José María Escrivá Albás: Einige historische Probleme
Jaume García Moles
05/08/2013
20. Beitrag:
Kap. 4: Im Seminar von Saragossa
DIE PRIESTERLICHE KARRIERE ESCRIVÁS: EINE BEGRIFFSKLÄRUNG
Die Hagiographen widmen sich mit einer wahren Leidenschaft der Aufgabe uns zu erklären, was das Priestertum für Escrivá bedeutete, oder zumindest sein Priestertum, und dass es etwas ganz anderes war als das, was er und sie unter einer „priesterlichen Karriere” verstanden.
Ich sehe, und ich denke, die Mehrzahl der Menschen denkt auch so, ich sehe in dem Ausdruck „priesterliche Karriere“ nicht Schlimmes, man kann an der Universität, bei Militär, im Veraltungsdienst, im Gerichtswesen, in der Kunst Karriere machen, und ich verstehe darunter eine berufliche Beschäftigung, die sich in verschiedenen Erfolgen und Zufällen entfaltet: Ernennungen, Beförderungen, Prüfungen, Wahlen, etc. Es ist das, was man in einem Curriculum zu vermerken pflegt, das durchschnittlich oder brillant sein kann. Wenn man also ausdrücken will, dass jemand eine in gewisser Hinsicht tadelnswerte Karriere gemacht hat, müsste man ein Adjektiv hinzufügen; opportunistisch, erstrebert, erschlichen, egoistisch, käuflich etc. Auch wenn man jemanden loben will, müsste man hinzufügen: rasch, brillant, anerkennenswert etc.
Auch im Fall einer „priesterlichen Karriere“ kann man den Begriff des „Karriere-Machens“ auch als durchaus neutral vom moralischen Standpunkt her betrachten. Karriere zu machen wäre dann nichts anders als die Mittel einzusetzen, um die berufliche Situation zu ändern, sie reicher, mächtiger , bequemer, so dass sie mehr den persönlichen Neigungen entspricht oder en Talenten, die wir von Gott empfangen haben. In diesem Sinn kann „Karriere zu machen“ etwas Lobenswertes oder Tadelnswertes sein.
Im Fall der priesterlichen Karriere könnte man sagen, dass ein Priester, der keine „Karriere machen“ will oder den das nicht interessiert, sich der göttlichen Vorsehung und seinen Vorgesetzten überlässt, die entscheiden werden, an welcher Stelle er seine Arbeit machen wird, ohne von seiner Seite in diese Entscheidungen einzugreifen. Damit will ich nicht sagen, dass dieser Priester nicht die nötige Sorgfalt anwenden müsste, um in der Tugend und in den Wissenschaften zu wachsen, sondern nur, dass er beides nicht eigenmächtig ins Spiel bringen möchte.
Eine Lehre Escrivás an die Seinen war es beispielsweise, keine Aufträge oder Ernennungen zu wünschen oder gar anzustreben. Das heißt, im Werk Escrivás ist es den Numerariern, seien sie nun Priester oder nicht, verboten „Karriere zu machen“, in dem, was sich auf die apostolischen Arbeiten des Werks oder auf seine Leitung bezieht. So sieht man es im Werk sehr scheel an, wenn einer „Karriere machen“ will, denn man setzt voraus, dass die Leiter mit der notwendigen Gnade ausgestattet sind um zu wissen, an welcher Stelle ihre Untergebenen Gott die meiste Ehre machen werden.
„Karriere zu machen“ im akademischen, militärischen, im beruflichen Sinn kann einfach bedeuten, die Mittel einzusetzen, um sich zu bilden und die eigene Arbeit besser auszuüben und sie besser zu beherrschen. In diesem Sinn könnten wir das „Karrieremachen“ auch als Pflicht oder als verdienst sehen. Andererseits wäre es eine „Karrieremacherei“ im schlechten Sinn, wenn man diese Anerkennung haben möchte, ohne sie zu verdienen, oder wenn man sie mir unwürdigen Mitteln anstrebt. Bei einem Priester kann, ebenso wie bei einem Laien, der Begriff Karriere also positiv oder negativ besetzt sein, je nach den Absichten, den angewendeten Mitteln und der Art, sie anzugehen. Das Ergebnis wäre eine „priesterliche Karriere“, im guten oder schlechten Sinn.
Aber Escrivá und seine Hagiographen behandeln das Thema der priesterlichen Karriere Escrivás nicht mit einer solchen Klarheit. In ihrer Diktion ist die „priesterliche Karriere“ etwas Diffuses, eine bestimmte Auffassung vom Priestertum, die, nach dem Zeugnissen, die sie uns bieten, einige Seminaristen und Priester hatten, die mit der Auffassung Escrivás kontrastierten. Das entscheidendste Merkmal, das ich bei den Hagiographen hinsichtlich dieses Konzepts einer „priesterlichen Karriere“ gefunden habe, ist, dass sie sie als „administrativ“ qualifizieren1. Einer der Zeugen, Francisco Moreno Monforte, um kurz darauf den Unterschied zu erklären, wie Escrivá sein Priestertum verstand, im Gegensatz zu seinem Onkel Don Carlos Albás, dem Archidiakon der Kathedrale:
Sein Onkel war ein Kirchenmann, der an eine kirchliche Karriere gedacht hatte und der als Archidiakon bereits das Gefühl hatte, es geschafft zu haben. Josemaría hingegen (…) hatte nicht das geringste Interesse, mit seinem Priestertum Karriere zu machen, und man merkte, dass er nur deshalb ins Seminar ging, weil er dem entsprechen wollte, worum Gott ihn bat2.
Etwas später werde ich meinen Kommentar über die Glaubwürdigkeit von dieser Art Zeugnissen machen. Einstweilen will ich nur erklären, dass dieses Zeugnis entgegen dem ersten Anschein gar nichts erklärt, denn man kann annehmen, dass auch Don Carlos, wie die Mehrzahl der Seminaristen, im Seminar nur dem entsprechen wollte, worum Gott ihn bat, das heißt, Priester zu werden. Außerdem vergleicht dieser Zeuge den Horizont des Archidiakons nach dreißig Jahren Priestertum mit dem, was Escrivá im Seminar dachte. Hätte der Zeuge Moreno Monforte von den wiederholten Versuchen Escrivás gewusst, Bischof zu werden, hätte er dann weiterhin an einen solchen Unterschied zwischen Onkel und Neffe geglaubt, und was sie für den Gipfel ihrer Erwartungen hielten? Was wollen die Hagiographen mit ihren hartnäckigen Versicherungen, Escrivá hätte keinerlei Interesse an einer „priesterlichen Karriere“ gehabt? Sie bewirken, dass der Leser glauben soll, dass die „priesterliche Karriere“, wie sie sein Onkel Carlos und viele andere Priester verstanden, etwas „Administratives“ war, das grob gesagt, die wahre Ausübung eines heiligmäßig gelebten Priestertum eher behinderte. Diejenigen, die an einer solchen Karriere interessiert waren, so wird unterschwellig bedeutet, hatten keine reinen Absichten, sie waren keine guten Priester. Das Wort „priesterliche Karriere“ ist nicht unmittelbar pejorativ, aber wenn man die lobenden Beiworte für Escrivá wahrgenommen hat, der ein solches Priestertum nicht anstrebte, dann weiß man, was man davon zu halten hat. Zum besseren Verständnis zitiere ich Vázquez3:
Josemaría, der halbe Sachen nicht mochte, hatte sich mit ganzer Seele darauf vorbereitet, die seiner Berufung zum Priestertum eigene Fülle zu empfangen, wie ein Liebesideal. Deshalb ist es nicht erstaunlich, dass, so wie manche seiner Mitschüler seinen Eintritt ins Priesterseminar nicht verstanden hatten, sich später einige Seminaristen über seine Gleichgültigkeit gegenüber dem „Karriere-Denken“ wunderten.
Vázquez gibt auf diese Weise dem Leser die Idee ein, dass der Gedanke an eine „priesterliche Karriere“, den einige Seminaristen haben könnten, etwas mit Mittelmäßigkeit zu tun haben könnte, die eben nicht die der Berufung zum Priestertum eigene Fülle (…) empfangen wollten, wie ein Liebesideal. Er formuliert allerdings mit großer Vorsicht diese Interpretation der „priesterlichen Karriere“, auf die jedenfalls nur einige Seminaristen erpicht waren, denn er kann ja nicht offen alle Seminaristen und Priester anschwärzen.
Der Leser wird sich nach dem Grund fragen. Er ist leicht zu entdecken. Die Hagiographen versuchen uns glauben zu machen, dass die kirchlichen Autoritäten, von denen er abhängig war, Escrivá ungerechterweise in eine solche Karriere drängen wollten, bzw. dass die gewöhnliche Karriere der meisten Priester von damals in der Interpretation der Hagiographen etwas war, das eines guten Priesters unwürdig war.
In diese Richtung scheint es mir zu gehen. Sie haben eine solche Verehrung für ihren Helden und für jede einzelne seiner Handlungen, dass sie nicht zögern, in ihren Urteilen über die Priester im allgemeinen noch über Escrivá selbst hinauszugehen. In den Catalina selbst gibt es sehr wenige Passagen, die sich als abfällige Äußerung Escrivás über Priester verstehen lassen. Aber das Gegenteil ist der Fall; manchmal entschlüpft ihm ein verräterischer Ausdruck. Meist hängen diese Bemerkungen mit heiklen Punkten in seinem Leben zusammen.
Wir werden im Einzelnen sehen, wie die Hagiographen diese Tränen der Enttäuschung rechtfertigen werden, die Escrivá vergoss, als er als Aushilfspfarrer nach Perdiguera geschickt wurde, ein Dorf, das 30 km von Saragossa entfernt lag. Die Neugeweihten wurden alle weiter weg geschickt, bis auf einer, der als Priester für die Matutin nach La Seo kam bzw. als Hilfskraft für den Regenschori der Kathedrale4. Dass Escrivá sich dagegen aufgelehnt hätte, wird nicht berichtet; das hätte die Leser der Positio oder anderer Hagiographien verprellt, aber man die Anstrengung unternommen, uns dahingehend zu impfen, dass wir im eigenwilligen Konzept, das Escrivá von Priestertum und Gehorsam hatte, etwas Gutes finden. Deshalb fühle ich mich verpflichtet, seine konfuse Argumentation in Ruhe und sorgfältig durchzugehen, die voller Banalitäten, aber auch logischer Sprünge ist.
ESCRIVÁ WEIST FÜR SICH DIE GEWÖHNLICHE PRIESTERLICHE LAUFBAHN ZURÜCK
Vázquez widmet sich einen ganzen Abschnitt von etwa zehn Seiten lang dem Thema Priestertum und kirchlicher Karriere5. Er beginnt mit umfangreichen Darstellungen über das äußere Verhalten Escrivás um 1918, seine Eleganz, seinen Ernst, seine Liebenswürdigkeit, seinen kommunikativen, aber starken Charakter, sein Frömmigkeitsleben, den zurückhaltenden Umgang mit Mädchen. Unter anderen Details, bei denen nicht ganz klar wird, womit er mit ihnen hinauswill, widmet er eine ganze Seite den Erinnerungen Portillo. Dieser legt Escrivá die folgenden Worte in den Mund, in denen er über die Zeit berichtet, als er begann täglich in die Messe zu gehen:
Bald bemerkte ich, dass eine ganze Reihe betagter Arbeiterinnen aus der Tabakfabrik und ergrauter Offiziere auch in die Kirche kamen. Man konnte erraten, dass der eine oder andere für die Jugendsünden Buße tat. Diese reumütigen Frauen und Offiziere erinnerten mich an Maria Magdalena.
Man weiß nicht, ob Portillo das zitiert, um die Reife Escrivá zu zeigen, dass er bereits mit einem prophetischen Geist begabt war, der in den Herzen lesen konnte, oder um zu zeigen, dass er herablassend auf die Zigarettenarbeiterinnen und die Militärs mit den weißen Schnurrbärten herabsah, indem er andeutet, dass sie vielleicht einmal große Sünder gewesen seien. Ich zitiere dies, weil es ein Muster dafür abgibt, wie ein und dieselbe Sache auf verschiedene Art und Weise interpretiert werden kann, auf die der Hagiographen, und auf meine. Der Leser möge seine eigenen Schlüsse daraus ziehen.
Ich fahre mit Vázquez fort, das heißt, mit der Positio. Er wechselt das Register und nähert sich dem Thema „Karriere“ auf Umwegen und konfus. er beschreibt uns, dass Priester damals auf der Straße schlecht aufgenommen wurden, und dann konzentriert er sich auf die Verachtung, die ihnen die oberen Klassen entgegenbrachten. Damit begründet er auf sehr bescheidene Weise, warum unter den Seminaristen nur wenige das Abitur hatten, oder dass viele unkultiviert waren. Um das zu zeigen, zitiere ich folgende Passage von Vázquez:
In diesem Kontext wird verständlich, dass ein Großteil des Diözesanklerus latent eine ungerechte Demütigung seitens bestimmter Gesellschaftsschichten erfuhr, die neben ihrer Areligiosität sich hochnäsig mit ihrem Wissen brüsteten.6
Er fährt fort darzulegen, warum in den oberen Klassen das Priestertum wenig erstrebenswert war:
Menschlich betrachtet, bedeutete der Eintritt ins Priesterseminar für viele gleichsam den Verzicht auf künftigen materiellen Wohlstand, denn es war vorauszusehen, dass sie später als Landklerus, als Stadtpfarrer, als Kaplan eines Konvents oder als Militärseelsorger tätig würden. Wenn sie höhere intellektuelle Fähigkeiten oder andere persönliche Eigenschaften besaßen, so konnte sie eventuell eine Domherrenstelle, einen Lehrstuhl oder eine Pfründe bekommen.
Plötzlich legt Vázquez seine Aufmerksamkeit auf Escrivá, denn in seinem Fall bedeutete der Eintritt ins Priesterseminar den Verzicht auf ein Studium mit sozialem und wirtschaftlichem Prestige, wie es Architektur und Jura verhießen. Ihm war klar, welche Perspektiven sich ihm nach der Priesterweihe im kirchlichen Räderwerk boten.
Und sofort zitiert er Worte Escrivás, deren Zeitpunkt sich nicht ermitteln lässt, vielleicht stammen sie aus dem Jahr 1974, wie ich aus der Quelle ermittle, die er zitiert7:
Sie [die Seminaristen] begannen ihre Laufbahn… strengten sich an und versuchten, von einer Pfarrei in eine bessere zu gelangen. Wer dafür geeignet war, bewarb sich um eine Stelle als Kanoniker. Nach einiger Zeit wurde man dann in das Domkapitel aufgenommen, aus dem das nötige Personal für die Leitung der Diözese und für die Ausbildung des Klerus im Priesterseminar hervorging…
Und hier entschlüpft Escrivá einmal ein Ausdruck seines verborgenen Ressentiments. Er spricht über die Priester als kämen sie aus der Fabrik und würden für den Transport verpackt. er verwendet die 3. Person Plural, d. h., er schließt sich dabei aus. Das mutet eher merkwürdig an, schließlich kam er ja auch aus dem Seminar wie die anderen. Für die Einsetzung in ein Domkapitel verwendet Escrivá die Vokabel metían: Sie setzten sie ein wie Möbelstücke. Verächtlich ist auch das Wort elementos, in der deutschen Übersetzung kartlos „Personal“; damit meint er seine Brüder im Priesteramt.
Ich frage mich, ob es an dieser Beschreibung etwas Schlimmes gibt, abgesehen von der Verachtung, die sie ausstrahlt? Es sagt, dass sie sich anstrengten, aber es scheint auch, dass die Art, wie sie Karriere machten, ihn störte, das heißt, dass sie studierten, um sich besser zu bilden und Entscheidungsprüfungen zu bestehen; und dass es ihn gestört hat, dass sie später, reicher an Jahren und an Erfahrung und schon ein wenig ausgebrannt, an Stellen versetzt wurde, wo sie es ein wenig ruhiger hatten oder eine größere Verantwortung.
Vázquez bietet uns sofort eine Erklärung, was die Hagiographen unter einer „priesterlichen Karriere“ verstanden, denn er kommentiert hier die zitierten Worte Escrivás von 1974:
Kurz gesagt, das Priesterdasein bedeutete für manchen Geistlichen 8 so etwas wie eine administrative Tätigkeit, eine Auffassung, die Josemaría keinesfalls teilte. Der junge Seminarist fühlte sich nicht zu einem solchen Weg berufen.
Warum spricht er von einem Verwaltungsposten, wenn Escrivá das normale Curriculum eines Priesters anspricht? Es wäre so ungerecht, wie wenn man über einen Arzt, der vier Jahre als Unfallchirurg an einer Klinik gearbeitet hat, sagen würde, dass er einen Verwaltungsjob ausgeübt habe. In der Folge zitiert Vázquez eine Betrachtung von Escrivá vom 14. Februar 1954:9
Das war nicht das, worum Gott mich bar; Ich wollte nicht Priester sein, um Priester zu sein, Cura, wie man in Spanien sagt, Ich verehrte die Priester, aber ich wollte ein solches Priestertum nicht für mich10.
Wenn ich diese Argumentation mehrmals lese, bleibe ich ratlos, weil ich keinen Sinn darin sehe, oder schlimmer noch, wen ich einen finde, finde ich ihn abstoßend. Wenn ich die Ansichten Escrivá zusammenfasse, wie sie Vázquez darstellt, komme ich zu folgendem Ergebnis:
1. Ein großer des Klerus fühlte sich durch die Verachtung der oberen Klassen erniedrigt.
2. Die jungen Leute aus diesen Klassen wollten nicht Priester werden, weil die normale oder sogar außerordentliche kirchliche Karriere, die ihnen Lehrstühle oder Kanonikate gebracht hätte, hätte bedeutet, dass sie auf künftigen materiellen Wohlstand verzichteten.
3. Als Escrivá in das Seminar eintrat, war ihm vollkommen klar, dass sein Ehrgeiz ihn hier leicht auf ein höheres soziales und ökonomisches Niveau bringen könnte.
4. Die kirchliche Karriere, die Gott für Escrivá nicht wollte, war zufälligerweise dieselbe, die die oberen Klassen verachteten.
5. Escrivá wollte das nicht, weil Gott es ebenso wenig wollte.
Wenn man die beiden ersten Punkte vergleicht, die letztlich nur das beschreiben, was die oberen Klassen angeblich dachten und wie das die Priester störte. Man kann sich denken, dass Vázquez hier erklären wollte, dass es sich um einen Circulus vitiosus handelte: Weil die Priester Bildung und Manieren vermissen ließen, hatten sie wenig Prestige in den oberen Klassen, und das hielt die jungen Leute aus diesen Klassen ab, Priester zu werden.
So ist es aber nicht, denn Vázquez sagt uns, dass die oberen Klassen das Priestertum mieden, nicht aufgrund ihrer Erziehung, sondern um nicht auf künftigen materiellen Wohlstand verzichteten. Das heißt, es ging ihnen wie dem reichen Jüngling im Evangelium; die Ausfrührungen des Biographen scheinen wie ein Reflex auf einen Ausschnitt der Wirklichkeit jener Zeit, aber ihre Bedeutung liegt in einem Aspekt, den wir nur klar erkennen, wenn wir ihn mit Punkt 3 vergleichen.
Dort spinnt Vázquez den Gedanken aus – und auch Escrivá ist diesem Gedankengang mehrmals gefolgt – dass es für ihn leicht gewesen wäre künftigen materiellen Wohlstand durch eine Karriere als Architekt oder Jurist zu erlangen. Tatsächlich hatte ihm der Vater aber bereits erklärt, noch bevor sein Sohn ins Seminar eigetreten war, dass seine Mittel nicht ausreichten, um ihn Architektur studieren zu lassen. Was Jura betrifft, so wird es noch viel über seine Fähigkeit zu fortgesetzter intellektueller Arbeit geben. Aber auch wenn wir die positive Einschätzung von Vázquez teilen, so können wir doch lediglich feststellen, dass Escrivá sich von Wunschvorstellungen und nicht von Realitäten leiten ließ, als er ins Priesterseminar eintrat. Keinesfalls kann man sagen, dass die Entscheidungen Escrivás großzügiger gewesen seien als die seiner Kameraden. Was ist also unser Ergebnis aus den punkten 1bis 3? Sehr wenig: Dass Escrivá Großzügigkeit Gott gegenüber zeigte, ist für Seminaristen wohl etwas Normales11. Und das ist der Aspekt, den ich der ganzen „Argumentation“ bei Vázquez entnehme, wenn man das so nennen will. Aber es bleiben noch zwei Punkte.
Gehen wir zu Punkt 4 über, der mit der überheblichen, aus der Rückblende verfassten Beschreibung der priesterlichen Karriere beginnt: Sie begannen ihre Laufbahn … strengten sich an. Warum dieser despektierliche Ton? Was hatte die Karriere von Don Gregorio Fernández Anguiano Verächtliches an sich, dem Spiritual Escrivás im Seminar von Logroño, oder Don José López Sierra, Regens des Priesterseminars San Francisco, die ihm so viel geholfen haben? Wurden auch sie „genommen“? Ich sehe keinen Grund, warum Gott von Escrivá nicht ebenfalls ein solches Priestertum gewollt haben sollte, denn die gewöhnliche priesterliche Karriere passte sehr gut zu einem heiligmäßigen Leben; für einige von ihnen wurde es sogar mit der Palme des Martyriums gekrönt, z. B. seine Weihekollege Julián Lou Miñana12. Ich weiß nicht, wie Escrivá zu dem Schluss kam, Gott wolle kein solches Priestertum für ihn, obwohl ich den Verdacht hege, dass solche Behauptungen eine Konstante in seinem Leben darstellen, und man kann es so zusammenfassen: „Gott will, was ich mache oder will“. Jedenfalls wollte Gott niemals etwas, was Escrivá nicht gefiel. Und deshalb wollen wir zu Punkt 5 kommen: ich wollte kein solches Priestertum für mich.
Es scheint, dass ihn 1964, als er das sagte, noch immer quälte, was er in Catalina Nr. 53 schrieb, die uns den Widerwillen zu verstehen hilft, den Escrivá gegen die normale Ausübung des Priestertums, das heißt die priesterliche Karriere, verspürte:
Ich erinnere mich daran, wie mich meine Schulkameraden vom Gymnasium mitleidig und von oben herab musterten, als ich nach dem Abitur das Theologiestudium aufnahm. [dt. Ausgabe von Vazquez, S. 110 – wörtlich heißt es „kirchliche Karriere“].
Wir entdecken hier eine Übereinstimmung, die uns vorher unverständlich war, das heißt Pkt. 1, denn diese Catalina enthält eine Passage, die dem Kommentar von Vázquez über die ungerechte Demütigung der Priester durch die oberen Klassen entspricht. Man kann also annehmen, dass sich auch Escrivá als einer der Priester oder Seminaristen fühlte, die von den intellektuellen verachtet und von oben herab behandelt wurden.
Und auch die Punkte 2 und 3 stimmen darin überein, dass für Escrivá ebenso wie für die oberen Klassen die Entscheidung für das Priestertum einen Verzicht darstellte, auf ein Studium mit sozialem oder wirtschaftlichem Prestige; gilt dann auch für Escrivá, was Vázquez13 feststellt, dass er liebe einem Orden oder einer Kongregation beigetreten wäre, denn die waren angesehener?
So können wir ermessen, was ihn quälte, wenn er an seine Zukunft dachte: ein Minderwertigkeitskomplex, die Angst, eine unbestimmte Zahl von Jahren als Dorfpfarrer zu verbringen, den überlegenen Blicken ausgesetzt, die er heimlich als gerechtfertigt ansehen muss, zumindest im Hinblick auf die Priester ganz allgemein, und wir müssen bedenken, dass all diese Überlegungen, er könnte eine hervorragende Stellung Seminar oder im Büro des Erzbischofs einnehmen, mit dem Tod des Kardinals Soldevila plötzlich in sich zusammenfielen.
WELCHE PRIESTERLICHE KARRIERE STREBTE ESCRIVÁ AN?
Natürlich kann Vázquez die Dinge nicht so stehen lassen, denn sonst würden wir uns verwundert fragen, welche Sorte von Priestertum denn Escrivá für sich haben wollte, wenn er nicht Priester, nur um Priester zu sein, sein wollte, und wir fragen uns zurecht, ob er wirklich Priester sein wollte, ob er wirklich die Berufung zum Priestertum hatte, und genau deshalb, um uns in diesem Punkt zu beruhigen, schreibt er auf S. 116, basierend auf Portillo:
Wenn Josemaría sich entschlossen hatte, Priester zu werden, dann weil er dachte, auf diese Weise dem verborgenen Vorhaben Gottes leichter entsprechen zu können. Gleichzeitig ahnte er, dass dies der geeignete Weg sei, um den göttlichen Willen zu erkennen.
Auf derselben Seite präzisiert Vázquez noch, dass Escrivá die Berufung zum Priestertum (…) als Teileines weiteren Rufes verstand, der noch außerhalb seines Blickfeldes lag.
Mich beruhigt das nicht, denn Escrivá macht hier vage Aussagen a posteriori, und ich sehe keinen Grund, warum sie die Hagiographen zur Rechtfertigung von Escrivás Opposition gegen seinen Onkel Carlos benützen, seinen Widerstand dagegen, in einem Dorf zu bleiben, sein Bemühen, sein Priestertum mit einem weltlichen Beruf zu kombinieren, sodass er Jura in einer Akademie in Madrid lehrte, etc. Mich überzeugt auch keine Berufung zum Priestertum, die von vorneherein einen Großteil der typisch priesterlichen Arbeit ausschließt: Seelsorger der Menschen sein, die sich dir anvertrauen, sie unterrichten, sie durch das Wort in ihrem, Glauben bestärken, ihnen die Mittel und vor allem die Gnade zukommen zu lassen durch die Sakramente: Taufe, Beichte, Eucharistie, Ehe, Krankensalbung und alles das als Grundlage, dass die christliche Nächstenliebe regiere, und ich kann mich nicht darüber beruhigen, dass Escrivá Gott vorschiebt mit seinem höchst eigenwilligen Programm, dass er nicht Priester sein wollte, um Priester zu sein, Cura, wie man in Spanien sagt, und dass er gleichzeitig dann doch Priester sein wollte.
Ich muss an dieser Stelle zugeben, dass ich wütend darüber bin, wie er und seine Hagiographen sich elegant aus all diesen Machinationen herausschummeln, dass Escrivá zuerst mit unlauteren Mitteln nach Saragossa übersiedelt ist, um hier sein Priestertum auf einem privilegierten Platz zu beginnen, die ersten Stufen mit Hilfe seiner verwandten Kleriker zu überspringen, und dann begannen seine Berufungszweifel, wie ich hoffe bewiesen zu haben, nach dem Tod des Kardinals Soldevila, von dem er Protektion erhofft hatte. Denn Escrivá wollte natürlich „Karriere machen“, und in diesem Sinn setzte er die Mittel ein, dass sein Ordinarius auf ihn aufmerksam wurde. Wenn Escrivá den Anweisungen seines Ordinarius einfach gefolgt wäre, ohne irgendwelche Machinationen, um getroffene Entscheidungen abzuändern oder zu beeinflussen, hätte er das sagen können. Aber schon bei seinem ersten Auftrag vom Bischof, als Aushilfspfarrer nach Perdiguera zu gehen, widersetzte er sich. Er wollte „Karriere machen”, aber nicht die „priesterliche Karriere“, sondern seine eigene.
Die Argumentation der Hagiographen stützt sich auf sehr späte Äußerungen Escrivás, aus den Jahren 1964 und 1974; ihnen stelle ich seine wiederholten Versuche in den Jahren nach der Errichtung des Werks als Säkularinstitut, Bischof zu werden, entgegen. Waren das nicht seine letzten bekannt gewordenen Versuche, eine „kirchliche Karriere“ zu machen?
Mit der Absicht, uns zu versichern, dass Escrivás Wertschätzung für das Priestertum nicht nachgelassen hat, zitiert Vázquez14 die folgende Catalina von 1930:
Vor wenigen Tagen fragte mich jemand ohne ersichtlichen Anlass sehr indiskret, ob wir, die wir die priesterliche Laufbahn eingeschlagen hätten, im Alter eine Rente bekämen… Ich war empört. Da ich nichts erwiderte, wiederholte er die deplatzierte Frage. Da fiel mir die Antwort ein, die ich auch weiterhin für richtig halte: „Das Priestertum ist keine Laufbahn, es ist ein Apostolat!“ So sehe ich es. Ich habe es hier mit der Hilfe Gottes niederschreiben wollen, damit ich, mit der Hilfe Gottes, diese Unterscheidung niemals vergesse.
Die Unfähigkeit der Hagiographen, die Konsequenzen dessen wahrzunehmen, was sie das lesen, überrascht, ebenso wie die Escrivá, der sich die Folgen dessen, was er da sagt oder tut, nicht bewusst macht. Er spricht zu sich in einigen intimen Anmerkungen und häuft negativ besetzte Beiwörter auf eine Person, die ihn ganz freundlich nach einem Aspekt seines Leben s als Priester anspricht: Er wird als indiskret abgekanzelt, als hätte er ein Tabu gebrochen; ohne ersichtlichen Anlass war Josemaría angesprochen worden, so als müsste man ihn mit Glacéhandschuhen anfassen; ich war empört, Es scheint viel eher, dass er nicht wusste, was er antworten solle; nachdem er etwas Zeit für die Antwort gebraucht hat, verwendet er eine Phrase, die mit der Frage nichts zu tun hat. Es hat sich die Antwort notiert, damit er das nächste Mal etwas in der Richtung parat hat.
Woher, fragt man sich, kommen diese Reizbarkeit, diese Empfindlichkeit? Da hat jemand einen empfindlichen Punkt getroffen, ihn auf seine „priesterliche Karriere“ angesprochen, die für ihn aus einer Reihe von Unannehmlichkeiten bestanden, die er mit unwürdigen Mitteln lösen musste. Es ist wahrscheinlich, dass er sich bewusst wurde, dass er sich mit der Zurückweisung des Arbeitsplatzes, den ihm sein Ordinarius angewiesen hatte – und für den er Unterhalt von der Diözese erhalten hatte – und ihm wurde blitzartig klar, dass er für die Zeit seines Alters mit keiner Unterstützung von dieser Seite rechnen konnte. Aber wahrscheinlicher ist es einfach, dass ihn der Gedanke an das Scheitern seiner Pläne nervte, seine unehrenhaften Mittel, die er angewandt hatte, hatten keine Früchte gebracht, der illegale Umzug von Logroño nach Saragossa, das Jura-Studium, für das er keine Erlaubnis hatte, die Weigerung, sich zum Aushilfspfarrer in Perdiguera ernennen zu lassen, die überstürzte Flucht nach Madrid, der zumindest versuchte Bruch des Eides, der ihn an Saragossa band, der Versuch, zivile Arbeiten zu beginnen etc. Es schien ihn auch zu wurmen, dass damals, 1930, seine Aussichten auf eine Karriere nicht rosig waren und keineswegs dem entsprachen, was er sich erträumt hatte, nämlich einmal Bischof oder Papst zu werden, was er nicht erreichte, Marquis wurde er aber doch: Malteser Ordensritter nicht, Doktor Iuris doch, wenn auch mit Ach und Krach; Doktor der Theologie, mit einer bereits einmal eingereichten Dissertation und ohne die erforderlichen Präliminarien. Die Leser mögen mir die Ironie vergeben, aber schließlich hat er dann doch erreicht, was er wollte; er war eine bedeutendere Figur der Weltgeschichte als all die Bischöfe, Kardinäle und Päpste. Das wenigstens war sein Selbstkonzept in den sechziger Jahren, das er nicht müde wurde denen zu wiederholen, die ihm zuhörten.
Ich fahre mit dem Buch von Vázquez fort. Nach 60 Seiten, in denen er die Schwierigkeiten und Freuden Escrivá während seines Lebens als Seminarist behandelt und den Beginn der zivilen Studien wie die normalste Sache der Welt beschreibt, kommt die Weihe zum Subdiakon. Unmittelbar danach, und bevor er auf den Tod des Vaters zu sprechen kommt, die Diakonats- und die Priesterweihe, beschreibt Vázquez15, irgendwie durch das Subdiakonat als Stichwort motivier: Doch verschlechterte sich wahrscheinlich gerade aus diesem Grunde das Verhältnis zu seinem Onkel Carlos. Anfänglich hatte der Erzdechant über Josemaría seine Hand gehalten und ihm zu einem halben Stipendium an San Carlosverholfen, ihn oft zu sich nach Hause eingeladen undd ihm andere kleine Hilfsdienste erwiesen.
Man erinnere sich daran, dass unter den „kleinen Diensten“ auch die Pflege der Wäsche war, und zwar für die Dauer von fünf Jahren. Ich möchte Vázquez daran erinnern, wenn er schreibt:
Im Lauf der Jahre wurde das Verhältnis zwischen dem Erzdechanten und dem Seminaristen immer problematischer, da Josemaríanicht den Vorstellungen entsprach, die Don Carlos für seine Zukunft hegte.
Es bleibt aber anzumerken, dass für diese Behauptung kein glaubwüriger Beleg geliefert wird. Es wird nur ein Zeugnis eines intimen Freundes Escrivás, Francisco Moreno Monforte, der versichert, dass er keinerlei Interesse an einer priesterlichen Karrieregehabt habe. Im Buch Herrandos16, das das gesamte Zeugnis dieses Freundes wiedergibt, wird dieser Satz durch den folgenden ergänzt: und man merkte dass er im Seminar nur dem entsprechen wollte, worum Gott ihn bat. Wir kehren also wieder zu der Unbestimmtheit des gewissen Etwas zurück, das nie auftaucht, sondern wie das Omen seiner Mutter in der Schwebe bleibt: eine Prognose, dass er zu etwas Großem berufen sei.
Im Hinblick auf die Pläne, die Onkel Carlos hatte, fügte Moreno Monforte das Folgende hinzu:
Ihm [Escrivá] müsste es sehr leicht gefallen sein, sich nach der Weihe auf ein Kanonikat vorzubereiten, sann in ein Domkapitel oder in die Leitung eines Seminars einzutreten etc., aber das hatte für ihr keine Bedeutung; dass er diesen Ehrgeiz nicht hatte, der im Übrigen edel und legitim wäre, das verstand sein Onkel Carlos nicht.
Es wird nicht klar, worauf dieser Text hinauswill, welcher Plan des Onkel Carlos mit seinem Neffen gemeint ist oder ob das Vermutungen des Zeugen sind.
Etwas in diesem Text weckt Misstrauen. Er ähnelt allzu sehr den Worten Escrivás von 1974, die wie vorher zitiert haben, wie sie Vázquez auf S. 115 [dt. Übersetzung: S. 112] wiedergibt: Wer dafür geeignet war, bewarb sich auf eine Stelle als Kanoniker. Nach einiger Zeit wurde man dann in das Domkapitel aufgenommen, aus dem das nötige Personal für die Leitung der Diözese und für die Ausbildung des Klerus im Priesterseminar hervorging…
In beiden Fällen stammen die Hervorhebungen durch Fettdruck von mir und sollen die beiden Übereinstimmungen in beiden Texten nachweisen. Ich kann mir nicht helfen, das sieht nach einer Manipulation des zeugen durch den Interviewer aus, oder dass man sogar die Vorbereitung eines schon getippten Zeugnisses unterstellen müsste, indem man ihm in dem einen Fall nach einem Gespräch dem Zeugen (der über 77 Jahre alt war) eine getippte Zusammenfassung unterschob. In jedem Fall, dieser Zeuge ein Freund Escrivás, der sich nach über 50 Jahren über seine Meinung zu Don Carlos äußert, den er zwar persönlich kannte, er äußert aber vor allem das, was Escrivá selbst ihm gesagt hatte. Meiner Meinung nach haben sie den Zeugen manipuliert, damit er dasselbe sagt wie Escrivá 1974, und hinzufügt, dass der Archidiakon nicht seinen Standpunkt teilte.
Um zu klären, welche Art von Priestertum Escrivá suchte, will ich hier zwei seiner Catalinas zitieren und kommentieren.
Nr. 158. Ich habe schon gesagt, dass die Mitglieder, die Priester sind, nur – und das ist nicht wenig – Seelenführer sein werde, Es gibt viele Prediger, es gibt viele Priester und Ordensleute, die sich verschiedenen Werken eines Apostolats der Tat hingeben, und es gibt gewiss viele Heilige unter ihnen, aber es sind so wenige, die sich ausschließlich im Beichtstuhl verbergen! Und man darf es nichtverkehrt angehen, dieses verborgene Apostolat ist die Grundlage der Heiligung der Seelen... Uns interessieren alle Seelen. O.c.P.a.I.p.M. [Omnes cum Petro ad lesum per Mariam]! Deshalb müssen wir den Wunsch haben allen zu dienen, aus Liebe zu Gott. Alle zur Heiligkeit führen: Seid vollkommen (alle). Die Welt mir Friede und Freude erfüllen (...).Ich möchte niemanden beleidigen, aber es gibt so viele Beichtväter, die auf mich den Eindruck machen, als ob sie gebrauchte Wäsche verkauften!... Ich will mich deutlicher äußern. Der Pönitent kommt; man hört ihm zu, oder man hört ihm nicht zu; dann legt man die Schallplatte auf, immer dieselbe, oder einfach die Buße, und fertig! Der Beichtvater geht ins Magazin und legt dem armen Sünder das erstbeste Kleidungsstück hin, das er findet... und der geht oftmals traurig weg, weil er die Wärme Christi nicht gefunden hat (1931).
Man beachte de Satz es sind so wenige, die sich ausschließlich im Beichtstuhl verbergen! Mir kommt es so vor, als würde er hier seine oder seine Aversion gegen normale priesterliche Arbeit im eigentlichen Sinn rechtfertigen, die eben alle Bereiche des christlichen Lebens umfasst, und zwar die Arbeiten, für die einen der Bischof einteilt. Diese Äußerungen Escrivá sind sehr seltsam, und es erscheint mir übertrieben, sich auf ein Priestertum im Beichtstuhl zu beschränken, dass wohl nur für die passend ist, denen eine außerordentliche Gabe des Rates zuteilwurde und die nicht predigen können . Schließlich und endlich ist die Betreuung der Seelen im Beichtstuhl da auch die Aufgabe jener Priester, die sich der Seelsorge in den Pfarreien widmen, in den Schulen etc., also die große Mehrheit, und wir müssen immer auch an die große Aufgabe denken, die die Mitglieder religiöser Orden in der geistlichen Leitung erfüllt haben.
Aber Escrivá kritisiert die wenig engagierten Beichtväter, damit die Tugend derer umso klarer hervorleuchtet, die seine Priester einmal aufweisen sollen17. Diese Catalina wird durch die folgende ergänzt, Nr. 159 aus demselben Jahr, in dem er darauf insistiert und konkretisiert, dass es wir Priester als Mitglieder bilden, die ausschließlich Seelenführer sind. Und dann muss er wieder auf Pappkameraden losgehen; diesmal sind es die Ärzte, die ihre Medikamente austeilen, ohne auf die besonderen Umstände der einzelnen Individuen einzugehen – so verhalten sich nämlich angeblich manche Priester.
EINIGE ZEUGNISSE
In der Folge werde ich jene Texte zeigen, die sich auf seine Art, das Priestertum zu verstehen, beziehen, die ich aus dem 22 Zeugnisses herausgesucht habe, alle maschinschriftlich, die Herrando in seinem Anhang, Abteilung 5, seines Buches zusammenfasst. Die Hervorhebungen durch Fettdruck habe ich gesetzt, um die interessanten Punkte hervorzuheben, verdächtige Übereinstimmungen und mögliche Einflussnahmen auf die Zeugnisse:
Agustín Callejas Tello: „Er hatte überhaupt nicht vor, „Karriere zu machen“, in dem Sinn wie man damals unter den Klerikern darüber sprach, sondern sein Blick ging weiter. Man sah im an, dass ihn in seinem Inneren etwas beschäftigte, sodass das Seminar ein zu enger Rahmen für seine Unruhen waren. Ihn interessierten die Seelen aus allen Milieus und so immatrikulierte er sich, neben den theologischen Studien an der Universität, um eine juristische Karriere zu beginnen. Wir waren damals sehr wenige, die wir Universitätsstudien machten, einerseits weil sich die Kleriker nicht damit beschäftigten, und andererseits, weil es schwierig war, die Erlaubnis der Vorgesetzten dafür zu erhalten.
Arsenio Górriz Monzón: „Ich habe den lebhaften Eindruck, dass er mehrmals zu uns darüber sprach, dass man etwas anderes machen müsse als die Kongregationen und religiösen Orden, die es schon gab, einen neuen Weg der Heiligung also. Er hatte immer das Gefühl, dass er schon ahnte, was das Werk Gottes sein würde. - Seine Unruhe richtete sich besonders auf die Jugend (…) Ich weiß nicht, ob das der ausschlaggebende Grund war, dass er, obschon Seminarist, auf der Juridischen Fakultät studierte.
Jesús López Bello: „Josemaría war keine Person, die an der Priestertum dachte. „um Karriere zu machen“ , so wie es einige Kirchenleute der damaligen mentalität nach machten (…) wir schätzten alle an ihm etwas Besonderes“
Antonio Mainar Lozano: Ich weiß, dass er an der Universität studierte, was damals eine Ausnahme darstellte. Einige, die diese Studien auf sich nahmen, dachten dabei daran, einmal Vikar einer Diözese zu werden etc. Ich denke, dass das bei Josemaría nicht der Fall war, denn wenn ich seine Pläne damals noch nicht kannte, so merkte man doch, dass er etwas anderes vorhatte.
David Mainar Pérez: „[Die Seminaristen] beschäftigten sich vor allem damit, wie sie in der klerikalen Welt Karriere machen konnten“.
Francisco de Paula Moreno Monforte: „Er ging nach Saragossa, wohin ihn sein Onkel geholt hatte, Don Carlos Albás, der Archidiakon und damals eine Persönlichkeit in der Erzdiözese war. (…) Josemaría (…) hatte nicht das geringste Interesse, mit seinem Priestertum eine Karriere zu beginnen, und man merkte, dass er nur deshalb im Seminar war, weil Gott ihm um etwas bat“.
Nach dem Lesen dieser doch recht vagen Aussagen möchte ich mich nun doch eher an die Fakten halten, und die sind, dass es zwischen dem Archidiakon und Escrivá Diskrepanzen gab – sie bestanden darin, dass ihm der Archidiakon zeigte, dass er wie alle andern unten zu beginnen habe und eine Zeitlang seinen Priesterberuf in einem Dorf ausübte, das ihm sein Ordinarius zuweisen würde. Escrivá hielt es hingegen für seine Pläne für notwendig, wie auch immer sie aussahen, in der Stadt Saragossa anzufangen.
Ich kann mir vorstellen, dass es Escrivá lästig war, seinem Onkel Carlos zuzuhören, wenn er ihm erzählte, dass er zunächst als Koadjutor in Laspuñá begonnen hatte, einem Pyrenäendorf bei Huesca mit 450 Einwohnern, etwa 50 km de Barbastro entfernt, und dann ein Jahr in Anciles, in dem abgelegenen Tal von Benasque, wo er als Bauer dazu arbeitete und seinem Bischof gehorchte, obwohl er unter dem Titel eines Patrimonio18 geweiht war, das heißt, ohne dass der Bischof ihn erhalten musste, weil er über eigenes Vermögen verfügte19.
Ich habe bereits in Kap. 3 das Zeugnis von Máximo Rubio zitiert, in dem Escrivá über die mangelnde religiöse Bildung der Jungen seine Besorgnis äußert; im selben Kapitel vgl. die Zeugnisse von Agustín Callejas und Arsenio Górriz, die in die gleiche Richtung gehen. Ich beschränke mich hier auf die Erinnerung von Don José López Sierra, den Regens des Seminars San Francisco, niedergeschrieben am 26/1/194820:
Es war kein Wunder, dass der Bildhauer von Kandidaten für das Priestertum später zum Bildhauer junger Laien werden sollte: Er kannte sie gut, er hatte mit ihnen im Institut und auf der Universität zusammengelebt, und er merkte ein Defizit in der religiösen Bildung dieser junger Intellektuellen, und die bereits bestehenden Institutionen waren nicht geeignet, in ihrem Schoß modernen Jugendlichen eine geistige Heimat zu bieten, deshalb sei es notwendig, eine neue Institution zu gründen, die sie aufnahm. Mehrmals sprach er über dieses Thema mit mir anhand einer anonymen Regel, die uns durch Zufall in die Hände kam, und heute kann ich sagen, dank der Vorsehung, denn Providencia disponit omnia suaviter [die Vorsehung regelt alles auf sanfte Weise].
Das Zeugnis des alten Regens, vielleicht auf der Schreibmaschine getippt, gibt viel über die wahre Autorschaft und den Zweck nachzudenken, und vielleicht komme ich noch darauf zurück. Im Augenblick möchte ich mich auf den zitierten Abschnitt beschränken, und ich will einmal vermuten, dass der Regens in dem Bericht über das, was er selbst erlebt hat, unbeeinflusst war. Er beginnt damit, dass ihm die besondere Sorge Escrivás für die jungen Laien, noch bevor sie sich zum Priestertum entschlossen, normal vorkam. Dann spricht er von einer anderen Ahnung, denn er setzt voraus (und der Rest des Zeugnisses bestätigt das unbezweifelbar, auch wenn ich sie hier nicht wiedergebe) dass die Gründung des Werks die Abhilfe für den Mangel an christlicher Bildung in der Jugend sein kann. Aber das Bemerkenswerteste ist der Bezug auf eine anonyme Regel, die durch Zufall in unsere Hände gelangte. Ich glaube, wenn das genauso gewesen wäre, hätte der Regens geschrieben: eine anonyme Regel, die durch Zufall in meine Hände gelangte. Die Form, des Possessivpronomens legt es demnach nahe, dass sie durch Zufall in die Hände Escrivás geriet, der sie dann mit dem Regens durchging. Viel plausibler erscheint mir aber, dass Escrivá selbst die Regel verfasst habe und dass sich die beiden nicht auf ein Gespräch beschränkt haben, sondern dass Escrivá zu ihm mehrmals über das Thema der Bildung der Jugendlichen, auf der Basis der „anonymen“ Regel, gesprochen habe.
Auf jeden Fall scheint es mir, dass diese Unruhe Escrivás, Entwurf dessen, was er später in Madrid mit jungen Studenten machte, kein Motiv dafür bilden können, dass er mit diesen Leuten einen besonderen Umgang hatte oder jedenfalls einen anderen als seine Kollegen.
ABSCHLIESSENDE ÜBERLEGUNGEN ZU DIESEM THEMA
Nachdem Herrando21 die beiden Texte von Vázquez hernimmt, die mit den Worten Salían de allí und por Aquello no era beginnen, macht er einen erhellenden Kommentar:
Die ausschließlichen Aspekte seiner Antwort in Bezug auf die religiose Berufung und auf das Profil des Priestertums waren von Anfang an von seiner Berufung unterschieden.
Zweifellos hat Herrando recht: Escrivá schloss für sein Leben nicht nur die Ordensberufung aus, sondern auch ein Priestertum, das nicht in seinem Sinn war.
Es bleibt aber recht unbestimmt, was das für ein Konzept vom Priestertum war; die Hagigraphien sprechen sich nicht deutlich darüber aus. Wenn wir uns daran erinnern, was ihm nicht gefiel, kommt vieles zusammen: die Arbeit in der Pfarrei, die Trennung von seiner Familie, die Unkultiviertheit der Kollegen, die Prüfungen, und mehr durch seine Taten als durch seine Worte drückt er den Widerwillen dagegen aus, unter einer Autorität zu stehen ich denke, dass er in der Realität all das für sich audschließen wollte. Das Problem liegt aber nicht in der Unbestimmtheit dessen, was er ausschließen wollte, sondern dass dieses etwas ungeprüft durchgeht. Escrivá musste wissen, dass die Kirche eine sichtbare Gemeinschaft ist, in der es solche gibt, die befehlen, und solche, die gehorchen. Deshalb hätte es keinen Sinn, in einen wesentlichen Teil seiner sozialen, kollektiven und legalen Struktur Einlass zu begehren - das Priestertum - und gleichzeitig den Wunsch zu äußern, es auf eine privilegierte Art und Weise zu nützen, um damit etwas anzufangen, das man weder erklären noch beschreiben kann und bei dem nicht klar ist, warum es die Autoritäten der Kirche als von Gott kommend respektieren sollten.
Was hatte sich Escrivá in Bezug auf sein Priestertum vorgestellt, als er es wählte? Es scheint, dass ein Ziel nicht unbedingt die Ausübung des Priestertums als solches gewesen ist (Dienst an den Seelen, Vertiefung in den heiligen Wissenschaften etc.), da er kein Interesse für Theologie zeigte und es nicht fertig studierte, und da er sich auch nicht an den apostolischen Aktivitäten beteiligte, die seine Kollegen im Seminar in Saragossa abhielten22. Ebensowenig verstand er seinen priesterlichen Dienst als Dienst an der Kirche in der Unterstützung seines Bischofs, sondern er machte seine eigene „Karriere“. In diesem Sinn erscheint es merkwürdig, dass er 1929 in Madrid, als sein Werk bereits gegründet war, eine nichtpriesterliche Arbeit suchte, z. B. eine administrative Tätigkeit in einem staatlichen Ministerium23.
All das, zusammen mit seiner Berufungskrise und der Immatrikulation an der Juridischen Fakultät nach dem Tod des Erzbischofs, er ihm triumphale Aussichten eröffnet hatte, lässt vermuten, dass Escrivá keine wirkliche priesterliche Berufung gehabt haben dürfte. Es ist möglich, dass er in einem Moment seinen Jugend einen inneren Impuls zum Priestertum verspürte, der ihn dazu brachte, in das Seminar von Logroño einzutreten, aber all das war vermischt mit seinem Eifer nach Großartigkeit und seiner Unbeständigkeit. Die Frage ist, ob er von etwas bewegt war, worum Gott ihn bat, oder ob seine Persönlichkeitsstörung seine Schritte bestimmte. Die sinnvolle Schlussfolgerung wäre, in Anbetracht der Fakten und der Zeugnisse, dass sich sein Priestertum nicht innerhalb der normalen Parameter einer priesterlichen Berufung im eigentlichen Sinne bewegte, in der es das Priestertum selbst ist, nach dem man sucht. Sein Priestertum diente seiner Sucht nach Größe.
Außerdem bricht das Konstrukt der Hagiographen, dass er angeblich nicht wie seine Kollegen aus dem Seminar an eine priesterliche Karriere gedacht habe, in sich zusammen, wenn man erfährt, mit welchem Eifer und mit welchen Winkelzügen er in den Jahren 1940-1955 versucht hat, mit Francos Fürsprache einen Bischofsstuhl zu erlangen.
Wenn es nicht tatsächlich so schwierig wäre, Escrivá zu verstehen, würde ich meinen, dass er keine Berufung zum Priestertum hatte. Wenn Escrivá dachte, dass Gott ihn für eine Aufgabe bestimmt habe und dass es diese Aufgabe erleichterte, wenn er Priester würde, dann würde Gott ihn schon für seine Großzügigkeit belohnen, uns Sein Projekt (Gottes, nicht Escrivás) voranbringen, auch wenn es von der bescheidenen Pfarrei von Perdiguera seinen Ausgang genommen hätte, und ohne einen Magister juris. Es ist auch nicht zu bezweifeln, dass die exzessive Freiheit, die er sich in Saragossa herausnahm, ohne Erlaubnis Jura zu studieren und dann aus Perdiguera und aus Saragossa wegzulaufen, mehr Hindernis als Hilfe für seine Berufung bedeutete. Wenn er diese „Lizenzen“ bereut hätt und dieser Ruf Gottes echt gewesen ist und keine Illusion, hätte Gott Gutes aus dem, Bösen entstehen lassen. Aber er wollte seine eigene Schuld nicht anerkennen, um keinen Schatten auf seine Biographie fallen zu lassen. Aber sein Handeln war nicht aufrecht, und er korrigierte es nicht, weil er sich für eine Ausnahme hielt; seine Persönlichkeitsstörung brachte ihn dazu, alle seine Wünsche und Handlungen zu rationalisieren auf unbezwingliche Art und Weise als Wünsche oder Winke Gottes darzustellen.
Als ich Numerarier war, hatte ich mehrere Jahre Angst davor, der Gründer könnte mir vorschlagen Priester zu werden, ohne dass ich Berufung dazu hätte. Mittlerweile frage ich mich, ob nicht auch tausende andere Numerarier diese Furcht ausgestanden haben müssen, und ob die Einladung zum Priestertum von Seiten der Institution tatsächlich einer Berufung entsprach, oder ob sie den Vorschlag Escrivás oder seiner Nachfolger nur aus Angst annahmen, sie zu verärgern, oder in blindem Vertrauen auf sie.
Diese Gedanken entsprechen der Realität, und es macht mich schaudern, während ich dieses Kapitel fertigstelle. Denn aus dieser Betrachtung ergibt sich eine erschreckende Schlussfolgerung: Dass Escrivá für seine Numerarier-Söhne festlegte, was er selbst gemacht hatte, nämlich das Priestertum zu instrumentalisieren; er projizierte auf die andren, was er selbst gemacht hatte. An erster Stelle legte er fest, dass die keine Numerarier werden konnten, die einige Zeit in einem Seminar verbracht hatten. Daraus ergab sich, dass er die Numerarier unter denen auswählte, die keine Berufung zum Priestertum hatten, bevor sie zu seinem Werk gehörten24. Trotzdem mussten wir alle die Studien, die für das Priestertum notwendig sind, ablegen. Zu einem bestimmten Zeitpunkt war dann er es, der entschied, wer Priester sein konnte und wer nicht, ohne dass für ihn die Neigung des Betroffenen zum Priestertum zählte. Was er wirklich wollte, war, dass diese zukünftigen Priester bedingungslos ihm gehören sollten, die sein Werk voranbringen sollten, noch vor dem Wohl der Seelen. In der Folge war es auch dann nicht mehr nötig, dass sie sich für andere Seelen interessierten als die der Mitglieder in seinem Werk, oder die der Personen, die seine Priester anwerben konnten.
Man versteht also, dass die große Mehrheit der Numerarierpriester sofort mit der Ausübung ihres Priestertums aufhören, wenn sie die Prälatur verlassen, und man ahnt, welches Fegefeuer diejenigen Priester der Prälatur durchmachen, wenn sie ihr Amt weiter ausüben in einer Zeit, in der sich die Zahl der Gläubigen, die ihren Dienst in Anspruch nehmen wollen, drastisch reduziert hat. Ihr Leben besteht aus täglicher Langeweile; sie haben kein Betätigungsfeld innerhalb der Prälatur, aber sie suchen auch keines, denn sie sind nicht aus Begeisterung für die Seelsorge Priester geworden. Das ist eine allgemeine Aussage, aber Gott sei Dank gibt es auch viele verdienstvolle Ausnahmen.
SCHLUSSFOLGERUNGEN DIESES KAPITELS
Die Schlussfolgerungen dieses Kapitels sind vielfältig und schwerwiegend:
1. Escrivá absolvierte ein ziviles Jura-Studium, während er Seminarist war und bereits die Niederen Weihen erhalten hatte, ohne die ausdrückliche Erlaubnis des Ordinarius von Saragossa, und zwar zumindest seit 1927.
2. Es ist wahrscheinlich, dass Escrivá zu wiederholten Malen gelogen hat, wen er behauptete, die Erlaubnis von Kardinal Soldevila erhalten zu haben.
3. Die Hagiographen haben für Escrivá im Sommer 1921 eine Berufungskrise konstruiert, für die es nicht den geringsten Anhaltspunkt gibt.
4. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Escrivá zu Beginn des Sommers 1923 eine Berufungskrise hatte, als mit der Ermordung des Kardinal Soldevila seine Karriereträume als Protegé platzten. Dass er dann das Seminar nicht verließ, hängt in erster Linie damit zusammen, dass er in Saragossa bleiben und sein Jura-Studium fortsetzen konnte, das er im Oktober 1923 begonnen hatte.
5. Es ist sehr wahrscheinlich, dass sich die Krise im Oktober 1924 in einen Konflikt verwandelt hatte – der von Escrivá als Risiko einkalkuliert worden war – weil er ohne Erlaubnis Jura studierte.
6. Die Aussicht, das Seminar verlassen zu müssen, wenn sein Ungehorsam aufflog, impliziert, dass er die Diakonatsweihe empfangen hatte ohne die feste Absicht Priester zu werden, dass er diese Weihe also großteils aus menschlichem annahm.
7. Man kann also mit gewissem Grund voraussetzen, dass Escrivá das Priestertum als Hilfsmittel benützte, um gesellschaftlich aufzusteigen.
Nachdem ich dieses Kapitel niedergeschrieben und nochmals durchgelesen habe, erstaunt es mich, in welchem Maß der hagiographische Gesichtspunkt die Autoren gehindert hatte, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen. Escrivá sollte als makelloser Heiliger mit übermenschlichen Fähigkeiten dastehen, den Menschen seiner Umgebung weit überlegen. Sie wissen das Entgegenkommen Soldevilas nicht recht zu schätzen, denn es bedeutete für Escrivá, dass er auf eine außerordentliche Karriere in der unmittelbaren Umgebung des Kirchenfürsten rechnen durfte, eine Chance, die mit dem Tod des Kardinals ihre Grundlage verlor und ihn in die Krise stürzte, die sein Leben prägte.
Jaume García Moles
(wird fortgesetzt)
1 Vázquez, s. o., S. 115: Für einige Kleriker bedeute das Priestertum schlicht eine administrative Tätigkeit. Herrando, s. o., S. 241: [Escrivá] Er wies als Möglichkeit für seinen Ruf zum Priestertum den administrativen Aspekt zurück, das, was man damals eine kirchliche Karriere nannte.
2 Herrando, s. o., S. 159.
3 S. o., S. 117.
4 Federico M. Requena, Diez itinerarios sacerdotales, AHIg 9(2000), S. 728.
5 Andrés Vázquez de Prada, El Fundador del Opus Dei, Bd. I, 6. Aufl. Rialp, Madrid 2001, S. 110-120.
6 S. o., S. 115.
7 AGP, P04 1974, II, S. 398.
8 Siehe unten, Anm. 10. Es war Escrivá, der die Ausübung des Priestertums als „administrativ“ qualifizierte, nicht einige Kleriker.
9 S. o., S. 115-116.
Wie wir sehen, ist dies dasselbe Dokument wie AGP, P04 1974, II, S. 398, aber ein wenig hergerichtet. Auch hier werden die priesterlichen Karrieren als „administrativ“ eingeschätzt – aber diese Einschätzung stammt von Escrivá. Man beachte, dass Escrivá das 1975, in seinem Todesjahr gesagt hat.
11 Wir werden später sehen, dass dies durch die Tatsachen widerlegt wird: Großzügigkeit Gott gegenüber, sofern sich seine priesterliche Karriere seinen Vorlieben anpasst.
12 Über ihn lesen wir Folgendes bei Federico M. Requena, s. o., S. 732: Seine Gläubigen erinnern sich an ihn als an einen tapferen Priester, der sich durch die zunehmend antiklerikale Atmosphäre jener Jahre nicht einschüchtern ließ. Mit Beginn des Bürgerkriegs ging er als Feldkaplan in die Kampagne von Almogávares. Nach dem Fall von Belchite im September 1937 wurde er gefangengenommen, gefoltert und wenig später erschossen.
13 S. o., S. 114.
14 S. o., S. 117.
15 S. o., S. 178-179.
16 S. o., S. 353.
17 Merkwürdigerweise ging einige wenige Jahre nach der Approbation des Werks Escrivás als Säkularinstitut die geistliche Leitung der Mitglieder – der Priester wie er Laien – auf die örtlichen Leiter über, die Laien, außer im Fall der jungen Berufungen, bei denen auch Priester an der Leitung beteiligt waren. Man beachte das Paradoxon, dass diese Priester vor allem zu dem Zweck geweiht worden sind, um die Mitglieder des Werks zu betreuen. Das hat sich auch nicht geändert, als es zur Personalprälatur wurde.
18 Ersuchen von D. Carlos Albás Blanc um die Würde des Archidiakons, Diözesanarchiv Saragossa.
19 Die folgende Information beziehe ich aus dem Itinerario Jurídico: Nach der Weihe blieben sie in einer Diözese inkardiniert, waren aber verpflichtet, die Aufgabe zu übernehmen, die ihnen der Bischof anwies, und nur wenn eine dringende Notwendigkeit vorhanden war, war es prinzipiell erlaubt, auf einem anderen Gebiet zu arbeiten.
20 Vázquez, s. o., S. 615-616.
21 S. o., S. 26-27.
22 Manuel Mindán Manero,Testigo de noventa años de historia. Conversaciones con un amigo en el último recodo del camino, de D. Manuel Mindán Manero. Librería Genera, Saragossa 1995. Kap. V, 4.
23 Pedro Rodríguez, El doctorado de san Josemaría en la Unicersität de Madrid, SetD 2 (2008), S. 64, Anm. 170.
24 Wenn ich davon spreche, als ob es eine göttliche Berufung zum Werk gäbe, das Escrivá gegründet hat, so sind das die Worte, die er verwendet hat, und nicht meine Überzeugung.