Escrivás Sadismus
(Die Perversion des religiösen Lebens)

E.B.E., 27. September 2010

 

Da gingen ihnen die Augen auf
(Lk. 24,31)

Hinaus aus dem Versteck

Ich erinnere mich an die Zeiten, als das Opus Dei die private Andacht zu Escrivá fördern wollte, und die Vorgesetzten ermunterten uns, „zu unseren Freunden über das Opus Dei und über Escrivá zu sprechen”. Diese Anweisung hatte aber gar nichts damit zu tun, dass sich das Opus Dei nun der Welt gegenüber geöffnet hätte.

Innerhalb des Opus Dei gibt es ein Niveau des Diskurses, und zwar sowohl institutionell wie informell, das mit der Spaltung “sichtbare Personalprälatur – unsichtbares Säkularinstitut” korreliert. Das Opus Dei spricht von sich selbst in einer annähernd akademischen Diktion, ohne dabei das zu berühren, was innerhalb der Institution geschieht. Der Diskurs dient nicht so sehr der Information als vielmehr der Vernebelung.

Dabei überrascht mich nunmehr besonders die Wirkung, die das Gespräch über das Opus Dei auf Menschen hat, die darüber gar nichts wissen, oder eben das Wenige, was die meisten wissen. Sie reagieren mit Überraschung, Verwirrung und Wut und können es nicht glauben, dass so etwas wie das Opus Dei überhaupt möglich ist, dass es möglich ist, dass Escrivá heiliggesprochen wurde. Dabei könnte man denken, dass ich übertreibe – nein, es ist die normale Reaktion auf die offenen Fakten, die ich berichte, wobei ich die Interpretation meinen Hörern überlasse und die evident sind (nämlich überall, außer im Opus Dei).

Dabei ist es sehr befreiend, mit Menschen zu sprechen, die nie beim Opus Dei gewesen sind; sie spiegeln durch ihre Reaktion sehr gut, worüber man da genau spricht, auch wenn sie nicht alles verstehen können; aber ich verstehe mich dann besser.

Viele von denen, die durch das Opus Dei durchgegangen sind, glauben zu Umsicht und gutem Benehmen verpflichtet zu sein, und so kommen sie niemals aus den Beschränkungen los und verstehen nicht, was sie erlebt haben. Eben deshalb ist es sehr gut, sich auf dieser Homepage auszutauschen, es ist heilsam, ich würde sogar sagen notwendig, ein erster Schritt aus dem mentalen Kerker. Es ist ein unersetzliches Element, über die eigenen Erfahrungen mit Menschen zu sprechen, die diese Erfahrungen nicht hatten, und dieses Erlebnis bildet einen heilsamen Kontrast; wer sich nur mit Leuten austauscht, die auch beim Opus Dei gewesen sind und deshalb nicht die Besonderheiten in aller Schärfe wahrnehmen können.

Der zweite Schritt, so denke ich, ist es, über die Außenwelt von Opus Dei zu sprechen: Das ist eine zweite Entdeckung (zumindest war es das für mich), und beide Schritte sind notwendig.

Ich beziehe mich mit meiner Kritik nicht einmal auf die Kampagnen und auf die Mittel, denn die haben noch nichts zu tun mit der Neuorientierung der Person. Ich denke vielmehr, dass es darauf ankommt, die Gelegenheiten zu nutzen, wenn  man reden kann. Denn meiner Erfahrung nach ist es ein Fehler, zu schweigen, obwohl es natürlich kein Glanzpunkt in einem Lebenslauf ist, beim Opus Dei gewesen zu sein. Abgesehen von begrifflichen Präzisierungen lässt sich sagen, dass jemand, der im Opus Dei war, dasselbe erlebt hat wie eine Person, die einer Sekte angehört hat.

Das erste, was mir eine Person hat, der ich erzählte, dass ich dem Opus Dei angehört hatte, war: “Dort betreiben sie Kopfwäsche, nicht wahr?” Das war die spontane Reaktion, und es war für mich nicht sehr angenehm. Es ist so, wie wenn du gefragt wirst: “Dort vergewaltigen sie dich, nicht wahr?” Aber wenn es auch unangenehm ist, das ist die Folge davon, wenn man jemandem über den blinden Gehorsam erzählt, den man gelebt hat, und die Art, wie viele das Opus Dei verlassen, mit Depressionen und anderen Krankheiten. Die Zuhörer wundern sich jedenfalls nicht nur darüber, dass es eine Kopfwäsche gegeben hat, sondern auch, dass sie gar so oberflächlich war. Die Information im Allgemeinen macht wütend, die Details erschrecken.

Man könnte ihnen jetzt erwidern, dass das eben keine Gehirnwäsche gewesen sei, sondern die Art, wie die Ordensleute der strengen Observanz jahrhundertelang gelebt hatten. Das mag wohl sein; das Problem ist aber, dass wir “theoretisch” keine Ordensleute waren, weder der strengen Observanz noch gemäßigte, aber in der Praxis lebten wir genau wie sie. Wie lässt sich eine derartige Unvereinbarkeit rechtfertigen?  Wie lässt sich dieser Gehorsam rechtfertigen, der für die Ordensleute typisch ist und der den Mitgliedern des Opus Dei auferlegt ist, auch wenn sie keine Ordensleute sind? Das ist die Frage.

Hier beginnen sich die Dinge zu verkomplizieren; hier zeichnet sich ein Bruch im Bewusstsein ab, ein Zeichen, dass etwas im korporativen Bewusstsein des Opus Dei nicht stimmt. Langfristig ist diese Bewusstseinsspaltung – Schizophrenie, Doppelleben – Zeichen einer tiefen institutionellen Krankheit; oberflächlich betrachtet könnte man, noch eher als an Gehirnwäsche, daran denken, dass hier eben Methoden der Ordensleute angewendet wurden, die die Kirche immer wieder gutgeheißen und unterstützt hat. Diese feine Unterscheidung macht es möglich, dass der Systemfehler im Opus Dei unbemerkt bleibt und dass man nicht im strikten Sinn von einer Gehirnwäsche sprechen möchte, obwohl der Effekt derselbe ist.

***

Im täglichen Zusammenleben mit den Menschen, die mich umgeben und die mich kennen, gibt es eine gewisse Öffentlichkeit: Hier kann ich entscheiden, ob ich sprechen will oder nicht, ob und was ich von mir preisgeben möchte. Das Thema Opus Dei ist da beispielsweise ziemlich heftig, und man muss lange Zeit hindurch viel Energie aufwenden, wenn man hier etwas vertuschen möchte. Es ist wichtig, auch hier sein Leben zurückzugewinnen und nicht zuzulassen, dass ein Teil unseres Lebens vom Opus Dei zur Tabuzone erklärt worden ist.

Warum verheimlicht man das? Weil es, wie ich schon angedeutet habe, stigmatisiert.

Ein weiterer Grund ist die Verhaltensweise, die man sich im Opus Dei aneignet, dass man mit Außenstehenden nicht über das Opus Dei spricht, also mit Menschen, die uns nicht verstehen werden. Auch das ist wieder so eine ganz typische Phobie des Gründers, die er weiter vererbt hat: den Zwang, das wahre Gesicht des Opus Dei nicht preiszugeben.

Wer sollte die Praxis des Opus Dei öffentlich anprangern wenn nicht die, die darunter gelitten haben? Das Opus Dei setzt darauf, dass diejenigen, die unter ihm gelitten haben, darüber nichts preisgeben (und dabei beziehe ich mich nicht auf die Medien, sondern auf das tägliche Leben). So glaubt sich das Opus Dei sicher sein zu können, dass wir den Mund halten.

Diese im Opus Dei entwickelte Verhaltensweise generiert eine falsche Scham, die einen großen inneren Druck zu Folge hat; man sperrt sich mit seinen Idealen in mentales Ghetto. Über das Opus Dei zu reden ist fast ein wenig unanständig, wie eine Selbstentblößung. Wozu sollte man über das Opus Dei reden? Es ist alles andere als leicht.

Wenn es uns gelingt, diese falsche Scham zu überwinden, kann das Ergebnis sehr erfreulich sein. Man gewinnt dadurch, man sieht, dass man sich nicht zu genieren braucht, und man findet in seinen Gesprächspartnern eine mentale Stütze. Die erste Schwelle, die man überschritten hat, war die des letzten Zentrums des Opus Dei; die zweite ist es, die mentalen Hemmungen abzulegen, die uns daran hindern, zu wem auch immer offen über das Opus Dei zu reden. Einer der Erfolge des Opus Dei besteht darin, dass sich die Menschen nicht darüber austauschen.

 

***

Aufopferung des eigenen Ich

Bei einem Einstellungsgespräch überlegte ich einmal in einem bestimmten Moment, als ich über meine persönliche Geschichte sprach, ob ich über das sprechen sollte, was war. Ich hätte es auch übergehen können, aber ich entschloss mich es zu wagen und offen zu sein. Sicherlich hatte ich davor meine Zweifel, ob die Person, der ich das erzählen wollte, das auch fassen könnte. Sie wusste schon etwas vom Opus Dei, und vielleicht machte das keinen guten Eindruck. Aber ich schien ihn ebenso wenig zu überraschen mit dem, was ich ihm erzählte.

Eines allerdings machte ihn wütend, als ich davon erzählte, und zwar viel mehr als mich selbst:

- dass das Opus Dei davon lebt, dass Minderjährige ohne das Wissen ihrer Eltern zum Beitritt genötigt werden;

-  dass im Opus Dei die meisten gehen, und zwar ohne Grundlage, ohne Geld, ohne Gesundheit;

-  dass das Opus Dei sich nur für Geld und Berufungen interessiert, und wenn sich jemand für keines von beiden eignet, finden sie Mittel und Wege sie loszuwerden;

- dass die Menschen, die dem Opus Dei als zölibatäre Mitglieder beitreten, ihr ganzes Geld und alle Lebensprojekte aufopfern, dass Gelübde über Armut, Keuschheit und Gehorsam ablegen bzw. so leben, als hätte diese Rechtsform für sie Gültigkeit, und dass sie, wenn sie austreten, in einer völlig prekären Situation im Stich gelassen werden;

- dass diese Menschen dem Opus Dei in der Absicht beigetreten sind, hier als Laien zu leben, und mit einer aufoktroyierten ordenstypischen Lebensform betrogen wurden.

Nicht wenige Personen nehmen von außen her wahr, dass sich innerhalb des Opus Dei eine Perversion begibt, oder zumindest, dass dort die Dinge von hinten herum ablaufen, weil nichts klar und transparent abläuft. Alles ist verwickelt, während doch Escrivá versichert hat, dass es genau das nicht ist. Es ist jedenfalls nicht pervers, wie die Ordensleute zu leben; das hat eine jahrhundertelange Tradition innerhalb der Kirche. Aber diese Handlungen sind nicht für sich genommen eigenartig, sondern nach der Art und dem Zweck, wie sie angewendet werden; die Art, wie das Opus Dei die religiöse Lebensform instrumentalisiert, ist verdächtig. Es sucht nämlich nicht die Heiligkeit des Menschen, sondern die Größe der eigenen Institution.  

Als ich diesem Menschen etwas von der „Aufopferung des eigenen Ich erzählte, war das ein bewegender Moment, wie bei den Jüngern vom Emaus: aperti sunt oculi eorum (Lk. 24, 31), als ich ihm die Lehre Escrivás erklärte, gingen ihm und mir die Augen auf – ein unerhoffter Transfer-Effekt.

***

Die „Aufopferung des Ich“ ist ein Begriff, der eine angemessene Interpretation erfordert, denn es ist sehr leicht, ihn auf eine destruktive Weise zu instrumentalisieren (wie das im  Opus Dei denn auch geschieht); es kommt hier sehr leicht zu einer Grenzüberschreitung, und es ist sehr bezeichnend, dass Escrivá immer genau auf dieser Grenze unterwegs war, da er die Zweideutigkeit und die Täuschung liebte.

Was bedeutet die Aufopferung des Ich? Das hängt immer von der asketischen Sichtweise ab, der man anhängt. Es gibt eine rigoristisch-pessimistische Sichtweise, aber auch eine etwas freundlichere. Selbstverständlich bezog sich Escrivá auf die rigoristische Sichtweise, nicht weil er ein Purist der Spiritualität war, sondern großteils darum, weil er aus praktischen Gründen im Interesse seiner Gründung  zu asketischen Mitteln griff. Um einige der Begriffe zu vertiefen, habe ich das Buch Frohe Gottesliebe von Michael Müller herangezogen; ich kann es allen Menschen, die unter dem Rigorismus Escrivás gelitten haben, nur wärmstens empfehlen.

Natürlich ist es ein komplexes Thema, das hier nicht extensiv behandelt werden kann. Mich interessiert dabei lediglich, wie Escrivá die Frage nach der Aufopferung des Ich behandelt hat.

Darin schreibt der Autor in einem eigenen Kapitel vom Pessimismus im spirituellen Leben des Christen über den theologischen und historischen Vorgang, wie sich die Furcht, der Pessimismus und andere Interpretationsschienen einschleichen, die in diese Richtung gehen. Sehen wir uns einige Abschnitte ab (Unterstreichungen vom Verfasser):

„Hinsichtlich der Motive, die den religiösen Pessimismus bald den Optimismus überwiegen lassen, werden wir vor allem eine Beobachtung machen, dass nämlich das Verhältnis zwischen Gott und dem Menschen durch das Bild von König und Knecht ausgedrückt wird, die einer strafrechtlichen Betrachtungsweise entspricht, und diese Auffassung wirft einen Schatten auf das gesamte religiöse Leben, in dem dann die pessimistischen Vorstellungen des Alten Testaments dominieren werden.“

„Dem Christentum wurde oftmals vorgeworfen, dass es auf übertriebene Weise Schuldhaftigkeit und menschliche Schwäche betont. In einer solchen Verallgemeinerung stimmt der Vorwurf zwar nicht, man kann aber nicht leugnen, dass gewisse geistliche Schriftsteller hier einen Hauptakzent gelegt haben, und die Frömmigkeit zu Ende des Mittelalters gefiel sich in einer solchen Geisteshaltung. Der augustinische Pessimismus, in dem sich Elemente einer systematischen Auslese finden, ist die Ursache dieser Einstellung,  und man findet in vor allem bei den (meist anonymen) Autoren im Umkreis der Nachfolge Christi.

„Es sind also zwei Zentren, um die das Denken kreist: das Bekenntnis unserer Schwäche, unseres Elends, unseres Nichts-Seins auf der einen Seite, und die Erkenntnis der Güte Gottes, seines Mitleidens und seiner Allmacht auf der anderen. Und eben in der Spannung zwischen den beiden Polen hofft man Gott zu begegnen „Wenn ich mein eigenes Elend erkenne, vereinige ich mich notwendigerweise mit Dem, durch Den ich lebe..., und ohne ihn vermag ich nichts.” Entscheidend ist es hierbei, die innere Spannung aufrecht zu erhalten, mit möglichster Klarheit die Schwäche des Menschen zu beschreiben und die Gefühle der Missachtung, der Zurückweisung und der Ablehnung, die der Christ gegenüber sich selbst und der Menschheit empfindet. Das Ewige Heil soll dem menschlichen Elend gegenübergestellt werden, die Glut des Begehrens, die die Seelen verbrennt: „Dieses Leben weckt in mir einen großen Widerwillen.“ Man soll sich in den Unterschied zwischen Gott und dem Menschen vertiefen: „Du bist im Himmel, ich auf der Erde; Du liebst, was Du erhoben hast, ich, was herumkriecht... Du bist gut, ich ein Frevler; Du bist heil und ich bin krank; Du bist das Licht, und ich bin blind; Du bist das Leben, und ich bin rot.“  Und hier habe ich auch gefunden, zu welchem Ergebnis der Christ kommt, der sich selbst betrachtet: „Weh mir! Ich bin ein Kadaver im Zustand der Auflösung, Speise für die Würmer, ein Gefäß der Unreinheit, eine Beute des Feuers.“ „Was bin ich also? Ein Abgrund voller Schatten, ein Land des Elends, ein Sohn der Krankheit, einer, der Schande verdient, gezeigt in Unreinheit; ich lebe im Elend und werde in Verlassenheit sterben. Ich Unglücklicher, wer bin ich? Ach, was wird aus mir werden? Wer bin ich? Eine Abfallgrube, ein Gefäß der Fäulnis, voll von Unreinheit und Schrecken.”

„Diesen Zustand der Seele findet man in der Nachahmung Christi. „Wer bin ich“ – sagt der Autor im Gebet – dass ich es wagen könnte zu Dir zu sprechen? Ich bin nicht mehr als ein armer Knecht, ein schmutziger Erdenwurm, viel zu elend und zu verächtlich als dass ich es wagen könnte zu Dir zu sprechen. Gedenke, Herr, dass ich nichts bin, nichts habe, nichts kann.“ Und es folgen Ermahnungen: „Gedenke deiner Sünden, mit großer Abneigung und großem Schmerz, und messe deinen guten Taten niemals irgendeinen Wert bei. In Wahrheit bist du ein Sünder und vielen Leidenschaften unterworfen. Von selber vermagst du gar nichts; du bist verwirrt, geschwächt, durchgerüttelt. Du hast keinen Grund dich zu rühmen, aber viele, um dich zu demütigen; denn du bist noch viel schwächer, als du es dir vorstellen kannst. Du sollst in dem, was du tust, nichts Großes sehen. Du sollst nichts für großartig, wertvoll oder bewundernswert, für lobwürdig, erhaben oder beneidenswert halten, was nicht von Gott ist. Staub, lerne zu gehorchen; Erde und Lehm, lerne dich zu demütigen, dich zu den Füßen der anderen zu krümmen…;  sei so unterwürfig, so klein, dass die anderen auf dich treten können, wie auf den Schmutz auf den öffentlichen Plätzen... (Ps. XVII, 43) nichtiger Mensch, schamloser Sünder...“.

Escrivá ist ein großer Pessimist, wie er in seinem Buch „der Weg“ und anderen gezeigt hat. Aber dieser Pessimismus ist abgelöst von seinen historischen Wurzeln, er hat einen praktischen Zweck: Er soll Unterwerfung, Gehorsam, Disziplinierung erzwingen. Es handelt sich um einen verordneten Pessimismus,  der dazu führt, dass man sich selbst tief misstraut und sich einem anderen ausliefert: Escrivá fordert von seinen „Kindern“ blindes Vertrauen.

Der hl. Franz von Sales ist hingegen Optimist, ein Vorläufer der Laienspiritualität, und das lange Zeit vor Escrivá:

„Der Optimismus des Franz von Sales basiert auf zwei Wahrnehmungen: zuerst einmal die Unterscheidung zwischen einer oberen und einer unteren Region in unserer Seele. Die verderblichen Folgen der Erbsünde betreffen vor allem „den unteren Teil unserer Seele“ (…). Franz setzt das Gute mit der Persönlichkeit selbst gleich und verwirft das Böse als etwas, das von außen kommt. Das rechtfertigt er durch das zweite Prinzip, auf dem sein System gründet, die Lehre von der Erlösung, wobei er den Akzent auf die helfende Gnade Gottes legt, die jedem Menschen gewährt wird. Die Theologie seiner Zeit haben die Natur und das Wirken der helfenden Gnade sorgfältig untersucht; das Konzil von Trient hat die betreffenden Dogmen festgelegt und sie dem Schatz des christlichen Glauben einverleibt.“

Es ist klar, dass die Aufopferung des eigenen Ich unter diesen beiden Perspektiven ganz unterschiedlich interpretiert wird.

Die Aufopferung des Ich nach der Lehre Escrivás

Das unmittelbarste Problem bei der Aufopferung des eigenen Ich in der Sichtweise des Opus Dei ist es, dass man einerseits „bis zum Tod“ gegen die Sünde, die „schlechten“ Leidenschaften, das eigene Ich kämpfen muss, andererseits ein Leben führen muss, das nicht laikal ist. Deshalb mündet dieses Opfer in einen Kampf gegen sich selbst, bis zur Zerstörung, um Praktiken und Gewohnheit von Ordensleuten in das Leben von Laien einzupflanzen.

Das andere Problem besteht darin, dass man den Begriff des Ich mit allen möglichen Egoismen assoziiert, weshalb man aufgefordert wird ihm den Todesstoß zu versetzen – ein Vorgang der Zerstörung der Person, der typisch für die Gehirnwäsche ist, und sie dient hier ausschließlich der Durchführung von Escrivás Lebensprojekt, dem Opus Dei.

***

Was Escrivá forderte, was nicht mehr und nicht weniger als alles im Dienste des Opus Dei zu verbrennen; mit der Heiligkeit hat all dies nichts zu tun. Das ist ein perverser Betrug. Escrivá verwendet zwar dieselben Begriffe, aber er bezieht sich damit auf unterschiedliche Dinge; er benützt die Religion, um sein ganz persönliches Projekt zu fördern und um sich verehren zu lassen.

Der Vergleich mit der Lebensform und den besonderen Praktiken der Ordensleute ist eine Entschuldigung, eine Ausflucht, aber kein Ziel, dass die Mitglieder des Opus Dei für sich genommen anstreben würden. Strenggenommen ahmen sie nicht das Leben der Ordensleute nach, um eine Heiligkeit wie sie zu erlangen. Die Heiligkeit ist nicht das Entscheidende, und das ist das Schlimme. Wichtig ist nur, dass sich das Opus Dei verwirklicht, und die Ordensdisziplin ist ein hervorragendes Mittel, dies durchzusetzen.

Es handelt sich um einen doppelten Betrug, denn die Mitglieder des Opus Dei, und vor allem die Zölibatären, leben nicht das Leben, das ihnen in Aussicht gestellt wurde, und andererseits geht es dabei gar nicht um ihre persönliche Heiligkeit, sondern immer nur um den Vorteil der Organisation und darum, die Träume des Gründers zu erfüllen.

Wie kann man nur jemandem eine Berufung einreden, die er gar nicht hat, wenn er sie gar nicht zu leben vermag? Zunächst einmal ist das absurd, er hat keinen Sinn. Es bedeutet eine Vergewaltigung. Wenn man sich aber ansieht, wie das Opus Dei funktioniert, macht die Vorgangsweise plötzlich Sinn.

Diese Anmaßungen – Berufung, Gehorsam etc. – haben einen Sinn, der weit über die behaupteten Ungereimtheiten hinausgreift. Es geht nicht darin, dass jemand seiner Berufung folgt, ihre Erfordernisse erfüllt, sein Ziel erreicht – es geht darum, dass der Versuch, dies zu erreichen, mit fremden Intentionen verknüpft wird, von denen nie die Rede ist. Das ist Escrivás Machiavellismus. Es verwundert also nicht, dass so viele im Opus Dei scheitern keinen Ausweg mehr sehen für eine angebliche Berufung, die nicht lebbar ist. Das Opus Dei hat aber seine Beute mittlerweile eingesteckt und seine Mission erfüllt, fortzubestehen.

 

Die nachstehende Skizze ist aus dem originalen Aufsatz von E.B.E. übernommen (La crueldad en Escrivá.- E.B.E.); sie erklärt sich wie folgt: Nach außen hin (linke Seite) präsentiert sich das OD als Personalprälatur mit einer laikalen Berufung (convocación); das Ziel (objectivo) ist aber eine nicht laikale Lebensform, es ist also unerreichbar (meta inalcanzable). Im Innenbereich (rechte Seite) funktioniert das OD aber nach wie vor als Säkularinstitut, das ein Ordensleben (vida religiosa) fordert, dass aber keinesfalls als ein solches gesehen werden darf und dass die Opferung (holocausto) des Ich verlangt. Diese Schizophrenie erhält (sostener) einerseits die Organisation, führt aber andererseits zur physischen Erschöpfung (agotamiento) des Mitglieds und letztlich zum Austritt (salida).

 

 

 

Escrivá wollte damit ausdrücken, dass das Ganzopfer des Ich für alle verbindlich war, die einmal in das Opus Dei eingetreten waren, vor allem für die Zölibatären, denn er wollte ihren Verzicht auf das eigene Selbst bis hin zur Selbstzerstörung erreichen, in einem bedingungslosen Gehorsam. Das aber ist pervers; es ist das, was man gemeinhin als Gehirnwäsche bezeichnet.

Inwiefern kann man von einer institutionalisierten sado-masochistischen Beziehung innerhalb des Opus Dei sprechen? Den Ursprung müsste man in jedem Fall in der narzisstischen Persönlichkeit Escrivás suchen. Denn diese Form der Selbstauslöschung, die Escrivá selbst verlangt hat, bedeutet letztlich, sich großen Schaden zuzufügen, nicht durch Bußgürtel und Geißel, die eher eine marginale Bedeutung haben, sondern durch die Aufhebung der Freiheit und des eigenen Gewissens (und das ist nach der Lehre der Kirche tatsächlich etwas Undenkbares). Worin besteht also das Vergnügen, das man an einem solchen Masochismus findet? In  der Überzeugung, dass einem diese Haltung schlussendlich zugute kommt, der eigenen Erlösung; und am schlimmsten von allem: Man denkt, man gefällt dadurch Escrivá. „Den Willen des Vaters erfüllen“ (Escrivás, nicht den Gottes). Das Vergnügen besteht darin, den Narzissmus Escrivás zu fördern; und Escrivá ist glücklich, dass sich andere zu seinem Nutzen verausgaben.

Dass man seiner Gesundheit schadet, merkt man erst, wenn es zu spät ist, denn man hat bisher ausschließlich auf das geachtet, was das Vater-Orakel von einem will.

Beinahe möchte ich behaupten, dass diejenigen, die es schaffen, mit innerer Freude im Opus Dei auszuharren, vor allem auf der Leitungsebene, eher zu einem subtilen Sadismus als zum Masochismus neigen. Sie haben die Balance gefunden, nicht sich selbst zu zerstören, sondern die anderen: Sie sind unempfindlich gegenüber fremdem Schmerz, sie haben die Fähigkeit Dinge zu verdrängen (vor allem den Schaden, den das Opus Dei verursacht), sie denken schematisch, und sie sind unnachgiebig (im Sinn Escrivás) und nehmen die Ungereimtheiten bei den Anordnungen, die von oben kommen, nicht als solche wahr, vor allem, wenn sie einem anderen Schaden zufügen (z. B. wenn jemand entlassen wird, jemandem nicht geholfen, wenn jemandem der Job genommen wird, nachdem er das Opus Dei verlassen hat. Sie sind unsensibel, funktionierende Automaten, und über den wahren Charakter des Opus Dei machen sie sich keine Gedanken. Vor einiger Zeit sagte mir ein Psychologe, dass man ein besonderes Persönlichkeitsprofil benötige, um es auf Dauer im Opus Dei auszuhalten. Es ist kein Zeichen von Gesundheit, wenn man im Opus Dei bleibt, ohne eine moralische oder psychologische Krise durchzumachen.

Der Sadismus in der Praxis

Besonders merkwürdig daran, wie sich die Menschen hier selbst Schaden zufügen, ist die Tatsache, dass die unbemerkt bleibt. Sobald etwas davon sichtbar wird, reagiert das Opus Dei, indem es das Problem leugnet und von sich wegschiebt: Da hat eben jemand zu wenig auf seine Gesundheit geachtet. Umgekehrt stört es das Opus Dei wenig, wenn in ihren Zentren so viele Menschen geräuschlos verkommen. Darin sieht man deutlich den Mangel an reiner Absicht, Heuchelei, ein doppeltes Spiel, eine schöne Fassade.

Wie mir ein Freund sagte: Das Opus Dei will sein gutes Gewissen nicht verlieren, und deshalb ignoriert es konsequent, was es tut, und will nicht wissen, was dabei herauskommt. „Dass man es nicht merkt“ bedeutet so viel wie, „dass es das Gewissen nicht berührt“. Die „schiefe Ebene“ Escrivás ist ein treffliches Beispiel dafür.

Deshalb ist es sehr schwierig darzustellen, was im Opus Dei tatsächlich abläuft, denn alles wird so gemacht, ohne dass man es merkt, und es wirkt unglaublich und übertrieben, wenn man darauf hinweist.

***

Die Depressionen und physischen und psychischen Erschöpfungszustände unter den Mitglieder dürften mit dieser Selbstzerstörung zusammenhängen, die eine zweifache Wurzel hat: Sie leben ein Leben, das nicht das ihre ist, und dieses Leben (das der Ordensleute) dient einem fremden nicht, nicht der ursprünglich intendierten persönlichen Heiligung, sondern der Entfaltung des Opus Dei. Da ist es dann kein Wunder, dass ein Großteil der Personen aufgrund ihrer Beziehung zum Opus Dei erkranken, und das für lange Zeit.

„Man muss lernen sich zu entäußern, sich zu zerstören, auf sich selbst zu vergessen; man muss brennen vor Gott, aus Liebe zu den Menschen und aus Liebe zu Gott, wie diese Kerzen, die sich vor dem Altar auf verschwenden, die sich aufgeben und dabei ihr Licht spenden“ (Escrivá, Betrachtung, 16-II-1964).

Diese theoretische Kurzfassung der Aufopferung des Ich hat nichts mit der persönlichen Heiligkeit zu tun, sondern damit, einen persönlichen Traum Escrivás Wirklichkeit werden zu lassen, sein Opus Dei.

Die Alternativen sind nicht sehr ermutigend: den Tod oder das Ganzopfer. Die Wahl wird auf das Opfer fallen, denn danach folgt vermutlich das Ewige Leben; nach dem Tod aber kommt die Hölle. So sieht die „Attraktivität“ von Escrivás Konzept aus, aus dessen Art zu denken ein verwirrter Geist spricht.

„Mein Kind, überzeuge dich davon. jetzt  und für immer, dass der Ausstieg aus dem Boot den Tod bedeutet. Und um im Boot zu bleiben, muss man das eigene Urteil aufgeben. Eine tiefe Arbeit der Demut ist nötig: sich hingeben, sich verbrennen, ein Ganzopfer werden“ (Betrachtung „Zur Ehre Gottes leben“, 1972).

Diese „Aufgabe des eigenen Urteils“ ist Teil der Auslieferung des eigenen Gewissens an die Leiter und der Unterwerfung in der Hierarchie und in der geistlichen Leitung.

[Wer zum Opus Dei kommt], „muss die Überzeugung haben, dass er kommt, um sich zu unterwerfen, um sich auszulöschen” (Escrivá, Instrucción, l-IV-1934, Nr. 17).

Im Alten Testament bezeichnet der Ausdruck Holocaust ein Ganzopfer, bei dem nichts übrig gelassen wird. Das ist das Opfer, dass Escrivá von allen abverlangt, um sein Opus Dei errichten zu können, und das gilt insbesondere für die zölibatären Mitglieder. Man darf sich also nicht wundern, was aus ihnen wird.

„Du und ich, halte dir das immer gegenwärtig, sind gekommen, um unser Leben ganz hinzugeben. Ehre, Geld, berufliche Karriere, Fähigkeiten, Einflussmöglichkeiten in der Gesellschaft, Bande des Blutes, mit einem Wort, alles, was die Karriere eines Menschen in seinen besten Jahren ausmacht, alles muss sich unterordnen, ja, einem höheren Interesse unterordnen ” (Escrivá, Brief 14-II-1974, Nr. 3)

Wenn jemand dem einfachen Mann von der Straße dieses „Gedankengebäude“ darlegen würde und ihm erzählt, wie es vielen Menschen ergeht, die das Opus Dei verlassen und dass das Opus Dei ihnen auf keine Weise hilft, ihnen keine Arbeit gibt, keine medizinische Versorgung, dann würde dieser die Leiter im Opus Dei spontan als Mistkerle bezeichnen.

Denn auch wenn man noch dem Opus Dei treu ist, seinem Gedankengebäude anhängt, aber vor der Zeit zu dieser Selbstzerstörung gelangt, das heißt, bevor er noch alt ist oder um die Möglichkeit zum Austritt bittet, findet das Opus Dei eine Möglichkeit, diesen Menschen loszuwerden, ein Ganzopfer aus ihm zu machen, ihn zu eliminieren, und deshalb erfüllt das Opus Dei auch nicht die moralische Verpflichtung, sich um die zu kümmern, die alles für es gegeben haben, wie es eigentlich im Katechismus Nr. 167 als Regel vorgegeben ist (es mag Ausnahmen geben, aber die sind gewiss nicht im Sinn des Opus Dei):

Wenn die Krankheit oder das Alter kommen, ist niemand im Opus Dei allein, denn das Werk sorgt mütterlich um Hilfe für seine Kinder.

Wenn das Thema nicht so tragisch wäre, müsste man an dieser Stelle hell auflachen: Ein Großteil erlebt das Alter gar nicht, denn vorher kommt die Krankheit, und die große Mehrheit verlässt das Werk und erhält zum Dank für die im Dienst des Opus Dei verbrauchten Jahre gar nicht, nicht die geringste Hilfe. Wenn man das dem kleinen Mann auf der Straße erzählt, wird er wütend.

***

Der Gehorsam, der  keine Fragen stellt, ist eine Art von Unterwerfung, die darin gipfelt, dass ein „bitte“ schon als der schärfste Befehl verstanden wird. Dadurch kommt man dahin, schlichtweg alles zu akzeptieren, und so wird es schließlich auch unmöglich, das Opus Dei zu verlassen, es sein denn, dass die Schwäche der betreffenden Person diese daran hindet, diese Auslöschung des eigenen Selbst zu betreiben. Wenn sie daher das Opus Dei verlassen, dann deshalb, weil sie nicht mehr können. Dieser Mechanismus innerhalb der Institution ist der Gesundheit höchst abträglich und kommt dem nahe, was man als Perversion bezeichnen muss.

Umgekehrt zieht das Opus Dei seinen Vorteil eben aus dem, worin es schadet – dem Opfer seiner Mitglieder.

Eine der Grundsätze des Opus Dei ist es, keine Aufmerksamkeit zu erregen. Es ist subtil, bleibt im Hintergrund; man „merkt es nicht“. Deshalb verkleidet sich der Masochismus; er wird „auf einer schiefen Ebene“ als Prinzip eingeführt, nach und nach, ohne das der Betroffene sich dessen bewusst wird. Das ist ein anderer Grundsatz des Opus Dei: Man soll es nicht mitbekommen. Aber das Ergebnis ist beeindruckend: ein blinder Gehorsam, der sich über Jahre hinweg alles gefallen lässt. Escrivá wusste sehr gut, wovon er sprach, als er im „Weg“ von den feinen Fäden sprach, die eine unzerreißbare Kette bilden.

Der Gehorsam, wie ihn Escrivá einforderte, hat mit der Obödienz der Ordensleute nur wenig zu tun, wenn auch die Tradition der Orden manche dieser Mittel anwenden mag.

Es ist ein klares Zeichen von Grausamkeit, dem nicht zu helfen, der geht, nachdem er dem Opus Dei seine besten Jahre, seine Ersparnisse, seine Kraft investiert hat. Diese Grausamkeit, zusammen mit dem antrainierten Masochismus der zölibatären Mitglieder, bewirken eine weitere Pathologie, die von Fachleuten zu untersuchen wäre.

Dazu gehört auch die übertriebene und herzlose Verfluchung derer, die das Opus Dei verlassen haben; man prophezeit ihnen, dass ihnen jetzt die schlimmsten Jahre ihres Lebens bevorstünden, und eine Bitterkeit wir die des „Rhizinusöls”. Aus diesen Worten spricht die pure Rachsucht, die der Gründer seinem Opus Dei eingeimpft hat (heute hält man sich da vielleicht ein wenig zurück, da sie damit rechnen müssen, das ihre Worte hier oder anderswo publik gemacht werden).

Wenn Escrivá den Abtrünnigen das Rizinusöl prophezeit, meint er damit den Widerwillen, den das Leben bei dem verursacht, der das Opus Dei verlässt: Es wäre vergleichsweise besser, diesen Menschen an ein Mühlrad zu binden und ins Meer zu werfen, als ihn vom Opus Dei weggehen zu lassen.

„Sogar das, was den normalen Menschen ein relatives Glück beschert, wird einer Person, die ihre Berufung verlässt, bitter wie Galle, sauer wie Essig und widerwärtig wie Rizinus.“

Das ist völlig falsch, und es zeigt einmal mehr, dass es möglich ist, die Ketten – die feinen Fäden – zu zerreißen, die eine Person an der Opus Dei binden.

Laut Escrivá muss der seine Strafe finden, der das Opus Dei verlässt, und an dieser Rache hat Escrivá sein Vergnügen, denn er prophezeit eine Strafe für die, die ihn verlassen – so argumentiert ein Narzisst.

Unterwerfung und Herrschaft sind Teil der Lust, die der Sadismus hervorruft. Und diese – verlogenen – Hinweise Escrivá dienen dazu, dass niemand aus dem Opus Dei entflieht, sie sind eine andere Art, Menschen zu beherrschen und sich zu unterwerfen – durch die Furcht. Seine Prophezeiungen über die Bitterkeit des Rizinus haben in Wirklichkeit keine Auswirkungen auf die Zukunft, sondern nur auf die Gegenwart: Sie halten die Mitglieder des Opus Dei durch die Furcht davon ab zu gehen. Sobald man draußen ist, wirken die Prophezeiungen Escrivás nur mehr lächerlich. Das hindert einen Leiter des Opus Dei – zum  Beispiel Escrivá- aber nicht daran, diese Theorie sadistisch zu deuten (vgl. das Zeugnis von Dolores Castaño). Das Opus Dei freut sich, wenn ein ehemaliges Mitglied schmerzliche Schwierigkeiten in seinem Leben erfährt, denn das bestätigt die „erhabene” Lehre des Gründers zu diesem Thema. Sie sehen darin keinen Sadismus von Seiten des Opus Dei, sondern eine “prophezeite Notwendigkeit”. Des es braucht eine tiefe und subtile Furcht, um die Mitglieder im Opus Dei zurückzuhalten, und darin besteht eine der großen Schwierigkeiten, die Prälatur zu verlassen; man muss zuerst die Angst vor der Schuld und vor der Strafe besiegen. Wenn das schon keine Gehirnwäsche sein soll, so kommt es dem zumindest sehr nahe.

***

Die Dominanz Escrivás zeigte sich, dass alle seinen Willen erfüllen wollten – sie umgaben ihn mit Lob, mit Geschenken, sie dienten ihm und verehrten seine Person, und niemand konnte der Unterwerfung durch ihn entgehen.

Die Grausamkeit Escrivá zeig sich also in zweifacher Hinsicht: 1) Er erreicht, dass sich seine Anhänger zu seinem Vorteil ausbrennen wie Kerzen, und dass 2) niemand dieser Verpflichtung entkommt, ohne schwerwiegende Folgen zu riskieren. Beide sind Anzeichen einer schwerwiegenden pathologischen Störung Escrivás.

Auch wenn sich diese Grausamkeit deutlich zeigt, wenn jemand gehen will, richtet sie vermutlich unbemerkt den größten Schaden dann an, wenn sich das Mitglied zum Nutzen des Opus Dei aufzehrt ohne sich Rechenschaft darüber zu geben, dass es ihm immer schlechter geht. Das ist der schlimmste Sadismus – man merkt die Folgen erst, wenn man geht und wenn es bereits zu spät ist.

***

Escrivá ist ja nun tot, aber sein Narzissmus prägt nach wie vor die Unternehmenskultur des Opus Dei. Alles im Opus Dei kreist beständig um Escrivá und sein Werk. Gott und die Heiligung der Personen sind sekundär, ohne Bedeutung für die Institution.

Es ist sadistisch, die Gewissen zu pressen, sich und die eigene Gesundheit zu zerstören und zu vernichten. Das würde kein geistlicher Leiter tun. Entscheidend ist aber, dass der einzige Zweck dieser Selbstzerstörung  der Nutzen des Opus Dei ist und nichts sonst. Was ist das für eine geistliche Leitung im Opus Dei, die Dinge empfiehlt, zu denen kein wirklicher Seelsorger raten würde; würde sie diesen Namen verdienen, käme sie sofort in Konflikt mit den Zielen der Vereinigung.

Es ist Sadismus, jemandem eine unerträgliche Berufung aufzuerlegen, die nicht einmal dem Konzept nach gelebt werden kann und die lediglich etwas anderes verhüllt. Das Opus Dei ist kafkaesk. Die hier übliche Strenge, ja die Nötigung haben ihre Wurzel ebenfalls in der Grausamkeit; sie haben nicht zu tun mit der Form von Hingabe, wie sie in Orden üblich ist.

Sadismus bedeutet die Ausnützung der Grausamkeit zum eigenen Vorteil. Im Opus Dei fällt der Sadismus nicht auf; was Gewohnheit ist, wird nicht wahrgenommen, genauso wie die Tatsache, dass wir als Ordensleute gelebt haben, ohne es zu merken.

Der subtilste Aspekt dieser Grausamkeit besteht vielleicht in der Ausbeutung der Angst, die mit Gewissenszwang und Schuld zu tun hat.

Eine perverse Gesinnung

Wenn wir vom ersten Tag an gewusst hätten, dass wir als Ordensleute leben würden, wäre es anders und ehrlich zugegangen. Aber im Fall des Opus Dei handelt es sich auch nicht um ein authentisches Ordensleben, sondern lediglich um die Anwendung der Ordensdisziplin, um rein äußerliche Ziele zu erreichen. Mit anderen Worten, die Heiligkeit anderer war niemals das Anliegen Escrivás. Und alles das dient immer nur einem bestimmten Zweck, sogar die Armenbesuche.

Escrivá kopierte das Leben der Ordensleute, um seine Institution durchzuziehen. Das Perverse dabei besteht darin, dass er Tausende Menschen  auf diese Art seinem persönlichen Vorhaben unterwarf.  Pervers war es, dass ihn die Spiritualität der ihm anvertrauten Personen niemals interessierte, sondern immer nur der Ruf seines Opus Dei. Das bedeutet, den Sinn von Religion zu pervertieren.

Das Ziel Escrivás war es weder, Ordensleute zu bilden noch Laien  zu bilden. Er wollte die Grundlagen schaffen, um sein Opus Dei zu verwirklichen: Arbeitskraft und Geld. Deshalb sind die zölibatären Mitglieder nicht Fisch, nicht Fleisch: Sie sind Hybride zwischen einem Laien und einem Ordensmann.

Deshalb interessierte es ihn auch überhaupt nicht, wie es jemandem erging, der die Organisation verließ, und er half auch prinzipiell niemandem, der sich aus seinem Projekt zurückzog.

Fassen wir einige Punkte davon zusammen:

1)   Die religiöse Disziplin diente ihm dazu, die Gewissen der Laien zu unterwerfen, damit die ihm Proselytismus machten und Geld herbeischafften;

2) Deshalb war auch der Betrug nötig: Man leugnete, irgendetwas mit den Ordensleuten gemein zu haben. Und das ist das zweite Element der Perversion, das das erste absichert;

3)   Die zölibatären Mitglieder geben alles her: ihre Zeit, ihr Geld, ihren Körper, durch eine Formel, die für das ganze Leben gilt: die Fidelitas oder Eingliederung auf Dauer.

4) Ein drittes Element ist es, den Schaden abzustreiten, den man verursacht hat, indem die Menschen einerseits einer harschen Disziplin unterworfen waren, diese Disziplin aber immer auch geleugnet wurde (nämlich das Ordensleben der Zölibatären);

5) Ein viertes  Element ist es, denen, die das Opus Dei verlassen haben, jede Hilfe zu verweigern;

6) Ein fünftes Element ist die Internalisierung selbstzerstörerischer Konzepte in den Personen: Das ist Masochismus.  Man erlegt sich Dinge bis zur physische und psychischen Erschöpfung auf. Das Opus zerstört offenkundig niemand direkt, sondern es lehrt jeden einzelnen, sich selbst zu zerstören, und so “bleiben keine Spuren”. Es ist die Lehre von der völligen Aufopferung des selbst, des “Holocaust”, des Brandopfers, eines Konzepts aus der Ordensaskese, das aber hier dazu missbraucht wird, die Gewissen zu unterwerfen. Hier verwandelt sich die Perversion Escrivás in etwas eminent Gefährliches, denn dadurch erhält das Opus Dei die Kontrolle über die Personen und beutet sie zu seinem Besten aus.

Daher ist das Ordensleben nicht für sich genommen pervers, wohl aber die Instrumentalisierung, der es Escrivá unterworfen hat. Von daher kommen alle genannten Konsequenzen, denn eine Lüge folgt der anderen.

***

Schlussfolgerung

Das Opus Dei ist zu dem geworden, was es ist, nachdem tausende Personen durch es großen Schaden erlitten haben. Es hilft nicht zu sagen, dass das “jetzt nicht mehr so ist”. Es wäre so, wie wenn die Legionäre Christi sagten: “Heutzutage kann Maciel niemanden mehr vergewaltigen, die Dinge haben sich geändert”. Das Opus Dei ist die Folge eines perversen Konzepts, eine Frucht des Betrugs und der Zerstörung vieler Lebensläufe.

Es ist nicht normal, wenn jemand mit fünfzig Jahren glücklich ist und dabei nur dann fernsehen darf, wenn sein Leiter danebensitzt (vgl. den Bericht von Sarnoso). Aber an dieser Stelle reden sie dann von der Unterwerfung des eigenen Urteils – ein jämmerliches Lebenskonzept, ein unfassbarer Infantilismus.

Das Opus Dei ist insofern pervers, als er Vorteil daraus zieht, den Menschen zu schaden; und ohne diesen Schaden hätte es keinen Vorteil.

1)   Man benützt die Ordensdisziplin, nicht um Ordensleben zu organisieren, sondern um die Gewissen einem blinden gehorsam zu unterwerfen – manche nennen das “Gehirnwäsche”. Die Ordensdisziplin wird somit aus ihrem Kontext gerissen und zur Manipulation missbraucht.

2) Der Nutzen, den das Opus Dei hat, besteht darin, dass sie die Menschen dazu bringen, alle ihre Energie in den Aufbau des Opus Dei zu investieren, ihr Geld, ihre Arbeitskraft; sie opfern dafür alle Lebensprojekte, also auch die Gründung einer eigenen Familie. Wenn dieser Mensch dann das Opus Dei verlässt, ist er vollkommen ausgebrannt.

3) Das Opus Dei verweigert seinen Mitgliedern selbst ihre Identität: Es zwingt sie zu einem klösterlichen Leben und hämmert ihnen ein, dass sie Laien sind. Das bedeutet einen enormen moralischen Schaden, eine geistige Folter, ein Akt der Grausamkeit, von dem Escrivá nicht freigesprochen werden kann.

4) Auch die Tatsache, dass jemand nicht für die Folgen seiner Handlungen geradestehen will und die Fehler anerkennt, die er begangen hat, ist typisch für einen Menschen, der durch die Schule des Opus Dei gegangen ist.

Wie soll man Escrivá seine Handlungen verzeihen?  Sein Narzissmus kann hier keine Entschuldigung sein; er müsste sorgfältig analysiert werden. Der Narzisst mag sympathisch erscheinen, aber was er tut, schadet; er ist nicht unzurechnungsfähig.

Das Opus Dei scheint nicht das Produkt eines charmanten Narzissten gewesen zu sein; er hat es skrupellos und berechnend geplant. Das mag jetzt für einige, die im Opus Dei gewesen sind, übertrieben klingen; aber sobald man anfängt, seine Erfahrungen zu erzählen und zu verbalisieren, welche Art von Leben man geführt hat und seine Erfahrungen mit denen vergleicht, die nie etwas vom Opus Dei gehört haben, werden wir merken, dass wir uns bisher viel zu wohlwollend und verständnisvoll gegenüber dem Opus Dei und Escrivá verhalten haben. Wahrscheinlich ist das ein Teil der Indoktrinierung, der wir ausgeliefert waren.

Gewiss wäre es hilfreich, wenn der Heilige Stuhl, ähnlich wie im Fall Maciel, eine Erklärung abgäbe, dass Escrivá ein areligiöser, skrupelloser Mensch gewesen ist, obwohl er heiliggesprochen wurde. Wenn aber jeder Betroffene seine eigenen Erfahrungen kritisch wahrnimmt und sie – als therapeutische Übung – einem außenstehenden Beobachter erzählt, bräuchte man nicht einmal auf diese Erklärung des Heiligen Stuhls zu warten, um sich bewusst zu machen, wer Escrivá war. Trotzdem wäre es anerkennenswert, wenn sich der Heilige Stuhl einmal offen darüber ausspräche.