Heraldo: Das Opus Dei, ein neuer Prokrustes
30/03/2015
Prokrustes war der Spitzname des mythischen Herrschers von Eleusis, einer Stadt im alten Griechenland, in der die Mysterien der Göttinnen Demeter und Persephone gefeiert wurden. Prokrustes war der Sohn des Poseidon, des Meeresgottes, und deshalb war er unglaublich groß und unermesslich stark. Sein wahrer Name war Damastes, aber man nannte ihn Prokrustes, was so viel bedeutet wie „Strecker“, denn so behandelte er seine Gäste. Er befahl ihnen, sich auf ein Eisenbett zu legen, und wer zu lang war, dem schnitt er die Füße ab, soweit sie über die Bettkante hinausragten; und wenn sie zu kurz waren, streckte er sie, bis sie das richtige Maß hatten. Jeder, der ihm in die Hände fiel, wurde entweder verstümmelt oder gedehnt. Prokrustes endete so wie seine Opfer; er fiel Theseus in die Hände, und der unterwarf ihn derselben Behandlung, wie er sie allen anderen zugedacht hatte...
Das Opus Dei ist ein neuer Prokrustes. Das Werk weist vielen die Berufung zum Opus Dei zu und versucht sie mit allen Mitteln anzupassen. Zum Glück kann ein beträchtlicher Teil seiner Opfer recht bald aus seinen Krallen flüchten. Aber wenn der schmerzliche Vorgang eine Weile angedauert hat, kommt die Verstümmelung oder die Folter. P. Danilo hat es vorgezogen, sich umzubringen, bevor die Folter weiterging. Die Notiz, die er in seiner Börse trug, lässt keinen Zweifel offen.
Das Opus Dei maßt sich an, jeden beliebigen Menschen in seine Reihen zu rufen, der ihm über den Weg läuft und halbwegs normal wirkt. Es besitzt und entfaltet ein ganzes System, um Menschen aller Art anzuwerben. Es ist ein System voller menschlicher Spitzfindigkeiten, an dem die Laien und Priester des Opus Dei in perfekter Koordination zusammenarbeiten, um ihr Ziel zu erreichen. Der Erfolg des Systems beruht darauf, dass es sich auf die menschlichen Schwächen stützt, wie die Jugend der Kandidaten, ihre Blauäugigkeit, die Unwissenheit, die Furcht, die Suche nach Liebe... In geringerem Maß stützt es sich auch auf positive Aspekte, wie religiöse Gefühle, den Wunsch, besser zu werden oder den anderen zu helfen. In jedem Fall geht es niemals darum, die echte Berufung zu erkennen. Von ihr versteht man im Opus Dei nichts, denn man interessiert sich auch nicht dafür. Es ist ein Begriff, der im Werk nicht einmal unter einem anderen Namen existiert. Hier gibt es nur die Treue oder die Untreue. Wenn es dazu kommt, dass man sagt, jemand hat „keine Berufung“, so treibt das die „Feinfühligkeit“ auf die Spitze, denn man vermeidet es so zu sagen „er hat es nicht geschafft“, „er wollte nicht kämpfen” oder „er fügte dem Werk Gottes einen Schaden zu“. Das Werk zeigt uns, dass man große Ungerechtigkeiten mit der entsprechenden Sprache kaschieren kann.
Man untersucht nicht, ob jemand eine Berufung hat, weil diese Tatsache niemanden interessiert, ob er sie hat. Die Menschen im Werk dienen der Institution eine Woche lang, drei Monate oder 30 Jahre. In jedem Fall dienen sie dem Werk. In der Zeit, in der sie zum Werk gehören, bilden sie seine „kritische Masse“. Mit denen, die nicht durchhalten, macht man die Arbeit, spracht der Oberpfaffe Florencio Sánchez Bella, der der Consiliarius von Spanien in den Zeiten der Expansion war. Er erzählte, dass Don Alvaro, als er ihn nach Mexiko schickte, zu ihm sagte: „Schau, dass du das hier machst, was du in Spanien gemacht hast.” Dabei bezog er sich auf einen wilden, skrupellosen Proselytismus. s sagte auch, dass sein Name auch bei jener ersten Wahl im Werk gefallen sei, als es darum ging, den Nachfolger des Gründers zu wählen.
Es wäre gut (sehr gut), wenn sie bis zum Tod treu sind (denn dann nützen sie mehr), aber wenn sie nicht treu sind, schadet das auch nichts, weil sie dem Werk bereits genützt haben.
Dem Opus Dei ist es anscheinend egal, welche schweren Schäden es bei vielen Menschen anrichtet, psychologische, moralische, spirituelle, wirtschaftliche etc. Schäden. Sie denken vielleicht, dass das Werk etwas so Wunderbares ist, dass jede mögliche negative Auswirkung durch das Gute mehr als kompensiert wird, das die zeitweiligen Mitarbeiter dadurch empfangen.
Haben wir wirklich etwas Gutes gewonnen? Bildung? Tugenden? Innenleben? Die Bildung, die man hier empfängt, ist fundamentalistisch und stützt sich auf eine Theologie von schlechter Qualität, die bis in die Terminologie hinein obsolet ist (ein überholter Thomismus). Welche Tugend erwirbt man im Opus Dei, wenn man hier nicht einmal lernt, wie man ordentlich arbeitet? Erwirbt man ein echtes inneres Leben, wenn man unter dem beständigen Druck steht, unendlich viele Normen erfüllen zu müssen? Dieses Thema verdient eine eigene Analyse.
Wenn man keine Berufung zum Opus Dei hat, sollte man hier nur jenes Minimum an Zeit verbringen, die es braucht, um eben dies zu erkennen. Alles andre ist ein Missbrauch und eine Zeitverschwendung. Und wenn man Jahre und Jahrzehnte ohne eine Berufung im Werk verbracht hat, wird die Bilanz sinnlos, absurd, man hat das Leben auf eine dumme Weise vergeudet.
Dem Opus Dei ist das allerdings egal; es nimmt, was es bekommen kann. Die Institution ist alles, das Individuum nichts.
Es ist eine schwerwiegende Verantwortungslosigkeit und eine Beleidigung, wenn man von der „unantastbaren Berufung“ spricht. Von dem Tag an, an dem man den Brief an die Kommission schreibt, wird einen die Berufung als nicht diskutierbar präsentiert. Bis in das Gebet hinein verfolgt einen die Obsession, sie bekommt moralische Konnotationen, von der ersten Minute im Werk an wird man in einen Diskurs über Treue und Loyalität verwickelt, der das Gewissen zukleistert. Keine Institution der Kirche, die reif geworden ist, geht so vor. Das ist das Markenzeichen der jungen Bewegungen, die sich unter der verantwortungslosen Förderung der Hierarchie ungestüm entwickelt haben.
Ich habe P. Danilo nicht persönlich gekannt, aber durch meine Leitungsarbeit im Werk habe ich viele solche Fälle mitbekommen. Dort wissen wir alles von allen. Das Werk unternimmt gewaltige Anstrengungen, um sich der Treue seiner Mitglieder zu vergewissern. Ebenso ist es richtig, dass eine Minderheit dazu eingeladen (oder gezwungen) wird, das Opus Dei zu verlassen, wenn man den Eindruck gewonnen hat, dass es mehr kostet als es bringt. Denn so ist die Berufung plötzlich nicht mehr unantastbar, wenn es darum geht, das Opus Dei vor unerwünschten Belastungen zu schützen. Ich erinnere mich an Hinweise von ganz oben im Werk (ich arbeitete viele Jahre in einer Regionalkommission und war Rektor der Universität Panamericana), in denen die Dichotomie von Kosten und Nutzen häufig eine Rolle spielten. Ich war ein wenig unbeholfen im richtigen gebrauch der Opus-Sprache, die doch immer so feinfühlig ist.
Im Lauf dieses Jahre war ich zeuge himmelschreiender Fälle. Menschen litten unbeschreiblich darunter, dass sie ein absurdes Leben führen mussten, und man zwang sie im Opus Dei zu bleiben. Ich habe selbst einen Selbstmord und einen Selbstmordversuch miterlebt. Der Gedanke daran war häufiger, zusammen mit vielen anderen pathologischen Erscheinungen.
Wie es offenkundig ist, sind die Selbstmorde nur die Extremfälle. Einer von ihnen, der in einem Zentrum für Ältere in Polanco lebte, schluckte eine ganze Flasche Beruhigungsmittel. Er wurde gerettet, indem man ihm den Magen auspumpte. Seit dem Studienzentrum, wo ich ihn kennen lernte, war eindeutig erkennbar, dass er sich nicht an die Erfordernisse der „Berufung“ anpassen würde. Aber das Werk hielt ihn so lange zurück, bis er versuchte sich umzubringen; dann ermöglichte man ihm den Ausstieg. Ich weiß nicht, was aus ihm geworden ist, und welche Folgen sein Ausstieg aus dem Opus Dei für ihn hatte. Das war das Übliche: Wir erfuhren nichts.
In einem Zentrum in Spanien lebte ich einige Monate mit einem relativ jungen Priester zusammen, er war um die 40, von dem man sagte, er sei „krank“. Er machte keinerlei Arbeit von St. Raphael oder St. Gabriel, auch wenn die Heimbewohner bei ihm beichten konnten. Er wandte sich an die Delegation, wo man ihm eine Arbeit an einem Zettelkasten gab. Jahre später erfuhr ich aus guter Quelle, dass er von einem Psychiater betraut wurde, der am Stadtrand lebte. Mit ihm führte er nun sein „brüderliches Gespräch“. Ich denke, dass dieser Priester nicht verrückt war, sondern dass Prokrustes an ihm seine Arbeit getan hat.
Der Leiter eines Studienzentrums lebte in dem Bewusstsein, jeden Tag ein Sakrileg zu begehen. Ein anderer Priester verbitterte sich das Leben durch Gewissensskrupel, weil er häufig masturbierte. Ein anderer Numerarier verfiel einer Psychose und wurde nach Navarra in den vierten Stock der Universitätsklinik geschickt. Ich sah ihn in den Straßen von Pamplona wie einen Schlafwandler herumgehen. Seine Hände zitterten. Es war ein Jammer, ihn mit seinen kaum 30 Jahren so zu sehen.
Ich könnte stundenlang über Fälle berichten, die vielleicht nicht mit Selbstmord endeten, aber mit Demenz, mit dem unrettbaren Verlust von Lebenszeit, in der Absurdität, wegen der Dummheit einiger verantwortungsloser Leiter. Prokrustes schneidet und dehnt.
Auf dieser Seite kann man unglaubliche Fälle nachlesen. Ich denke an Satur und Otaluto; sie haben hier selbst ihre Lebensgeschichten erzählt. Es sind wunderbare Menschen, aber es ist offenkundig,. dass sie keine Berufung zu Numerarierin haben, wenn es eine solche Berufung überhaupt geben sollte.
Aber meiner Auffassung nach ist die Priesterweihe etwas anderes. Ich wurde eingeladen, meine Studien am Collegium Romanum abzuschließen. Glücklicherweise – Gott sei Dank! - aber ich war mir nicht sicher und bat darum, die Entscheidung zu vertagen. Diese zweite Chance kam aber nie wieder, das Werk steckte mich in „laikale“ interne Aufgaben. Mich überläuft ein kalter Schauen, wenn ich daran denke, dass ich vielleicht geweiht worden wäre. Dann hätte ich das Opus Dei nicht verlassen können. Ich wäre sicher drinnen geblieben, hätte ein absurdes Leben gelebt und wäre in dieser künstlichen Welt untergegangen
Wie ich bereits an einer anderes Stelle erzählt habe, fühlte ich seit meiner Jugend, dass Prokrustes mich verstümmelt. Am Ende meines Studiums begann der Kontakt mit dem Psychiater und mit den Psychopharmaka. Ich erinnere mich noch an den Namen des ersten Medikaments, das ich bekam: Adepsique, ein Cocktail aus einem Antidepressivum, einem Tranquilizer und einem Sedativum. Dann kamen viele andere. Ich habe so viele schlimme Jahre hier verbracht, dass meine Transaminasen anstiegen.
Ich war im Werk niemals glücklich, auch wenn ich mich bemüht habe, mir das Gegenteil einzureden. Im Werk kann man viele Befriedigungen erleben, und das Werk bemüht sich auch sie einen fühlen zu lassen. Der Bedürftige freit sich auch über das Almosen, das er bekommt, und er kann sich sogar einreden, mit seinem armseligen leben zufrieden zu sein. Aber das empfangene Almosen hilft ihm nur, sich vor dem Verhungern zu retten und sein Leiden zu verlängern.
Ich war im Werk niemals glücklich, weil mir der innere Friede fehlte, denn ich war immer unangepasst. Ich fühlte mich ständig unbehaglich, oder besser gesagt, am Rand des Abgrunds. Es ist auch dasselbe Werk, das es sich angelegen sein lässt, einem das Leben unmöglich zu machen. Sie geben dir immer das Gefühl, dass du der letzte Dreck bist, sie aber lieblich und vollkommen.
Wie schön ist es, das Opus Dei hinter sich gelassen zu haben!
Vor einiger Zeit verständigten wir ehemaligen Schulkollegen uns in einem Chat. Einer von ihnen ist Numerarierpriester. ER war der einzige, der sich als „glücklich“ bezeichnete. Niemand sonst hat sich selbst so eingeschätzt. Schließlich musst du sich aber im Werk davon überzeugen lassen, dass du glücklich bist, damit du nicht draufkommst, wie schlimm es dir geht. Sie sind Meister des NLP.
Ich war Zeuge des unendlichen Leids in den Zentren der Älteren des Werks. Es graute einem davor daran zu denken, dass man einmal hier enden könnte. Hier konzentrieren sich die, die viele Jahre im Bett des Prokrustes ausgeharrt haben. Es ist unglaublich und paradox, dass das Werk nach außen hin, als Institution, einen solchen Erfolg hatte, während seine engsten Mitarbeiter in einer prekären Situation steckten. In den Delegationen und Kommissionen hat das Wort „Zentrum für Ältere“ einen eindeutig negativen Beigeschmack: Man denkt dabei an Traurigkeit, Depressionen, eigenartige Verhaltensweisen, Langeweile, Egoismus, Manien, Diäten, Wegsperren, Psychopharmaka, Kompensationen… Ein junger Numerarier sollte sich nicht länger als einige Minuten hier aufhalten, weil er sonst Anstoß nimmt.
Mittlerweile bin ich der Auffassung, dass man im Werk mit rechter Absicht handelt. Fast hätte ich gesagt, ganz mit rechter Absicht, denn die versuchte ich zu bewahren, als ich interne Aufträge hatte. Uns bewog ein Glaube an eine angebliche Göttlichkeit, die sich auf alles erstrecken wollte. Aber die Geschichte Maciels zeigt uns, dass ein vollkommen verdorbener Mensch in seinem Leben eine große christliche Mobilisierung zustande bringen kann. Mit kommt vor, ein Idiot kann das noch leichter bewirken; denn zwischen Genialität und Wahnsinn ist eine manchmal kaum wahrnehmbare Grenze. Man hat immer vorgegeben, ein menschliches Werk zu vergöttlichen, und die Folgen waren verheerend.
Escrivá hat viel gebetet und tausende Frömmigkeitsnormen erfüllt, aber sein Verhalten zeigte die Kaltschnäuzigkeit eines Gangsters. Da es immer zu seinem Gründungsgeist gehört hatte, an den Fäden der Macht zuziehen (so zeigt es das erste Reglamento von 1941, die wir hier veröffentlicht haben, die aber im Opus Dei niemand kennt), da die Kinder des Lichts genau so clever handeln sollen wie die Söhne des Finsternis. Es hat auch in der kirchlichen Hierarchie einen Fuß in der Türe, aber zum Glück für alle verliert es seine Machtbasis, weil es zu wenige Numerarier gibt. Außerdem sind die wenigen Numerarier, die jetzt noch pfeifen, nicht die hellsten.
Das Werk hat seinen Theseus gefunden. Es fühlt sich nun selbst verstümmelt und überdehnt. . Die „wunderbare“ juridische Lösung blieb auf halben Weg stecken und erwies sich als kontraproduktiv. Der Prälat hat Regelungen im Zusammenhang mit der geistlichen Leitung ausgegeben, die die Leitung im Werk unmöglich machen, wenn man daran gehen sollte sie anzuwenden. Viele seiner ältesten Mitglieder sind seine härtesten Kritiker. Die Diskrepanz ist größer geworden und mit ihr der Zynismus und das doppelte Spiel. In diesem Stadium erscheint es unmöglich, die Manipulation der eigenen Geschichte und den Betrug am Heiligen Stuhl und an den eigenen Mitgliedern fortzusetzen.
Heraldo