornherein gewusst (das war das zweite Netz), hätten wir die Beteuerungen des ersten Netzes nur schwer gegelaubt ohne eine tiefe Kritik. Wir hätten es schwerlich zugelassen, dass wir zu einer solchen Institution gehören sollten.

Rekonstruktion der Vergangenheit.

Es gibt viele Hindernisse für eine solche Rekonstruktion; eine davon, eine wichtige, ist der Mangel an Solidarität von Seiten derer, die von den unmoralischen Aspekten am Opus Dei nichts wissen wollen. Es ist ihnen lästig, das idealisierte Bild, das sie sich vom Werk gemacht haben, kompromittiert zu sehen; sie sind nicht zum Dialog bereit, wohl aber dazu, den anderen zu verurteilen. Viele zappeln noch immer im Netz und denken nur, was sie denken dürfen; ich habe diese Erfaghrung an mir selbst gemacht und an vielen  anderen, die ich kenne.

Gibt es am Opus Dei den gar nichts Gutes? Die Fragestellung übersieht das Gute, denn problematisch ist ja nur, wie aus so viel Gutem so Schlimmes entstehen kann. Wie können so widerstreitende Elemente vereinbar gemacht werden? Ich jedenfalls gehe nicht davon aus, dass „alles schlecht“ ist¸es ist schon vieles gut, aber das erhöht die Schuld der Institution, die daraus etwas anderes macht.

***

Ich denke, dass jene Texte des Gründer, die zitiert wurden, sowie andere notwendig sind, um an  den unangreifbaren Körper des Opus Dei heranzukommen. Wir haben ein Anrecht auf diese Texte, denn sie helfen uns das Corpus delicti zu rekonstruieren uind die Leiche dann pietätvoll zu veerdigen. Denn es ist schrecklich, einfach so zu gehen; nicht nur für den Moment, so wie du bist, ohne Geld, Dinge, Zuwendung etc. – du hast auch keine Vergangenheit mehr. Du kannst deine Vergangenheit nicht rekonstruieren; du kannst nicht beweisen, dass es so war, du kanst dir keine Rechenschaft über das abgeben, was dein Leben war. Du warst wie ein Geheimagent, dessen Existenz beim Ausscheiden aus seinem Dienst gelöscht wird.

Auf gewisse Weise hat jemand, der die Institution verlässt, kein „Recht auf seine Vergangenheit“ (die gehört dem Opus Dei, dem er  sein Leben hingegeben hat – dachtest du etwa, dass du es Gott hingegeben habest? Nun, das habe ich auch geglaubt. Wer nicht mehr dazugehört, hat kein Recht mehr auf diesen Teil seiner Geschichte, ebenso wenig wie auf die „internen Schriften“.

Zum Teil steckt darin die Überzeugung, es sei „verboten darüber zu reden“. Manchmal glaubten wir, das Opus Dei hätte auch die Deutungshoheit über unsere Vergangenheit, und ohne seine Erlaubnis dürften wir gar nicht darüber sprechen. Es war alles schon in der Wurzel vergiftet – denn wir haben unser Leben nicht dem Opus Dei verkauft, wir sind einen Vertrag der Liebe mit Gott eingegangen.

Wer sich davor fürchtet zu Netzen – zu Netzen, keine Offensive zu starten – selbst unter einem Pseudonym, privat oder unter Freunden, steht irgendwie noch immer unter der Zuchtrute des Opus Dei. Es ist so, als wären sie von vielen Verprechen  entbunden, nur nicht von dem des Schweigens.

Die Bitte um Dispens, die sie uns am Ende noch zu schreiben gezwungen haben, wurde uns unter der Verpflichtung gewährt, dass wir bis zum letzten Augenblick gut über das Werk sprechen – das war ein psychologischer Trick, um uns auch für die Zukunft gefügig und unschädlich zu halten. Ohne es zu wissen, gingen wir im letzten Moment eine neue Verpflichtung ein, unter Zwang unterschrieben, denn ohne die Unterschrift hätten sie dir die Dispens nicht gegeben, die wir damals zwar für eine moralische Notwendigkeit hielten, die es allerdings in dem Fall nicht war, wenn das Opus Dei selbst der erste Grund für den Bruch des Vertrags gewesen sein sollte. – Passender wäre ein Absagebrief gewesen, wie man ihm einem Freund schreibt; aber dass dich das Opus Dei erst dann dispensiert, wenn es dir eine neue Verpflichtung auferlegt hat, ist eine Perversion.

Aus all diesen Gründen halte ich es für wichtig die Form zu finden, wie man das Opus Dei beerdigt und frei zu sprechen lernt. Es gibt nichts Schlimmeres, als wenn  man drinnen gelitten hat und dann draußen dem gleichen Terror unterliegt.